Hingegen ist das Abbild seines Wesens in den Köpfen anderer ein Sekundäres293, Abgeleitetes und dem Zufall unterworfenes, welches nur sehr mittelbar sich auf das erstere zurückbezieht. Zudem sind die Köpfe der Menge ein zu elender Schauplatz, als dass auf ihm das wahre Glück seinen Ort haben könnte. Vielmehr ist daselbst nur ein chimärisches294 Glück zu finden. Welche gemischte Gesellschaft trifft doch in jenem Tempel des allgemeinen Ruhmes zusammen! Feldherren, Minister, Quacksalber, Gaukler, Tänzer, Sänger, Millionäre und Juden: ja, die Vorzüge aller dieser werden dort viel aufrichtiger geschätzt, finden vielmehr estime sentie295, als die geistigen, zumal der hohen Art, die ja bei der großen Mehrzahl nur eine estime sur parole296 erlangen. In eudämonologischer Hinsicht ist also der Ruhm nichts weiter, als der seltenste und köstlichste Bissen für unsern Stolz und unsere Eitelkeit. Diese aber sind ja in den meisten Menschen, obwohl sie es verbergen, übermäßig vorhanden, vielleicht sogar am stärksten in denen, die irgendwie geeignet sind, sich Ruhm zu erwerben, und daher meistens das unsichere Bewusstsein ihres überwiegenden Wertes lange in sich herum tragen müssen, ehe die Gelegenheit kommt, solchen zu erproben und dann die Anerkennung desselben zu erfahren: bis dahin war ihnen zumute, als erlitten sie ein heimliches Unrecht. Da unser größtes Vergnügen darin besteht, bewundert zu werden, die Bewunderer aber, selbst wo alle Ursache wäre, sich ungern dazu herbeilassen, so ist der Glücklichste der, welcher, gleichviel wie, es dahin gebracht hat, sich selbst aufrichtig zu bewundern. Nur müssen die andern ihn nicht irre machen. Überhaupt ist ja, wie am Anfange dieses Kapitels erörtert worden, der Wert, den der Mensch auf die Meinung anderer von ihm legt, ganz unverhältnismäßig und unvernünftig; so dass Hobbes297 die Sache zwar sehr stark, aber vielleicht doch richtig ausgedrückt hat in den Worten: alles Vergnügen des Geistes, alle seine Freude beruht darauf, dass er, wenn er sich mit anderen vergleicht, Gelegenheit habe, über sich selbst recht hoch zu denken. Hieraus ist der hohe Wert erklärlich, den man allgemein auf den Ruhm legt, und die Opfer, welche man bringt, in der bloßen Hoffnung, ihn dereinst zu erlangen:
Ruhm (diese letzte Schwäche edler Geister) ist der Stachel, der die reine Seele die Freude verachten und mühevolle Tage leben lässt.
wie auch:
Wie schwer sind die Höhen zu erklimmen, von denen herab der Ruhmestempel fernerhin leuchtet.
Hieraus endlich erklärt es sich auch, dass die eitelste aller Nationen beständig la gloire298 im Munde führt und solche unbedenklich als die Haupttriebfeder zu großen Taten und großen Werken ansieht. – Allein, da unstreitig der Ruhm nur das Sekundäre ist, das bloße Echo, Abbild, Schatten, Symptom des Verdienstes, und da jedenfalls das Bewunderte mehr Wert haben muss als die Bewunderung, so kann das eigentlich Beglückende nicht im Ruhme liegen, sondern in dem, wodurch man ihn erlangt, also im Verdienste selbst, oder, genauer zu reden, in der Gesinnung und den Fähigkeiten, aus denen es hervorging, es mag nun moralischer oder intellektueller Art sein. Denn das Beste, was jeder ist, muss er notwendig für sich selbst sein: was davon in den Köpfen anderer sich abspiegelt und er in ihrer Meinung gilt, ist Nebensache und kann nur von untergeordnetem Interesse für ihn sein. Wer demnach nur den Ruhm verdient auch ohne ihn zu erhalten, besitzt bei Weitem die Hauptsache, und was er entbehrt, ist etwas, darüber er sich mit derselben trösten kann. Denn nicht dass einer von der urteilslosen, so oft betörten Menge für einen großen Mann gehalten werde, sondern dass er es sei, macht ihn beneidenswert; auch nicht, dass die Nachwelt von ihm erfahre, sondern dass in ihm sich Gedanken erzeugen, welche