An Ihre Plätze, meine Damen und Herren! Ariadne! Zerbinetta! Scaramuccio, Harlekin! Auf die Szene, wenn ich bitten darf!
PRIMADONNA mit einem Blick auf Zerbinetta, die eben aus ihrem Zimmer tritt, dem Komponisten einen Kuß zuwirft, dann nach rückwärts läuft. Ich soll mit dieser Person auf einer Szene stehen! Woran denken Sie!
MUSIKLEHRER. Seien Sie barmherzig! Bin ich nicht Ihr alter Lehrer?
PRIMADONNA. Jagen Sie mir die Kreatur von der Bühne – oder ich weiß nicht, was ich tue!
MUSIKLEHRER. Wo hätten Sie eine schönere Gelegenheit als auf der Bühne, ihr zu zeigen, welch unermeßlicher Abstand zwischen Ihnen befestigt ist!
PRIMADONNA. Abstand! Ha! Eine Welt, hoffe ich.
MUSIKLEHRER. Legen Sie diese Welt in jede Gebärde und – man wird Ihnen anbetend zu Füßen sinken.
Küßt ihr die Hand, führt sie ein paar Schritte nach rückwärts, kommt dann sogleich wieder, den Komponisten zu holen.
KOMPONIST umarmt den Musiklehrer stürmisch. Seien wir wieder gut! Ich sehe jetzt alles mit anderen Augen! Die Tiefen des Daseins sind unermeßlich! – Mein lieber Freund, es gibt manches auf der Welt, das läßt sich nicht sagen. Die Dichter unterlegen ja recht gute Worte, recht gute – Jubel in der Stimme. jedoch, jedoch, jedoch, jedoch, jedoch! – Mut ist in mir, Freund. – Die Welt ist lieblich und nicht fürchterlich dem Mutigen – und was ist denn Musik? Mit fast trunkener Feierlichkeit. Musik ist heilige Kunst, zu versammeln alle Arten von Mut wie Cherubim um einen strahlenden Thron! Das ist Musik, und darum ist sie die heilige unter den Künsten!
Zerbinetta erscheint rückwärts, mit einem frechen Pfiff ihre Partner auf die Bühne zu rufen.
Harlekin kommt eilfertig aus dem Zimmer rechts, läuft, seinen Gurt schnallend, auf die Bühne.
KOMPONIST. Was ist das? Wohin?
Scaramuccio, wie Harlekin, gleichfalls seine Toilette im Laufen beendend.
KOMPONIST. Diese Kreaturen! –
Truffaldin, Brighella, den gleichen Weg wie die vorigen.
KOMPONIST. – in mein Heiligtum hinein ihre Bocksprünge! Ah!
MUSIKLEHRER. Du hast es erlaubt!
KOMPONIST rasend. Ich durfte es nicht erlauben! Du durftest mir nicht erlauben, es zu erlauben! Wer hieß dich mich zerren, mich! in diese Welt hinein? Laß mich erfrieren, verhungern, versteinen in der meinigen!
Läuft vorne ab, verzweifelt.
Musiklehrer sieht ihm nach, schüttelt den Kopf.
Vorhang fällt schnell.
Oper
Ariadne vor der Höhle auf dem Boden, regungslos. Najade links. Dryade rechts. Echo rückwärts an der Wand der Grotte.
NAJADE.
Schläft sie?
DRYADE.
Schläft sie?
NAJADE.
Nein! sie weinet!
DRYADE.
Weint im Schlafe! horch! sie stöhnet.
ZU ZWEIEN.
Ach! so sind wir sie gewöhnet.
NAJADE.
Tag um Tag in starrer Trauer.
DRYADE.
Ewig neue bittre Klagen.
NAJADE.
Neuen Krampf und Fieberschauer.
DRYADE.
Wundes Herz auf ewig, ewig –
ECHO.
Ewig! Ewig!
DRYADE.
Unversöhnet!
ZU DREIEN.
Ach, wir sind es eingewöhnet.
