Br. ist nie genug.
Pferde sind die Leidenschaften,
Br. Br. Br. ach halte Fug
Soll die Lieb' im Sattel haften
Br. Br. Br. so werde klug.
Als ich in tiefen Leiden
Verzweifelnd wollt' ermatten,
Da sah ich deinen Schatten
Hin über meine Diele gleiten,
Da wußt' ich, was ich liebte,
Und was so schrecklich mich betrübte,
O Wunder aller Zierde,
Du feine ernste Myrte.
7. Juni 1834. Aus einem Briefe nach Karlsbad
Vas heiß aus meiner Seele fleht,
Und bang in diesen Zeilen steht
Das soll dich nicht betrüben
Die Liebe hat es ausgesäet
Die Liebe hat hindurchgeweht,
Die Liebe hat's getrieben.
Und ist dies Feld einst abgemäht,
Arm Lindi durch die Stoppeln geht,
Sucht Ähren, die geblieben,
Sucht Lieb', die mit ihr untergeht,
Sucht Lieb', die mit ihr aufersteht,
Sucht Lieb', die ich mußt' lieben!
Alles lieben oder Eins lieben
All – Eins
11. Juni 1834 nach Karlsbad
Still folgt die Liebe deinen Schritten,
Denn alle Lust und alle Pracht,
Die dich ergötzt in Kunst und Sitten,
Hat sie ja selbst für dich erdacht.
Ich darf nicht rings umher mehr blicken
Der Farben Glut, der Formen Zier
Der Lüfte Wehn, der Blumen Nicken
Ist all für dich, kömmt all von mir.
Es wird kein stolzes Schloß gebauet,
Es wird kein edles Bild geschnitzt,
Die Liebe hat es durchgeschauet,
Die Liebe hat hindurchgeblitzt.
Weil du in Vielem liebst zu leben
Hab Vieles ich dir herbestellt,
Als Gott der Liebe sich ergeben,
Da kamst du selbst mitsamt der Welt.
Da kam auch ich mit meiner Liebe
Und alle Kunst und aller Sinn,
Und daß ich wüßt', wo Alles bliebe
Trug ich es zu der Einen hin.
Du gehst ganz lustig durch spazieren
Und drehst das Hälschen in die Rund,
Ich habe Eins nur zu verlieren,
Mit dir geht Alles mir zu Grund.
Du suchest das in allen Dingen
Was ich in dir gefunden hab',
Du möchtest allen Liebe bringen,
Ich tret' der Lieben Alles ab.
Du suchst die Liebe rings entfaltet
Ich sehe sie in dich verhüllt,
Nichts hast du, was sich dir gestaltet,
Ich hab' dich nicht du süßes Bild.
Was du inmitten von vier Winden
Zu suchen hin und her dich drehst
Kann mir in vier Fischbeinchen schwinden,
Wenn du ein bißchen schneller gehst.
Du möchtest in der Liebe wählen
Ich folge Arm Lind dir, weil ich muß.
Du möchtest die Gestirne zählen
Ich fand die Welt in einer Nuß.
Süß Lieb, das ich muß heiß verlangen,
Arm Lind, all, was du krank vermiss'st,
Wir Werdens einst in Uns umfangen
In dem, der Eins und Alles ist.
Mir brennet in dem kranken Herzen
In einem Flammenblumenstrauß.
Von unermeßner Art der Schmerzen
Die tiefgebeugte Seele aus.
Und du, durch die der Strauß erblühet,
Streckst wohl zu ihm die feine Hand
Scheust nicht die Glut, aus dir erglühet,
Scheust nicht dies Herz von dir entbrannt,
Und wenn die Feuerblumen blitzen
Von meiner Tränen heißem Tau
Zählst du mit kühlen Fingerspitzen
Die Blümchen auf des Traumes Au.
Ich hab' den Schmerzenstrauß gedichtet,
Der flammend mir im Herzen rast,
Und hab' in Flammen es vernichtet
Daß nicht die Glut dein Herz verglast.
Ich habe viel zu dir gesprochen
Auch letzte Worte bis zum Tod,
Und hab' mein Herz vor dir gebrochen,
Wie ich dir brechen darf dein Brot.
Ich leb' nicht mehr, lieg' unbegraben,
Mein Schatten fleht in heißer Buß',
Süß Lieb, soll mich mit Tränen laben,
An der schwarzlaub'gen Linde Fuß.
Zur Stunde, die in Sehnsucht zagt,
Dem Schiffer tief das Herz beweget
Der Freunden heut Lebwohl gesagt,
Und Liebe in dem Pilger reget,
Hört er, wie ferne Abendglockenklänge scheinen
Den Tag, den sterbenden, wehklagend zu beweinen.
Da ward mein Herz so schwer, so schwer,
Ich schiffte einsam auf den Wogen,
Da hat dein Lied vom Felsen her
Mich in die Brandung hingezogen
Sirenenkind, ich mußt' an deinen Klippen stranden
Mich lockten Flammen, die auf deinen Lippen brannten.
Ich drang zu dir, ich rang zu dir
Der Unerkannten, Tiefverwandten,
Du wichst vor mir, du schlichst zu mir
Und legtest mich gebannt in deine Banden,
Da sank dein schlummernd Haupt an meines Herzens Wunde
Und flüsterte dein heimlich Lied aus blühndem Munde.
Sirene
»Ach hätt' ich doch kein Schiff erblickt
Ach wär' ich länger einsam blieben,
Die Sehnsucht hat mir's hergeschickt,
Mein Sehnen hat mir's zugetrieben,
Die arme Liebe ruht mir selig in den Armen,
Armselige du träumst, dich wieget mein Erbarmen!
Wen ich könnt' lieben, hab' ich nicht,
Der heiß mich liebt, ist nur mein eigen,
Und meiner Liebe heimlich Licht
Kann seiner Glut nur Mitleid zeigen
Den Sternen send' ich meiner eignen Sehnsucht Qualen
Die Lichtesküsse mir zu meinen Lilien strahlen.
Ein Fruchtbaum ganz von Früchten schwer
Senkt seinen Himmel zu der Erden,
Kömmt stark ein Sturm von Osten her,
Kann er nicht froh erschüttert werden
Er schüttelt ab die Früchte und die schwachen Blüten,
Und meine Träume, die mir nachts so heilig glühten.
Der heiße Tag kühlt sich am Mond
Doch Meer und Blut hat Flut und Ebbe,
Kein Friede je der Liebe lohnt
Trägt andrer Sehnsucht sie die Schleppe!
Weh! träum' ich Liebe, muß den süßen Traum ich hassen,
Denn ungeliebte Liebe kann mich nicht mehr lassen!«
Der Schiffer
So sang das Kind, ich hörte zu
Und fleh', laß dich durch mich nicht stören,
Mich singt dein Lied zur ew'gen Ruh,
Dir will ich ew'gen Frieden schwören,
Im letzten Augenblick sprichst du in Tränenbächen
Er liebte mich allein bis Herz und Augen brechen.
22. Juni 1834 nach Karlsbad
Den ersten Tropfen dieser Leidensflut,
In der ich wehrlos, elend bin ertrunken,
Und auch von dieser grimmen Glut,
Die all mein Sein verzehrt, den ersten Funken,
Des Traumes Blumenrand, wo ich geruht,
Eh' in des Schmerzes Abgrund ich gesunken.
Das erste Tröpflein von dem Feuerblut,
In das ich wagt', den Finger einzutunken,
Um wehe mir! mit irrer Wut
An Leib und Seele liebeszaubertrunken
Von mir zu schleudern, weh! mein letztes Gut,
Und weh! mit meinem Elend noch zu prunken
Vor meiner Seele, arger Übermut!
– Ich kenn' das all, schiff brüchig auf dem Meer
Schwimmt drohend es in Trümmern um mich her.
Weh! – der Syrene nackte Schulter blank,
An der gescheidert ich den Sinn verloren,
Zuckt dort empor und weh! – das Leibchen schlank,
Das kranke Herz, das mich zu Tod geboren,
Die Hand, die mich getauft, genährt mit Zaubertrank,
Sie hebt sich drohnd – es schallt zu meinen Ohren:
»Mein lieber armer Freund! wie krank! wie krank!
Horch! Schlummerlied vom Schicksal eines Toren,
Viel hättest du mir helfen, nützen können,
Nun muß die Flut, die uns umarmt, uns trennen,
Die Woge die mich kühlet, dich verbrennen!
Auf wundenvoller Straße
Mußt du gespenstend gehen,
Wo dir mit allem Maße
Ich Quelle aller Wehen,
Ich Welle aller Wonnen,
Die Adern hab' durchronnen.
Wo mich, die dir vertrauet,
Du schmählich hast verloren,
Wo, was du kaum erbauet –
– O schon' des kranken Toren
Schlaf, schreiendes Gewissen! –
Du nieder hast gerissen!
O Platz der Promenade!
Haus, gelb mit zweien Pforten,
Da fandst du Recht für Gnade,
Bist hingerichtet worden,
Wo du dich hast verschuldet,
Hast du dein Recht erduldet.
Dein Geist hat keinen Frieden
Nach deinem Tod gefunden,
Er muß mit ew'gem Sieden
Der Tränen mich umrunden,
Weil Flammen er erweckte,
Die kühle Woge deckte.
Weh Flammen, grüne Flammen,
Die nun mit blinden Trieben
Dem Holze neu entstammen,
Das er zur Glut gerieben,
Und wenn es wieder grünet,
Ist er noch nicht versühnet.
Und wenn es wieder blühet
Und weiß von Blüten kühlet,
Und heiß von Früchten glühet,
Ein Feuer dich durchwühlet,
Das Feuer meiner Triebe,
Das Feuer deiner Liebe.
O Herr, hör' laut im Traume
Die arme Seele wimmern,
Ach laß dir aus dem Baume
Für sie ein Kreuz doch zimmern
Und richt' es auf am Pfade,
Wo sie verlor die Gnade!
Schreib drauf, weil er erwühlet
Die Glut, die ich bedecket,
Er nun die Flammen fühlet,
Die selbst er hat erwecket,
Bis Glut von meinem Herde
Einst diese Glut verzehrte.
Und bis die Promenade
Ein Saatfeld goldner Körner
Ein Erndefeld der Gnade,
Und rings im Zaun nur Dörner,
Und bis dies Kreuz wird blühen
Muß diese Seele glühen.
Bis dahin betet alle
Für diese arme Seele,
Daß sie nicht tiefer falle
Und still die Tränen zähle,
Bis Herzblut der Syrenen
Heiß wird, wie Reuetränen.«
Und als sie so gesungen
Ein bißchen süß gegaukelt,
Und sich herum geschwungen
Geschlungen und geschaukelt
Rief sie: »Gut' Nacht mein Brüderchen
Addio! schreib, mach Liederchen.«
Nun streifet mein Gebieterchen
Schon ab das feine Miederchen
Und streckt die reinen Gliederchen,
O Engel seine Hüterchen,
Deckt sie mit dem Gefiederchen,
Und singt ihr kleine Liederchen,
Baut eure keuschen Nesterchen
Und legt ein englisch Pflästerchen
Ans Herz dem neuen Schwesterchen,
Daß es, was gut es eingeschnürt,
Nun aufgeschnürt nicht gleich verliert!
Die Blumen an Sie
10. oder 11. Juli 1834
Als Sonnenfeuer sprühte
Und heiß der Sommer glühte
Und süß die Linde blühte
Und lieb die Turtel girrte,
Und licht der Glühwurm schwirrte
Sprach sterbend zu der Mirte
Das letzte Licht der Lilie:
»Geh mit der Leidfamilie,
Und heiß willkommen Emilie,
Drum stehen hier gleich Kerzen
Wir Blumen, stumme Schmerzen
Aus einem kranken Herzen
Und flehen um das Leben.
In unsern Kelchen beben,
Auf unsern Sternen schweben
Unsäglich tiefe Leiden,
Doch sind wir still bescheiden,
O laß uns dir zur Seiten
Ganz linde und gelassen
Verblühen und verblassen,
O Jesus! ohne Hassen!
