Dann schleuderte ich ihn gegen die Mauer des Hauses; er sank dort nieder und blieb liegen. Das alles war das Werk nur weniger Augenblicke.

Dem guten Organista war vor Schreck die Karte entfallen. Er stammelte etwas ganz Unverständliches, rang die Hände und schnappte nach Atem; dann aber erhielt er die Sprache zurück und schrie aus Leibeskräften:

»O Unglück, o Traurigkeit! Zu Hilfe, zu Hilfe!«

»Schweigen Sie doch, Sennor!« gebot ich ihm. »Es ist nicht die geringste Gefahr vorhanden.«

»Das ist Verblendung, Herr! Es sind ja Mörder hier! Solche Leute haben stets Helfershelfer bei sich. Wir müssen fort; wir müssen fliehen! Aber wohin, wohin? Was thue ich doch nur? Was - - ah, welch ein Glück! Ich habe den Thürschlüssel bei mir; ich kann ja in mein Haus! Ich bin gerettet!«

Er schloß schnell auf, trat hinein und schloß die Thüre hinter sich zu, ohne mich eingeladen zu haben, mit ihm zu kommen. Er wußte sich in Sicherheit. Ob aber ich nun doch noch abgewürgt oder abgestochen wurde, das war ihm sehr gleichgültig. Er blieb hinter dem Gitter stehen und rief mir durch dasselbe zu:

»Gelobt sei Gott, ich bin gerettet! Machen Sie schnell, daß Sie fortkommen, Sennor!«

»So? Weshalb haben Sie mich nicht mit in Ihr Haus genommen?«

»Danke sehr! Ich will nicht die Rache der Bravos auf mich lenken. Gehen Sie, gehen Sie! Ich darf Sie nicht vor meinem Hause dulden!«

»Ah! Das sagen Sie, trotzdem Sie sich meinen Freund nannten und mir versicherten, daß Sie mich lieben?«

»Wenn die Mörder drohen, da hört alle Liebe und Freundschaft auf. Ich kann mich doch nicht Ihnen zu Gefallen abschlachten lassen!«

»Das verlange ich auch nicht. Ich werde also gehen. Auf Wiedersehen morgen!«

Ich wendete mich von der Thür ab. Da aber rief er mir im Tone des Schreckens nach:

»Was fällt Ihnen ein, Sie Unglückskind! Sie dürfen mich nicht besuchen. Ich muß mir das verbitten!«

Die Angst des kleinen Männchens machte mir Spaß. Der Kerl, welcher mich angefallen hatte, lag, wie es schien, bewußtlos an der Erde. Ich war überzeugt, daß er keine Helfershelfer hatte, und fühlte mich also ganz sicher. Darum trat ich zur Thüre zurück und sagte im Tone des Erstaunens:

»Sie haben mich doch so dringend eingeladen! Wir wollten miteinander um zehn Uhr frühstücken!«

»Frühstücken Sie wo, wann und mit wem Sie wollen, nur nicht bei mir!«

»Sie sind es doch nicht, welcher Angst zu haben braucht, sondern die Feindseligkeit ist ganz gewiß nur gegen mich gerichtet.«

»Ursprünglich, ja; aber Sie kennen diese Leute schlecht. Sie sind dem Tode geweiht, und man wird alle Ihre Freunde und jeden, der mit Ihnen verkehrt, auch morden. Keine Partei schont die andere. Machen Sie sich so schnell wie möglich fort! Ich mag mit Ihnen nichts mehr zu thun haben.«

»Gut, so werde ich gehen. Aber haben Sie nicht eine Person bei sich, welche mir helfen kann, den Bravo nach der Polizei zu schaffen?«

»Was denken Sie! Das wäre die größte Dummheit, welche ich begehen könnte. Selbst wenn ich tausend Diener hätte, würde ich Ihnen keinen einzigen von ihnen zur Verfügung stellen. Ich bin viel zu klug, als daß ich etwas thun könnte, was die Rache der Bravos gegen mich herausfordern würde. Lassen Sie ihn liegen und - - Gott sei Dank, da kommt mein Frauchen! Sie bringt Licht, und nun kann mir nichts mehr geschehen. Laufen Sie, laufen Sie! Es ist das allerbeste, was Sie thun können!«

Ich sah einen Lichtschein hinter dem Thürgitter und hörte eine scheltende weibliche Stimme. Der gute Organista verschwand. Vielleicht erwartete ihn ein zarter Verweis wegen nächtlicher Ruhestörung. Ich wendete mich zu dem Bravo.

Da mußte ich erkennen, daß mein unnötiges Geschwätz mit dem Kleinen eine Dummheit gewesen war, denn noch war ich nicht ganz bei dem vermeintlich Bewußtlosen, so sprang er plötzlich auf. Er mochte eben in diesem Augenblicke die volle Besinnung wieder erlangt haben und schnellte sich nach der Stelle hin, an welcher sein Messer lag. Ich mußte ihm zuvorkommen, denn ich war nicht bewaffnet, und wenn er das Messer erreichte, so konnte er mir wenigstens eine Wunde beibringen.