Aristipp und einige seiner Zeitgenossen
Wieland, Christoph Martin
Aristipp und einige seiner Zeitgenossen
Christoph Martin Wieland
Aristipp
Erster Band.
1.
Aristipp an Kleonidas in Cyrene.1
Alle Götter der beiden Elemente, denen du bei unserm Abschied mein Leben so dringend empfahlst, schienen es miteinander abgeredet zu haben, die Ueberfahrt deines Freundes nach Kreta zu begünstigen. Wir hatten, was in diesen Meeresgegenden selten ist, das schönste Wetter, den heitersten Himmel, die freundlichsten Winde; und da ich dem alten Vater Oceanus den schuldigen Tribut schon bei einer frühern Seereise bezahlt hatte, genoß ich dießmal der herrlichsten aller Anschauungen so rein und ungestört, daß mir die Stunden des ersten Tages und der ersten Hälfte einer lieblichen mondhellen Nacht zu einzelnen Augenblicken wurden.
Gleichwohl – darf ich dir's gestehen, Kleonidas? – däuchte mich's schon am Abend des zweiten Tages, als ob mir das majestätische, unendliche Einerlei unvermerkt – lange Weile zu machen anfange. Himmel und Meer, in Einen unermeßlichen Blick vereinigt, ist vielleicht das größte und erhabenste Bild, das unsre Seele fassen kann; aber nichts als Himmel und Meer, und Meer und Himmel, ist, wenigstens in die Länge, keine Sache für deinen Freund Aristipp; und ich glaube wirklich, daß mir ein kleiner Sturm, mit Donner und Blitz und übrigem Zubehör, bloß der Abwechslung wegen, willkommen gewesen wäre. Du weißt, daß außer dem nah an Kreta liegenden Inselchen Gaudos, kein einziges Eiland zwischen Cyrene und Gortyna2 zu sehen ist; überdieß wollte auch der Zufall, daß uns auf der ganzen Reise, außer drei oder vier Cyprischen Kornschiffen, und einer für Korinth befrachteten Tyrischen Pinasse, die sich so nah als möglich an der Küste hielten, kein einziges Fahrzeug begegnete, womit wir uns auf eine oder andre Art hätten unterhalten können. Es fehlte mir also, wie du siehest, nicht an Muße, so viele Grillen zu fangen als ich wollte; und wie weit es endlich mit mir gekommen seyn müsse, kannst du daraus abnehmen, daß ich stundenlang vom Verdeck in die See hinab schaute, ob nicht irgend einer von den Fischgöttern oder Götterfischen, womit ihr Dichter den Ocean bevölkert habt, aus der Tiefe herauffahren, bei unsrer Erblickung in sein krummes Horn stoßen, und die übrigen Meerwunder, seine Gespielen, zusammenrufen werde, um unsre auf den Wellen leicht dahin gleitende Barke zu umkreisen, und durch muthwillige Spiele und Neckereien aufzuhalten. Das Schauspiel, das wir ihnen gaben, ist freilich seit der Zeit, da das erste von Pallas Athene selbst erbaute Schiff3 eine Schaar kühner Göttersöhne nach Kolchis trug, um – ein goldnes Widderfell zu erobern, etwas so Alltägliches für diese Meerbewohner geworden, daß ein unbedeutendes Fahrzeug, wie das unsrige, sich nicht schmeicheln durfte großes Aufsehen bei ihnen zu erregen: aber daß in drei langen Tagen auch nicht ein einziges rosenarmiges Meermädchen mit grünen Locken und milchweißem Busen auftauchen wollte, um meine des Herumschwebens zwischen Luft und Wasser müden Blicke auf ihrer reizenden Gestalt ausruhen zu lassen, das war doch wirklich zu grausam, und bewies mir den großen Unterschied, den die Götter zwischen euch Dichtern und uns andern prosaischen Menschen machen, zu meiner nicht geringen Demüthigung. Wäre mein Freund Kleonidas hier, dacht' ich, was würd' er nicht, kraft des Vorrechts, das die Natur den Musolepten4, ihren Günstlingen, zugestanden hat, in diesen, für mich Unbegeisterten so leeren, Elementen sehen und hören? Könnt' er gleich den Nebel, der mir die unsichtbare Welt verbirgt, nicht von meinen Augen treiben, so würde ich mich doch an seinen Visionen und Entzückungen ergötzen: und im Grunde könnte mir's ja gleichviel seyn, ob ich das alles unmittelbar mit meinen eigenen Augen, oder im Zauberspiegel der seinigen sähe. Sage dir nun selbst, ob ich nicht auf dich zürnen sollte, daß du dich nicht erbitten