O Jesus! ohne Höhnen!
O Jesus! dich verschönen,
In dem wir uns versöhnen!
Der uns hat hergesendet,
Der hat ja bald vollendet,
Doch wir sind nicht verschwendet,
Wir stehen auf dem Grabe
Gleich einer Tränengabe,
Gleich einem schwachen Stabe
Des armen Tränenblinden,
Sein' Ruheort zu finden,
Den letzten Kranz zu winden,
Zu Füßen einer Linden
Dem, der bald überwunden
Verblutend unverbunden
An tiefen, tiefen Wunden
Drum laß in stummen Wehen
Uns leis bei dir vergehen,
Es giebt ein Untergehen,
Es giebt ein Auferstehen,
Es giebt ein Wiedersehen,
Da wirst du uns verstehen!«
Amen!
Als sie mir Taschentücher geschenkt, die sie in Karlsbad gesäumt
12. Juli 1834
Die Liebe gab mir Tränen,
Die linde hat mir Tüchlein dann gesäumt,
Zu trocknen viele Tränen,
Die ich um sie zu weinen noch versäumt,
Willkomm' zukünft'ge Tränen,
Ihr habt euch solche Huld wohl nicht geträumt,
O Mutter meiner Tränen,
Die jetzt noch unter deinem Herzen ruhn,
Fromm tust du meinen Tränen,
Wie treue Mütter ihren Kindlein tun,
Bereitest meinen Tränen
Ein mildes Lager mit der linden Hand
O reicher Strom der Tränen!
Der so ein liebes lindes Bett hier fand,
O nehmt mich auf ihr Tränen!
Tragt mich hinüber in das andre Land,
Und spiegelt mir ihr Tränen
Die Linde, die da an des Saumes Rand
Vielleicht mit eignen Tränen
Die hebe Gabe Stich vor Stich erfand,
Wo sollt ihr hin, ihr Tränen?
Wenn eure Mutter sich von euch gewandt,
Verrinnen müßt ihr Tränen
In einer öden Wüste glühem Sand.
Erweichet doch ihr Tränen
Das Herz, das nie ein ander Herz noch fand,
Und euch gebar ihr Tränen,
Und euch die Tüchlein in die Wiege band,
Daß es vor euch, ihr Tränen
Nicht grausam fliehe, fern und abgewandt;
Es gab wohl kaum noch Tränen,
Die ihre arme Mutter so geliebt,
Und doch, o arme Tränen,
Die liebe, süße Mutter so betrübt!!?
O arme, sel'ge Tränen!
O liebe, linde, die so gern vergiebt.
Vergieb, vergieb den Tränen!
Sieh stille zu, es sind die letzten bald,
Wenn ich in Reuetränen
Ein Tüchlein sterbend in den Händen halt',
Will ich mit treuen Tränen
Ans Herz es drücken, das schon überwallt,
Das überwallt in Tränen
Und meine Seele trägt vor Richters Thron,
Da will ich euch ihr Tränen
Im Tüchlein reichen meines Gottes Sohn,
Daß er sein Blut, ihr Tränen,
Euch mischend, mir die schwere Schuld vergiebt,
Und zu euch spricht ihr Tränen:
Viel ist vergeben euch, die viel geliebt!
Der Sprudelstein und die Perlen
(Als eine Freundin des Dichters zwei Kindern Schmucksachen aus Sprudelstein und ein Perlengeschmeide zum Geschenk machte)
Was toset da unten?
Was will sich entfalten?
Im Tanze, im bunten
Erspäh' ich Gestalten
So schäumend, so luftig,
So träumend, so duftig.
Im siedenden Bade
Die reine Najade
Muß immerfort rauschen
Und möchte doch lauschen;
Dumpf hört sie ein Rufen
Der tückischen Zwerge
Im Grunde der Berge:
»Auf! brechen wir Stufen,
Lichtfarbig krystallen
Durch funkelnde Hallen,
Auf! dringet zum Bade
Der reinen Najade.«
Da betet die Nymphe:
»Gott! hüt' mich vor Schimpfe,
Gott! schließe mich ein!«
Da nahet das Klopfen,
Da brechen sie ein,
Da starren die Tropfen
Erschreckt zum Gestein,
Da faßt sie der Strudel
Der siedende Sprudel,
Und treibt ihre Tücke
Zum Abgrund zurücke.
Da zuckt aus dem Bade
Die reine Najade
Und legt an den Rand
Den Sprudelstein hart,
Ein Zeugnis, ein Pfand,
Daß siedende Fluten,
Vom Wunder erstarrt,
Den Reinen, den Guten
Selbst Schutzwände bauen,
So Gott sie vertrauen –
Dran mögen die Lauen
Sich redlich erbauen!
Der Sprudelstein
Zum Strudel einspähend
Den Sprudelstein sehend
Hab' dies ich gedacht.
Da ward mir der Stein,
Geglättet und fein,
Als Spielwerk gebracht.
Zum Kißchen, zum Leuchter
Faßt Stahl ihn und Messing
Mit blinkendem Schlußring.
Der Spieltand, mir däucht' er
Ein sinnvoll Geschenke,
Weil eben ich denke,
Was soll ich erdichten?
Was schenk' ich den Nichten? –
Nehmt freundlich es an,
Ergötzt euch fein dran,
Und denket der Wunder,
Wie mancher gesunder
Die Blicke nach oben
Vom Sprudel erhoben. –
Auch ihr, blickt hinan
Und faltet die Hände
Und stimmt fein fromm an
Ein Vater unser zum Ende.
Die Perlen
Aus der Tiefe, wo wir ruhten,
Wo im feuchten Grund der Fluten
Es so kühl war und so gut,
Hat der Sturm uns aufgewühlet
Und zum harten Strand gespület,
Wo uns sengt' der Sonne Glut;
Hat in gier'ge Menschenhände
Uns gebracht, die ohne Ende
Uns durchbohrten und gequälet.
So gereiht zu einem Bande,
Kommen wir zum Schweizerlande,
Euch zum Halsschmuck auserwählet.
Und an reinen Kinderherzen
Ruhn wir gern und ohne Schmerzen,
Sehnen uns nicht mehr nach Haus.
Wenn ein Hauch aus frommem Munde
Weht, aus reiner Herzen Grunde,
So genügt's zu unserm Glück;
Sollten gar des Mitleids Zähren
Zarte Perlen uns bescheren,
Dann wär' alles Heil erlebt.
Bei den Reinen, Wahren, Guten
Ruht sich, wie in Wasserfluten,
Wenn der Geist darüber schwebt!
Ich glänze und schimmre und mach' mich so breit;
Der Weg zum Verderben, ach Kind, ist nicht weit;
Die Eitelkeit nistet so schmeichelnd sich ein –
Ach, Kind, bleib demütig, ach, Kind, bleibe rein.
Denk glänzendes Gold, hat noch anderen Sinn,
Soll rein es bewährt sein, durch Feuer geht's hin;
Durchs Feuer der Trübsal, durch heißes Gebet
Die Seele, wie Gold rein, vom Staube ersteht.
14. Juli 1834
Ich weiß wohl, was dich bannt in mir,
Die Lebensglut in meiner Brust,
Die süße zauberhafte Zier,
Der bangen tiefgeheimen Lust,
Die aus mir strahlet, ruft zu dir,
Schließ mich in einen Felsen ein,
Ruft doch arm Lind durch Mark und Bein:
Komm, lebe, liebe, stirb an mir,
Leg' dir diesen Fels auf deine Brust,
Du mußt, mußt.
Ich weiß wohl, was du liebst in mir –
Es ist die Glut in meiner Brust –
Es ist die zauberhafte Zier,
Der tief geheimen innern Lust,
Die strahlt aus mir, und ruft zu dir:
Schließ mich in einen Felsenstein,
So ruf ich doch durch Mark und Bein!
Komm, lebe, liebe, stirb bei mir
Du mußt, du mußt. –
Text zum Oratorium von Ett zu lesen
Im Laboratorium vor dem Bett
Montagabend 21. Juli 1834
Sie haben allerlei gesungen,
Und alles war ein einzig Lied,
Vom Zauberknoten süß verschlungen
Aus Huld und Reiz von Glied zu Glied.
Von allem hab' ich nichts gehöret,
Als deines Kinderherzens Schlag,
An dem von Tönen ungestöret
Süß träumend meine Seele lag.
Ich hörte nur von Mirten säuselnd,
Von Lilien, die mir zugenickt,
Von Wölkchen um den Mond hinkräuselnd,
Von Sternen, die mich angeblickt.
Ich hörte nur: süß ist die Linde,
Schlank ist das Reh, blank ist der Fisch,
Das Seelchen gaukelt in dem Kinde,
Ein Nympfchen in dem Waldquell frisch.
Was süß sich in den Tönen wieget
Was sehnet, seufzet, ringt und schwingt,
Ist all süß Lindi, die sich schmieget,
Wenn sie der Augenblick umschlingt.
Es weben all die Wundertöne
Nur einen einzigen Akkord,
Süß ist süß Lieb, sie ist das schöne,
Das linde, liebe, wahre Wort.
In ihr wird jeder Mangel Zierde
Und jede Armut Überfluß,
Ein Kinderseelchen der Begierde
Schwebt leis in ihres Odems Kuß.
Wie lieblich war es heut zu schauen
Das reine feine Wunderbild,
So schwebt die Elfe durch die Auen
Und trägt ein Rosenblatt als Schild.
Wer hat so süß sie ausgerüstet
Wie Ambra, Perl und Elfenbein,
Wer hat ihr Herz so fein gebrüstet
Ein Wiegenbett der Engelein.
Wer schwang so rein das schlanke Hüftchen,
Wer zog die Anmut bis zum Fuß,
Wer trägt sie wie auf Frühlingslüftchen
Die Sehnsucht trägt der Liebe Gruß?
Wer wieget ihr das kluge Köpfchen
Gleich Blumen an der Quelle Saum,
Wer flocht ihr in die schwarzen Zöpfchen
Der leichten linden Kinder Traum?
Wer hat dies holde Kind geschmücket,
Wer hat zu ihm sich hingebückt,
Wer hat es an sein Herz gedrücket?
Der süße Gott, der mich entzückt.
Sie reist mit Schubert zum Achensee
Donnerstag 21. August 1834
Ich ziehe hin, du mußt es leiden
Schon flieht mein Schifflein auf dem See,
Und du stehst stumm, dort bei den Weiden,
Und wiegst dein Herz in bitterm Weh –
Das meine zuckt so hin und wieder,
An deinem hat's nicht viel geruht
Mein Ruder hebt sich auf und nieder,
Wein' in die Flut, ich bin dir gut!
Hör' was zu tun, wenn ich verschwunden
Daß du nicht ganz vertrauern mußt,
Schau an mein Bild in deinen Wunden,
Wieg' still mein Herz in deiner Brust,
Ich steig' zum Berg, schleich' durch die Tale,
Such' Kühle in des Seees Flut –
Und dir genügt die blaue Schale,
In reiner Glut; ich bin dir gut.
O krankes Herz, dein glühend Lieben,
Glüht mir in jedem Abendrot,
Ist dir der Trost auch nicht geblieben,
Bleibt stets bei mir doch deine Not.
Und in der Abendglocke Tönen
Fühl' ich bewegt, wie dir zu Mut
Fühl' deine Tränen, fühl' dein Sehnen,
In meinem Blut, ich bin dir gut.
O wär' aus mir, was ich gesungen
Wär's nicht in meinen Mund gelegt
Dann wär' ein Quell aus mir entsprungen
Dem Durst, der deine Brust bewegt. –
Der Quell müßt' bald die Kluft erfüllen,
Dein Ach und Weh und deine Glut
Könnt' ich am Achensee dann stillen!
Ach werde gut, ich bin dir gut!
Über Berg und Tal getragen,
Nieder in den See getaucht,
Ist das Licht von meinen Tagen
Und in Klagen
Bebend meine Seele haucht.
Gute Ruh', gute Ruh',
O süße Turtel wie marterst du!