Wie der Blätter leichtes Schaukeln,
Wie der Wellen sanftes Gaukeln
Gleitets über uns dahin. –
Ihre Tränen, ihre Klagen,
Ach, seit wieviel, wieviel Tagen,
Sie beschweren kaum den Sinn!
ARIADNE an der Erde.
Wo war ich? tot? und lebe, lebe wieder
Und lebe noch?
Und ist ja doch kein Leben, das ich lebe!
Zerstückelt Herz, willst ewig weiter schlagen?
Richtet sich halb auf.
Was hab ich denn geträumt? Weh! schon vergessen!
Mein Kopf behält nichts mehr;
Nur Schatten streichen
Durch einen Schatten hin.
Und dennoch, etwas zuckt dann auf und tut so weh!
Ach!
ECHO.
Ach!
In der Kulisse.
HARLEKIN.
Wie jung und schön und maßlos traurig!
ZERBINETTA.
Von vorne wie ein Kind, doch unterm Aug wie dunkel!
BRIGHELLA, TRUFFALDIN.
Und schwer, sehr schwer zu trösten, fürchte ich!
ARIADNE ohne ihrer irgendwie zu achten; vor sich, monologisch.
Ein Schönes war, hieß Theseus-Ariadne
Und ging im Licht und freute sich des Lebens!
Warum weiß ich davon? ich will vergessen!
Dies muß ich nur noch finden: es ist Schmach,
Zerrüttet sein, wie ich!
Man muß sich schütteln: ja, dies muß ich finden:
Das Mädchen, das ich war!
Jetzt hab ichs – Götter! daß ichs nur behalte!
Den Namen nicht – der Name ist verwachsen
Mit einem anderen Namen, ein Ding wächst
So leicht ins andere, wehe!
NAJADE, DRYADE, ECHO als wollten sie sie erinnern, wachrufen.
Ariadne!
ARIADNE abwinkend.
Nicht noch einmal! Sie lebt hier ganz allein,
Sie atmet leicht, sie geht so leicht,
Kein Halm bewegt sich, wo sie geht,
Ihr Schlaf ist rein, ihr Sinn ist klar,
Ihr Herz ist lauter wie der Quell:
Sie hält sich gut, drum kommt auch bald der Tag,
Da darf sie sich in ihren Mantel wickeln,
Darf ihr Gesicht mit einem Tuch bedecken
Und darf da drinnen liegen
Und eine Tote sein!
Sie träumt vor sich hin.
In der Kulisse.
HARLEKIN.
Ich fürchte, großer Schmerz hat ihren Sinn verwirrt.
ZERBINETTA.
Versucht es mit Musik!
BRIGHELLA, TRUFFALDIN.
Ganz sicher, sie ist toll!
ARIADNE ohne den Kopf zu wenden, vor sich; als hätte sie die letzten Worte in ihren Traum hinein gehört.
Toll, aber weise, ja! – Ich weiß, was gut ist,
Wenn man es fernhält von dem armen Herzen.
ZERBINETTA in der Kulisse.
Ach, so versuchet doch ein kleines Lied!
HARLEKIN in der Kulisse, singt.
Lieben, Hassen, Hoffen, Zagen,
Alle Lust und alle Qual,
Alles kann ein Herz ertragen
Einmal um das andere Mal
Aber weder Lust noch Schmerzen,
Abgestorben auch der Pein,
Das ist tödlich deinem Herzen,
Und so darfst du mir nicht sein!
Mußt dich aus dem Dunkel heben,
Wär es auch um neue Qual,
Leben mußt du, liebes Leben,
Leben noch dies eine Mal!
Echo wiederholt seelenlos wie ein Vogel die Melodie von Harlekins Lied.
Ariadne unbewegt, träumt vor sich hin.
ZERBINETTA halblaut, parlando.
Sie hebt auch nicht einmal den Kopf.
HARLEKIN ebenso.
Es ist alles vergebens. Ich fühlte es während des Singens.
Echo wiederholt nochmals die Melodie.
ZERBINETTA.
Du bist ja ganz aus der Fassung.