ließest, mich auf meiner Reise wenigstens nur bis nach Olympia zu begleiten, wo dich ein Schauspiel erwartete, das auf dem ganzen Erdboden einzig in seiner Art ist, und durch kein anderes ersetzt werden kann, wenn es auch ein Triumphsaufzug Poseidons und Amphitritens mit allen ihren Tritonen und Nereiden wäre. Im ganzen Ernste, Kleonidas, ich kann dir das Unrecht kaum verzeihen, das du durch deine Unerbittlichkeit noch viel mehr an dir selbst, als an deinem Aristipp begangen hast. Wer weiß ob dir die versäumte Gelegenheit in deinem ganzen Leben wieder aufstoßen wird? und aus der Welt zu gehen, ohne die Olympischen Spiele und den Jupiter des Phidias gesehen zu haben, wahrlich, da verlohnte sich's kaum der Mühe da gewesen zu seyn! – Doch, wem sag' ich das? und wie kann ich einen Augenblick vergessen, daß du von einem Zauber gebunden bist, der dir weder Gewalt über dich selbst läßt, noch Augen für einen andern Gegenstand, als die schöne Unerbittliche, deren Blicke die Nahrung deines Lebens sind? Was ist im Himmel und auf Erden und im Reich des Oceanus, das einen von Amorn verwundeten Dichter von der süßen Quelle seiner Schmerzen entfernen könnte? Was ist dir die schimmernde Panegyris5 alles dessen was die ganze Hellas Edles, Großes und Schönes hat, ihrer auserlesensten Jünglinge, ihrer berühmtesten Männer, ihrer reizendsten Weiber, ihrer Künstler, Weisen, Staatsmänner, Feldherren und Fürsten? dir, der das alles unbemerkt bei dir vorbeiziehen lassen würde, um deine Augen auf den bloßen Schatten der schönen Lycänion zu heften, wenn du sie selbst nicht erblicken könntest?
Wundre dich nicht, Kleonidas, daß ich so viel von dem Geheimniß deines Herzens weiß, wiewohl du es, ich weiß nicht warum, so sorgfältig vor mir verborgen hast. Ein Verliebter ist so leicht zu entdecken, wie gut er sich auch zu verstecken glaubt, und die Freundschaft ist scharfsichtig. Befürchte indessen nichts von der meinigen: sie soll dir nie durch Zudringlichkeit beschwerlich fallen, aber auch nie entstehen, wenn du dich aus eigenem Drange nach ihr umsiehst. Alles was ich mir dermalen von der deinigen verspreche, ist, daß du deinen trautesten Jugendfreund nicht ganz vergessen, und ihm gern erlauben werdest, sich während einer Abwesenheit, deren Dauer noch unbestimmbar ist, von Zeit zu Zeit durch Briefe bei dir in Erinnerung zu bringen.
Widrige Winde zwingen mich einige Tage länger in Kreta zu verweilen, als meiner Geschäfte wegen nöthig war. Ich werde diese Zeit zu einem Ausflug nach Gnossus6 anwenden, wo, wie man sagt, die vorzüglichsten Merkwürdigkeiten dieser fabelhaften Insel beisammen sind. Wie dürft' ich mich auch jemals wieder in Cyrene blicken lassen, wenn ich in Kreta gewesen wäre, ohne den berüchtigten Labyrinth und – das Grab des unsterblichen Königs der Götter und Menschen gesehen zu haben?
2.
An Aritades, seinen Vater.
Nach einer glücklichen und größtentheils angenehmen Reise befinde ich mich seit zehn Tagen in dem reichen, gewerbevollen, prächtigen und wollüstigen Korinth, wo ich von dem Eupatriden7 Learchus, vermöge der alten Gastfreundschaft, die seit Perianders Zeiten zwischen unsern Familien besteht, mit der gefälligsten Freundlichkeit aufgenommen wurde. Meine erste Sorge war, mich der Aufträge zu erledigen, womit mein Oheim Alketas mich an seine hiesigen Freunde beladen hatte; die zweite, die mir zum Behuf meines Aufenthalts in Griechenland mitgegebenen Waaren auf die vortheilhafteste Art zu Gelde zu machen. Die Nähe des großen Marktes zu Olympia kam mir zu dieser Absicht sehr zu Statten, und der Gewinn, den ich dabei gemacht, ist so beträchtlich, daß ich – außer der Summe, die ich für das nächste Jahr nöthig haben mag, um deinem Willen gemäß meiner Vaterstadt und der Würde, die du in unsrer Republik bekleidest, durch einen anständigen Aufwand Ehre zu machen – fünfhundert Attische Minen8 in Golde bei meinem Wirthe hinterlegt habe, über welche ich deine Befehle erwarte.
