Ich frage mich noch mit schmerzlichem Zweifel: Fordert Eure Sicherheit von mir das Opfer, daß ich Ferrara meide und mich Eurer Gegenwart beraube, die wie eine goldige Luft das ganze Dasein erhellt und verklärt?«

»Das habe ich vom Vater«, sagte sie harmlos.

Der feine Venezianer zog die Brauen zusammen.

»Die Bande Eures Blutes und der Dämon Eures Hauses sind Eure Gefahr«, seufzte er. »Und darum verlasse ich Euch ungern. Dennoch ist es besser, ich gehe. Eure Sicherheit, Madonna, ruht auf dem Vertrauen, das Don Alfonso Euch schenkt. Unsere geistige Liebe würde er kaum beargwöhnen, sachlich, wie er ist; und doch ist es besser ... wer liebt, der opfert sich.«

»Es ist besser«, bestätigte sie leise.

»Erlaubt mir nun zum Abschied, geliebte Frau, ein freies und schützendes Wort!« bat er. »Die Verhältnisse liegen vor Euch im Licht Eures scharfen Verstandes, aber dieser helle Tag reicht nur bis an den Schattenkreis, wo Eure Liebe zu Vater und Bruder beginnt.«

Hier entfärbte sich Lucrezia, und ihr bleiches Auge erstarrte zu einem Medusenblick.

»Zürnet nicht, Madonna«, rief Bembo. »Weiß ich doch, wie Ihr als unschuldiges Kind in diese schwere Verstrickung gerietet! Reden muß ich zu Euerm Heil. Erinnert Euch: Jahre waren vergangen seit Euerm Einzug, Euer Gemahl war regierender Herzog geworden, Ihr hattet Wurzeln geschlagen in Ferrara und die Liebe des Volkes gewonnen; da starb Euch der Vater. Ihr aber ergabet Euch maßloser Trauer und unendlichen Tränen, bis ich kam und Euch ins Ohr flüsterte: Ihr beleidigt mit Euern Tränenergüssen Don Alfonso und vergesset die unleidlichen Dinge, denen er Euch entriß.«

Lucrezia hörte ihm aufmerksam zu, und ihr Verstand mußte ihm gegen ihr leidenschaftliches Gefühl recht geben.

»Wenn dergestalt Euer Urteil über den weiland Heiligen Vater ein verblendetes ist, so entsteht jetzt, da er dahingefahren, für Euch daraus kein Unheil mehr. Ein anderes aber ist es mit Cäsar, Euerm furchtbaren Bruder: er lebt und besitzt noch seine Drachenkraft. Er ist ein Jüngling und wird sicherlich heute oder morgen seine Fesseln durchfeilt haben und wieder aus dem Orkus steigen, um ganz Italien zu verwirren. Diese schwarze Klippe bedroht Eure Barke; möge sie nicht daran scheitern! Das Wiederkommen Cäsars ist Eure Schicksalsstunde. Und Ihr werdet« – er besann sich, ob er ihr die bittere Arznei erspare, fuhr aber mit entschlossener Liebe fort: »wehe Euch, Ihr werdet folgen, wenn Euch Don Cäsar ruft. Ihr werdet dem Teufel gehorchen, wie sie erzählen, daß Euer Vater auf dem Sterbebette sagte: Du rufst, ich komme.«

Lucrezia bekreuzte sich.

»Teure Herrin!« Bembo machte eine Bewegung, ihr zu Füßen zu fallen, hielt sich aber zurück, da die wandelnde Angela sich gerade nach ihnen umwandte.

»Ich beschwöre dich, Lucrezia«, flüsterte er, sich zu ihr beugend, »sobald diese gefährlichen Stunden kommen und du fühlst, daß du die Herrschaft über dich verlierst, so wirf dich vor dem Herzog nieder und bekenne, daß du sein Verbot übertreten willst, denn sicherlich wird er seinen Untertanen bei Todesstrafe verbieten, mit Cäsar zu zetteln, dessen Erscheinung Italien wie ein Erdbeben erschüttern würde ... Doch ich beschwöre Euch vergeblich, Madonna! Denn ich weiß, Ihr werdet die Zügel verlieren, Ihr werdet des Herzogs Verbot unter die Füße treten.«

»Werde ich?« fragte Lucrezia, wie abwesend. Doch erschien ihr glaublich, daß sie es tun werde, denn sie kannte ihre Bande.

»Herrin«, schluchzte der Venezianer, »wann immer ich erfahre, Cäsar sei aus dem Kerker gebrochen, ich eile auf Windesflügeln nach Ferrara und umklammere Euch, daß Ihr ihm nicht in die Arme stürzet – doch käme ich zu spät, so gedenket meines Rates, sobald Ihr Euch wieder besitzt und besinnet. Schützet und berget Euch vor der Strafe des Herzogs an seinem Herzen. Und habt Ihr menschliche Werkzeuge angewandt, um Euch mit dem Bruder zu verbinden, opfert sie unbedenklich und gebet sie der Rache des Herzogs preis. – Der Herzog liebt Euch ...«

»Ich glaube, daß er mich liebt«, sagte Lucrezia, sich wieder erhellend.

»Seid dessen gewiß«, beteuerte der Venezianer. »Jüngst an der Tafel nannte er den Namen Cäsars – nicht unabsichtlich – und sprach von einem dunkeln Gerüchte seiner Entweichung. Dabei beobachtete er Euch scharf ... Ihr bliebet ruhig, nur Eure Hand zitterte, die den Becher hielt, daraus Ihr schlürftet. Er betrachtete Euch lange, doch wohlwollend und wie mit der gerechten Erwägung, was Eurer Natur gemäß und welcher Widerstand Euch möglich sei. Gewiß, er wird Euch halten und retten, wenn Euch nicht das Verhängnis gewaltig fortreißt.«

Die Herzogin, die wieder völlig heiter war, sagte jetzt mit wunderbarem Leichtsinn: »Ich werde Eure Sorge beherzigen. Aber, Freund, nun genug von mir! Spendet mir lieber einen Rat für jene dort –« sie blickte nach der wandelnden Angela, »die mir in weit näherer Gefahr zu schweben scheint. Seht hin!«

Ein schreiender Raubvogel erhob sich aus dem Walde und kreiste über den Wiesen. Zugleich rauschte es im Gebüsch, und ein hagerer, in Purpur gekleideter Mann trat auf Angela zu, wandte sich aber, Bembo neben der Herzogin entdeckend, grüßend an diese.

»Ihr findet uns, Eminenz«, sagte die Herzogin unbefangen, »wie sich mein liebenswürdiger venezianischer Besuch, den ich schwer missen werde, von mir verabschiedet.«

»Ihr verlaßt uns, Bembo?« sagte der Kardinal leutselig. »Das sollte mir leid tun. Wohin gehet Ihr?«

»Nach Urbino, Eminenz.«

»Um wieder zu uns zurückzukehren? ...