HARLEKIN.
Nie hat ein menschliches Wesen mich so gerührt.
ZERBINETTA.
So geht es dir mit jeder Frau.
HARLEKIN.
Und dir vielleicht nicht mit jedem Mann?
ARIADNE vor sich.
Es gibt ein Reich, wo alles rein ist:
Es hat auch einen Namen: Totenreich.
Hebt sich im Sprechen vom Boden.
Hier ist nichts rein!
Hier kam alles zu allem!
Sie zieht ihr Gewand eng um sich.
Bald aber nahet ein Bote,
Hermes heißen sie ihn.
Mit seinem Stab
Regiert er die Seelen:
Wie leichte Vögel,
Wie welke Blätter,
Treibt er sie hin.
Du schöner, stiller Gott! sieh! Ariadne wartet!
Ach, von allen wilden Schmerzen
Muß das Herz gereinigt sein,
Dann wird dein Gesicht mir nicken,
Wird dein Schritt vor meiner Höhle,
Dunkel wird auf meinen Augen,
Deine Hand auf meinem Herzen sein.
In den schönen Feierkleidern,
Die mir meine Mutter gab,
Diese Glieder werden bleiben,
Schön geschmückt und ganz allein,
Stille Höhle wird mein Grab.
Aber lautlos meine Seele
Folget ihrem neuen Herrn,
Wie ein leichtes Blatt im Winde,
Folgt hinunter, folgt so gern.
Du wirst mich befreien,
Mir selber mich geben,
Dies lastende Leben,
Du nimmst es von mir.
An dich werd ich mich ganz verlieren,
Bei dir wird Ariadne sein.
Harlekin, verwegen; Brighella, jung, tölpelhaft; Scaramuccio, Gauner, fünfzigjährig; Truffaldin, alberner Alter; hinter ihnen Zerbinetta. Kommen von vorne auf die Bühne, schicken sich an, Ariadne durch einen Tanz zu erheitern. Zerbinetta bleibt seitwärts an der Kulisse. Echo, Najade, Dryade sind während Ariadnes Monolog verschwunden.
DIE VIER.
Die Dame gibt mit trübem Sinn
Sich allzusehr der Trauer hin.
Was immer Böses widerfuhr,
Die Zeit geht hin und tilgt die Spur.
Wir wissen zu achten
Der Liebe Leiden,
Doch trübes Schmachten,
Das wollen wir meiden.
Sie aufzuheitern,
Naht sich bescheiden
Mit den Begleitern
Dies hübsche Kind.
Sie tanzen.
Es gilt, ob Tanzen,
Ob Singen tauge,
Von Tränen zu trocknen
Ein schönes Auge.
Es trocknet Tränen
Die schmeichelnde Sonne.
Es trocknet Tränen
Der lose Wind:
Sie aufzuheitern
Befahl den Begleitern,
O traurige Dame,
Dies hübsche Kind.
ZERBINETTA indes die vier weitertanzen.
Wie sie sich schwingen,
Tanzen und singen,
Gefiele der eine
Oder der andere
Gefiele mir schon.
Doch die Prinzessin
Verschließt ihre Augen,
Sie mag nicht die Weise,
Sie liebt nicht den Ton.
Indem sie zwischen die vier Tänzer tritt.
Geht doch! Laßts doch! Ihr fallet zur Last!
DIE VIER indem sie weitertanzen.
Sie aufzuheitern,
Befahl den Begleitern,
O traurige Dame,
Das hübsche Kind!
Doch wie wir tanzen,
Doch wie wir singen,
Was wir auch bringen,
Wir haben kein Glück.
ZERBINETTA indem sie sie mit Gewalt fortdrängt.
Drum lasset das Tanzen,
Lasset das Singen,
Zieht euch zurück!
Zurück! Versteht ihr nicht! Ihr seid nur lästig!
Sie schafft sie weg.
Die vier ab, zwei nach rechts, zwei nach links.
ZERBINETTA beginnt mit einer tiefen Verneigung vor Ariadne.