Korinth hat sich seit den vierzig Jahren, da du den Vater des Learchus besuchtest, sehr verändert. Großer und täglich zunehmender Reichthum in einem oligarchischen, äußerst mild regierten und vielleicht nur zu wenig gezügelten kleinen Freistaat, zumal in der glücklichen Lage von Korinth, die es zum Mittelpunkt des Asiatischen und Europäischen Handels bestimmt, muß, wie mich däucht, alle Vorzüge, worauf es stolz ist, und alle Uebel, die seinen Verfall ankündigen, nothwendig hervorbringen. Ich gestehe, daß die Wehklagen, die ich hier, sogar in den reichsten Häusern und von verständigen alten Männern, über die immer zunehmende Ueppigkeit, Verschwendung, Habsucht und Sittenverderbniß führen höre, mir keine hohe Meinung von der Weisheit der Korinther geben. Wo großer Reichthum ist, muß nothwendig auch große Armuth seyn, und von beiden ist sittliche Verdorbenheit die unausbleibliche Frucht. Der Reiche erlaubt sich alles, um gränzenlos genießen zu können, ohne die Quelle seines Genusses zu erschöpfen; der Arme thut, wagt und duldet alles, um reich zu werden. Daß es so und nicht anders ist, überzeugte mich schon was ich in Cyrene sah, und Korinth hat mich darin bestätiget. Alle Gesetzgeber, Philosophen und Moralisten in der Welt können den Korinthern nicht helfen: es gibt nur Ein Mittel, das sie und ihres gleichen retten könnte, und das ist gerade das einzige, wozu sie keine Lust zu haben scheinen. Sie müßten wieder so arm werden als sie vor dreihundert Jahren waren. Wer weiß aber auch, ob dieß einzige Mittel nicht schon zu spät käme?
Doch wohin versteige ich mich? Ich bin noch zu neu in der Welt, um tiefe Blicke in den Zusammenhang der Dinge gethan zu haben, und zu jung, um mich in so verwickelte Speculationen einzulassen.
Die Zeit der Olympischen Spiele naht heran, und ich rüste mich ungesäumt nach Pisa9 abzugehen, um, wo möglich, noch auf eine leidliche Art unterzukommen; denn der Zusammenfluß von Fremden soll schon unbeschreiblich groß seyn. Meine Ungeduld nach dem herrlichen Schauspiel, das mich dort erwartet, nimmt mit jedem Tage zu; auch hoffe ich bei dieser in ihrer Art einzigen Gelegenheit interessante Bekanntschaften zu machen; was am Ende doch wohl der einzige wahre Vortheil ist, den ich von Olympia zurückbringen werde.
3.
An Kleonidas.
Kaum bin ich einige Tage in Korinth, und schon hat mir meine leichtsinnige Unbefangenheit ein Abenteuer zugezogen, welches vielleicht Folgen von Bedeutung hätte haben können, wenn mir der Zweck meiner Reise einen längern Aufenthalt erlaubte.
Indem ich nach Vollendung einiger Geschäfte in den Straßen dieser großen und prächtigen Stadt umher irre, fällt mir eines von den vielen öffentlichen Bädern, womit sie versehen ist, in die Augen, dessen zierliche Bauart mir Lust macht, mich darin abzuwaschen. Ich gehe hinein, und da sich nicht gleich ein Aufwärter zeigt, öffne ich auf Gerathewohl eine der Badekammern und treffe gerade den Augenblick, da eine junge Frauensperson, die sich ganz allein darin befand, im Begriff war aus dem Bade zu steigen. Dieß war das erstemal in meinem Leben, daß ich vor einem schönen Anblick zusammenfuhr; gleichwohl weiß ich nicht wie es kam, daß ich, anstatt zurückzutreten, und die Thür, die ich noch in der Hand hatte, vor mir wieder zuzuziehen, sie hinter mir zumachte und meine Verlegenheit dadurch vermehrte. Die Dame, die bei meiner Erblickung plötzlich wieder untertauchte, schien sich an meiner Bestürzung zu ergötzen. »Wie? (sagte sie lachend, mit einer Stimme, deren Silberton meine Bezauberung vollendete) fürchtest du das Schicksal Aktäons10, daß du vor Schrecken sogar zu fliehen vergissest? Da ich weder so schön wie Artemis noch eine Göttin bin, darf ich auch weder so stolz noch so unbarmherzig seyn wie sie.
1 comment