Aurora Oder Morgenröte Im Aufgang

Jakob Böhme: Aurora oder Morgenröte im Aufgang

Jakob Böhme:

Aurora oder Morgenröte im Aufgang

Aurora

oder

Morgenröte im Aufgang

das ist:

Die Wurzel oder Mutter der Philosophiae, Astrologiae und Theologiae, aus rechtem Grunde oder

Beschreibung der Natur, wie alles gewesen und im Anfang worden ist: wie die Natur und Elementa kreatürlich worden sind, auch von beiden Qualitäten, bösen und guten;

woher alle Ding seinen Ursprung hat, und wie es jetzt stehet und wirket, und wie es am Ende dieser Zeit werden wird;

auch wie Gottes und der Höllen Reich beschaffen ist, und wie die Menschen in jedes kreatürlich wirken.

Alles aus rechtem Grunde und Erkenntnis des Geistes und im Wallen Gottes mit Fleiß gestellet 1

Jakob Böhme: Aurora oder Morgenröte im Aufgang

durch

Jakob Böhmen

in Görlitz,

im Jahr Christi 1612,

seines Alters 37 Jahr. Dies Pfingsten.

Gedruckt im Jahr des ausgebornen Heils 1730.

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Vorrede des Autoris

Günstiger Leser!

Ich vergleiche die ganze Philosophiam, Astrologiam und Theologiam samt ihrer Mutter einem köstlichen Baum, der in einem schönen Lustgarten wächst.

2. Nun gibt die Erde, da der Baum inne stehet, dem Baum immer Saft, davon der Baum seine lebendige Qualität hat; der Baum aber in sich selbst wächst von dem Saft der Erden und wird groß und breitet sich aus mit seinen Asten.

3. Nun, gleichwie die Erde mit ihrer Kraft an dem Baum arbeitet, daß derselbe wachse und zunehme, also arbeitet der Baum stets mit seinen Ästen aus ganzem Vermögen, daß er möchte immer viel guter Früchte bringen.

4. Wenn aber der Baum wenig Früchte bringet, dazu ganz klein, madig und wurmstichig, so ist die Schuld nicht an des Baumes Willen, daß derselbe vorsätzlich begehre böse Früchte zu tragen, dieweil er ein köstlicher Baum guter Qualität ist, sondern die Schuld ist, daß oft große Kälte, Hitze, Mehltau, Rauben und Ungeziefer auf ihn fällt; denn die Qualität in der Tiefe, von den Sternen ausgeworfen, verderbet ihn, daß er wenig guter Früchte bringet.

5. Nun hat aber der Baum diese Art an sich, daß je größer und älter der Baum wird, je süßere Frucht träget er. In seiner Jugend träget er wenig Früchte, denn das macht die rauhe und wilde Art des Erdbodens und überlei Feuchte in dem Baum. Und ob er gleich schön blühet, so fallen doch im Gewächse seine Äpfel meistens ab, es sei denn Sache, daß er gar in einem gutem Acker stehet.

6. Nun hat der Baum auch eine gute, süße Qualität an sich, dagegen auch drei andere dem zuwider, als bitter, sauer und herbe. Nun, wie der Baum ist, also werden auch seine Früchte, bis sie die Sonne wirket und süße machet, daß sie einen lieblichen Geschmack bekommen, und müssen seine Früchte 2

Jakob Böhme: Aurora oder Morgenröte im Aufgang

bestehen im Regen, Wind und Ungewitter.

7. Wenn aber der Baum alt wird, daß seine Aste verdorren, daß der Saft nicht mehr in die Höhe kann, so wachsen unten um den Stamm viel grüne Zweiglein aus, letztlich auch auf der Wurzel, und verklären den alten Baum, wie er auch ein schönes grünes Zweiglein und Bäumlein gewesen ist und nun gar alt worden. Denn die Natur oder der Saft wehret sich, bis der Stamm gar dürre wird. Dann wird er abgehauen und im Feuer verbrannt.

8. Nun merke, was ich mit diesem Gleichnis angedeutet habe: Der Garten dieses Baums bedeutet die Welt, der Acker die Natur, der Stamm des Baumes die Sterne, die Äste die Elementa, die Früchte, so auf diesem Baume wachsen, bedeuten die Menschen, der Saft in dem Baume bedeutet die klare Gottheit. Nun sind die Menschen aus der Natur, Sternen und Elementen gemacht worden. Gott der Schöpfer aber herrschet in allen, gleichwie der Saft in dem ganzen Baume.

9. Die Natur aber hat zwo Qualitäten in sich bis in das Gerichte Gottes, eine liebliche, himmlische und heilige, und eine grimmige, höllische und durstige.

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