Sonne magst nur niedersinken,
Geh nur auf, du roter Mond
Und ihr Sterne mögt nur blinken,
Hab' mein Flehen nicht belohnt
Euer Winken
Sagt mir nicht, wo Lindi wohnt.
Gute Ruh', gute Ruh',
O süße Turtel wie marterst du!
Jetzt mag wohl die Lilie drehen,
Ihren Kelch zu diesem Stern
Und mit Licht und kühlem Wehen
Füllen, was ich küßte gern
Heißes Flehen!
Zieh zu ihr, zu ihr so fern!
Gute Ruh', gute Ruh',
O süße Turtel wie marterst du!
War ich doch die kleine Mücke,
Die auf ihren Nacken flog
Und ein Tröpfchen meinem Glücke,
Aus den blauen Adern flog
Daß zurücke
Sie nach mir sich zürnend bog.
Gute Ruh', gute Ruh',
O süße Turtel wie marterst du!
War ich doch das Regentröpfchen,
Das ihr auf die Wange fiel
Und sie schüttelte das Köpfchen
Und es rann zu süßerm Ziel.
Süß Geschöpfchen!
O das war zu viel, zu viel!
Gute Ruh', gute Ruh',
O süße Turtel wie marterst du!
Alles war ich, war das Sehnen,
Das sie grüßt im Abendrot,
War der Herdenglocke Tönen,
Das ihr Gruß der Heimat bot,
War die Tränen,
War die unbestimmte Not
Gute Ruh', gute Ruh',
O süße Turtel wie marterst du!
O du durst'ger Strahl der Augen,
Der zum Monde trinken geht,
Selig fühlte ich dein Saugen!
Licht und Luft, die mich umweht
War das Hauchen
Ihrer Lippen im Gebet.
Gute Ruh', gute Ruh',
O süße Turtel wie marterst du!
Eines weiß ich, eine Decke
Kühl und lind, auf der sie ruht,
Die von Ecke ich zu Ecke
Deckte mit der Küsse Glut. –
Nicht erschrecke
Süßes Lieb, o schlafe gut.
Gute Ruh', gute Ruh',
O süße Turtel wie marterst du!
24. August 1834
Bienen, die ich ausgesendet
Nach dem süßen Blumenstrauß,
Der allein noch Honig spendet,
Bringet Labung mir nach Haus
Gute Ruh'! gute Ruh'!
O süße Turtel! wie marterst du?
Küsse, die ich heiß gesäet,
Wo die Lindenblüte ruht,
Bringt den Duft, der sie umwehet,
Her zu meines Herzens Glut.
Gute Ruh'! gute Ruh'!
O süße Turtel! wie marterst du?
Seufzer, meines Leidens Boten,
Die der Lieben Schlaf belauscht,
Kehrt zu mir von ihres roten
Süßen Mundes Hauch berauscht
Gute Ruh'! gute Ruh'!
O süße Turtel! wie marterst du?
Bienen, Küsse, Seufzer, trunken
Fühl' ich euch; o bange Lust
Tragt in glühen Feuerfunken
Ihr in meine kranke Brust.
Gute Ruh'! gute Ruh'!
O süße Turtel! wie marterst du?
Und wie sich die Funken sammeln
Um des kranken Herzens Traum,
Höre ich es schlummernd stammeln
An des Paradieses Saum:
Sag! lichtes flücht'ges Reh!
Dess' freier, milder Geist
Jetzt in dem Paradiese selig kreist,
Wie ist dir, wenn die wundervolle Fee
Auf jener Hülle, die im Leben dich bedeckt,
Die reinen, feinen, flinken Glieder
Traumselig hin und wieder
Gleich einem süßen Wiegenkinde streckt?
Strebt dir ein tief Entzücken,
Da sie auf deinem Mantel sich erkühlt
Nicht gleich dem ersten Lüftchen übern Rücken,
Das an dem Schöpfungstag mit dir gespielt?
Es pocht ihr Herz und wallet,
Die Lippe sehnend lallet,
Des Blutes Wellen hüpfen,
Wie durch die blühnden Büsche Quellen schlüpfen,
Des schlanken Leibes Zierde,
Ein Spiegelbild der spielenden Begierde,
Wähnt einen Engel sich mit kranken Flügeln,
Und träumt, nicht mächtig, Fluges Trieb zu zügeln,
Auf schlanken Rehes Rücken sich zu schwingen,
Und flüchtig selig durch den Wald zu dringen.
– O zieht die Dornen ein, ihr trunknen Rosen,
Und streut mit lindem Kosen
Die duft'gen Blätter und des Taues Tränen,
Die Perlen, die nach ihrem Kuß sich sehnen,
Dem süßen Wunderbilde,
Das wie der Pfeil der ersten Liebeslust
So flüchtig mild und wilde
Vorüberzückt, entzückt zur reinen Brust!
Ihr Blumen stehet still, ihr nachzusehen.
Ihr braucht euch nicht zu bücken,
Sie wird mit Sehnsuchtsblicken
An euch wie Maies Wehen
So süß vorüberzücken,
Und dort du schlanke Lilie
In reinen Kelchen Lichtes Engel tragend,
O bebe nicht so zagend
Es naht dein süß Gespiel,
Die liebliche Emilie,
Die vor berauschten Bienen auf der Flucht
Sich deiner Kelche heiliges Asyl
Als ein vertrautes liebes Bettchen sucht.
Komm Friede, süßer Friede!
Komm Tau so lau und lind
Emilie ist so müde,
Es schwebt das flücht'ge Kind
Bei dir o Lilie nieder
Und lauscht der Schlummerlieder,
Die ihm die Engel singen;
Das Reh will nicht mehr springen,
Leis um die schlanken Glieder
Schleicht ihm der Schlaf herauf
Es legt sein feines Köpfchen
Dem lieblichen Geschöpfchen
Ans Herz und über Hügel
Bewegt von stiller Wonne
Geht eine innre Sonne
Ihm selig träumend auf.
Die Abendwinde wehen,
Ich muß zur Linde gehen,
Muß einsam weinend stehen,
Es kommt kein Sternenschein;
Die kleinen Vöglein sehen
Betrübt zu mir und flehen,
Und wenn sie schlafen gehen,
Dann wein' ich ganz allein!
»Ich hör' ein Sichlein rauschen,
Woll rauschen durch den Klee,
Ich hör' ein Mägdlein klagen
Von Weh, von bitterm Weh!«
Ich soll ein Lied dir singen,
Ich muß die Hände ringen,
Das Herz will mir zerspringen
In bittrer Tränenflut,
Ich sing' und möchte weinen,
So lang der Mond mag scheinen,
Sehn' ich mich nach der Einen,
Bei der mein Leiden ruht!
»Ich hör' ein Sichlein rauschen,
Wohl rauschen durch den Klee,
Ich hör' ein Mägdlein klagen
Von Weh, von bitterm Weh!«
Mein Herz muß nun vollenden,
Da sich die Zeit will wenden,
Es fällt mir aus den Händen
Der letzte Lebenstraum.
Entsetzliches Verschwenden
In allen Elementen,
Mußt' ich den Geist verpfänden,
Und alles war nur Schaum!
»Ich hör' ein Sichlein rauschen,
Wohl rauschen durch den Klee,
Ich hör' ein Mägdlein klagen
Von Weh, von bitterm Weh!«
Was du mir hast gegeben,
Genügt ein ganzes Leben
Zum Himmel zu erheben;
O sage, ich sei dein!
Da kehrt sie sich mit Schweigen
Und gibt kein Lebenszeichen,
Da mußte ich erbleichen,
Mein Herz ward wie ein Stein.
»Ich hör' ein Sichlein rauschen,
Wohl rauschen durch den Klee,
Ich hör' ein Mägdlein klagen
Von Weh, von bitterm Weh!«
Heb Frühling jetzt die Schwingen,
Laß kleine Vöglein singen,
Laß Blümlein aufwärts dringen,
Süß Lieb geht durch den Hain.
Ich mußt' mein Herz bezwingen,
Muß alles niederringen,
Darf nichts zu Tage bringen,
Wir waren nicht allein!
»Ich hör' ein Sichlein rauschen,
Wohl rauschen durch den Klee,
Ich hör' ein Mägdlein klagen
Von Weh, von bitterm Weh!«
Wie soll ich mich im Freien
Am Sonnenleben freuen,
Ich möchte laut aufschreien,
Mein Herz vergeht vor Weh!
Daß ich muß alle Tränen,
All Seufzen und all Sehnen
Von diesem Bild entlehnen,
Dem ich zur Seite geh'!
»Ich hör' ein Sichlein rauschen,
Wohl rauschen durch den Klee,
Ich hör' ein Mägdlein klagen
Von Weh, von bitterm Weh!«
Wenn du von deiner Schwelle
Mit deinen Augen helle,
Wie letzte Lebenswelle
Zum Strom der Nacht mich treibst,
Da weiß ich, daß sie Schmerzen
Gebären meinem Herzen
Und löschen alle Kerzen,
Daß du mir leuchtend bleibst!
»Ich hör' ein Sichlein rauschen,
Wohl rauschen durch den Klee,
Ich hör' ein Mägdlein klagen
Von Weh, von bitterm Weh!«
Im Wetter auf der Heimfahrt
Am Dienstagnacht des Winters von 1833–34 gegeben
17. Sept. 1834
O du lieber wilder Regen
O du lieber Sturm der Nacht,
Da der Finsternis entgegen
Ich mein Licht nach Haus gebracht.
Sturm du warst ein Bild des Lebens,
Licht du warst der Liebe Bild
Das im Drang des Widerstrebens
Leuchtet unter Jesu Schild.
Doch ich bebe, zieht so brausend
Spät der Sturm mir noch durchs Haar,
Treibt das welke Laub mir sausend
Noch im Kreis um den Altar.
Meine Lampe flackert, lecket,
Rußt die blanke Leuchte an,
Zuckend hin und her geschrecket
Zeigt ihr Schein mir irre Bahn.
Gleich' ich doch dem armen Schwimmer,
Der zum teuren Ziele ringt,
Den verführt von falschem Schimmer
Bald das wilde Meer verschlingt.
Alles hab' ich sinken lassen,
Sinken alle Lust der Welt,
Eines treu ans Herz zu fassen,
Was mich über Meer erhält.
Eine Gott gefallne Blüte
Trägt und hebt mein brennend Herz,
Treib o Woge die verglühte
Asche endlich heimatwärts.
Aber diese Blüte kühlet
Ewig mir die heiße Glut,
Nie verzehrt, die in mir wühlet,
Mich der Flamme irre Wut.
O ertränk' mich wilder Regen,
Schleudre mich du Sturm der Nacht
Einem scharfen Fels entgegen,
Daß mein schwerer Traum erwacht.
Wind und Wasser um mich zanken,
Auf den Bahnen wankt das Licht,
Schwarze Wolken der Gedanken
Stürzen vor das Weltgericht.
Soll ich fliehen, soll ich bleiben,
O unnennbar liebes Gut!
Wolle mich zum Ziele treiben,
Wo die ganze Hoffnung ruht.
Alles, was, im Sturm zu schiffen
Einst mein banger Arm umfaßt,
Treibt um mich, der selbst ergriffen
Schwebt ohn' Steuer und ohn' Mast.
Eines ist mir nur geblieben,
Eines, das ich nie verlor,
Ein unsterblich treues Lieben
Reißt mich überm Meer empor.
Heil dir, die des Sturmes Zügel
Mir mit Kinderhänden lenkt,
Und die reinen Himmelsflügel
Segelnd durch die Nacht hin schwenkt.
Immergrüne Dornenkrone
Die die Rosen seelwärts flicht,
Daß der Leib aufschreit, o schone!
Und der Geist in Wonne bricht.
Ja ich trag' dich dicht am Herzen,
Du zerreißest mir die Brust,
Doch die Nesselglut der Schmerzen
Deckt mir eine heil'ge Lust.
Selig, gehst du treu zur Seiten,
Schweb' ich durch die Wetternacht,
Ist es doch ein süßes Leiden,
Wenn die fromme Lippe lacht.
O unnennbar lebend Sterben,
Himmelsbrot in Erdennot,
Lachen in uns selbst die Erben,
Macht der Tod die Wangen rot.