Großmächtige Prinzessin, wer verstünde nicht,
Daß so erlauchter und erhabener Personen Traurigkeit
Mit einem anderen Maß gemessen werden muß
Als der gemeinen Sterblichen. – Jedoch
Einen Schritt nähertretend, doch Ariadne achtet in keiner Weise auf sie.
Sind wir nicht Frauen unter uns, und schlägt denn nicht
In jeder Brust ein unbegreiflich, unbegreiflich Herz?
Abermals näher, mit einem Knicks. Ariadne, ihrer nicht zu achten, verhüllt ihr Gesicht.
Von unserer Schwachheit sprechen,
Sie uns selber eingestehen,
Ist es nicht schmerzlich süß?
Und zuckt uns nicht der Sinn danach?
Sie wollen mich nicht hören –
Schön und stolz und regungslos,
Als wären Sie die Statue auf Ihrer eigenen Gruft –
Sie wollen keine andere Vertraute
Als diesen Fels und diese Wellen haben?
Ariadne tritt an den Eingang ihrer Höhle zurück.
Prinzessin, hören Sie mich an – nicht Sie allein,
Wir alle – ach, wir alle – was Ihr Herz erstarrt,
Wer ist die Frau, die es nicht durchgelitten hätte?
Verlassen! in Verzweiflung! ausgesetzt!
Ach, solcher wüsten Inseln sind unzählige
Auch mitten unter Menschen, ich – ich selber,
Ich habe ihrer mehrere bewohnt –
Und habe nicht gelernt, die Männer zu verfluchen!
Ariadne tritt vollends in die Höhle zurück, Zerbinetta richtet ihre weiteren Tröstungen an die unsichtbar Gewordene.
Treulos – sie sinds!
Ungeheuer, ohne Grenzen!
Eine kurze Nacht,
Ein hastiger Tag,
Ein Wehen der Luft,
Ein fließender Blick
Verwandelt ihr Herz!
Aber sind denn wir gefeit
Gegen die grausamen – entzückenden,
Die unbegreiflichen Verwandlungen?
Noch glaub ich dem einen ganz mich gehörend,
Noch mein ich mir selber so sicher zu sein,
Da mischt sich im Herzen leise betörend
Schon einer nie gekosteten Freiheit,
Schon einer neuen verstohlenen Liebe
Schweifendes, freches Gefühle sich ein!
Noch bin ich wahr, und doch ist es gelogen,
Ich halte mich treu und bin schon schlecht,
Mit falschen Gewichten wird alles gewogen –
Und halb mich wissend und halb im Taumel
Betrüg ich ihn endlich und lieb ihn noch recht!
Ja, halb mich wissend und halb im Taumel
Betrüge ich endlich und liebe noch recht!
So war es mit Pagliazzo
Und mit Mezzetin!
Dann war es Cavicchio,
Dann Burattin,
Dann Pasquariello!
Ach, und zuweilen,
Will es mir scheinen,
Waren es zwei!
Doch niemals Launen,
Immer ein Müssen!
Immer ein neues
Beklommenes Staunen.
Daß ein Herz so gar sich selber,
Gar sich selber nicht versteht!
Als ein Gott kam jeder gegangen,
Und sein Schritt schon machte mich stumm,
Küßte er mir Stirn und Wangen,
War ich von dem Gott gefangen
Und gewandelt um und um!
Als ein Gott kam jeder gegangen,
Jeder wandelte mich um,
Küßte er mir Mund und Wangen,
Hingegeben war ich stumm!
Hingegeben war ich stumm!
Hingegeben war ich stumm!
Kam der neue Gott gegangen,
Hingegeben war ich stumm!
Echo unsichtbar, wiederholt das Rondo, aber ohne Text, ad libitum.
HARLEKIN springt aus der Kulisse. Hübsch gepredigt! Aber tauben Ohren!
ZERBINETTA. Ja, es scheint, die Dame und ich sprechen verschiedene Sprachen.
HARLEKIN. Es scheint so.
ZERBINETTA.
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