In letzter Zeit, seit der Kirchspielpfarrer abgereist und der Kaplan an seine Stelle getreten war, geschah es auch manchmal, daß sie eine silberne Nadel ansteckte und mit einem Schal um die Schultern in die Kirche ging - Gott mochte wissen, welchen Zweck dieser Aufwand hatte. Allerdings war der Stiftskaplan Tveito Junggeselle und war auf einem Rundgang im Kirchspiel in den Laden an der Bucht gekommen; er hatte Kautabak gekauft, aber so etwas Geringfügiges konnte das kluge Mädchen doch unmöglich in Aufregung versetzt haben. Es war dann folgendes Gespräch geführt worden:

Ja, Sie halten es wohl für sehr unpassend, daß ich als Pfarrer Tabak kaue?

Pauline verständnislos und schwerfällig: Wieso - ach ...

Es ist nämlich eine bedauerliche Angewohnheit aus

der Zeit, da ich auf Fischfang fuhr. Also ehe ich studierte.

So, habt Ihr früher Fischfang betrieben? Da seid Ihr also Nordländer?

Helgeländer.

Großartig! entfuhr es Pauline. Dieser Pfarrer verheimlichte seine niedere Herkunft nicht, das war demütig, beinahe wie wenn man in einer Krippe zur Welt gekommen wäre.

Ich habe Sie in der Kirche gesehn, sagte er. Was kostet der Tabak?

Er hatte sie in der Kirche gesehen, das war merkwürdig, und es war beinahe zuviel, sie wurde wieder unbeholfen und antwortete: Der Tabak? Ist schon in Ordnung.

Ich möchte ihn aber bezahlen.

Nein, das sollt Ihr keinesfalls. Eine schäbige Rolle Tabak!

Na, sagte er und lächelte dazu richtig gut und freundlich. Jaja, dann sage ich also vielen Dank!

Nichts zu danken!

An der Tür fuhr er fort: Nun, jetzt bin ich ja gut ausgerüstet und kann meine Pilgerfahrt wieder antreten.

Der Herr sei mit Euch! wünschte Pauline, ganz im Stil.

Das ist er wohl! antwortete der Pfarrer voll Zuversicht. Sehen Sie nur, welch klassisch schönes Wetter er uns schenkt!

Selbstverständlich war das keineswegs ein erschütterndes Gespräch, aber Pauline hatte etwas Derartiges noch nicht erlebt, und sie bezeichnete diesen Tag mit einer Busennadel und einem Schal auf dem Weg zur Kirche.

Manchmal kam ihr Bruder, der Bürgermeister, in den Laden, kaufte irgend etwas oder heftete ein Plakat an die Wand. Bruder und Schwester hielten gut zusammen und neckten einander nur in aller Freundschaft. Wenn er mit seinem Plakat ankam und es dann an allen vier Ecken mit Nägeln befestigte, lachte die Schwester ihn aus und sagte zu den Umstehenden: Schaut doch nur, er hält sich wahrhaftig für die Obrigkeit! - Ja, genauso, wie du dich für ein gnädiges Fräulein hältst, entgegnete Joakim, du trägst einen gestärkten Kragen und redest gebildet mit dem Pfarrer. - Haha! Was hast du denn dieses Mal für ein Plakat? fragt sie. - Diesmal berufe ich das Storthing ein, gibt Joakim zur Antwort.

Manchmal kam Ezra, der Großbauer, klein und grau, im Gesicht gealtert, im übrigen aber immer noch ein knorriger Kerl. Er hatte viele Kinder, aber noch mehr Kühe auf seinem Hof und dazu Pferde und eine ganze Herde von Schafen und Ziegen. Das eine Mal kauft er einen Spaten für den Hof, das andere Mal einen Satz Hufeisen oder eine Holzsäge, und er macht ein Bündel daraus und nimmt es mit - der große Bauer, aus dem Nichts hervorgegangen, jetzt aber ein mächtiger Mann.

