Inzwischen sind sie, auch ganz abgesehen von dem vielen Gelde, welches sie, als Substitut pekuniärer Belohnungen160, dem Staat ersparen, eine ganz zweckmäßige Einrichtung; vorausgesetzt, dass ihre Verteilung mit Einsicht und Gerechtigkeit geschehe. Der große Haufen nämlich hat Augen und Ohren, aber nicht viel mehr, zumal blutwenig Urteilskraft und selbst wenig Gedächtnis. Manche Verdienste liegen ganz außerhalb der Sphäre seines Verständnisses, andere versteht und bejubelt er, bei ihrem Eintritt, hat sie aber nachher bald vergessen. Da finde ich es ganz passend, durch Kreuz oder Stern, der Menge jederzeit und überall zuzurufen: »der Mann ist nicht euresgleichen: er hat Verdienste!« – Durch ungerechte oder urteilslose, oder übermäßige Verteilung verlieren aber die Orden diesen Wert; daher ein Fürst mit ihrer Erteilung so vorsichtig sein sollte, wie ein Kaufmann mit dem Unterschreiben der Wechsel. Die Inschrift pour le mérite161 auf einem Kreuze ist ein Pleonasmus162: jeder Orden sollte pour le mérite sein, ohne das auszusprechen.

Viel schwerer und weitläufiger, als die des Ranges, ist die Erörterung der Ehre. Zuvörderst hätten wir sie zu definieren. Wenn ich nun in dieser Absicht etwa sagte: die Ehre ist das äußere Gewissen, und das Gewissen die innere Ehre; so könnte dies vielleicht manchem gefallen; würde jedoch mehr eine glänzende, als eine deutliche und gründliche Erklärung sein. Daher sage ich: die Ehre ist, objektiv, die Meinung anderer von unserm Wert, und subjektiv, unsere Furcht vor dieser Meinung. In letzterer Eigenschaft hat sie oft eine sehr heilsame, wenn auch keineswegs rein moralische Wirkung, im Mann von Ehre.

Die Wurzel und der Ursprung des jedem nicht ganz verdorbenen Menschen innewohnenden Gefühls für Ehre und Schande, wie auch des hohen Wertes, welcher ersterer zuerkannt wird, liegt in folgendem. Der Mensch für sich allein vermag gar wenig und ist ein verlassener Robinson163: nur in der Gemeinschaft mit den andern ist und vermag er viel. Dieses Verhältnisses wird er inne, sobald sein Bewusstsein sich irgend zu entwickeln anfängt, und alsbald entsteht in ihm das Bestreben, für ein taugliches Mitglied der menschlichen Gesellschaft zu gelten, also für eines, das fähig ist, soviel in den Kräften eines Mannes steht mitzuwirken, und dadurch berechtigt, der Vorteile der menschlichen Gemeinschaft teilhaft zu werden. Ein solches nun ist er dadurch, dass er erstlich das leistet, wenn man von jedem überall und sodann das, was man von ihm in der besonderen Stelle, die er eingenommen hat, fordert und erwartet. Ebenso bald aber erkennt er, dass es hierbei nicht darauf ankommt, dass er es in seiner eigenen, sondern dass er es in der Meinung der anderen sei. Hieraus entspringt demnach sein eifriges Streben nach der günstigen Meinung anderer und der hohe Wert, den er auf diese legt: beides zeigt sich mit der Ursprünglichkeit eines angeborenen Gefühls, welches man Ehrgefühl und nach Umständen Gefühl der Scham nennt. Dieses ist es, was seine Wangen rötet, sobald er glaubt, plötzlich in der Meinung anderer verlieren zu müssen, selbst wo er sich unschuldig weiß; sogar da, wo der sich aufdeckende Mangel eine nur relative, nämlich willkürlich übernommene Verpflichtung betrifft: und andererseits stärkt nichts seinen Lebensmut mehr, als die erlangte oder erneuerte Gewissheit von der günstigen Meinung anderer, weil sie ihm den Schutz und die Hilfe der vereinten Kräfte aller verspricht, welche eine unendlich größere Wehrmauer gegen das Übel des Lebens sind, als seine eigenen.