Tagsanbruch im Augenbrechen,
Glühnden Durst machst du zum Trank,
Dornen blühn, wenn Rosen stechen,
Erdenheil ist himmelskrank.
Wer bist du? mit müden Händen
Fasset dich ein letzter Traum,
Als die Nacht sich wollte wenden
Tratst du hell ihr auf den Saum.
Lichtes Sprosse – Himmelsleiter,
Füßchen steig' allein nicht auf,
Öffne doch die Türe weiter,
Treibe meinen müden Lauf.
O süß Kind, Geliebte, Schwester,
Schatten, Leben, Leid und Lust,
Alle Vöglein haben Nester,
Und mein Herz hat eine Brust.
An der Türe angekommen
Sprachst du mir ein freundlich Wort,
Hättst mich gerne aufgenommen,
Doch mein Richter trieb mich fort.
Kann ich einst zu ruhn verdienen
Mit dir unter einem Dach,
Summen über uns die Bienen
Auferstehungsblumen wach.
Blumenaug' im Morgengrauen
Traumberauscht von Tränentau
Wirst du nach dem Bruder schauen
Perlen wiegend auf der Au.
Wirst süß duftend nicken, blicken
Flüstern zu des Gärtners Hand,
Sollst den Armen mit mir pflücken
Hab' zum Tod ihn treu erkannt.
Ja wenn ich erst kann verdienen,
Unter deinem Dach zu ruhn,
Ist der Morgen schon erschienen
Andres bleibt mir noch zu tun.
Muß noch einsam ringend steuern
Durch die wilde Wetternacht,
Bis zu allen Fegefeuern
Mir dein Flügel Kühlung facht.
O zu selig, daß ich Armer
Stehe in so edler Pein,
Daß ich ewig den Erbarmer
Seh' in des Gerichtes Schein.
Und so bin durch Wind und Wogen
Ich wie ein verlornes Kind
Durch die Blumen hingezogen,
Daß ich dir ein Sträußlein bind',
Und der Strauß den ich gepflücket
Ist das sturmverwirrte Lied,
Würd' er an dein Herz gedrücket,
Dann wär' er dem Herrn erblüht.
Als ich ihr dies Lied gelesen
Ward ich arm und todeskrank,
Ach und bin noch nicht genesen
Denn ich trank den Zaubertrank.
In Lieb'? – In Lust? – im Tod? Verschmachtet? trunken?
Ob Odem von der süßen Lippe fließt?
Was ist's, das der gefallne Becher gießt?
Hat Gift, hat Wein, hat Tränen sie getrunken?
Kein Öl, die Lampe, oder keinen Funken?
Ob ihr ein Gott? ein Krampf? den Mund verschließt?
Ob rings nur Dorn? ob keine Rose sprießt,
Ist an ein Herz das andre hier gesunken,
Sag? diese Arme wollen Flügel werden –
Nein Falten sind es – Leichentuches Falten
Das liebe Haupt strahlt Gloria – zerraufte Haare!
Sink nieder, Nacht! nein! Blitz strahl' zu der Erde
Deck' zu, erleucht' des Zweifels Peingestalten
Verhüll', enthüll' das Rosenbett, die Bahre.
Alhambra
Am Vorabend des Advents
Es saß ein Mägdlein an dem Wege,
Die Augen sahen klar ins Licht,
Die Händchen übers Herz geleget,
War's stille, stille, redet nicht.
Und rings ums Kind war süßer Frieden,
Und um des grünen Röckleins Saum
Schneeglöckchen lieblich nickend knieten,
Der Winter träumte Frühlingstraum.
Von allen Vöglein auf den Zweigen,
Da rührt sich keins, sie winkten sich,
Sie wollten alle stille schweigen,
Kein Lüftchen durch die Blätter strich.
Ein Pilger, der daneben ruhte,
Sprach leise: »Sag, du liebes Kind,
Wie ist dir's denn so still zu Mute,
Als wenn der Schlummer Träume spinnt?«
Da seufzt das Kind: »O daß ich läge
In einem Bettchen ausgestreckt,
Und nicht so einsam hier am Wege,
Die Mutter hätt' mich zugedeckt.
Und würde mich gar leise wiegen,
Bis mich ein Engeltraum beschlich,
Und würd' sich zu mir niederbiegen,
Und küssen mich, und segnen mich.
Mir ist's so stille jetzt im Herzen,
Ich fühle ganz mich wie ein Kind,
All meine Freuden, meine Schmerzen,
Sie spielen wie ein Blatt im Wind.
Ich sehe in Großvaters Zimmer,
Der lang schon tot – er liebte mich,
's ist Donnerstag, da komm' ich immer,
Und freue an den Bildern mich.
Die vielen Bilderbücher liegen
Dort auf dem Muschelmarmortisch,
Da bin ich jetzt so voll Vergnügen,
Als nur im Wasser je ein Fisch.
Ich und die Schwester still beschauen
Von Sadler das Einsiedlerbuch,
Und gleich wir uns ein Hüttchen bauen
Dort unterm Tisch, behängt mit Tuch.
Da sind wir still in unserm Hause,
Und schauen uns die Klausner an
In Wald, in Höhle, Fels und Klause,
Und was sie alles dort getan.
Und wenn Großvater disputieret
Mit einer Jungfrau fromm und klug,
Und Glaubenszweifel explizieret,
Bis sie ihn mit der Bibel schlug;
Da hören wir, was in dem Buche
Wir öfters abgebildet sehn,
Den Zweifel, daß er ihn versuche,
Zum alten Eremiten gehn.
Ach, wie ist's rings so voller Sachen,
Dort Männchen, Tierchen feingeschnitzt,
Und wenn das Schränkchen auf wir machen,
Die Steine, Muscheln, wie das blitzt!
Herrje, was ist das, ich erschrecke,
Die Katze mir zur Schulter springt,
Sie lauerte dort in der Ecke,
Und weh, der schöne Traum versinkt!«
Da sprach der Pilger: »Liebe Waise,
Ich war bei allem auch dabei,
Denn ewig bin ich auf der Reise,
Damit ich ewig bei dir sei.«
Das Mägdlein sprach nach kleiner Stille:
»Mich dünkt, daß ich ein Kätzchen wär',
Nichts fehlet, nichts, als nur mein Wille,
Ich lief' auf steilem Rand umher;
Ich könnt' von Ast zu Ast hinspringen,
Von Fels zu Fels, auch noch so steil,
Und mehr – ja durch die Luft hindringen,
Adje, fort bin ich – bin ein Pfeil!« –
Da sprach der Pilger: »Liebe Waise,
Gleich bin ich wieder auch dabei,
Dein Seelchen fliegt in meinem Gleise,
Ob's Kätzchen, ob ein Pfeil es sei.«
Das Mägdlein sprach nach kleiner Weile,
Indem ihm süß die Lippe blüht:
»Ich ruh' an einer feinen Säule,
Wie kühl ist's hier! die Sonne glüht!
O goldne Zier der Wunderhallen,
O linde Luft, wie süß, wie müd!
Der Springbrunn plätschert, und sein Lallen
Singt mir ein buntes Schlummerlied;
Ich ziehe leis durch die Alhambra,
Der Blumensäulen Traumpalast,
Ein Weihrauchwölkchen, süß wie Ambra,
Schweb' ich beim Märchen hier zu Gast.
Wer bin ich denn, bin ich die Wonne,
Die hier ihr Traumgezelt gespannt,
Bin ich ein Strahl der heißen Sonne,
Sich kühlend auf des Springquells Rand?
Bin ich ein Geist aus diesen Hallen?
Ein Vogel, der im Laub dort singt?
Bin ich dort aus dem Nest gefallen,
Ein Täubchen, das die Flügel schwingt?
O, heißer Duft der Pomeranzen
Komm, kühle dich in meinem Blut!
Ich möchte auf dem Springquell tanzen,
Mir ist's so leicht, so frei zu Mut!
Ich lass' mir einen Teppich bringen,
Lieg' auf dem Marmor hingestreckt,
Die Vögel blühn, die Blumen singen,
Ein Himmel hat mich zugedeckt.
Komm Sinnspruch, kommt ihr goldnen Sterne,
Komm Schicksal vom Lazur-Gezelt,
Komm nah und näher ew'ge Ferne,
Komm, küsse mich, du süße Welt!
Horch! Mitten inne pocht das kleine,
Das leicht bewegte Kinderherz,
So ganz allein, allein, alleine!
Und sehnt nach Freude sich und Schmerz!
Hier kann ich keine Zeitung lesen,
Noch philosoph'sche Abhandlung,
Ich bin ja hier ein andres Wesen,
O, welche süße Umwandlung!
Mein Schmetterling bricht durch die Larve,
Ein Blumensegel ihn entführt,
Mein Seelchen schwebt wie Klang der Harfe
Vom Kuß der milden Luft berührt.
Sprich, Traum der Wahrheit, kann ich lügen?
Kann mich, den Stolz der Pünktlichkeit,
Bezaubern müßiges Vergnügen?
Küßt hier der Rausch die Nüchternheit?
Verräterei, wer hat die Wonne,
Die sehnend mir im Blute sinnt,
Wer hat hier ausgeblümt zur Sonne,
Was tiefgeheim mein Seelchen spinnt?
O Sehnsucht, Schwalbe meines Geistes,
Die durch die Sonnenhallen schweift,
Wie heiß das kleine Herz, du weißt es
Wenn leis dein Flug den Springquell streift.
O, Blumen blühend, keusche Lippen,
O, Bienen glühend, treuer Kuß,
O, Schmetterling, du flatternd Nippen,
Sagt nicht was ich verschweigen muß!
O, Dämmerlicht der bunten Säle,
Von Licht und Liedes Gold gesäumt,
Du bist der Schleier meiner Seele,
Die über ferner Liebe träumt.
So kühn und groß hier die Begierde
Im Blumenkelch den Rausch kredenzt,
So tief verwandt ist mir die Zierde,
Die hier den Helm mit Rosen kränzt.
Ich bin's, ich bin's, mit Kinderlallen,
Auf feinen Säulchen schlank und hold,
Durchkühlt von hüpfenden Kristallen,
Spannt gern mein Geist ein Netz von Gold.
Drin fang' ich mir die heiße Sonne,
Und flecht' ihr fein das goldne Haar,
Tauch' sie in kühlen Bades Wonne,
Da scheint sie mir nochmal so klar.
Kristallgespinst des Morgenfrostes,
Im Sonnenfeuer ausgeglüht,
Geheimnis des bewegten Mostes,
Wenn draus die Rebe wieder blüht!
Von mir gefühlt, von mir gesponnen,
Gewebt, erlebt! – du Zauberlust,
Die hier umschirmt den Löwenbronnen,
Lagst wie ein Kind an meiner Brust!
Berauscht vom Duft der Rosenhecken,
Wo kühn die Lust dem Dorn entschlüpft,
Trägt Löwen-Großmut Marmorbecken,
Vom Demanttropfen kühl durchhüpft.
O Halle der Abencerragen!
Die Blutspur klaget laut genug,
Die Wunden, die mir sind geschlagen,
Die Wunden, die ich andern schlug.
Dies Seufzen, Stöhnen, Flehen, Schwirren,
Die Geisterklage, die hier tönt,
Sie fleht zu mir – dies bange Girren!
Es fleht aus mir, ach seid versöhnt!
Ach fortgehn, fortgehn! bitte, bitte!
Ins Gärtchen dort ich gehen will,
Dort blüht's in des Palastes Mitte,
In sich gehüllt geheim und still.
Kleinod der süßen Lindachara,
Du der Alhambra Blumenstrauß,
Lieb' sprichst du süß, wie Dulcamara,
Mit Leid in einem Namen aus.
Beschloss'nes Gärtchen aller Wonne,
Wo keusch der Mond im Brunnen spielt,
Und sich der Strahl der Mittagssonne,
Im Schoß der vollen Rose kühlt.
Hier will ich mich im Bad erfrischen,
Von Ros' und Myrten dicht versteckt,
Von duftenden Zitronenbüschen
Und Goldorangen zugedeckt.
