Du bist ein Fremder, wie ich sehe, und hast vermuthlich die Ueberschrift über der Pforte dieser Thermen11 nicht gelesen.«
Während sie dieß sprach, hatte ich, was du mein unverschämtes Gesicht zu nennen pflegst, wieder gefunden, und erwiederte ihr, von einer so zuvorkommenden Anrede aufgemuntert: da ich das Glück dieses Augenblicks bloß meiner Unwissenheit und dem Zufall zu danken habe, so wär' es in der That grausam, schöne Unbekannte, mich dafür zu bestrafen, nicht daß ich, wie Aktäon, zu viel, sondern daß ich gesehen habe was man nie genug sehen kann. Nur ein längeres Verweilen, versetzte sie mit einem einladenden Lächeln, würde dich strafbar machen; denn es ist Zeit daß ich das Bad verlasse.
Indem sie dieses sagte, traten zwei junge Sklavinnen herein, die in zierlichen Körben alles, was zum Dienste des Bades erforderlich ist, auf ihren Köpfen trugen. Sie schienen verwundert einen Unbekannten zu finden, und hefteten ungewisse fragende Blicke bald auf mich, bald auf ihre Gebieterin. Was für eine Strafe, sagte die Dame, hat dieser junge Mensch verdient, für die Verwegenheit sich in ein fräuliches Bad einzudringen, das gewiß noch von keinem männlichen Fuße betreten worden ist? – Die gelindeste wäre wohl, ihn anzuspritzen und in einen – Hasen zu verwandeln, sagte die jüngere. Das wäre eine zu milde Strafe für ein so schweres Verbrechen, versetzte die ältere; ich weiß eine andere, die dem Verbrechen angemess'ner ist. Ich würde ihn dazu verdammen, so lange bis wir unsern Dienst verrichtet haben, hier zu bleiben, und dann die Thür hinter uns zuzuschließen. Meinst du? sagte die Dame, indem sie sich erhob, und, ihre in einen dicken Wulst über der Scheitel zusammengebundenen Locken auflösend, von einer Fülle bis unter die Knie herabfallender gelber Haare, wie von einem goldenen Mantel, umflossen, aus dem Wasser stieg, und sich, eben so unbefangen als ob sie mit ihren Mägden allein wäre, abtrocknen und mit wohlriechenden Oelen einreiben ließ. Und mich, schöne Gebieterin, sagte dein unverschämter Freund mit der ganzen edeln Dreistigkeit, die du an ihm beneidest, mich, den du in Einem Augenblick zu deinem Sklaven gemacht hast, wolltest du hier müßig stehen lassen? Erlaube mir, deinen Nymphen zu zeigen, daß ich geschickter bin als sie mir zutrauen; und indem ich dieß sagte, machte ich eine Bewegung, als ob ich einer der Mägde ein Tuch von der schneeweißesten Wolle, womit sie ihre Gebieterin abzureiben begriffen war, aus der Hand ziehen wollte. Aber die Dame warf mich mit einem zürnenden Blick auf einmal wieder in die Schranken der Ehrfurcht zurück, die der Schönheit und dem Stande, von dem sie zu seyn schien, gebühren. Wenn du mein Sklave bist, sagte sie wieder lächelnd, sobald sie mich in gehöriger Entfernung sah, so erwarte schweigend meine Befehle und rühre dich nicht! Ich gehorchte wie einem wohlerzogenen sittsamen Jüngling zusteht, und erhielt dafür die zweideutige Belohnung, daß man die Mysterien des Bades mit der größten Gelassenheit vollendete, ohne sich um meine Gegenwart, oder wie mir dabei zu Muthe seyn möchte, im geringsten zu bekümmern.
