Er ist der Diplomat unseres Hauses; die Fäden unsrer Politik laufen alle durch seine gelenken Finger, und er kennt unsere schlimmsten Geheimnisse. Fürchtet diesen Geier, junges Mädchen!«

Ebendieser Kardinal Ippolito, der Staatsmann, die hagere Gestalt im Purpur, die gleichfalls zur Freite nach Rom gekommen und jetzt noch dort war, um mit dem Papste die Übergabe der Ländermitgift zu regeln, hatte sich viel und herablassend mit Angela beschäftigt, sie ermutigend, Ferrara mit ihrer Gegenwart zu verschönern.

Eine bange Angst bemächtigte sich Angelas. Sonne, Staub und Lärm, die vergiftenden Reden Don Ferrantes, das vor ihr aufsteigende hagere Bild des Kardinals! Ein Gefühl der Verlorenheit und Hilflosigkeit brachte das kräftige Mädchen einer Ohnmacht nahe – es entfuhr ihr ein leiser Schrei.

Da wandte sich die vor ihr schwebende Donna Lucrezia rasch nach ihr um, ein bleicher Blitz schoß aus ihren bläulichen Augen, und sie rief: »Womit ängstigt er dich, Angela? Wisset, Don Ferrante, und präget Euch ein: wer Angela zu nahe tritt, der tritt mir zu nahe. Und Lucrezia Borgia wollet Ihr nicht zur Gegnerin haben!«

Das wollte Don Ferrante von ferne nicht. Er lächelte liebenswürdig. »Keine Rede davon, erlauchte Frau! Ich tue mein mögliches, Donna Angela angenehm zu unterhalten und unserm Hause ihre Gunst zu erwerben.«

»Was beschreib ich Euch noch Schönes, junge Herrin?« fuhr er fort, nachdem sich die Fürstin wieder abgewendet hatte. »Die unvergleichlichen und verbrecherischen Augen meines Bruders Don Giulio! Ihr kennet ihn?« fragte er, da er eine Bewegung auf ihrem Gesichte sah. »Wohl nur seinem Rufe nach! Denn der ist groß. Über ein kurzes aber wird er persönlich vor Euch stehen, wenn Ihr seinen Kerker öffnet, Donna Lucrezia und Ihr.«

»Seinen Kerker öffnen?« fragte sie erstaunt.

»Gewiß! Und den aller Missetäter«, erklärte ihr Don Ferrante lustig. »Donna Lucrezia wird durch ihr Erscheinen die Verbrecher unschuldig machen. Solches ist in Ferrara Herkommen bei jeder fürstlichen Vermählung und durchaus keine Allegorie. Es sind wirkliche Verbrecher, und sie werden auch tatsächlich freigelassen, so daß wir während der Feste wohl daran tun werden, unsern Schmuck festzuhalten und nachts nicht ohne Fackeln und Bewaffnete auszugehen.«

»Was hat denn Don Giulio verbrochen?« fragte sie.

»Oh, nichts! Er hat mit seinen Augen ein Weib bezaubert und ihrem Manne den Degen durch die Brust gerannt.«

»Schmachvoll!«

»Er ist ein ungezogener Knabe! In den Weingarten des Lebens eingebrochen, reißt er, statt sich ordentlich eine Traube zu pflücken, deren, so viele er mit beiden Händen erreichen kann, vom Geländer, zerquetscht vor Gier die süßen Beeren und besudelt sich mit dem roten Safte Brust und Antlitz.«

Und mit diesem freveln Jüngling hatte sie Don Cesares Gedanke zusammengestellt!

Wieder donnerten die Stücke. Beim Schalle der Zimbeln und Pauken ging es durch das Tor. Die Professoren beschleunigten den Schritt und bald langte Lucrezias Triumphzug vor dem Schlosse an, unter dessen schwerem Bau die Kerker lagen.

Der herantretende alte Herzog hob die Fürstin vom Pferde und schritt mit den Neuvermählten und Angela die Stufen hinunter nach der tiefen Pforte. Dort stand der Kerkermeister und überreichte Donna Lucrezia auf einem Samtkissen einen gewaltigen verrosteten Schlüssel. Sie ergriff ihn, und die Tür, kaum von ihm berührt, drehte sich in den Angeln und sprang wie durch Zauber weit auf. Jetzt brach die Schar der Gefangenen hervor, Lucrezia zu Füßen stürzend und ihr die Hände küssend. Alle hatten sie sich zuvor gereinigt, und ihre leidenschaftliche Dankgebärde ermangelte nicht des Anstandes. Doch gab es unter ihnen erbarmenswürdige Jammergestalten und abschreckende Verbrechermienen.

Zuletzt, nachdem der Kerker sich seines ekeln Inhalts entleert hatte, stieg noch ein Jüngling von edelster Bildung mit gekreuzten Armen die dunkeln Stufen empor. Ans Tageslicht tretend, erhob er die Hände, als ob er die Sonne begrüße; dann beschirmte er mit ihnen die Augen, als blende ihn der scharfe Strahl oder die Schönheit der oben stehenden beiden Frauen. Ein Knie vor Donna Lucrezia beugend, bedankte er sich bei ihr mit den Worten: »Erlauchte Frau und Schwägerin, ich begrüße in Euch die Barmherzigkeit, die jedes weibliche Herz bewohnt, und die fürstliche Gnade, vor welcher die Fesseln fallen.«

Mit diesen und noch schöneren Reden huldigte er der neuvermählten Fürstin, dann richteten sich seine Augen, die wirklich in ihrer tiefen Bläue unter dem edeln Zuge der dunkeln Brauen von seltenem Zauber waren, auf die jüngere Borgia und er erstaunte aufrichtig über die strenge Haltung des kaum erwachsenen Mädchens.