Du bist aus meinen Heiligtumen,
Du Gärtchen, dessen Inschrift spricht:
›O, stille Kerzen, Erdenblumen,
Entbrannt vom Himmels-Sternenlicht.‹
Was gleicht den Alabasterbronnen,
Aufwallend vom kristallnen Tau,
Als du, o Mond, voll Sehnsuchtswonnen
In wolkenloser Himmelsau.
Versteckt von kalter Marmorzinne
Bist du, o Gärtchen, nur mein Herz,
Drin blüht, und glüht und träumt die Minne,
Geheimnis decket Lust und Schmerz!
Mir ist, als ob an allen Ecken
Ich auf in tausend Blumen ging,
Mir ist, als ob an allen Hecken
Ich wie ein Flöckchen Wolle hing.
Ich bin der Vogel und das Nestchen,
Das Mütterchen und auch das Ei,
Ich brüte, zwitschre auf dem Ästchen,
Und trage Futter auch herbei.
Ich fühle mich gebaut, gemalet,
Geschnitzt, geblüht, in diesem Haus,
Und in dem Springquell ausgestrahlet,
Ich sag' es ja – bin jäh – bin kraus.
Wer hat mein Gürtelchen gelöset,
Wer streute meinen Blumenkranz,
Hier so von allem Schutz entblößet,
Bezaubernd aus im Sonnenglanz?
Horch! still! – ach! das sind Männerschritte!
Weh mir! – welch junges Heldenbild!
Nicht her! – nicht her! ach bitte, bitte!
– Er steht und deckt sich mit dem Schild!
Und spricht: ›Ich bin Gazul, vor Zeiten
Der süßen Lindachara Freund,
Ich muß in ihrem Gärtchen schreiten,
Bis hier ihr Ebenbild erscheint,
Das alle Sehnsucht meiner Träume
In seinem Kinderherzen stillt,
Und als den Zauber dieser Räume
Sich selbst erblickt in meinem Schild.
Da hörte ich dein keusch Verzagen,
Du Süße, in dich selbst versteckt,
Fühlst deinen Reiz vor deinen Tagen,
In der Alhambra aufgedeckt.
Dich bauten dieses Baues Meister!
Ach, lange eh' dein Herzchen schlug,
Begeisterte dein Geist die Geister,
Doch taten sie ihm nie genug!
Sie brachen deiner Sehnsucht Spiegel,
So daß du dich zerstreut beschaut –
Doch du wirst ihres Werkes Siegel,
Zerstreutes ward in dir erbaut.
Denn alles Sehnen, alle Schmerzen,
Die einst bewegt in Kampf und Lust,
Die längst in Staub zerstreuten Herzen,
Sind eins und ganz in deiner Brust.
Nur du bist dieses Werkes Seele,
Bist dieser Zauberschale Kern,
Bist Lichtes Blitz in dem Juwele,
Bist dieses öden Himmels Stern;
In dir ich die Alhambra sehe,
Wie du in der Alhambra dich,
Es löst sich meiner Sehnsucht Wehe,
Zu Lindachara kehre ich!
Mein Herz wird gleich den Lilien munter,
Wenn sie der Sterne Licht betaut,
Blick in mein Schild, du liebes Wunder,
Sei deiner eignen Wonne Braut!
Dein Gürtel ist nicht mehr gelöset,
Nicht mehr zerstreut dein Blumenkranz,
Und Gazul taucht, durch dich erlöset,
Nun auf in Lindacharas Glanz!‹
So sprach Gazul, und auf sein Flehen
Hab' ich, von eignem Reiz entzückt,
Mein Bild in seinem Schild gesehen,
Und hab' gar süß mir zugenickt.
Da ist mir alles rings verschwunden,
Da ward ich wieder zäh und kraus,
Und alle Blumen sind gebunden
In den versteckten Blumenstrauß.
In mich zurück zog die Alhambra,
Ich bin allein, allein, allein!
Ich Weihrauchwölkchen, süß von Ambra,
Denk': Wo mag nun der Gazul sein!«
Nun schwieg das Kind! – Sein webend Sehnen
Zog durch des armen Pilgers Brust,
Und nieder tauten seine Tränen
In ihrer Träume Blumenlust.
Er sprach: »O Kind! in alles Scheinen,
Das sich um deine Seele legt,
Muß immer still ich niederweinen,
Bis sich ein Regenbogen schlägt.
O schwebe durch, du Friedenstaube,
Und bring ein grünes Ölblatt her,
Daß neu ich hoffe, liebe, glaube,
Mir ist die Welt so wüst, so leer!«
Da spricht das Kind: »Jetzt zieh' ich weiter,« –
Und zuckt, der Pilger fragt: »Es stach
Vielleicht dich ein Insekt, denn leider,
Sie trachten hier dem Blute nach!« –
Das Kind sprach: »Greulich sind mir Spinnen,
Ich fliehe ihre tück'sche List.«
Der Pilger sprach: »Du willst entrinnen,
Weil du ein tanzend Mückchen bist.«
»Ich kann,« sprach sie mit edler Miene,
»Nie glauben, daß der Herr erschuf
Die garst'gen Tiere – nur die Biene,
Die hat noch göttlichen Beruf.
Ich könnte selbst noch Schlangen leiden
In meinem stillen Kämmerlein,
Doch seh' ich eine Spinne schreiten,
So muß ich fliehen, muß ich schrein.
Maikäfer, die gemeinen, dummen,
Ich dulde sie; wenn alles grün,
Hör' ich sie abends gerne summen,
Sie rennen an und fallen hin.
Die Flöhe hüpfen, kann sie fangen,
Hüpf' hintendrein, kleb' sie ans Licht,
Die Wanzen machen mich erbangen,
Von andern Tierchen spricht man nicht.
Ich war einmal bei armen Kindern,
Da kriegt' ich eine ganze Schar;
Gott steh mir bei, den reichen Sündern
Droht gleich den Armen die Gefahr.«
Der Pilger sprach: »Wie schaust du, Seele,
Aus der Alhambra Lustpalast,
In diese trübe, wüste Höhle,
In diesen Ekel und Morast?«
Sie sprach: »Ich möcht' ein Bild jetzt malen
Von dem verlornen Paradies,
Verwelkt sind alle Sonnenstrahlen,
Als Gott hinaus den Menschen stieß.
Ich armes Kind muß drauf verzichten,
Ich fühle, daß die Form mir fehlt,
Auch fehlt das Wort, sonst wollt' ich dichten,
Was tief mein Herz mit Lieb' beseelt.
Die Blumen und die Blätter weinen,
Die Vögel schmachten stumm und krank,
Kalt seufzt das Echo aus den Steinen,
Das Blut ergrimmt in Streit und Zank.
Der Himmel, bleiern, rufet Wehe,
Verhüllt sein Sternen-Antlitz sich,
Und liegend an der Erde sehe
Gefesselt einen Engel ich.« –
Der Pilger sprach nun zu ihr nieder:
»Du bist der Engel, armes Kind!
Noch zuckt zum Lichte dein Gefieder,
Ist gleich dein Auge sonnenblind.
Dich feinen Strahl aus Gottes Schimmer,
In dem verlornen Paradies,
Dich heil'gen Ebenbildes Trümmer,
Ans Herz ich niederweinend schließ'.«
Da weinten stille alle beide,
Sie lehnte gern an seiner Brust,
Sie litt es, daß er selig leide,
Und beide haben nichts gewußt!
Aus beiden greift ein tiefes Sehnen
Hinaus bis nach der Ewigkeit,
Und wie sie so zusammen lehnen,
Da naht das Ewige der Zeit.
Der Pilger sprach: »Welch leises Schallen,
Sag, Kind! pocht denn dein Herzchen so?
Ich sehe Licht aufs Haupt dir fallen,
Mir wird's so innig, wird's so froh!« –
Das Mägdlein blickte in die Ferne,
Die Wange glüht, die Lippe blüht,
Ihr Schauen glich dem Blick der Sterne,
Wenn Liebe durch den Himmel zieht.
Dann sprach sie: »Horch! still, bitte, bitte,
Dies ist nicht meiner Locken Licht,
Und dieses Schallen, das sind Schritte,
So pocht mein heimlich Herzchen nicht!«
Und durch die Nacht von Licht erfüllet
Führt her ein Mann sein Eselein,
Und auf dem Tier sitzt weit verhüllet
Ein lilienreines Jungfräulein.
Als diese sah den Engel liegen
Gefesselt an der Erde dort,
Ist sie vom Lasttier abgestiegen
Und sprach zu ihm mit süßem Wort:
»In aller Lust wirst du nichts finden,
Als das verlorne Paradies,
Den Fesseln will dich jetzt entwinden
Der treue Gott, wie er verhieß.
Weil du ein armes Kind, ward Liebe
In mir nun auch ein armes Kind,
Daß dir auch gar kein Vorwand bliebe,
Komm mit, komm mit, süß Lieb', arm Lind!
Tu! wie du lang gepflegt zu tuen,
Halt an der Mutter Schürze dich,
Komm mit mir reisen, mit mir ruhen,
Denn deine Mutter bin auch ich!
Komm mit, sollst an der Krippe singen,
Ein Lied dem starken Brüderlein,
Der löst die Fesseln deiner Schwingen,
Trägt dich ins Paradies hinein.
Da bringt dir keine Spinne Grauen,
Berauschet kein Alhambra dich,
Da sollst du schönre Bilder schauen,
Als bei Großvater sicherlich!«
Das Kind sprach: »Mir ist Heil geschehen!
Dies ist die Wahrheit, ist kein Traum,
Sitz auf dein Eselein, wir gehen,
Ich fasse deiner Schürze Saum.«
Die Jungfrau sprach: »Willst nicht mitnehmen
Den armen Mann du, der dort lag.«
Das Kind sprach: »Ei, ich tu' mich schämen,
Er kömmt mir ohne dies schon nach!«
Da blickt es um – der Pilger hebet
Sein müdes Haupt, folgt ungetrennt,
Gen Betlehem der Zug hinschwebet,
Die erste Nacht war's im Advent.
Sankt Joseph und Maria heißen,
Die beiden mit dem Eselein,
Nach Betlehem sie jetzt hinreisen,
Sie kehren nachts bei Hirten ein.
Wer ist das Mägdlein dann gewesen,
Und dann der Pilger, stets dabei?
Das Mägdlein war der Sehnsucht Wesen,
Der Pilger war die Phantasei!
Weihnacht
Eine Rose hat geblühet
Also süß, geheimnisreich,
Daß selbst Gott für sie erglühet,
Und geworden Menschen gleich.
Keuschheit, Innigkeit und Demut
Schmückten sie mit Farb und Duft,
Daß ihr Reiz mit frommer Wehmut
Bis zum Throne Gottes ruft.
Also hat ihr Duft gezogen,
Daß den Stärksten sie bezwang,
Daß ihr an das Herz geflogen
Ist der Held, um den sie rang.
Daß, der erste und der letzte,
Des allmächt'gen Gottes Sohn
In den Schoß der Rose setzte
Aus dem Himmel seinen Thron.
Wie das Einhorn kömmt gesprungen
Gern zu reiner Jungfraun Schoß
Und sein Haupt, das nie bezwungen
Beuget aller Wildheit bloß,
So ihr inniges Verlangen
Zog den Helden in das Land,
Und sie band, den sie gefangen,
Mit der Liebe stärkstem Band.
Lieblich hat sie ihn empfangen,
Ach er grüßte so vertraut!
Und sie hat ihn süß umfangen,
Wie den Bräutigam die Braut,
Führt ihn ein zum Heiligtume,
In des Herzens Kämmerlein,
Wo mit ihm die reine Blume
Mutterselig war allein.
Wo sie den Geliebten legte
In ein Bettlein keusch und rein,
Und ihm, den sie lieblich pflegte,
Schenkte süßen Balsam ein,
Daß der ganz von Lieb' Berauschte
Schlummernd dort neun Monde lag
Und sein eignes Herz belauschte
In des Mutterherzens Schlag.
Und als nun der Held erwachte,
O da war der Starke lind!
