Daß ein schnellfüßiger Jüngling, ein gewandter Wagenlenker, ein nerviger Kerl der den Kampfhandschuh am kräftigsten zu gebrauchen wußte, oder um den stärksten Gegner zu überwältigen, keiner andern Waffe als seiner eigenen eisernen Faust bedurfte, in den Zeiten, da der Thebanische Hercules diese feierlichen Spiele gestiftet haben soll, ein wichtiger Mann für seine kleine Vaterstadt war, ist natürlich, und aus dem rohen Zustand einer von ihrer ursprünglichen Wildheit noch langsam sich losarbeitenden Horde leicht zu erklären. Aber daß ein so gebildetes Volk, wie die Griechen dermalen sind, bei so gänzlich veränderter Lage der Sachen, noch immer ein so großes Aufheben von Geschicklichkeiten macht, die entweder ganz unbrauchbar, oder doch verhältnißmäßig von sehr geringem Nutzen geworden sind; daß der Mensch, der zu Olympia21 öffentlich dargethan hat, daß er den stiermäßigsten Nacken, die stärksten Brustknochen und die derbeste Faust seiner Zeit besitze, oder mit jedem Hasen in die Wette laufen könne, für die höchste Zierde seiner Vaterstadt gehalten, im Triumph eingehohlt, über alle seine Mitbürger hinaufgesetzt, und als ein Wohlthäter seines Volks öffentlich unterhalten, geehrt und nur nicht gar vergöttert wird, wiewohl die Stärke seiner Muskeln und Knochen, oder die Behendigkeit seiner Füße vielleicht das Einzige ist, was ihn von dem rohesten und verdienstlosesten seiner Mitbürger unterscheidet, – das ist doch wirklich so ungereimt, daß man es kaum seinen eigenen Augen zu glauben wagt.

Damit ich mich durch diesen verwegenen Tadel eines Instituts22, das allen Hellenen so ehrwürdig und heilig ist, nicht selbst in den Verdacht einer Anmaßung bei dir setze, die mich sehr übel kleiden würde, will ich dir nicht verbergen, daß ich meinem Gefühl vielleicht weniger getraut hätte, wenn ich nicht durch das Urtheil eines weiseren Mannes als ich, mit welchem der Zufall mich bekannt machte, in dem meinigen bestärkt worden wäre. Er schien ein Mann von funfzig Jahren zu seyn, und sein Aeußerliches zeigte eben nichts, was unter einer so großen Menge von Menschen die Aufmerksamkeit auf ihn ziehen konnte. Er war nach Griechischer Sitte äußerst einfach, nach unsrer Cyrenischen beinahe ärmlich gekleidet, unbeschuht, von etwas finsterem Gesicht, lang, hager, und mit einem dünnhaarigen Barte geziert, der, wo nicht ihm selbst, wenigstens seinem Schatten so ziemlich die tragikomische Miene eines – alten Ziegenbocks gab. Bei dem allen hatte der Mann etwas in seiner Gesichtsbildung, das mir Zutrauen zu ihm einflößte, und den Wunsch erregte bekannter mit ihm zu werden. Es traf sich, daß wir beide auf der Anhöhe, von welcher wir den Wettkämpfern zusahen, so nahe beisammen saßen, daß es nur von ihm abhing, jeden Eindruck, den diese Schauspiele auf mich machten, bemerken zu können. Er selbst zeigte bei allem was zu sehen war immer eben dieselbe Miene, die weder merkliches Wohlgefallen noch Mißbelieben andeutete; nur zuweilen, wenn die Zuschauer durch irgend eine außerordentliche Probe von Stärke oder Geschicklichkeit zum Ausbruch einer gar zu unmäßigen Bewunderung und Freude hingerissen wurden, verrieth er durch ein leises Zucken der Lippen, daß das allgemeine Gefühl nicht das seinige war. Ich meines Orts überließ mich eine Zeit lang dem Vergnügen, welches der Anblick so vieler schönen Jünglinge, denen die Begierde des Sieges Schwingen an die Knöchel setzte, die Menge auserlesener Rennpferde und prächtiger Wagen, die Geschicklichkeit der Wagenführer, und mehr als alles andere, die unerschöpfliche Kraft und Gewandtheit, womit die Ringer durch die gelehrteste Fertigkeit in ihrer Kunst den entscheidenden Augenblick aufzuhalten strebten, einem jungen Menschen, der das alles zum erstenmale sah, natürlicherweise machen mußten. Sogar das grausenhafte Schauspiel, das uns gegen die Mittagsstunde, während die Sonne über unsrer Scheitel brannte, die kaltblütige Wuth der Faustkämpfer gab, und der furchtbare Handschuh, womit einige Paare neuer Eryxen23 und Herculessen einander zermalmten, erfüllte mich anfangs mit einer