verdienen, Jahrhunderte hindurch aufbewahrt und nachgedruckt zu werden, ist ein hohes Glück. Zudem kann dieses ihm nicht entrissen werden: denn es gehört zu jenen Dingen, die in unserer Gewalt sind, jenes andere aber zu denen, die nicht in unserer Gewalt stehen. Wäre hingegen die Bewunderung selbst die Hauptsache, so wäre das Bewunderte ihrer nicht wert. Dies ist wirklich der Fall beim falschen, d. i. unverdienten Ruhm. An diesem muss sein Besitzer zehren, ohne das, wovon derselbe das Symptom, der bloße Abglanz, sein soll, wirklich zu haben. Aber sogar dieser Ruhm selbst muss ihm oft verleidet werden, wann bisweilen, trotz aller aus der Eigenliebe entspringenden Selbsttäuschung, ihm auf der Höhe, für die er nicht geeignet ist, doch schwindelt oder ihm zumute wird, als wäre er ein kupferner Dukaten299; wo dann die Angst vor Enthüllung und verdienter Demütigung ihn ergreift, zumal wenn er auf den Stirnen der Weiseren schon das Urteil der Nachwelt liest. Er gleicht sonach dem Besitzer durch ein falsches Testament. – Den echtesten Ruhm, den Nachruhm, vernimmt sein Gegenstand ja nie, und doch schätzt man ihn glücklich. Also bestand sein Glück in den großen Eigenschaften selbst, die ihm den Ruhm erwarben, und darin, dass er Gelegenheit fand, sie zu entwickeln, also dass ihm vergönnt wurde, zu handeln, wie es ihm angemessen war, oder zu treiben, was er mit Lust und Liebe trieb: denn nur die aus dieser entsprungenen Werke erlangen Nachruhm. Sein Glück bestand also in seinem großen Herzen oder auch im Reichtum eines Geistes, dessen Abdruck in seinen Werken die Bewunderung kommender Jahrhunderte erhält; es bestand in den Gedanken selbst, welchen nachzudenken die Beschäftigung und der Genuss des edelsten Geistes einer unabsehbaren Zukunft ward. Der Wert des Nachruhms liegt also im Verdienen desselben, und dieses ist sein eigener Lohn. Ob nun die Werke, welche ihn erwarten, unterweilen auch den Ruhm der Zeitgenossen hatten, hing von zufälligen Umständen ab und war nicht von großer Bedeutung. Denn da die Menschen in der Regel ohne eigenes Urteil sind und zumal hohe und schwierige Leistungen abzuschätzen durchaus keine Fähigkeit haben; so folgen sie hier stets fremder Autorität, und der Ruhm in hoher Gattung beruht bei neunundneunzig unter hundert Rühmern bloß auf Treu und Glauben. Daher kann auch der vielstimmigste Beifall der Zeitgenossen für denkende Köpfe nur wenig Wert haben, indem sie ihm stets nur das Echo weniger Stimmen hören, die zudem selbst nur sind wie der Tag sie gebracht hat. Würde wohl ein Virtuose sich geschmeichelt fühlen durch das laute Beifallsklatschen seines Publikums, wenn ihm bekannt wäre, dass es bis auf einen oder zwei aus lauter völlig Tauben bestände, die nun, einander gegenseitig ihr Gebrechen zu verbergen, eifrig klatschen, sobald sie die Hände jenes einen in Bewegung sähen? – Und nun gar, wenn die Kenntnis hinzukäme, dass jene Vorklatscher sich oft bestechen ließen, um dem elendesten Geiger den lautesten Applaus zu verschaffen! – Hieraus ist erklärlich, warum der Ruhm der Zeitgenossen so selten die Metamorphose300 in Nachruhm erlebt; weshalb d’Alembert301 in seiner überaus schönen Beschreibung des Tempels des literarischen Ruhmes sagt: »Das Innere des Tempels ist von lauter Toten bewohnt, die während ihres Lebens nicht darin waren, und von einigen Lebenden, welche fast alle, wenn sie sterben, hinausgeworfen werden.« Und beiläufig sei es hier bemerkt, dass einem bei Lebzeiten ein Monument setzen die Erklärung ablegen heißt, dass hinsichtlich seiner der Nachwelt nicht zu trauen sei. – Wenn dennoch einer den Ruhm, welcher zum Nachruhm werden soll, erlebt, so wird es selten früher als im Alter geschehen: allenfalls gibt es bei Künstlern und Dichtern Ausnahmen von dieser Regel, am wenigsten bei Philosophen.
1 comment