Manchmal, wenn im Gespräch der Name einer Schauspielerin fiel, hörte ich [109] meinen Vater schmunzelnd zu meiner Mutter sagen: »Eine Freundin deines Onkels«; und ich dachte, dass mein Onkel vielleicht einem jungen Burschen wie mir das Stadium, in dem auch bedeutende Leute eventuell Jahre vor der Tür der Frau verbrachten, die ihre Briefe nicht beantwortete und sie vom Portier ihrer Stadtvilla verjagen ließ, ersparen könnte, indem er mich bei sich zu Hause einer Schauspielerin vorstellte, die für andere unerreichbar war, für ihn aber eine vertraute Freundin.

Und so – unter dem Vorwand, eine verlegte Unterrichtsstunde finde nun zu so unglücklicher Zeit statt, dass sie mich schon mehrfach gehindert habe und auch weiterhin hindern werde, ihn zu besuchen – ging ich eines Tages, an einem anderen als dem für unsere Besuche reservierten und unter Ausnutzung der Tatsache, dass meine Eltern schon frühzeitig gegessen hatten, auf direktem Weg zu ihm, statt mir, wofür man mich überhaupt nur allein hatte gehen lassen, die Theaterplakate anzuschauen. Ich bemerkte vor seiner Tür einen mit zwei Pferden bespannten Wagen, die an den Scheuklappen eine rote Nelke trugen, wie auch der Kutscher in seinem Knopfloch. Auf der Treppe hörte ich das Lachen und die Stimme einer Frau, und nachdem ich geklingelt hatte, erst Stille, dann das Geräusch von Türen, die geschlossen wurden. Der Kammerdiener öffnete schließlich und sagte mir, anscheinend verlegen, mich zu sehen, dass mein Onkel beschäftigt sei, dass er mich wohl nicht empfangen könne, und als er dennoch ging, um Bescheid zu sagen, sagte dieselbe Stimme, die ich schon zuvor gehört hatte: »Aber ja!, lass ihn doch reinkommen; nur für eine Minute, das fände ich lustig. Auf der Fotografie auf deinem Schreibtisch ähnelt er sehr seiner Mutter, deiner Nichte, das ist doch ihre Fotografie da neben seiner, oder nicht? Ich möchte ihn nur einen Augenblick sehen, den Kleinen.« Ich hörte meinen Onkel grummeln und sich aufregen, doch schließlich ließ mich der Diener eintreten.

[110] Auf dem Tisch stand wie gewohnt der Teller mit Marzipan; mein Onkel hatte seine Hausjoppe an, doch ihm gegenüber saß in einem Kleid aus rosa Seide und mit einer Perlenkette um den Hals eine junge Frau, die gerade den Rest einer Mandarine aß. Meine Unsicherheit darüber, ob ich sie als Madame oder Mademoiselle anreden sollte, ließ mich erröten, und da ich nicht mehr wagte, nach ihr hin zu blicken, aus Angst, dass ich dann mit ihr sprechen müsste, ging ich und umarmte meinen Onkel. Sie betrachtete mich lächelnd, und mein Onkel sagte zu ihr: »Mein Neffe«, ohne ihr meinen Namen zu sagen, so wenig wie mir den ihrigen, zweifellos weil er, nach den Schwierigkeiten, die er mit meinem Großvater gehabt hatte, sein Möglichstes versuchte, jegliche Verbindung zwischen seiner Familie und dieser Art von Bekanntschaften zu vermeiden.

»Wie er doch seiner Mutter ähnelt«, sagte sie. – »Aber Sie haben meine Nichte niemals gesehen, außer auf dem Foto«, sagte mein Onkel hastig, in einem etwas schroffen Ton. – »Entschuldigen Sie bitte, mein Lieber, aber ich bin ihr letztes Jahr auf der Treppe begegnet, als Sie so krank waren. Es stimmt schon, dass ich sie nur einen flüchtigen Augenblick gesehen habe und dass Ihr Treppenhaus sehr schlecht beleuchtet ist, aber das hat mir schon genügt, um sie zu bewundern. Dieser junge Mann hat ihre schönen Augen und auch dies«, sagte sie, wobei sie mit dem Finger eine Linie über den unteren Teil ihrer Stirn zog. »Trägt Ihre Frau Nichte denselben Namen wie Sie, lieber Freund?« fragte sie, zu meinem Onkel gewandt. – »Er ähnelt durch und durch seinem Vater«, knurrte mein Onkel, dem ebenso wenig daran lag, jemanden aus der Ferne vorzustellen, indem er etwa den Namen meiner Mutter nannte, wie aus der Nähe. »Er ist ganz der Vater und auch ein bisschen meine liebe Mutter.« – »Ich kenne seinen Vater nicht«, sagte die Dame in Rosa* mit einem leichten Neigen des Kopfes, »und ich habe auch [111] niemals Ihre Mutter kennengelernt, mein Freund. Sie werden sich erinnern, wir haben uns erst nach Ihrem großen Kummer kennengelernt.«

