Ich. that also einen raschen Sprung nach der betreffenden Stelle hin, welche mir näher lag als ihm, und streckte zu gleicher Zeit den Arm nach ihm aus. Er warf sich zur Seite, so daß ich ihn nicht fassen konnte, sprang einige Schritte zurück, erhob drohend die Faust und rief mir zu:
»Später werde ich besser treffen!«
Dann rannte er fort, nicht in das Gäßchen hinein, durch welches er sich herbeigeschlichen hatte, sondern in die entgegengesetzte Richtung, in welcher das freie Feld lag.
Ich hätte ihn wohl ergreifen können, hatte aber davon abgesehen, weil es große Anstrengung erfordert hätte, ihn zu transportieren, und ich konnte dem Organista nicht ganz Unrecht geben, nach dessen Versicherung es überhaupt geraten war, den Bravo laufen zu lassen. Da ich nun wußte, daß man es von irgend einer Seite auf mich abgesehen hatte, bedurfte es nur der nötigen Vorsicht, mich vor ähnlichen Ueberfällen zu bewahren.
Ich hob das Messer auf und ging durch das Gäßchen zurück, natürlich langsam und sorgfältig acht gebend, ob sich vielleicht noch jemand da befinde. Kein Mensch war zu sehen. Dann wandte ich mich nach links, nach der Quinta Tupidos zu, ging aber auf der Mitte der breiten Straße, wo der helle Mondschein mir erlaubte, das Terrain scharf zu überblicken.
An meinem Ziele angelangt, schob ich das Messer in die Tasche. Ich stand an der Thür eines schmalen Vorgartens, hinter welchem die Villa lag. Rechts sah ich den Klingelzug und links ein Messingschild, dessen Inschrift mir sagte, daß ich an der richtigen Stelle sei. Ich klingelte.
»Wer ist da?« fragte darauf eine Stimme vom Hause her.
Ich nannte meinen Namen, worauf eine männliche Dienstperson kam und aufschloß. Der Mann führte mich, ohne ein Wort zu sagen, in das Haus und öffnete dort eine Thüre, hinter welcher sich ein kleines, behaglich eingerichtetes Zimmer befand. Tupido saß, einen Cigarro rauchend, auf dem Sofa. Er erhob sich, bot mir die Hand und sagte in sehr verbindlichem Tone:
»Endlich! Sie kommen fast eine Viertelstunde später, als ich Sie erwartete, Sennor. Da ich mich auf Sie freute, mußte ich diesen Zeitverlust natürlich sehr bedauern!«
»Und ich habe um Verzeihung zu bitten. Ich hatte eine kleine Abhaltung, welche von mir nicht verschuldet war. Hoffentlich erdrücken Sie mich nicht unter Ihrem Zorne!«
»O nein,« lachte er. »Ich kann Ihnen leicht verzeihen, da die Sennora glücklicherweise ihre Vorbereitungen zum Souper noch nicht beendet hat. Sie werden sich also noch einige Minuten mit mir begnügen müssen. Nehmen Sie Platz, und stecken Sie sich einen Cigarro an!«
Er zog mich neben sich auf das Sofa und schob mir das Kästchen und Feuerzeug hin. Natürlich machte ich von beiden sofort Gebrauch. Er war die Liebenswürdigkeit selbst, ganz anders als am Nachmittage. Als meine Cigarre brannte, legte er mir vertraulich die Hand auf den Arm und sagte:
»Ich will Ihnen aufrichtig gestehen, daß ich es meinem Compagnon herzlich Dank weiß, Sie an mich adressiert zu haben. Zunächst besitze ich im allgemeinen eine große persönliche Vorliebe für alles, was deutsch heißt, und sodann im besonderen sind Sie mir als ein Herr bezeichnet worden, von dessen bedeutenden Kenntnissen und reichen Erfahrungen ich profitieren könne. Ich habe Sie also doppelt willkommen zu heißen, Sennor.«
Das war sehr stark aufgetragen. Dieser Mann mußte mich wirklich für höchst harmlos halten, um annehmen zu können, daß er durch solche Ueberschwänglichkeiten seinen Zweck bei mir erreichen werde. Ich antwortete also im gemessensten Tone:
»Es thut mir wirklich leid, daß der Inhalt des betreffenden Briefes Sie veranlaßt hat, mich falsch zu beurteilen. Ich reise, um zu lernen, nicht aber um zu belehren. Für das letztere mangeln mir alle dazu nötigen Eigenschaften. Wer mir ein so unverdientes Lob erteilt, erwirbt sich nicht etwa ein Verdienst um mich, sondern er bringt mich ganz im Gegenteile in Verlegenheiten, denen ich nicht gewachsen bin.«
»Diese Sprache habe ich erwartet. Ich weiß sehr gut, durch welche rühmenswerte Bescheidenheit der Deutsche so vorteilhaft vor andern sich auszuzeichnen pflegt. Lassen wir also lieber diesen Gegenstand fallen, und sprechen wir von den Absichten, welche Sie bei Ihrer jetzigen Reise verfolgen.
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