seltsamen Art von schauderlichem tragischen Vergnügen, indem es mich in die alte Heldenzeit zu versetzen und mir die Erzählungen der Dichter von den unglaublichsten Thaten der Göttersöhne wahr zu machen schien. Ich wähnte eine Art unzerstörbarer titanischer Naturen vor mir zu sehen, die nur spielweise so grimmig auf einander losgingen, und an welchen die Wunden, die sie einander schlugen, sich ohne Zweifel eben so schnell und narbenlos wieder schließen würden, als die Luft, die durch ihre gewaltigen Streiche zerrissen wurde. Aber die Täuschung war von kurzer Dauer; und als ich, nach einem kaum viertelstündigen Kampf, einen der Athleten, der kurz zuvor die Schönheit eines Paris oder Nireus24 mit der Stärke eines Milanion25 vereinigt darstellte, und einer Bildsäule des Apollo selbst zum Modell hätte dienen können, für todt aus den Schranken hinaus tragen sah, so übel zugerichtet, daß keine Spur seiner vorigen Bildung in seinem zertrümmerten Gesicht und an seinem ganzen, zu einem unförmlichen Klumpen zusammengeschlagenen Leibe zu erkennen war, überwältigte mich der gräßliche Anblick dermaßen, daß ich mich nicht zurückhalten konnte, meinem Abscheu durch einen lauten Ausruf Luft zu machen, der zu meinem Glücke, über dem Getümmel und Jubelgeschrei der Zuschauer, von niemand als dem besagten Fremden gehört wurde. Ich entfernte mich unverzüglich von dem Schauplatz der gräßlichen Scene, und zog mich in die einsamsten Gänge des geheiligten Hains zurück, der den Tempel des Olympischen Jupiter umgibt. Nicht lange so sah ich den Fremden mit dem Ziegenbart auf mich zukommen, von einem stattlichen Manne begleitet, der (wie ich in der Folge vernahm) eine ansehnliche Würde zu Elea bekleidet. Sie erlaubten mir, mich zu ihnen zu gesellen, und an dem Gespräche, worin sie begriffen waren, Theil zu nehmen. Es betraf, wie natürlich, die Spiele, von deren Anschauen beide, dem Ansehen nach sehr gesättiget, zurückkamen. Mein Fremder machte sich kein Bedenken, aus Gelegenheit derselben ein strenges Urtheil über die Weisheit seiner Landsleute zu fällen. Wenn, sagte er, die Absicht dieses alle vier Jahre wiederkehrenden Nationalfestes ist, durch die Wettkämpfe, die man den Zuschauern zum Besten gibt, und die dazu vorbereitenden Leibesübungen, die Griechische Jugend zu tüchtigen Vertheidigern des Vaterlandes zu bilden, so kann nichts zweckwidriger seyn als diese Spiele. Die Art der Waffen, womit der Krieg heutzutage geführt wird, und die ganze Kriegskunst überhaupt, ist von dem, was in den Zeiten des Trojanischen Krieges üblich und nützlich war, so verschieden, daß dem Staate mit ganzen Heerschaaren zu Olympia und Delphi gekrönter Läufer und Ringer wenig gedient wäre. Wenn sie noch schwerbewaffnet in die Wette liefen, möchte eine solche Fertigkeit allenfalls bei einem Eilmarsch oder plötzlichen Rückzug von einigem Nutzen seyn: aber so leicht bekleidet wie unsre schnellfüßigen Achillen sind, können sie, wo es Ernst gilt, höchstens als Eilboten gebraucht werden, oder möchten, wenn man sie auch nur bei den leichten Truppen anstellen wollte, der Versuchung selten widerstehen, in gefährlichen Fällen vor allen Dingen ihre eigene Person in Sicherheit zu bringen. Was im Kriege mit nackten Ringern anzufangen wäre, ist schwer zu sehen; und wofern auch die Faustkämpfer durch ihr gigantisches Ansehen und den raschgeschwungenen Cestus26 dem Feinde Schrecken einjagen könnten, so sind ihrer doch in der ganzen Hellas viel zu wenige, als daß man sich eine große Wirkung von ihrem Gebrauch versprechen dürfte. Und doch, wär' es nur der geringe Nutzen, den das Griechische Gemeinwesen von diesen Spielen zieht, so möchten sie immer ihrem vergötterten Stifter zu Ehren beibehalten werden: aber der positive Schaden, den sie thun, scheint mir wichtig genug, um von den Vorstehern unsrer Republiken ernstlich beherzigt zu werden. Nichts davon zu sagen, daß der leidenschaftliche und bis zur Tollheit getriebene Wetteifer unsrer Jünglinge, wer die meisten, schönsten und behendesten Rennpferde zu halten vermöge, schon viele angesehene