Der da Erd' und Himmel machte,
War ein kleines, süßes Kind.
Den Unfaßlichen die Rose
Bindet fest in Tüchlein ein,
Wiegt ihn spielend ein im Schoße,
Legt ihn in ein Krippelein.
Und durch Demut führt die Holde
Den Allmächt'gen nah und fern,
Hin und wieder, wo sie wollte,
Führt den Herrn die Magd des Herrn,
Bringt zum Tempel den Geliebten,
Setzt ihn auf ein Eselein,
Führt ihn fern bis in Ägypten,
Und er folgt dem Mütterlein,
Flüchtet durch die dürre Wüste
Ihren Schöpfer vor Gefahr,
Und es nähren ihre Brüste
Ihren Gott, den sie gebar.
Führet ihren Gott zurücke
An der treuen Mutterhand,
Als erlosch des Feindes Tücke,
In sein ird'sches Vaterland.
Führt zu seines Tempels Hallen
Den Allmächtigen, ein Kind,
Lehrt ihn die Gebete lallen,
Die ihm selbst gebetet sind.
Und als sie im Tempel lehrend
Den Vermißten wiederfand,
Folgt er ihre Mahnung ehrend
Wie ein Kind am Gängelband.
Wie geschah dem Gottessohne
Als der edlen Rose Duft
Bis zum hohen Himmelsthrone
Aus den Erdendornen ruft,
Ganz in Liebe er erglühte
Los er sich vom Vater wand,
Sprang zur wundersüßen Blüte,
Die da in den Dornen stand.
Hat die Dornen wohl empfunden,
Ward wohl selbst ein Röslein rot,
Blutete, von Dorn umwunden,
Aus fünf Rosen sich zu tot.
Und empfangen von der Rose
Süß nach weiblicher Natur
Folgt allein er dem Gekose
Ihres lieben Willens nur.
Und als ihn die Süße, Holde
Schloß im keuschen Herzen ein,
Wo sie nur ihn haben wollte,
Trank er also süßen Wein,
Daß der Gottheit unermessen
Und der Engel lichte Pracht
Er im Mutterschoß vergessen,
Wenn die Jungfrau niederlacht,
Und mit lieblicher Geberde
Hüllt sie in ein Knechtsgewand
Den, der Himmel schuf und Erde,
Liebe zwingt zu niederm Stand.
Zwinget in dem Sklavenkleide
Ihn so manches bittre Jahr,
Daß er tue, daß er leide,
Was er nicht gewöhnet war.
Und als nun im Todeskleide
Er ins Elend trat heraus,
Daß das Lamm in Dornen weide,
Brach es laut in Tränen aus.
Fühlte gleich die Dornen stechen
Nach des Rosenbettleins Ruh'
Und es war, als wollt' er sprechen:
Ach! wie komme ich dazu?
Und Maria lächelt freudig
Dem gefangnen Königssohn,
Mit dir lieb' ich, mit dir leid' ich,
Doch du kommst mir nicht davon!
Gott sei Preis, daß fest gebunden
Ich durch Liebe dich, o Held!
Hat dich Liebe überwunden,
So besieg' mir nun die Welt!
Eh' dein Vater zu der Rechten
Dich, o Sohn! erhöhen soll,
Werd' erst Gnade seinen Knechten,
Denn er hieß mich gnadenvoll!
Adam und all seine Kinder
Mußt du erst vom Zorn befrein,
Dann magst du, o Trost der Sünder
Wieder bei dem Vater sein.
Und daß dieser nicht dem Sohne,
Und der Sohn sein selber nicht
Zu der Sünder Heil verschone,
Gieng die Liebe ins Gericht.
Und es gab das Kind der Rose
All sein Blut so rosenrot,
Fiel aus seiner Mutter Schoße
In die Dornen, in den Tod.
Ach die Sünder kosten teuer
Kosten Schmerzen ihn genug,
Bis er aus des Zornes Feuer
Sie ins Bad der Gnade trug.
Und wer nun hier in der Rose
Fein das süße Kindlein sieht,
Dank' daß aus der Junfrau Schoße
Ihm auch ist das Heil erblüht!
Hab' dies Weihnachtslied gesungen
Von dem süßen Rosenkind,
Bin von Dornen so umschlungen,
Daß ich wund und krank und blind.
Ist drum nicht dies Lied gelungen
Mag es sein, weil wie ein Kind
In den Dornbusch ich gedrungen,
Daß ich dir ein Sträußlein bind'.
Hab' nur Dornen mir gesammelt,
Geb' dir all die Rosen hin,
O vergieb dem Schmerz der stammelt,
Laß mich scheinen, was ich bin.
Nachtrag zum Weihnachtsliede
1834
Bescherung der Armen an die Wohltäterin
Das Mägdlein gieng zur Linde
Und seufzte gar betrübt:
Was schenk' ich nur dem Kinde,
Das mich so treu geliebt?
Da schwebte her zur Linde
Ein Engel lieb und rein
Und Arme, Kranke, Blinde,
Die zogen hinterdrein.
Sie trugen in der Mitte
Wohl einen Weihnachtsbaum
Ganz nach der alten Sitte
Gleich einem Kindertraum.
Sie setzten's Bäumlein nieder
Vors arme Mägdelein,
Und sangen Dankeslieder
Und sprachen: das ist dein.
Was Gott dir hat gegeben,
Hast du mit uns geteilt,
Dein Lieben gab uns Leben,
Dein Heil hat uns geheilt.
Drum haben wir Elende
Am Fest uns auch geregt,
Den Dank der kranken Hände
Ans Kinderherz gelegt.
Leid ist's von dir mitleidet,
Schmerz ist's von dir gestillt,
Nacktheit von dir bekleidet,
Ist deiner Liebe Bild.
Da ward das Mägdlein stille,
Dacht': »o welch süßer Traum!
Jetzt in der Zeiten Fülle,
Welch reicher Weihnachtsbaum!
Will gleich dem Kind ihn bringen,
O das wird freudig sein.«
Da hob mit süßem Klingen
Sich sanft ein Stimmlein fein.
Im Gärtchen sich erhebet
Von Wachs das Jesulein,
Und geht umher und lebet
Patscht in die Händlein klein.
Und spricht mit süßem Lachen,
Ach das ist doch was wert,
Ach was für schöne Sachen
Hat mir arm Lind beschert!
Was Armen sie gegeben,
Das all sie mir auch giebt,
O welch ein schönes Leben
Wenn Arm den Armen liebt!
Ja weil ich arm, so reichet
Der Armut sie, was mir
Und weil sie arm, so reichet
Die Armut mir, was ihr.
Nach diesen lieben Worten
Ist in dem Weihnachtsbaum
Ein Herz getröstet worden,
Traut seinen Ohren kaum.
Es dacht', der armen Linde
Ward ich vorm Jahr beschert,
Und drum dem Jesuskinde
Zu gleicher Zeit verehrt.
Und dieses hat gesungen
Das Herz im Weihnachtsbaum
Von Armendank umrungen
Lamm, Nüssen, goldnem Schaum!
Abschied dem Jahre 1834
Leb wohl du Jahr voll Tränen!
O lasse mich an deinem letzten Tag
Noch einmal selig wähnen,
Daß ich an einem Kinderherzen lag!
Geh hin du Jahr voll Tränen!
Tritt glaubend hin vor Gottes Thron,
Er wird um krankes Sehnen
Dich strenge richten, nimmer doch um Hohn!
O selig Jahr voll Tränen!
War dir auch früh das tiefre Wort geraubt,
So war der Strom der Tränen
Zu ihren Füßen oft dir doch erlaubt!
O liebes Jahr voll Tränen!
O dichte Saat, wie segnend reift dein Schmerz,
O hochbelohnt! mein Sehnen!
Ich fühlte jauchzend, ja! sie hat ein Herz!
O Jahr von heißen Tränen!
Geheimnisvoller, als sie weiß, berauscht,
Was all sie kann verschönen,
Du hast in Tränen sterbend es belauscht.
O Jahr voll bitt'rer Tränen!
Ist irgend Gottes Wahrheit offenbar,
Ist vieles hier nur Wähnen,
So opfre, weine darum am Altar!
O Jahr voll tiefer Tränen!
Du magst vertraut dein armes müdes Haupt,
Ans Kreuz nur ruhig lehnen,
Du hast geliebet, hast gehofft, geglaubt.
O teures Jahr voll Tränen!
Du bist in bittrer Reue Flut getauft,
Der wird uns auch versöhnen,
Der uns mit seiner Weihe Blut erkauft.
Geh hin! du Jahr voll Tränen!
Geh, werfe dich zu ihren Füßen hin!
Und wasche sie mit Tränen
Sag ihr, daß ich ihr armer Bruder bin!
Ihr Bruder ganz in Tränen,
Ihr kranker Bruder, um die eigne Schuld,
Um fremde Schuld in Tränen,
Ihr Bruder weinend um der Väter Schuld!
O sterbe Jahr in Tränen
Weil unsrer Väter Schuld die Kinder trennt,
Und diesen scheint ein Wähnen
Was unsre Mutter ew'ge Wahrheit nennt.
Leb wohl du Jahr voll Tränen,
O lasse mich an deinem letzten Tag
Noch einmal selig wähnen,
Daß ich an einem Kinderherzen lag.
Kettenlied eines Sklaven an die Fesselnde zur letzten Stunde des Jahres 1834 geschlossen
Einsam will ich untergehen
Keiner soll mein Ende wissen
Wird der Stern, den ich gesehen,
Von dem Himmel mir gerissen,
Will ich einsam untergehen
Wie ein Pilger in der Wüste.
Einsam will ich untergehen
Wie ein Pilger in der Wüste
Wenn der Stern den ich gesehen
Mich zum letzten Male grüßte
Will ich einsam untergehen
Wie ein Bettler auf der Heide.
Einsam will ich untergehen
Wie ein Bettler auf der Heide
Gibt der Stern den ich gesehen
Mir nicht ferner das Geleite
Will ich einsam untergehen
Wie der Tag im Abendgrauen.
Einsam will ich untergehen
Wie der Tag im Abendgrauen
Will der Stern, den ich gesehen
Nicht mehr zu mir niedertauen
Will ich einsam untergehen
Wie ein Sklave an der Kette.
Einsam will ich untergehen
Wie ein Sklave an der Kette
Blickt der Stern, den ich gesehen
Nicht mehr auf mein Dornenbette
Will ich einsam untergehen
Wie ein Schwanenlied im Tode.
Einsam will ich untergehen
Wie ein Schwanenlied im Tode
Ist der Stern den ich gesehen
Mir nicht mehr ein Friedensbote
Will ich einsam untergehen
Wie der Mond in wüsten Meeren.
Einsam will ich untergehen
Wie der Mond in wüsten Meeren
Wird der Stern, den ich gesehen
Jemals weg von mir sich kehren
Will ich einsam untergehen
Wie der Trost in stummen Schmerzen.
Einsam will ich untergehen
Wie der Trost in stummen Schmerzen
Sollt' den Stern, den ich gesehen
Jemals meine Schuld verscherzen
Will ich einsam untergehen
Wie mein Herz in deinem Herzen.
Einsam will ich untergehen
Wie mein Herz in deinem Herzen
Kehrt der Stern, den ich gesehen
Kalt sich ab von meinen Schmerzen
Will ich einsam untergehen
Wie mein Blick in deinen Blicken.
Einsam will ich untergehen
Wie mein Blick in deinen Blicken
Wird der Stern, den ich gesehen
Nicht mehr nickend mich entzünden
Will ich einsam untergehen
Wie die Blume deiner Lippen.
Einsam will ich untergehen
Wie die Blume deiner Lippen
Zeigt der Stern, den ich gesehen
Nicht den Weg mehr durch die Klippen
Will ich einsam untergehen
Wie mein Kuß an deinen Wangen.
Einsam will ich untergehen
Wie mein Kuß an deinen Wangen
Bricht der Stern, den ich gesehen
Nicht mein Herz mehr mit Verlangen
Will ich einsam untergehen
Wie die Träne dir im Busen.