Als sie wieder angekleidet war, heftete die Dame im Weggehen einen ernsten Blick auf mich und sagte: vergiß nicht, daß es dem Ixion12 übel bekam, sich kleiner Gunstbezeugungen der Götterkönigin zu rühmen! – und ohne meine Antwort zu erwarten, stieg sie in eine prächtige Sänfte, die von vier Sklaven schnell davon getragen wurde. Mir war, als ob ich aus einem Traum erwachte. Natürlich durft' ich es nicht wagen, ihr sogleich zu folgen; und wie ich mich wieder aus dem Badhause unbemerkt wegschleichen wollte, wurde ich von einem Aufwärter angehalten, der sich, nicht ohne Mühe, durch eine Handvoll neugeprägter Drachmen endlich überzeugen ließ, daß ich ein Fremder, und bloß aus Unwissenheit seit wenig Augenblicken hierher gerathen sey. Als ich mich wieder frei sah, war es zu spät, der Spur meiner Unbekannten nachzugehen, und ich kehrte, ungewiß was ich von meinem Abenteuer denken sollte, nach Hause. Die Dame schien nicht über achtzehn Jahre alt zu seyn, und ihre Gestalt hätte das Glück eines Alkamenes13 machen können, wenn ihn der Zufall so wie mich begünstigt hätte. War sie eine Hetäre14 von der ersten Classe, die zu Korinth unter Aphroditens Schutz einer Freiheit und Achtung genießen, welche ihnen in keiner andern Griechischen Stadt zugestanden werden? Oder war es eine junge Frau von Stande, die im Bewußtseyn ihrer Reizungen sich eine muthwillige Lust daraus machte, einen Unbekannten für seinen jugendlichen Uebermuth auf eine neue, wollüstig peinliche Art büßen zu lassen? Das letztere schien mir, allen Umständen nach, das Wahrscheinlichste. Indessen trieb mich doch, ich weiß nicht welche Unruhe, an diesem Abend in allen öffentlichen Spaziergängen herum, wo die Hetären der höhern Ordnung sich gewöhnlich, von ihren Liebhabern umschwärmt, oder von einem Zuge geputzter Mägde und Eunuchen begleitet, mit vielem Prunke zu zeigen pflegen. Aber ich sah mich vergebens unter ihnen nach meiner Anadyomene15 um, und eine schlaflose Nacht war alles, was ich von meinen Nachforschungen davon trug. Am folgenden Morgen, wie ich vom Lechäischen Hafen zurückkehrte, glaubte ich eine von den beiden Sklavinnen aus einem kleinen Myrtengehölz am Wege auf mich zukommen zu sehen.
Wir erkannten einander ersten Blicks; nur zeigte sich's, daß die Korintherin meinen Namen besser ausgekundschaftet hatte als ich den ihrigen. Sie grüßte mich beim Namen, und erkundigte sich lachend, wie dem unbefugten Epopten16 der Vorwitz, zu sehen was er nicht sollte, bekommen sey? Wir wissen, wie du siehest, alle deine Gänge, fuhr sie fort, und meine Gebieterin, welcher nicht unbekannt ist, daß du morgen abzureisen gedenkest, schickt mich zu dir, ein kleines Denkzeichen des gestrigen Zufalls von ihr anzunehmen. Es war ein zierlich geflochtnes Deckelkörbchen von Silberdrath, worin eine ihrer goldgelben Haarlocken, mit einer Schnur von kleinen Perlen umwunden, lag. Du kannst dir leicht vorstellen, Kleonidas, daß ich alle meine Wohlredenheit aufgeboten haben werde, den Stand und Namen der Dame zu erfahren, und die dienstbare Iris17 zu gewinnen, daß sie mir eine Gelegenheit auswirken möchte, ihr meinen Dank in eigner Person zu Füßen zu legen. Ich ging so weit, daß ich bei allen Liebesgöttern betheuerte, meine Reise nach Olympia einzustellen, wenn ich hoffen könnte, einer so großen Gnade gewürdiget zu werden. Aber die lose Dirne spottete meiner vorgeblichen Leidenschaft, mit der Versicherung, daß man sich nur desto mehr vor mir hüten würde, wenn sie ungeheuchelt wäre, und daß alle meine Bemühungen, ihre Gebieterin wieder zu sehen, vergeblich seyn würden. Alles was ich mit vielem Bitten und einem kleinen Beutel voll Dariken18 von ihr erhielt, war ein Versprechen, daß sie sich diesen Abend an einem gewissen Orte einfinden wollte, um eine unbedeutende Kleinigkeit für ihre Dame in Empfang zu nehmen, wodurch ich auch mein Andenken bei ihr lebendig zu erhalten wünschte. Sie sagte mir's zu, aber ich erwartete sie vergebens.
Was dünkt dich von dieser närrischen Begebenheit, Kleonidas? – Für mich ist sie denn doch nicht ganz so unbedeutend als sie scheint; und da ein weiser Mann alles in seinen Nutzen zu verwandeln wissen soll, so denke ich einen zweifachen Vortheil aus ihr zu ziehen. Der erste ist, daß ich mich vor der Hand ziemlich sicher halten kann, daß die Erinnerung an meine reizende Unbekannte nur sehr wenigen Schönen gestatten wird, einigen Eindruck auf mich zu machen; der zweite, daß ich, vorausgesetzt ich könne das, was ich bei dieser Gelegenheit erfahren habe, als einen Maßstab meiner Empfänglichkeit für leidenschaftliche Liebe annehmen, große Ursache habe zu hoffen, daß ich weder meinen Verstand noch meine Freiheit jemals durch ein schönes Weib verlieren werde.
4.
An Demokles von Cyrene.