Ich empfand eine gewisse Enttäuschung, denn diese junge Dame war nicht anders als andere hübsche Frauen, die ich einige Male in meiner Familie gesehen hatte, insbesondere bei der Tochter eines unserer Vettern, den ich jedes Jahr zu Neujahr besuchte. Die Freundin meines Onkels war vielleicht etwas besser angezogen, hatte aber den gleichen lebhaften und freundlichen Blick und das gleiche offene und liebenswürdige Verhalten. Ich bemerkte an ihr weder jene besondere theatralische Aufmachung, die ich in den Fotografien der Schauspielerinnen bewunderte, noch den dämonischen Gesichtsausdruck, der mit dem Leben, das sie angeblich führte, einhergehen müsste. Ich konnte kaum glauben, dass dies eine Kokotte sein sollte, und erst recht hätte ich sie nicht für eine Edelkokotte gehalten, wenn ich nicht ihren Zweispänner, ihre rosa Robe, das Perlenkollier gesehen hätte, und wenn ich nicht gewusst hätte, dass mein Onkel von dieser Art Damen nur die erlesensten kannte. Aber ich fragte mich, wie der Millionär, der ihr die Kutsche und ihre Stadtvilla und ihren Schmuck geschenkt hatte, ein Vergnügen daran hatte haben können, sein Vermögen für eine Person zu verschleudern, die so schlicht und wohlanständig auftrat. Wenn ich dann aber wieder daran dachte, wie ihr Leben aussehen musste, verwirrte mich dessen unmoralischer Charakter vielleicht mehr, als wenn er sich vor mir in einer spezifischen Erscheinung konkretisiert hätte – dass er so unsichtbar war wie das Geheimnis in einem Roman, hinter einem Skandal, der sie aus dem Haus ihrer bürgerlichen Eltern vertrieben und aller Welt überantwortet hatte, dass er diejenige sich in Schönheit hatte entfalten lassen und in die Halbwelt und Ruchbarkeit erhoben hatte, deren Mienenspiel und deren Stimmklang so sehr dem ähnelte, was ich von so vielen anderen [112] schon kannte, ließ mich wider Willen in ihr ein junges Mädchen aus guter Familie vermuten, das keine Familie mehr hatte.

Wir waren ins »Arbeitszimmer« hinübergegangen, und mein Onkel, etwas peinlich berührt von meiner Anwesenheit, bot ihr Zigaretten an. »Nein, mein Lieber«, sagte sie, »Sie wissen doch, dass ich nur die gewohnt bin, die mir der Großfürst* schickt. Ich habe ihm gesagt, dass Sie deswegen eifersüchtig sein würden.« Und sie bediente sich aus einem Zigarettenetui, das mit fremdartigen, vergoldeten Inschriften bedeckt war. »Aber ja«, nahm sie das Thema plötzlich wieder auf, »ich muss den Vater dieses jungen Mannes bei Ihnen getroffen haben. Ist er nicht Ihr Neffe? Wie konnte ich das nur vergessen? Er war so freundlich zu mir, so exquisit«, fügte sie mit einem Ausdruck von Bescheidenheit und Empfindsamkeit hinzu. Als ich mir vorstellte, was für ein grober Empfang durch meinen Vater das gewesen sein musste, was sie jetzt als exquisit hinstellte, denn schließlich kannte ich seine Reserviertheit und Kälte, war mir die Diskrepanz zwischen der übertriebenen Anerkennung, die ihm hier zuteil wurde, und seiner mangelhaften Liebenswürdigkeit so peinlich, als hätte er eine Ungehörigkeit begangen. Später ist es mir als eine der anrührenden Seiten der Rolle dieser müßigen und bemühten Frauen erschienen, dass sie ihre Großherzigkeit, ihre Fähigkeiten, einen freischwebenden Traum von Schönheit des Gefühls – denn wie die Künstler verwirklichen sie ihn nicht, zwingen ihn nicht in den Rahmen des gewöhnlichen Daseins – und ein Gold, das sie wenig kostet, der Aufgabe weihen, das rauhe und plumpe Leben der Männer um eine kostbare und feingearbeitete Fassung zu bereichern. In der gleichen Weise, in der diese Frau hier in dem Rauchzimmer meines Onkels, der sie in seiner Hausjoppe empfing, die Wohltaten ihres lieblichen Körpers, ihres Kleides aus rosa Seide, ihrer Perlen, der Eleganz, die aus ihrer Freundschaft mit einem Großfürsten herrührte, verströmen ließ, [113] hatte sie irgendeine beiläufige Bemerkung meines Vaters genommen und kunstvoll bearbeitet, ihr eine geistreiche Wendung und einen erlesenen Klang verliehen, und indem sie einen ihrer Blicke von so reinem, von Demut und Dankbarkeit getönten Wasser hineinarbeitete, verwandelte sie diese Bemerkung in ein Schmuckstück, in etwas »wahrhaft Exquisites«.

»Also dann, schau, es ist Zeit, dass du dich aufmachst«, sagte mein Onkel zu mir.

Ich stand auf, ich hatte das unwiderstehliche Verlangen, die Hand der Dame in Rosa zu küssen, aber es kam mir so vor, als wäre das etwas ähnlich Kühnes gewesen wie eine Entführung. Mein Herz schlug heftig, als ich mich fragte: »Soll ich, soll ich nicht«, dann hörte ich auf, mich zu fragen, was zu tun sei, um irgendetwas tun zu können. Und mit einer unüberlegten und unsinnigen Geste, die nichts mit all den Gründen zu tun hatte, die ich gerade eben noch zu ihren Gunsten gefunden hatte, führte ich die Hand, die sie mir hinhielt, zu meinen Lippen. »Wie wohlerzogen er ist!, er ist schon galant, er hat ein Auge für die Frauen: er gerät nach seinem Onkel.