»Doch, rettende Fürstin«, fuhr er fort, »wen bringt Ihr in Euerm Gefolge? Ist es die Göttin der Gerechtigkeit, besänftigt durch die Göttin der Huld?«

Angela war schon von der Reise und durch die Bosheiten Don Ferrantes aufgeregt; jetzt empörte sie das Gaukelspiel der Begnadigung des Sünders durch die Sünderin und der Flitter der Phrase. Wie sie nun gar in den Born dieser wunderbaren Augen blickte, wurde sie von Zorn und Jammer aufs tiefste erschüttert. Ihre innerste, starke Natur überwältigte sie, und jede Verschleierung abwerfend, trat ihr Wesen unverhüllt hervor. Ihre redlichen Augen richteten sich auf die seinigen, und es bewegte sich etwas Undeutliches auf ihren ausdrucksvollen Lippen.

»Was meint die Herrin?« fragte Don Giulio.

Da brach es hervor. Angela sprach deutlich vor den hundert und hundert Zeugen, und ihre Stimme klang über den Platz: »Schade, jammerschade um Euch, Don Giulio! Fürchtet Gottes Gericht!« – Ein großes Schweigen entstand.

Und noch einmal erscholl die Stimme des Mädchens über Don Giulio:

»Schade um Euch!« –

Seltsam! Die Ferraresen teilten vollständig Angelas Gefühl und Urteil über das verwerfliche und gefährliche Treiben des Fürstensohnes, das Bedauern seiner Entwertung und ihr Leid um ihn, den sie liebten um seiner Schönheit und Anmut willen.

Rings erhob sich ein Gemurmel und Echo: »Schade! Sie hat recht! Es ist wahr! Schade um ihn!«

Donna Lucrezia aber ergriff die Hand Angelas, wie die ältere Schwester die einer jüngeren, welche sich etwas Unziemliches hat zuschulden kommen lassen.

»Wie kannst du dich so vergessen?« sagte sie und führte die Bewegte hinweg, die vor Scham und Aufregung in ein krampfhaftes Schluchzen ausbrach, worüber auch der bisher gelassen gebliebene Don Giulio die Haltung verlor.

 

Zweites Kapitel

 

Da, wo der weite Park von Belriguardo in die ferraresische Ebene ohne Grenzmauer verläuft, saßen auf einer letzten verlorenen Bank im Schatten einer immergrünen Eiche zwei, die, aus Haltung und Miene zu schließen, voneinander Abschied nahmen.

Bald legte der junge, in die schwarze Tracht von Venedig gekleidete Mann die Hand beteuernd auf das Herz, bald betrachtete er die still in sich versunkene Gestalt Lucrezias, wie um sie sich auf ewig einzuprägen.

»So gehet Ihr denn, Bembo«, sagte sie, »und ich halte Euch nicht, da Ihr damit erfüllet, um was ich Euch bat, ohne es auszusprechen. Ihr geht, und wie lange wird es dauern, bis Ihr mich vergesset!«

»Donna Lucrezia«, erwiderte der Venezianer bewegt, »wie lange ich Euer gedenken und Euch lieben werde, wahrlich, das ist mir verborgen, denn ich kenne nicht meine Todesstunde.«

Er sagte es mit so trauriger Zärtlichkeit in der Stimme, daß die Herzogin gerührt erwiderte: »Um mein Andenken in Euch zu erhalten, sollt Ihr etwas von mir mit Euch nehmen, mein Freund«, und sie winkte eine schlanke, dunkle Mädchengestalt heran, die am Waldsaum auf und nieder schritt, wohl um die Herrin vor sich selber zu hüten, oder um das Nahen eines unwillkommenen Zeugen zu verraten.

»Setze dich neben mich, Angela«, sagte sie, »und schneide mir eine Locke vom Haupt!« Sie öffnete ihr Gurttäschchen, zog daraus ein kleines scharfes Messer mit goldenem Griff hervor und bot es Angela, die, den Befehl ausführend, ihr vom Überflusse eine flutende Locke raubte.

Die Fürstin suchte nach einer Hülle, um den Ringel hineinzulegen, fand aber nichts, als in derselben Gurttasche eine in Gold und gepreßtes Leder gebundene Ausgabe der sieben Bußpsalmen, ein beliebtes Handbüchlein der damaligen Hofwelt. Unbefangen legte sie ihre Locke hinein und reichte Bembo das Liebespfand. Dieser drückte es an die Brust, dann an den Mund und dankte für den süßen Kern in der herben Schale mit einer seelenvollen Miene, durch welche sich ein ganz leises, ironisches Lächeln schlich.

»Schreibt mir«, sagte sie dann, »durch sichere Gelegenheit, jedesmal, wenn Ihr ahnet, daß mir Gefahr droht und ich Eures Rates bedarf. Bleibet um mich, auch in der Ferne! Ich weiß, Ihr verlasset mich nicht, nachdem Ihr mir geholfen habt, den Bau meines neuen Glückes in Ferrara aufzurichten.«

»Es war eine Freude«, erwiderte Bembo, »Eure klugen Hände bauen zu sehen. Euer Werk ist untadelig und schwer zu erschüttern.