Aber, wie gesagt: das Schöne ist schwer.
Die hier geschilderte Torheit unserer Natur treibt hauptsächlich drei Sprösslinge: Ehrgeiz, Eitelkeit und Stolz. Zwischen diesen zwei letzteren beruht der Unterschied darauf, dass der Stolz die bereits feststehende Überzeugung vom eigenen überwiegenden Werte, in irgendeiner Hinsicht ist; Eitelkeit hingegen der Wunsch, in andern eine solche Überzeugung zu erwecken, meistens begleitet von der stillen Hoffnung, sie, in Folge davon, auch selbst zu der seinigen machen zu können. Demnach ist Stolz die von innen ausgehende, folglich direkte Hochschätzung seiner selbst; hingegen Eitelkeit das Streben, solche von außen her, also indirekt zu erlangen. Dementsprechend macht die Eitelkeit gesprächig, der Stolz schweigsam. Aber der Eitle sollte wissen, dass die hohe Meinung anderer, nach der er trachtet, sehr viel leichter und sicherer durch anhaltendes Schweigen zu erlangen ist, als durch Sprechen, auch wenn einer die schönsten Dinge zu sagen hätte. – Stolz ist nicht wer will, sondern höchstens kann wer will Stolz affektieren151, wird aber aus dieser, wie aus jeder angenommenen Rolle bald herausfallen. Denn nur die feste, innere, unerschütterliche Überzeugung von überwiegenden Vorzügen und besonderem Werte macht wirklich stolz. Diese Überzeugung mag nun irrig sein, oder auch auf bloß äußerlichen und konventionellen152 Vorzügen beruhen, – das schadet dem Stolze nicht, wenn sie nur wirklich und ernstlich vorhanden ist. Weil also der Stolz seine Wurzel in der Überzeugung hat, steht er, wie alle Erkenntnis, nicht in unserer Willkür. Sein schlimmster Feind, ich meine sein größtes Hindernis, ist die Eitelkeit, als welche um den Beifall anderer buhlt, um die eigene hohe Meinung von sich erst darauf zu gründen, in welcher bereits ganz fest zu sein die Voraussetzung des Stolzes ist.
So sehr nun auch durchgängig der Stolz getadelt und verschrien wird, so vermute ich doch, dass dies hauptsächlich von solchen ausgegangen ist, die nichts haben, darauf sie stolz sein könnten. Der Unverschämtheit und Dummdreistigkeit der meisten Menschen gegenüber, tut jeder, der irgendwelche Vorzüge hat, ganz wohl, sie selbst im Auge zu behalten, um nicht sie gänzlich in Vergessenheit geraten zu lassen: denn wer, solche gutmütig ignorierend, mit jenen sich geriert153, als wäre er ganz ihresgleichen, den werden sie treuherzig sofort dafür halten. Am meisten aber möchte ich solches denen anempfehlen, deren Vorzüge von der höchsten Art, d.h. reale, und also rein persönliche sind, da diese nicht, wie Orden und Titel, jeden Augenblick durch sinnliche Einwirkung in Erinnerung gebracht werden: denn sonst werden sie oft genug das: ein Schwein stellt sich der Minerva154 gegenüber: sehen. »Scherze mit dem Sklaven, bald wird er dir den Hintern zeigen« – ist ein vortreffliches arabisches Sprichwort, und das Horazische: Maße dir den Stolz an, zu dem du durch deine Verdienste berechtigt bist, – ist nicht zu verwerfen. Wohl aber ist die Tugend der Bescheidenheit eine erkleckliche Erfindung für die Lumpe, da ihr gemäß jeder von sich zu reden hat, als wäre auch er ein solcher, welches herrlich nivelliert155, indem es dann so herauskommt, als gäbe es überhaupt nichts als Lumpe.
Die wohlfeilste Art des Stolzes hingegen ist der Nationalstolz. Denn er verrät in dem damit Behafteten den Mangel an individuellen Eigenschaften, auf die er stolz sein könnte, indem er sonst nicht zu dem greifen würde, was er mit so vielen Millionen teilt. Wer bedeutende persönliche Vorzüge besitzt, wird vielmehr die Fehler seiner eigenen Nation, da er sie beständig vor Augen hat, am deutlichsten erkennen. Aber jeder erbärmliche Tropf, der nichts in der Welt hat, darauf er stolz sein könnte, ergreift das letzte Mittel, auf die Nation, der er gerade angehört, stolz zu sein: hieran erholt er sich und ist nun dankbarlich bereit alle Fehler und Torheiten, die ihr eigen sind, mit Händen und Füßen zu verteidigen. Daher wird man z.B. unter fünfzig Engländern kaum mehr als einen finden, welcher mit einstimmt, wenn man von der stupiden156 und degradierenden Bigotterie157 seiner Nation mit gebührender Verachtung spricht: der eine aber pflegte ein Mann von Kopf zu sein. – Die Deutschen sind frei von Nationalstolz und legen hierdurch einen Beweis der ihnen angerühmten Ehrlichkeit ab; vom Gegenteil aber die unter ihnen, welche einen solchen vergeben und lächerlicherweise affektieren; wie dies zumeist die »deutschen Brüder« tun, die dem Volke schmeicheln, um es zu verführen. Es heißt zwar, die Deutschen hätten das Pulver erfunden: ich kann jedoch dieser Meinung nicht beitreten. Und Lichtenberg158 fragte: »warum gibt sich nicht leicht jemand, der es nicht ist, für einen Deutschen aus, sondern gemeiniglich, wenn er sich für etwas ausgeben will, für einen Franzosen oder Engländer?« – Übrigens überwiegt die Individualität bei weitem die Nationalität, und in einem gegebenen Menschen verdient jene tausendmal mehr Berücksichtigung als diese. Dem Nationalcharakter wird, ehe er von der Menge redet, nie viel Gutes ehrlicherweise nachzurühmen sein. Vielmehr erscheint nur die menschliche Beschränktheit, Verkehrtheit und Schlechtigkeit in jedem Lande in einer anderen Form und diese nennt man den Nationalcharakter. – Jede Nation spottet über die andere, und alle haben Recht.
Der Gegenstand dieses Kapitels, also was wir in der Welt vorstellen, d.h. in den Augen anderer sind, lässt sich nun, wie schon oben bemerkt, einteilen in Ehre, Rang und Ruhm.
Der Rang, so wichtig er in den Augen des großen Haufens und der Philister, und so groß sein Nutzen im Getriebe der Staatsmaschine sein mag, lässt sich für unsern Zweck, mit wenigen Worten abfertigen. Es ist ein konventioneller, d.h. eigentlich ein simulierter159 Wert: seine Wirkung ist eine simulierte Hochachtung, und das ganze eine Komödie für den großen Haufen. – Orden sind Wechselbriefe, gezogen auf die öffentliche Meinung: ihr Wert beruht auf dem Kredit des Ausstellers.
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