Einsam will ich untergehen
Wie die Träne dir im Busen
Weckt der Stern, den ich gesehen
Mir nicht lächelnd mehr die Musen
Will ich einsam untergehen
Wie mein Dank zu deinen Füßen.
Einsam will ich untergehen
Wie mein Dank zu deinen Füßen
Wird der Stern, den ich gesehen
Nicht mehr mild mein Leid versüßen
Will ich einsam untergehen
Wie mein Licht in deiner Sonne.
Einsam will ich untergehen
Wie mein Licht in deiner Sonne
Bricht der Stern, den ich gesehen
Wie mein Blick in dir du Wonne
Will ich einsam untergehen
Wie dein Nam' in Todes Munde.
Einsam will ich untergehen
Wie dein Nam' in Todes Munde
Taut der Stern, den ich gesehen
Nicht mehr Lindrung meiner Wunde
Will ich einsam untergehen
Wie ein Kind stirbt, eh' geboren.
Einsam will ich untergehen
Wie ein Kind stirbt, eh' geboren
Geht der Stern, den ich gesehen
Geht dein Stern mir je verloren
Will ich einsam untergehen
Wie mein Herz vor dir Cäcilie.
Einsam will ich untergehen
Wie mein Herz vor die Cäcilie
Lacht der Stern, den ich gesehen
Mir nicht mehr auf dir du Lilie
Will ich einsam untergehen
Wie allein, allein, alleine.
Einsam will ich untergehen
Wie allein, allein, alleine
Blitzt der Stern, den ich gesehen
Nicht in Tränen die ich weine
Will ich einsam untergehen
Wie arm Lind fleht bitte, bitte.
Einsam muß ich heim nun gehen
Auf arm Lindis »bitte, bitte,«
O mein Stern, dein süßes Flehen,
Wenn du wüßtest, was ich bitte
Hätte mir noch zugesehen,
Bis mein Herz brach in der Mitte.
Einsam muß ich heim nun gehen
Und mein Herz brach in der Mitte,
Stern, du hast mich angesehen,
Hast gefesselt meine Schritte,
Mußt doch einsam untergehen
Wie dies Jahr zur zwölften Stunde.
Untergehen, auferstehen
Stern der Lieb' – jetzt schlägt die Stunde!
Stern willst du jetzt schlafen gehen?
Tauch' zu meines Herzens Grunde,
Brauchst nicht links nicht rechts zu drehen,
Es ist dein und Wund' an Wunde.
Wund' an Wunde – o süß Liebchen!
Neue Wunde ist das Grübchen,
Das der Liebe Stern eindrücket,
Wenn entschlummernd süß er zücket,
Und verwundend Strahlen schießet
Auges Wimper, die sich schließet.
Ruh' fein still am kleinen Kissen –
Ach ich hab' dran weinen müssen!
Sei in Dornen, meine Lilie!
Wie ein Rosenzaun, Cäcilie,
Soll mein Lieben dich umschließen
Dirwärts nur die Rosen sprießen
Mirwärts nur die scharfen Dornen,
Die mich zum Verbluten spornen.
Duftet Rosen ihr der Süßen,
Da ich jetzt dies Jahr mit Büßen,
Einen dichten Kranz von Schmerzen
All erblüht in meinem Herzen,
All erbaut in bangem Sehnen
All betaut von heißen Tränen,
Ihr demütig lag zu Füßen,
Ach die ihn nicht von sich stießen,
Die ich durfte treu umschlingen
Stirb Jahr, nichts mehr kannst du bringen,
Selig starb die letzte Rose
Still entblättert ihr im Schoße!
20. Jenner [1835] nach großem Leid
Ich darf wohl von den Sternen singen,
Mich hat die Blume angeblickt,
Und wird mein armes Lied gelingen,
Dann wird vom Stern mir zugenickt.
O Stern und Blume, Geist und Kleid,
Lieb, Leid, und Zeit und Ewigkeit.
Im Garten stand die frühe Waise,
Und senkt den Blick zum Blumenfeld
Die Sonne sank im Purpurgleise,
Die Sterne spannen aus ihr Zelt.
O Stern und Blume, Geist und Kleid,
Lieb, Leid, und Zeit und Ewigkeit.
Mit euch wohl wagt ein Kind zu sprechen,
Ihr kennet mich und bin ich stumm,
Weil mir das kranke Herz will brechen,
Bringt ihr mich nicht mit Fragen um.
O Stern und Blume, Geist und Kleid,
Lieb, Leid, und Zeit und Ewigkeit.
Ihr lieben Blumen still und innig
Ein Tröpfchen Tau, ein Licht, ein Hauch,
Ihr lieben Sterne klar und sinnig
Ein Strahl, ein Blick, ein Blitz, ein Aug'.
O Stern und Blume, Geist und Kleid,
Lieb, Leid, und Zeit und Ewigkeit.
Und wie die Sterne heller blinken
Beugt Schatten sich aufs Blumenfeld
Und auch des Kindes Augen sinken,
Der Traum sie in den Armen hält.
O Stern und Blume, Geist und Kleid,
Lieb, Leid, und Zeit und Ewigkeit.
Ihr Engel steiget auf und nieder
Bringt Sternenlust, bringt Blumenschmerz,
Und küßt die unerschaffnen Lieder
Und legt sie schlafen auf ihr Herz.
O Stern und Blume, Geist und Kleid,
Lieb, Leid, und Zeit und Ewigkeit.
Und wiegt die tauberauschte Rose,
Im Dornenbettchen bald zur Ruh',
Und schließt dem Veilchen in dem Moose,
Die frommen Augen segnend zu.
O Stern und Blume, Geist und Kleid,
Lieb, Leid, und Zeit und Ewigkeit.
Die Blumen all, die farbig prangen,
Sie waren bald nicht mehr zu sehn,
Die Nacht nahm ihre Pracht gefangen
Nur eine Schar blieb betend stehn.
O Stern und Blume, Geist und Kleid,
Lieb, Leid, und Zeit und Ewigkeit.
Sieh dorten um die süße Linde
Steht eine reine Lilienschar,
Der Engel zeigte sie dem Kinde,
Sie leuchteten ganz wunderbar.
O Stern und Blume, Geist und Kleid,
Lieb, Leid, und Zeit und Ewigkeit.
Der Engel sprach: mein Kind, o sehe,
Die Lilie unter Dornen dort,
Das Licht wird Fleisch, horch: »Es geschehe
Der Magd des Herrn nach deinem Wort!«
O Stern und Blume, Geist und Kleid,
Lieb, Leid, und Zeit und Ewigkeit.
Die Lilie spinnt nicht, doch es webet
Aus ihr das Wort sich einen Leib,
Zur Jungfrau ist das Licht geschwebet,
Und Mutter Gottes ward das Weib.
O Stern und Blume, Geist und Kleid,
Lieb, Leid, und Zeit und Ewigkeit.
Und als der Geist sie überschattet
Deckt rings die Nacht das Blumenfeld,
Der Lilie nur das Licht sich gattet
Das auf den Leuchter wird gestellt.
O Stern und Blume, Geist und Kleid,
Lieb, Leid, und Zeit und Ewigkeit.
Die Lilie, die nicht zieht nicht schweifet,
Nicht fallen läßt und wieder sucht
Die sehnend still zum Lichte greifet,
Sie fand das Licht und trug die Frucht.
O Stern und Blume, Geist und Kleid,
Lieb, Leid, und Zeit und Ewigkeit.
So sprach der Engel zu dem Kinde
Und führt es zu der Lilie Licht,
Da kniet es nieder an der Linde
Und fand im Traum die Worte nicht.
O Stern und Blume, Geist und Kleid,
Lieb, Leid, und Zeit und Ewigkeit.
Da sprach zum Kind die reine Lilie,
Die nie vorher gesprochen hat,
Wach auf, wach auf zu mir Emilie,
Sing mit mir das Magnificat.
O Stern und Blume, Geist und Kleid,
Lieb, Leid, und Zeit und Ewigkeit.
Ob sie es sang, ich kann's nicht sagen
Sie hat mich träumend angeblickt,
Es hat ihr Herz bei mir geschlagen,
Es hat ihr Haupt mir zugenickt.
O Stern und Blume, Geist und Kleid,
Lieb, Leid, und Zeit und Ewigkeit.
Das kalte Wissen war ermattet,
Das milde Fühlen war erwacht,
Die Blumen waren überschattet
Emilie hat mich angelacht.
O Stern und Blume, Geist und Kleid,
Lieb, Leid, und Zeit und Ewigkeit.
Geh armes Lied und sag der Lieben
Es hat ein Herz zum Tode krank
Mich unter Tränen aufgeschrieben,
Und zagt, ich sei dir nicht zu Dank!
O Stern und Blume, Geist und Kleid,
Lieb, Leid, und Zeit und Ewigkeit.
Heidnische Antwort auf ein †
Nimm für dein † im Brief, den dir zu Lieb'
Er, der zum Tod dich liebt, mir jüngst geschrieben,
Der Dichterliebe Bild, das mir noch blieb
Aus all dem Zauber, der mich zwang zu lieben.
»Ich hab' kein Kreuz – ich Liebe nicht verlangt
Ich muß mein Kreuz – ich seine Liebe tragen.«
Wir, denen beiden nicht vor beidem bangt,
Wir wollen also Schnödes nimmer sagen.
Wie? Nicht verlangen? – Bin ich dann kein Weib?
Verleugne ich die Reize, die mich schmücken,
Verleugne ich den Geist, das Herz, den Leib,
Die ich nie andres lehr', als zu entzücken.
Was mich betrifft, gesteh' ich ein, ich will
Der Welt noch mehr, als ihrem Herrn gefallen,
Und schwiegen auch all meine Reize still,
Lehrt' ich doch selbst die Stummen, süß zu lallen.
Und sprech' ich nicht, so lallt das Stumme doch,
Verlang' ich nicht, so lehr' ich doch verlangen,
Der fesselt auch zum Pflug, der so das Joch
Aufstellt, daß sich das Roß darin muß fangen!
Ein Vogelsteller, der die Netze stellt,
Muß auch behalten, was nicht weg will fliegen,
Er hat zum Fang verlangt, was ihm gefällt,
Doch bleibt im Netz der kranke Löwe liegen.
Hat mich ein Gott um meine Schuld geliebt,
Daß er für mich sich ließ als Opfer schlachten,
Was Wunder? daß ein Mensch sein Herz mir giebt,
Von meiner Huld berauschet zu verschmachten.
Wer Jenem tut, was er den Brüdern tut,
Ruft: Steig vom Kreuz, dran ich Dich nicht geschlagen,
Spricht er zu eines kranken Herzens Glut,
Ich hab' dies nicht verlangt, ich muß es tragen.
Jed Opfer muß ich ehren, das sich bringt
In Liebe sterbend. Nie will ich mich schämen,
Ein brechend Herz, das auch am Kreuze ringt,
Was Gott vom Menschen nimmt, auch anzunehmen.
Mich kreuzigte die Liebe, die ich fand
Du kreuzigest die Liebe, die dich suchet,
Sprich, wer von uns dem Kreuze näher stand,
Ich hab' den Kelch geleert, du ihn versuchet.
22. November 1835
Jesus, wie süß, wer dein gedenkt,
Selig sein Herz in dich versenkt,
Doch süßer noch als alles ist,
Wenn du, o Jesu, bei mir bist.
Höher ist kein Gedankenflug,
Lieblicher kein' Gesanges Zug,
Nimmer so süß klingt Liedes Ton,
Als, Jesus Christus Gottes Sohn.
Brot, das die Reue in Tränen baut,
Wein, der dem Durste vom Felsen taut,
Suchender Liebe des Hirten Laut
Selig, die findet, selig! die Braut.
Sonne der Seelen, so warm, so hell,
Wonne der Herzen, du Lebensquell,
Labung, die über die Ufer schwillt,
Alle Begierde mit Sättigung füllt.
Wo ist die Zunge, die Schrift, die vermag,
Daß sie die Fülle der Liebe mir sag',
Nur wer's erfahren, der glaubet allein,
Wie süß die Liebe zu Jesu kann sein!
