Auf ihn wirken die geringfügigsten Eindrücke mit erschrecken-der Maßlosigkeit. Maßlos ist sein Tun, sein Denken, sind seine Träume, seine Befürchtungen, seine Pläne. Seine Körperkraft ist unerschöpflich, Übungen ermüden ihn nicht, die wildesten Pferde bändigt er leicht; wer ihm zum Ringkampf gegenübertritt, den besiegt er fast schon durch seinen glänzenden Blick, in den Schulen der Philosophen erregt sein Geist Aufsehen, er verachtet das Herkommen und verficht alles Neue; wahrhafte Größe und Schönheit kann ihn so erschüttern, daß er tagelang wie besinnungslos bleibt, und selten sind die Stunden, in denen sein Gemüt zur Ruhe gelangt. Dann aber geht etwas Bezauberndes von ihm aus, und die ihn so sehen, sind ihm für immer verfallen, wer sein himmlisches Lächeln einmal gesehen hat, kann es nicht mehr vergessen.

Ohne Hephästion hätte alles einen andern Weg genommen.

Jetzt erst, in der Wüste, wo das Lebendige vor seinem letzten Ende stand, jetzt fühlt Alexander, an welchen Abgründen der Natur er vorübergegangen ist. So ganz zurückdenkend, zurück-schauend, zurücklebend, erkennt er in Hephästion den Retter, der an der Schwelle eines jeden Morgens der Sonne das Licht vor-anträgt. Und welch ein Tag war das, als die Nachricht vom Tod des Vaters eintraf; da kam Hephästion, in der Hand das nackte Schwert, das Gesicht durchflammt von großartiger Begierde, aus einem kühnen Traum schien er erwacht und warf sich vor Alexander nieder und gab ihm das Schwert und schwor, er wolle vergessen, daß sie Freunde gewesen, damit Alexander um so mehr der Herr sein könne.

Oh, Monate! Oh, Jahre! Wohin! Die Welt besteht nur noch aus Sterbenden und Todgeweihten. Kein anderes Geschäft mehr als das des Henkers. Statt Wasser fließt Blut in Bächen und Strö-

men, Blut wälzt sich zum Meer, Blut füllt seine Gestade, Blut regnet vom Himmel, Bluttau liegt auf den Gräsern, die Flammen der brennenden Dörfer und Städte sind von Blut röter ge-färbt, Völker, die um ihre letzte Habe kämpfen, taumeln über die Schlachtfelder, mit Leichen statt mit Fruchtsamen werden die Äcker bestreut, das Bittflehen der Könige und Fürsten verhallt im allgemeinen Waffenlärm, die Unterwelt kann die Seelen der Erschlagenen nicht mehr fassen, die Erde hat keinen Platz mehr für die Gräber, Menschenleben werden so billig wie Feigen, und die Raben fangen an, die Aasspeise zu verschmähen. Alexander zieht einher im Dunst des Mordes und der Schlachten, vom Pontus bis zum Indischen Ozean krabbelt das Menschengewürm im Staub, jeder Widerstand gegen ihn wird unsinnig, sein Name erregt Schauder und Bestürzung, er nimmt die Länder in Besitz, unwiderstehlich wie die Pest, und Persiens Großkönig flieht vor ihm bis an das äußerste Ende seines Reiches und empfängt den Tod von der Hand eines Roßknechtes.

Alexander spürt nicht das Vergehen der Zeit. Wenn sie nicht in Schlaf und Wachen geschieden wäre, in Licht und Finsternis, wenn nicht Sonne und Mond wechselten, so wäre ihm alles wie ein einziger Tag. Die Zeit rollt vor ihm her wie eine rasche Kugel, der er im rasenden Lauf folgen muß. Zum Nachdenken ist keine Frist. Es ist Flucht und Spiel, Flucht aus sich selbst, Spiel mit Din-gen und Menschen, Spiel mit dem Zufall; jede Gunst des Augenblicks wird erschöpft und ausgeschöpft; er merkt nicht, daß die Augen um ihn die Freiheit verloren haben und sich mit unaufrich-tiger Willfährigkeit füllen, warum darauf achten? Das Widerstrebende muß fallen. Alles hängt an seinem Mund, wenn er spricht, sein Wesen ist ihnen unfaßbar, sie fühlen dumpf, daß sie nur noch durch ihn mit der Welt, mit dem Leben, mit der Gottheit, mit der Menschheit zusammenhängen, er ist das dunkle Element, das ihr Schicksal regiert. Darum spielen sie sein Spiel mit, nicht ohne beständig quellende Beängstigung, nicht ohne die Ahnung, daß eines Tages die Stundenglocke schlagen wird; so sind ihre Ergötzungen, ihre Orgien, ihre Späße, ihr Tun und Treiben nicht frei von einer wunderlichen Hast, einer verräterischen Unruhe; sie erschrecken bei jedem Gewitter, bei jedem Sonnenaufgang ist ihnen, als müßten sie sich überzeugen, ob das Gestirn denn wirklich noch aus dem Osten stiege. Halt- und bodenlos sind ihre Reden, ihre Hoffnungen, ihre Handlungen; das ungeheuerliche Glück überrascht sie nicht mehr, auch das Unglück überrascht sie nicht mehr, es sind freischwebende, blinde, zappelnde, nicht mehr sich selbst gehörende Geschöpfe.

Dies alles erkennt Alexander nun. Nicht mit ganzer Klarheit, nur düster und verschwommen. Er ruft Hephästions Namen.

Hephästion reitet dicht hinter ihm und antwortet. »So lebst du also«, murmelt Alexander, und er tastet nach Hephästions Hand.

»Wenn du nur lebst, Hephästion, wenn du nur lebst.«

Nersar, dem Babylonier, war die Führung eines Teiles der Kamele anvertraut. Von seinen achthundert Tieren waren noch neun-zehn übrig. Diese hoben auf einmal alle zusammen die Köpfe und schnupperten mit den Nüstern hoch in der Luft. War es nur der Morgen, den sie rochen? Das vorderste der Tiere stieß einen durchdringenden, weitgellenden Schrei aus, ähnlich dem Schall einer tyrrhenischen Trompete. Die übrigen Tiere, aufs äußerste erregt, stießen einander und liefen endlich mit wilder Eile gegen Westen.