wohlbegüterte Häuser zu Grunde gerichtet hat, was für Fortschritte in der Cultur kann man von einem Volke erwarten, das sich aus so wilden und lebensgefährlichen Leibesübungen ein Spiel macht, das die Wuth, womit Gegen kämpfer, die sich zuvor nie gesehen, geschweige beleidigt haben, auf einander losgehen, durch die Lebhaftigkeit seiner Theilnehmung noch mehr anfeuert, und an einem so barbarischen Schauspiel, wie wir so eben sahen, die angenehmste Augenweide findet? Mit welcher Stirne können wir auf unsre wirklichen und vermeinten Vorzüge so stolzen Griechen alle übrigen Erdebewohner Barbaren27 nennen, so lange es eine unsrer größten Glückseligkeiten ist, alle vier Jahre zusammenzukommen, um uns, zu gemeinschaftlicher Belustigung, in die Zeiten zurückzusetzen, da unsre eigenen Vorfahren wenig besser als rohe Waldmenschen, Räuber und Abenteurer waren, und an Humanität und Sittigkeit weit hinter den meisten Asiatischen Völkern zurückstanden? Wie übel ziemt es uns, die an eine edlere Denkart und Geschmack am Schönen und Erhabenen Anspruch machen, auf die Kunst einander die Glieder zu verrenken, oder uns mit geballten Fäusten so lange herumzuschlagen, bis den Kämpfern kaum noch eine Spur der menschlichen Gestalt übrig bleibt, einen so hohen Werth zu setzen, und rohe Athleten28 ihrer herkulischen Schultern und eisernen Knochen wegen mit Ehrenbezeugungen zu überschütten, welche die reinste und vollkommenste Tugend selbst nicht von uns erhalten kann? – Ich gestehe unverhohlen (setzte mein Unbekannter mit einem Feuer hinzu, das ich seiner kalten Miene nicht zugetraut hatte), diese Betrachtung hat mich gegen die allgemeine Freude der zahllosen Menge, die mich diesen Morgen umgab, unempfindlich gemacht, und bei Schauspielen, die so laut gegen das sittliche Gefühl und die Humanität meiner Landesleute zeugen, sogar mit Unmuth und Traurigkeit erfüllt. Du bist ein Philosoph, wie ich sehe, sagte der Mann von Elea mit einem Lächeln, dessen leisen Spott er durch den sanften Ton seiner Worte mildern zu wollen schien. Wenn ich es auch wäre, versetzte jener, die Wahrheit dessen, was ich gesagt habe, würde dadurch weder gewinnen noch verlieren. Du magst in der Hauptsache Recht haben, erwiederte der andere. Wir Eleer sehen die Sache freilich von einer gefälligern Seite; denn wir machen kein Geheimniß daraus, daß wir den Wohlstand unsrer Republik dem Institut, gegen welches du dich so streng erklärst, größten Theils zu danken haben. Du hast gesehen, was für eine glänzende Panegyris aus allen Griechischen und benachbarten Ländern durch diese Spiele nach Pisa gezogen wird. Glaubst du, das Gedränge von unzählbaren Menschen aus allen Ständen und Classen würde eben so groß seyn, wenn an die Stelle dieser Kampfspiele ein Wettstreit um den Vorzug an Weisheit und Tugend angeordnet, und die Kronen, die wir jetzt den besten Rennern, Ringern und Pankratiasten29 zuerkennen, denen aufgesetzt würden, die sich etwa durch die schönste Handlung der Menschlichkeit, Großmuth und Selbstüberwindung ausgezeichnet hätten? Desto schlimmer, sagte mein Unbekannter; das ist es eben was ich beklage! So lange dieses, den Eleern auf Kosten der übrigen Griechen so vortheilhafte Institut dauern wird, sehe ich nicht, wie eine richtigere Schätzung des Werthes der Menschen unter uns Platz greifen, und der Vorzug der geistigen und sittlichen Vollkommenheiten vor den körperlichen und mechanischen allgemeiner gefühlt und anerkannt werden könnte.

Laß uns die Welt nehmen wie sie ist, erwiederte der Eleer, denn sie ist doch wohl – wie sie seyn kann. Weisheit und Tugend belohnen sich selbst so reichlich, daß sie des Beifalls der Menge und der Kronen, die zu Olympia ausgetheilt werden, leicht entbehren. Wer weiß, ob sie durch eine so öffentliche und geräuschvolle Auszeichnung nicht an innerm Werthe verlieren würden? Wenigstens zweifle ich sehr, daß die stillen unscheinbaren Tugenden, welche gewöhnlich die reinsten sind, sich gern aus ihrer Verborgenheit herausziehen und einer so großen vermischten Menge zur Schau ausstellen lassen würden.