August Weltumsegler

 

Knut Hamsun

 

 

August

Weltumsegler

 

 

Roman

Rütten & Loening Berlin

Knut Hamsun

August

Aus dem Norwegischen übersetzt

von J. Sandmeier und S. Angermann

Mit einem Nachwort von Horst Bien

 

 

 

 

 

 

 

 

1. Auflage 1976

Rütten & Loening, Berlin

Ausgabe für die Deutsche Demokratische Republik

mit Genehmigung der Paul List Verlag KG, München

Copyright by Paul List Verlag KG, München

Einbandgestaltung Heinz Hellmis

Typographie Horst Albrecht

Karl-Marx-Werk Pößneck V 15/30

Printed in the German Democratic Republic

Lizenznummer 220. 415/31/76

Bestellnummer 618 069 2

DDR 8,70 M

 

 

I

Die Bucht entwickelt sich.

Es gab etliche gute Heringsjahre hintereinander, und fremdes Volk strömte in diesen neuen Ort. Pauline vom Kramladen machte ein gutes und gleichmäßiges Geschäft, sie war rüstig und wußte sich in allem zu helfen, es steckte Kaufmannsgeist in ihr. In der Äußeren Bucht lagen nun viele Netzmannschaften vor Anker, und was sollten diese Netzmannschaften an Sonn- und Feiertagen mit sich anfangen? Sie gingen eben zum Landhändler und lasen immer wieder die Plakate, die dort an der Wand rings um einen roten Briefkasten angeschlagen waren, sonst gab es für die Ärmsten keinerlei Genüsse dort. Pauline bat ihren Bruder Joakim, doch eine Bretterbude zu bauen, in der sie Kaffee verkaufen könnte, und Joakim konnte ihr diese Bitte auf die Dauer nicht abschlagen, denn Pauline war nicht nur seine Schwester und Haushälterin, sondern er hatte ihr auch sehr viel zu verdanken. Voll Widerstreben ging er an diesen Plan, aber eines Tages traf wirklich eine mit Holz beladene Jacht aus Namsen ein, und Joakim fing an, eine Fuhre nach der andern vom Strand unten heraufzuschaffen. Was er denn mit all diesem Bauholz vorhabe? fragte Pauline. Ja, nun solle sie also ihr Hotel bekommen, gab er zur Antwort.

Das hatte sich Joakim nun angewöhnt: Wenn er eine Sache anpackte, so sollte es auch etwas Ganzes sein; diesen Grundsatz hatte der Weltumsegler August der Bucht als eine Lehre hinterlassen. August, dieser Wanderer zu

Lande und zu Wasser, er, der die Leute vieles und vielerlei lehrte und nichts dafür nahm. Er lehrte Ezra auf der Neusiedlung das Moor entwässern, und er lehrte Joa- kim einen Stall bauen, bei dem von vornherein mit einem Zunehmen des Viehbestandes gerechnet wurde; ohne August hätte Joakim nicht einmal ein Pferd und auch keinen Stall für das Pferd gehabt. Ein merkwürdiger Kerl, dieser August Weltumsegler; Joakim mußte zugeben, daß er viel von ihm gelernt hatte, Gutes und vielleicht auch Schlechtes.

Dazu kam noch, daß Joakim Bürgermeister geworden war, keine geringe Sache für einen so jungen Mann. Zwar wurde er dadurch etwas von seiner Feldarbeit abgehalten, aber die erhöhte Achtung, die er nun genoß, hatte doch auch ihren Vorteil; er fing an, sich immer männlicher zu fühlen, es ging ihm ein wie Honig, daß alte Männer aus der Gemeinde sich mit ihren Bitten und Forderungen an ihn wenden und ihn über ihr Wohl und Wehe entscheiden lassen mußten. Und was nun diesen Schuppen anbetraf, in dem Kaffee ausgeschenkt werden sollte - konnte ein Bürgermeister Schiffern und Netzmeistern eine Bretterbude zumuten?

Es wurde mehr als nur eine Bude, es wurde ein Cafe, und darüber entstand eine Herberge mit zwei Zimmern, in denen man Gäste für* die Nacht aufnehmen konnte, wenn es sie gelüstete. Und Pauline nahm mit diesem neuen Gebäude gar manchen Schilling ein.

Sie hätte sich auch noch eine Bäckerei wünschen können. Unter den Schiffern und Netzmeistern entstand mit der Zeit auch die Frage nach Brot. Aber daran war nicht zu denken, zu einer Bäckerei gehörte ein Bäcker, und sie selber konnte nicht backen. Nein, Pauline konnte nicht noch mehr Arbeit bewältigen, als sie bereits tat; sie war

die Haushälterin ihres Bruders und bereitete das Essen, sie hatte die ganze Wäsche zu besorgen und die Zimmer instand zu halten, sie versorgte das Vieh im Stall und leitete den Kramladen, jetzt hatte sie auch noch die Agentur für eine Versicherungsgesellschaft übernommen, alles miteinander viel Arbeit für Kopf und Hände, sie rackerte sich ab. Weshalb konnte Bruder Joakim sich nicht verändern und eine Familie gründen wie andere Leute? Er schien ein für allemal den Mut verloren zu haben. Er hatte ein hübsches Mädchen im Süden liebgehabt, und zwischen ihnen war scheinbar alles fest abgemacht und verabredet, eines Tages aber fuhr das Mädchen nach Amerika. Die Geschichte war aus. Pauline wäre sehr entlastet worden, wenn das Mädchen ins Haus gekommen wäre.

Die Jahre vergingen, die Zeit verging, die Bewohner der Bucht, die den älteren Jahrgängen angehörten, bekamen allmählich alle runzlige Gesichter, einige starben auch und schieden ganz aus, die Jahre und die Zeit zehrten an den anderen weiter, sogar Pauline vom Kramladen war welk und flachbrüstig geworden, obgleich sie sich geflissentlich aufrecht hielt und sich niemals gehenließ. Rings um Pauline wuchs ein Wald von Jugend heran, und sie verfolgte ihn aufmerksam vom ersten Tag an, sie wußte Bescheid über Geburten und Todesfälle, besser als irgendeiner im weiten Umkreis, und sie kannte einen jeden von der Wiege an.

Weshalb sollte sie nun so schwer arbeiten, was gewann sie denn dabei? Sie sagte selbst, daß sie ja keineswegs ihren eigenen Laden, sondern den ihres großen Bruders Edevart betrieb. Gut, aber wo war der große Bruder Edevart? Irgendwo in Amerika, über allen Meeren, viel

leicht in die Erde versunken während eines Zyklons, über den sie in Joakims Zeitung gelesen hatten. Selbstverständlich betrieb Pauline ihren eigenen Laden, und außerdem, selbst wenn der große Bruder Edevart wieder heimkehrte, sah es ihm doch nicht ähnlich, das zurückzufordern, was er einmal abgegeben hatte, so kleinlich war er nicht. Es war nur eine Redensart von Pauline, wenn sie sagte, sie arbeite nicht für sich selber, sie war tüchtig genug und wußte, was sie tat. Sie dachte dabei irgendwie an die Steuer - oh, dieses Blutgeld, das ihr jedes Jahr abgezapft wurde!

Aber Pauline war weder geizig, noch litt sie unter Nahrungssorgen, sie war nur sparsam, war verständig und sonst nichts. Sie kleidete sich, ihrer Stellung entsprechend, etwas besser als andere, gerade so vornehm, wie es sich geziemte, trug einen Ring mit einer Perle am Finger, einen weißen Streifen am Kragen und ein Haarnetz.