Griechenland zählt nun seit dem ersten Neumond nach der letzten Sommer-Sonnenwende das erste Jahr seiner vierundneunzigsten Olympiade; die Spiele sind geendigt, und ich habe gesehen – was zu sehen war. In der That große, auffallende, prachtvolle, und, nach der gewöhnlichen Schätzung der menschlichen Dinge, sehenswürdige Schauspiele! Aber, soll ich dir davon sprechen wie ich denke, Demokles? – Du hast oft mit mir über meine (wie ich immer mehr zu glauben Ursache finde) angeborne Maxime »nichts zu bewundern«19 gestritten; und wenn wir am Ende, wie gewöhnlich, jeder mit seiner eigenen Meinung davon gingen, söhntest du dich immer durch ein wohlwollendes Mitleiden mit mir aus, mich durch eine so gleichgültige Gemüthsstimmung des hohen Grades von Vergnügen entbehren zu sehen, welches, wie du sagtest, den gefühlvollen Seelen zu Theil werde, die gerade durch den Affect der Bewunderung zu erkennen geben, daß sie bei großen und schönen Gegenständen ungleich mehr empfinden, als derjenige, der sie ansehen kann, ohne aus seiner gewöhnlichen Fassung gesetzt zu werden. Es mag seyn, daß meine Maxime mich öfters eines lebhaftern Genusses beraubt: aber dafür gewährt sie mir auch den Vortheil, mich selten in meiner Erwartung getäuscht zu finden. Auch begegnet mir öfters, daß ich anstatt mit der Menge zu bewundern, mich (mit deiner Erlaubniß) nicht wenig verwundere, wie die Leute so gutmüthig seyn mögen, über Dinge in Entzückung zu gerathen, die, bei kaltem Blute aufs gelindeste beurtheilt, nur lächerlich sind, und bei strengerer Prüfung leicht in einem noch ungünstigern Licht erscheinen könnten.
Nach dieser Vorrede bist du vermuthlich schon auf das Geständniß gefaßt, daß dieß beim Anschauen der weltberühmten Kampfspiele zu Olympia ganz eigentlich mein Fall war, und daß ich, während alles um mich her in Entzückung zerfloß, mich in aller Stille nicht genug verwundern konnte, wie ein Volk, das sich selbst für das sittigste und aufgeklärteste des ganzen Erdbodens hält, und von andern dafür erkannt wird, vor einer so großen Menge ausländischer Zuschauer sich nicht schämte, einen so hohen Werth auf den Sieg in so kindischen oder barbarischen Wettkämpfen zu legen, aus den dazu angesetzten Tagen sein höchstes Nationalfest zu machen, und sogar seine Zeitrechnung nach ihrer Feier zu bestimmen. Käme, dacht' ich, ein Perser oder Skythe, der noch nichts von diesem Institut gehört hätte, von ungefähr dazu, wenn im Angesicht einer unzählbaren Menge Volks, in einem Ehrfurcht gebietenden Kreise der edelsten und angesehensten Männer der Nation, nach einem dem Könige der Götter dargebrachten feierlichen Opfer, die Sieger öffentlich erklärt und gekrönt werden, und sähe das stolze Selbstbewußtseyn, womit sie, von ihren wonnetrunkenen Verwandten, Freunden und Mitbürgern umdrängt, und vom allgemeinen Jubel der Zuschauer bewillkommt, sich den Kampfrichtern nahen, um die Krone zu empfangen: müßt' er nicht glauben, diese Menschen könnten nichts Geringeres gethan haben, als ganz Griechenland durch einen Marathonischen20 oder Salaminischen Sieg vom Untergang gerettet, oder wenigstens jeder um seine eigene Vaterstadt sich durch irgend eine außerordentliche That unendlich verdient gemacht zu haben? Aber wie erstaunt und betroffen würde dann ein solcher dastehn, wenn er hörte daß es weiter nichts ist, als daß der eine dieser gekrönten Helden am besten laufen kann, ein anderer die schnellsten Rennpferde und den geschicktesten Kutscher hat, ein dritter der größte Meister im Faustkampf oder in der edeln Kunst seinen Gegner zu Boden zu ringen ist? Wahrlich dieser Perser oder Skythe, wiewohl die Griechen seiner Nation die Ehre erweisen sie nur für Halbmenschen anzusehen, würde sich schwerlich enthalten können, das widersinnische Schauspiel für die Wirkung irgend einer zürnenden Gottheit zu halten, und zu glauben, die ganze Nation müßte entweder von einem allgemeinen Wahnsinn befallen, oder, trotz ihrer übrigen Vorzüge, zu einer ewigen Kindheit der Vernunft verdammt seyn.
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