zu äußern pflegt. Daher das Attikon blepos (wie es Aristophanes nennt) diese unnachahmliche edle Unverschämtheit im Blick und im Lächeln, die den Athener aus tausend andern kenntlich macht, und der höhnische Ton, den sie, sobald sie merken daß der andere nicht ihrer Meinung ist, in die Frageformeln, »wär's etwa nicht so?« oder, »was könntest du wohl dagegen haben?« zu legen wissen. Vermuthlich ist es diese Eitelkeit, was in Verbindung mit der lebhaften Ader von leichtem Witz, wovon der Athener immer sprudelt, diese Neigung zum Spotten, Necken und Auslachen erzeugt, die einer der gemeinsten Züge dieses Volkes ist. Ich erkläre mir daraus, daß sie so gern das Gegentheil von dem, was sie sagen wollen, sagen; zu loben scheinen, wenn sie tadeln, und zu schelten, wenn sie loben wollen; sich stellen als ob sie den andern unrecht verstanden hätten, um ihm widersprechen oder seiner Rede eine lächerliche Deutung geben zu können, und was dergleichen mehr ist. Diese Art von spottender oder auch bloß scherzhafter Verstellung ist es eigentlich, was die Athener Ironie nennen, und was sie, zumal bei fröhlichen Tischgelagen, und überall, wo ihre gute Meinung von sich selbst nicht zu sehr dabei ins Gedränge kommt, einander gern zu gut halten. Auch Sokrates, der überhaupt einer der witzigsten und gutlaunigsten Sterblichen ist, macht im gemeinen Umgang ziemlich häufigen Gebrauch von dieser Art von Ironie, und weiß sie mit so vieler Leichtigkeit und Feinheit zu handhaben, daß sie, sogar wenn er einen wirklich schraubt, unmöglich beleidigen kann, sondern entweder für bloßen Scherz gilt, oder von einfältigen und sich selbst gefallenden Personen so aufgenommen wird, als ob er ihnen etwas Schmeichelhaftes gesagt hätte. Am gewöhnlichsten bedient er sich derselben, um den Verweisen, die er zuweilen seinen jüngern Freunden zu geben Ursache findet, den Stachel zu benehmen; und ich muß gestehen, daß er in solchen Fällen, wenn die Operation an einem seiner Günstlinge zu verrichten ist, eine sehr sanfte Hand hat; wiewohl ich mich nicht rühmen kann, es an mir selbst erfahren zu haben.
Aber die Ironie, die ihm als eine besondere Art zu disputiren, ausschließlich zugeschrieben wird, ist von jener gewöhnlichen, sowohl der Art als dem Zweck nach, sehr verschieden. Sie besteht darin, daß er, wenn er's mit Personen, die ihm in gewissen Stücken entweder wirklich oder in ihrer eigenen und andrer Leute Einbildung überlegen sind, z.B. mit schlecht denkenden aber vielvermögenden Männern in der Republik, oder mit angesehenen Sophisten zu thun hat, sich äußerst einfältig und unwissend stellt, und in diesem Charakter (zu dessen Simulierung ihm seine Gesichtsbildung ungemein zu Statten kommt) durch die scheinbare Naivetät seiner Fragen und die verdeckt spitzfindige Art, wie er aus ihren Antworten immer neue Fragen hervorzulocken weiß, sie endlich in die Nothwendigkeit setzt, sich entweder in offenbare Ungereimtheiten zu verwickeln, oder ihre erste Behauptung wieder zurückzunehmen. Du erräthst ohne mein Zuthun, wie viel er durch diese Art von Ironie, eine Zeit lang wenigstens, über seine Gegner gewinnen mußte. Er verschaffte dadurch sich selbst desto leichter Gehör, und vernichtete unvermerkt die Vortheile, welche Stand, Name, Ansehen und Glücksumstände jenen über ihn hätten geben können. Sie waren nun minder auf ihrer Hut; antworteten desto rascher und zuversichtlicher, je weniger sie vorhersehen konnten wo er hinaus wolle; räumten ihm immer mehr ein, als geschehen wäre, wenn sie die Schlingen gemerkt hätten, die er ihnen durch seine einfältig scheinenden Fragen legte; und wenn sie sich endlich darin verfingen, schien er ganz unschuldig daran zu seyn, und die Lacher waren auf seiner Seite. Diese Methode war also da, wo er sie am gewöhnlichsten anwandte, ich meine gegen die Sophisten, sehr fein ausgedacht und vollkommen