Es war so eigentümlich an Ezra, sehr schwer zu verstehen, wie er sich aus dem Nichts hochgearbeitet hatte und jetzt der größte Hofbesitzer in der Bucht war. Sein Fleiß war bekannt und anerkannt, aber trotzdem, sein Erfolg war überwältigend und hatte etwas Mystisches an sich. Anfangs, seinerzeit, als er sein großes Moor urbar machte, ging die Rede davon, daß man rings um seine Neusiedlung Notrufe hörte, Gott weiß, was das bedeutete, es war ja einmal in seinem Moor eine Untat verübt worden, zwar war es lange her, aber die Schreie aus dem Moor lebten im Gedächtnis der Leute und verfolgten

Ezra und seine Familie heute noch. Er hatte sich trotz der Rufe am Moor angebaut, hatte das Land urbar gemacht, sich Vieh angeschafft und das Weideland um ein Vielfaches ausgedehnt, jawohl, vielleicht hatte er sogar Hilfe vom Moor bekommen, von der Unterwelt. Ihm haftete der Ruf der Unheimlichkeit an. Obgleich er mit Hosea, der Schwester des Bürgermeisters Joakim und der Pauline vom Kramladen, verheiratet war, alle beide wohlangesehene Menschen, besonders seit sie zu Wohlstand und Vermögen gekommen waren - obgleich also Ezra in diese achtbare Familie hineingeheiratet hatte, half alles nichts. Weshalb hatte er solches Glück - hatte er sich vielleicht jemand verschrieben? Ezra wurde mehr gemieden als aufgesucht, seine Frau hatte Schwierigkeiten, eine Dienstmagd zu finden, und seine Kinder mußten in der Schule vieles durchmachen.

Es war ein Jammer um Ezra und seine Familie; sie wurden ausgeschlossen. Jetzt steht er hier im Laden und kauft einen Spaten, einen Satz Hufeisen, eine Holzsäge oder so etwas, prüft alles genau, spricht jedoch nur wenige Worte, und die andern Kunden im Laden schweigen und ziehen sich zurück, solange Ezra bedient wird.

Wie geht es daheim? fragt Pauline.

Dank für die Nachfrage, es geht gut, antwortet er.

Auch Hosea und den Kindern?

Ja, sehr gut. Komm doch einmal zu uns heraus.

Ja, das werde ich tun.

Ein neuer Kunde tritt ein, Ane Maria, keineswegs niedergedrückt, obgleich sie im Gefängnis gesessen hat, etwas faltig um die Augen, aber immer noch schön, halb trotzig, um sich zu behaupten, selbstbewußt und sicher. Was meinte sie denn, sollte man ihr Platz machen? Sic dachten ja nicht daran! Einige Zeit nach ihrer Heimkehr

hatte sie versucht, religiös und weitabgewandt zu sein, aber es dauerte nicht lange, da hörte sie wieder auf. Für einen Menschen wie sie paßte es auch viel besser, sich an das Irdische zu halten. War es denn nicht Ane Maria gewesen, die seinerzeit die ganze Aufregung in die Bucht gebracht hatte? Sie hatte ungerührt einen Jachtschiffer aus Hardanger sich in Ezras Moor verirren lassen und nicht eher Hilfe geholt, als bis er erstickt war. Sie kam ins Gefängnis, das wohl, aber was weiter? Rief nicht immer noch eine gequälte Stimme aus dem Moor und bat darum, in geweihter Erde ruhen zu dürfen? Eine Hexe, ein verruchtes Frauenzimmer! Jahr und Tag waren seitdem vergangen, aber nichts war vergessen, und der arme Ezra und seine Familie mußten bis auf den heutigen Tag noch darunter leiden. Ane Maria hatte gar keinen Grund, selbstbewußt zu sein, dieser Auswurf, der einzige Mensch in der Bucht, der eine Gefängnisstrafe hatte verbüßen müssen, und sie kam nun in den Laden hinein und spielte sich auf? Sie war wohl verrückt.

Ich möchte ein halbes Pfund Kaffee, sagte sie.

Pauline kümmert sich nicht darum; sie will erst Ezra zu Ende bedienen. Sie fragt ihren Schwager ein paarmal nach der Familie und erhält Antwort auf ihre Frage.

Ich möchte nur ein halbes Pfund Kaffee, wiederholt Ane Maria.

Ich habe gehört, antwortet Pauline.

Ja, kann ich es denn nicht bekommen?

Hat es solche Eile? fragt Pauline ärgerlich.

Ane Maria ändert den Ton: Gib es mir doch, sei so gut. Daheim hängt der Topf schon über dem Feuer.

Auf Wiedersehen, sagt Ezra und geht.

Nein, Ane Maria sollte wahrhaftig ihre Nase nicht so hoch tragen; es gab genug Menschen, die ihr einen

Dämpfer aufsetzen konnten.