Aus den verschiedenen Beziehungen, in denen der Mensch zu andern stehen kann, und in Hinsicht auf welche sie Zutrauen zu ihm, also eine gewisse gute Meinung von ihm zu hegen haben, entstehen mehrere Arten der Ehre. Diese Bestrebungen sind hauptsächlich das Mein und Dein, sodann die Leistungen der Anheischigen164, endlich das Sexualverhältnis: ihnen entsprechen die bürgerliche Ehre, die Amtsehre und die Sexualehre, jede von welchen noch wieder Unterarten hat.

Die weiteste Sphäre hat die bürgerliche Ehre: sie besteht in der Voraussetzung, dass wir die Rechte eines jeden unbedingt achten und daher uns nie ungerechter oder gesetzlich unerlaubter Mittel zu unserm Vorteile bedienen werden. Sie ist die Bedingung zur Teilnahme an allem friedlichen Verkehr. Sie geht verloren durch eine einzige offenbar und stark dawider165 laufende Handlung, folglich auch durch jede Kriminalstrafe, wiewohl nur unter Voraussetzung der Gerechtigkeit derselben. Immer aber beruht die Ehre in ihrem letzten Grunde auf der Überzeugung von der Unveränderlichkeit des moralischen Charakters, vermöge welcher eine einzige schlechte Handlung die gleiche moralische Beschaffenheit aller folgenden, sobald ähnliche Umstände eintreten werden, verbürgt: dies bezeugt auch der englische Ausdruck Charakter für Ruf, Reputation166, Ehre. Deshalb eben ist die verlorene Ehre nicht wiederherzustellen, es sei denn, dass der Verlust auf Täuschung, wie Verleumdung, oder falschem Schein, beruht hätte. Demgemäß gibt es Gesetze gegen Verleumdung, Pasquille167, auch Injurien168: denn die Injurie, das bloße Schimpfen, ist eine summarische Verleumdung, ohne Angabe der Gründe: dies ließe sich gut ausdrücken: die Schmähung ist, kurz gesagt, Verleumdung; – welches jedoch nirgends vorkommt. Freilich legt der, welcher schimpft, dadurch an den Tag, dass er nichts Wirkliches und Wahres gegen den Edeln vorzubringen hat, da er sonst dieses als die Prämissen169 geben und die Konklusion170 getrost den Hörern überlassen würde; statt dessen er die Konklusion gibt und die Prämissen schuldig bleibt: allein er verlässt sich auf die Präsumtion, dass dies nur beliebter Kürze halber geschehe. – Die bürgerliche Ehre hat zwar ihren Namen vom Bürgerstande; allein ihre Geltung erstreckt sich über alle Stände, ohne Unterschied, sogar die allerhöchsten nicht ausgenommen: kein Mensch kann ihr entraten und ist es mit ihr eine gar ernsthafte Sache, die jeder sich hüten soll leicht zu nehmen. Wer Treu und Glauben bricht, hat Treu und Glauben verloren, auf immer, was er auch tun und wer er auch sein mag: die bittern Früchte, welche dieser Verlust mit sich bringt, werden nicht ausbleiben.

Die Ehre hat in gewissem Sinne einen negativen Charakter, nämlich im Gegensatz des Ruhmes, der einen positiven Charakter hat. Denn die Ehre ist nicht die Meinung von besonderen, diesem Subjekt allein zukommenden Eigenschaften, sondern nur von den der Regel nach vorauszusetzenden, als welche auch ihm nicht abgehen sollen. Sie besagt daher nur, dass dies Subjekt keine Ausnahme mache; während der Ruhm besagt, dass es eine mache. Ruhm muss daher erst erworben werden: die Ehre hingegen braucht bloß nicht verloren zu gehen. Dementsprechend ist Ermangelung des Ruhmes Obskurität,171 ein Negatives. Ermangelung der Ehre ist Schande, ein Positives. – Diese Negativität darf aber nicht mit Passivität verwechselt werden: vielmehr hat die Ehre einen ganz aktiven Charakter.