zweckmäßig. Denn es war ihm nicht darum zu thun sie zu belehren, sondern sie vor ihren Zuhörern und Verehrern in ihrer Blöße darzustellen. Aber du siehst auch, daß sie nur so lange mit Vortheil zu gebrauchen war, als der Gegner die Falle nicht gewahr wurde; und natürlicherweise konnte dieß in einer Stadt, wo beinahe alles öffentlich geschieht, nicht sehr lange anstehen. Sobald die Sophisten merkten, daß sie einen Schlaukopf vor sich hatten, der mit den Spitzfindigkeiten und Kunstgriffen der Dialektik wenigstens eben so bekannt war als sie selbst, so hätten sie noch zehenmal einfältiger seyn müssen als Sokrates sich stellte, wenn sie sich durch die schülerhafte Miene, womit er sich ihre Belehrung ausbat, und die vorgegebene Bewunderung ihrer hohen Weisheit länger hätten täuschen lassen. Auch zeigte sich's bald genug, daß er, außer dem erklärten Haß der Sophisten, wenig mehr mit dieser Art zu disputiren gewonnen hatte, als daß er noch jetzt bei dem großen Haufen im Ruf eines Spötters steht, der nie seine wahre Meinung sagt, und dessen Reden man auch dann nicht trauen darf, wenn er etwas ernstlich zu behaupten scheint, weil man nie gewiß ist, ob es nicht Verstellung sey und was für geheime Absichten er darunter habe; – ein Ruf, der ihm, wie ich besorge, bei einem so argwöhnischen Volke wie das Athenische über lang oder kurz noch gefährlich werden kann.
Uebrigens muß ich noch bemerken, daß diese ironische Art zu fragen nicht mit einer andern vermengt werden muß, deren er sich, gewöhnlich in Verbindung mit der Induction, als einer Lehrart bei seinen Freunden (am häufigsten bei jungen Leuten) bedient, und in welcher, wenn ich nicht irre, seine Kunst den Seelen zur Geburt zu helfen besteht, deren ich in einem meiner vorigen Briefe gedacht habe. Die Fragen werden in dieser Absicht immer so gestellt, daß der Gefragte die rechte Antwort entweder gar nicht verfehlen kann, oder falls er sie verfehlte, durch die Folgerungen, welche vermittelst neuer Fragen aus seiner Antwort hervorgelockt werden, sich selbst gar bald von ihrer Unrichtigkeit überzeugen muß. Diese Lehrart, außer dem daß sie die leichteste und populärste ist, scheint mir vorzüglich darin auf den besondern Charakter der Athener berechnet zu seyn, daß sie die Aufmerksamkeit des Lehrlings fester hält, und indem sie dem Lehrer das Ansehen gibt, als ob er selbst durch seine Fragen erst belehrt zu werden wünsche, die Rollen gleichsam verwechselt und den Lehrer zum Schüler macht oder wenigstens beide auf gleichen Fuß setzt, nämlich in aller Gelassenheit etwas mit einander zu suchen, das keiner von beiden hat, und woran beiden gleich viel gelegen ist. Er weiß es dann immer ohne Mühe so einzurichten, daß der Lehrling das schmeichelhafte Vergnügen hat, derjenige zu seyn der das Gesuchte findet, wiewohl dazu eben keine große Scharfsichtigkeit erfordert wird; denn er bringt ihn unvermerkt Schritt vor Schritt so nahe zu der Sache hin, daß er endlich mit der Nase darauf stoßen muß.
Ein Beispiel wird dir dieß am besten erläutern. Es war dem Sokrates darum zu thun, den Begriff eines seiner Lehrlinge von der Religiosität gegen die Götter ins Reine zu bringen. Daraus entstand der folgende Dialog.57
Sokrates. Sage mir, Euthydem, was hältst du von der Gottesfurcht?
Euthydem. Ich halte sie für etwas sehr Schönes.
Sokrates. Kannst du mir also sagen, was du unter einem gottesfürchtigen Menschen verstehst?
Euthydem. Einen der die Götter in Ehren hat.
Sokrates. Steht es aber bloß in eines jeden Willkür, auf welche Weise er die Götter ehren will?
Euthydem. Nein; sondern es sind Gesetze vorhanden, deren Vorschrift man hierin zu befolgen schuldig ist.
Sokrates. Wer diese Gesetze befolgt, wüßte der also nicht, wie man die Götter zu ehren schuldig ist?
Euthydem. Ich sollt' es denken.
Sokrates.
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