Bin ich allein, allein, allein!
Schließ' ich des Herzens Kämmerlein fein,
Dort sei sein Bettchen so still so rein,
Dort ist er mein – ach wär' ich auch sein!
Dort bei der Herde, dort am Altar
Such' ich den Hirten, der Opferlamm war
Such' ich sehnsüchtig, geheim, offenbar
Jesus, nur Jesus! Ach wäre es wahr!
Mit Magdalena, grauet der Tag
Wandl' ich zum Grab, wo Jesus lag,
O Herz wer wälzt von dir den Stein,
O Herz wann kehrt er bei dir ein.
Herr bleib' bei mir, der Tag sich neigt
Mit deinem Licht mein Herz erleucht'
Bleib' bei dem Kind in banger Nacht
Bis es zu deinem Licht erwacht.
Mein Herz vom Licht des Herrn besucht
Blühet und bringt der Wahrheit Frucht
Glühe in heiliger Liebe Zucht,
Dann stirbt die Welt, von ihm verflucht!
Jesu, wie ist dein Kleid so rot
Hast mich geliebet bis zum Tod!
Dein Blut für mich gieng ins Gericht,
So schau' ich Gottes Angesicht.
Jesu, wie ist dein Lieben reich
Liebe, o werd' der Liebe gleich,
Jesu, du gabst dich hin für mich,
Nimm mich, o Herr, noch zaudre ich.
Mit deiner Lieb' berausche mich,
Nicht mehr der Welt dann lausche ich,
Jesu, dein Kreuz schwer auf dir lag,
Gieb mir mein Kreuz, ich trag' dir's nach!
O wie ist der Epheu treu!
Kann er sich nicht selbst erheben
Kann er gleich dem Wein nicht reben,
Kann er doch so liebend ranken
An den Armen an den Kranken
Auf zum wahren Weinstock streben!
O wie ist der Epheu gut
Wo er nur ein bißchen ruht
Gleich die Würzelchen fest klammern,
Daß die Trennung ihn muß jammern,
O wie ist der Epheu treu,
Wenn die Grabesurne bricht
Läßt sie doch der Epheu nicht
Bindet um die Asche fest die Scherben,
Denn getrennet muß er sterben.
O wie ist der Epheu hold
Aus der Wüste steigt er auf
Wie die Braut die sich auf den Geliebten stützet.
O wie ist der Epheu zäh
Von der Wurzel losgeschnitten
Werden Wurzeln seine Zweige
Daß er nie von jenem weiche
Was er einmal hat umarmt.
O wie ist der Epheu sinnend
Und das was er sinnet minnend,
Wer trennt mich von meiner Liebe,
Um das Kreuz schlingt er die Triebe.
In der Wüste lag ein Stein
So allein, allein, allein
Kam der Epheu zäh und kraus
Baute drum ein grünes Haus
Immergrün ist er geblieben
Sollte ihn der Stein nicht lieben.
Da oben im Gärtchen,
Da wehet der Wind,
Da sitzet Maria
Und wieget ihr Kind,
Sie wiegt es mit ihrer schneeweißen Hand,
Und brauchet dazu gar kein Wiegenband.
Ich will mich zur lieben Maria vermieten,
Will helfen ihr Kindlein recht fleißig zu wiegen,
Da führt sie mich auch in ihr Kämmerlein ein,
Da singen die lieben Engelein fein,
Da singen wir alle das Gloria,
Das Gloria, Lieb Frau Maria!
Nachtigall, ich hör' dich singen
's Herz im Leib möcht' mir zerspringen,
Komme doch und sag mir bald,
Wie sich alles hier verhalt'.
Nachtigall, ich seh' dich laufen,
An dem Bächlein tust du saufen,
Tunkst hinein dein Schnäbelein,
Meinst es sei der beste Wein!
Nachtigall, wohl ist gut wohnen
In der Linde grünen Kronen,
Bei dir, lieb Frau Nachtigall,
Küß dich Gott viel tausendmal!
Ihr Lilien im Garten
Gedenket der Nacht,
Gedenket der Zarten,
Die bei euch gewacht;
Gedenket der Gnade,
Die auf euch getaut,
Und duftet am Pfade
Der lieblichen Braut,
Und bittet am Grabe,
In dem sie nun ruht,
Daß Friede sie habe,
Die lieb war und gut.
Die Rose blüht, selig die fromme Biene,
Die in der Blätter keuschen Busen sinkt
Und milden Tau und linden Honig trinkt,
Selig die Magd, die dir o Rose diene!
In Freuden schwebet ihr Gemüt,
Weil ihre Rose blüht.
Die Rose blüht, Gott laß doch milde glühen
Der Sonne Licht, hüll' Ros' und Röselein
Gen Frost und Glut in deine Gnade ein,
Laß alle Lieb' in dieser Rose blühen,
Dann singt das ganze hohe Lied:
Ach unsre Rose blüht!
Wie rosigt blüht das Röslein aller Rosen
Und lacht mit solcher Herzempfindlichkeit,
Daß selbst die Lilie ihr zu Dienst sich weiht,
Mit keiner andern Blume zu liebkosen,
Weil aller Unschuld Seelenfried
Aus diesem Röslein blüht.
O Stunde, da der Schiffende bang lauert
Und sich zur Heimat sehnet an dem Tage,
Da er von süßen Freunden ist geschieden,
Da in des Pilgers Herz die Liebe trauert
Auf erster Fahrt, wenn ferner Glocken Klage
Den Tag beweinet, der da stirbt in Frieden!
Wenn der lahme Weber träumt, er webe,
Träumt die kranke Lerche auch, sie schwebe,
Träumt die stumme Nachtigall, sie singe,
Daß das Herz des Widerhalls zerspringe,
Träumt das blinde Huhn, es zähl' die Kerne,
Und der drei je zählte kaum, die Sterne,
Träumt das starre Erz, gar linde tau' es,
Und das Eisenherz, ein Kind vertrau' es,
Träumt die taube Nüchternheit, sie lausche,
Wie der Traube Schüchternheit berausche;
Kömmt dann Wahrheit mutternackt gelaufen,
Führt der hellen Töne Glanzgefunkel
Und der grellen Lichter Tanz durchs Dunkel,
Rennt den Traum sie schmerzlich übern Haufen,
Horch! die Fackel lacht, horch! Schmerz-Schalmeien
Der erwachten Nacht ins Herz all schreien;
Weh, ohn' Opfer gehn die süßen Wunder,
Gehn die armen Herzen einsam unter!
Das Seelchen auf der Heide
Hat nicht genug zum Kleide
Und friert durch Mark und Bein;
Ich hab in heißer Sonnen
Mein Leben aufgesponnen
Zu einem Faden fein,
Den hab ich treu gewebet,
Mein Schifflein ist geschwebet
In stäter Not und Pein.
Mit Tränen ich's erweichte,
Mit Tränen ich es bleichte
In Mond und Sternenschein.
Todwund lag ich zum Sterben,
Der Seele Kleid zu färben
Mit roter Farbe Schein.
Ich trug es ohn Verweilen
Hin viele, viele Meilen,
Da war mein Tuch zu klein,
Das Seelchen zu bedecken,
Da zuckt an allen Ecken
Heraus das Flämmelein,
Und irret auf der Heide,
Mein Zeug reicht nicht zum Kleide
Dem Feuer-Lämmelein.
Da drüben die Gesellen,
Die schleudern tausend Ellen
Rot Zeug zur Nacht hinein;
Die Fackeln und Schalmeien,
Sie brennen, reißen, schreien
Mir tief durch Mark und Bein.
Weh, Weh tut das Verschwenden,
Mit Not mußt' ich vollenden
Mein Tuch – nun ist's zu klein.
Das Seelchen springet trunken
Von Tönen, Farben, Funken,
Zur roten Lust hinein.
Wenn Tön' und Farben starben,
Kömmt Nacht und bittres Darben,
Arm, bloß, allein; allein!
Treu, dunkellaubige Linde,
Wenn rings die Windsbraut tobt,
Dein Säuseln lieblich linde
Den Frieden Gottes lobt.
Treu, dunkellaubige Linde,
Wie fährt all Gut und Blut
Fort, fort im Sturm geschwinde,
Nur du hegst festen Mut,
Treu, dunkellaubige Linde,
Wie bist du stark und gut,
Wohl dem, der mit dem Kinde
Bei dir im Hüglein ruht.
Es ist ein Schnitter, der heißt Tod,
Er mäht das Korn, wenn's Gott gebot;
Schon wetzt er die Sense,
Daß schneidend sie glänze,
Bald wird er dich schneiden,
Du mußt es nur leiden;
Mußt in den Erntekranz hinein,
Hüte dich schöns Blümelein!
Was heut noch frisch und blühend steht
Wird morgen schon hinweggemäht,
Ihr edlen Narzissen,
Ihr süßen Melissen,
Ihr sehnenden Winden,
Ihr Leid-Hyazinthen,
Müßt in den Erntekranz hinein,
Hüte dich schöns Blümelein!
Viel hunderttausend ohne Zahl,
Ihr sinket durch der Sense Stahl,
Weh Rosen, weh Lilien,
Weh krause Basilien!
Selbst euch Kaiserkronen
Wird er nicht verschonen;
Ihr müßt zum Erntekranz hinein,
Hüte dich schöns Blümelein!
Du himmelfarben Ehrenpreis,
Du Träumer, Mohn, rot, gelb und weiß,
Aurikeln, Ranunkeln,
Und Nelken, die funkeln,
Und Malven und Narden
Braucht nicht lang zu warten;
Müßt in den Erntekranz hinein,
Hüte dich schöns Blümelein!
Du farbentrunkner Tulpenflor,
Du tausendschöner Floramor,
Ihr Blutes-Verwandten,
Ihr Glut-Amaranthen,
Ihr Veilchen, ihr stillen,
Ihr frommen Kamillen,
Müßt in den Erntekranz hinein,
Hüte dich schöns Blümelein!
Du stolzer, blauer Rittersporn,
Ihr Klapperrosen in dem Korn,
Ihr Röslein Adonis,
Ihr Siegel Salomonis,
Ihr blauen Cyanen,
Braucht ihn nicht zu mahnen.
Müßt in den Erntekranz hinein,
Hüte dich schöns Blümelein.
Lieb Denkeli, Vergiß mein nicht,
Er weiß schon, was dein Name spricht,
Dich seufzerumschwirrte
Brautkränzende Myrte,
Selbst euch Immortellen
Wird alle er fällen!
Müßt in den Erntekranz hinein,
Hüte dich schöns Blümelein!
Des Frühlings Schatz und Waffensaal
Ihr Kronen, Zepter ohne Zahl,
Ihr Schwerter und Pfeile
Ihr Speere und Keile,
Ihr Helme und Fahnen
Unzähliger Ahnen,
Müßt in den Erntekranz hinein,
Hüte dich schöns Blümelein!
Des Maies Brautschmuck auf der Au,
Ihr Kränzlein reich von Perlentau,
Ihr Herzen umschlungen,
Ihr Flammen und Zungen,
Ihr Händlein in Schlingen
Von schimmernden Ringen,
Müßt in den Erntekranz hinein,
Hüte dich schöns Blümelein!
Ihr samtnen Rosen-Miederlein,
Ihr seidnen Lilien-Schleierlein,
Ihr lockenden Glocken,
Ihr Schräubchen und Flocken,
Ihr Träubchen, ihr Becher,
Ihr Häubchen, ihr Fächer,
Müßt in den Erntekranz hinein,
Hüte dich schöns Blümelein!
Herz, tröste dich, schon kömmt die Zeit,
Die von der Marter dich befreit,
Ihr Schlangen, ihr Drachen,
Ihr Zähne, ihr Rachen,
Ihr Nägel, ihr Kerzen,
Sinnbilder der Schmerzen,
Müßt in den Erntekranz hinein,
Hüte dich schöns Blümelein!
O heimlich Weh halt dich bereit!
Bald nimmt man dir dein Trostgeschmeid,
Das duftende Sehnen
Der Kelche voll Tränen,
Das hoffende Ranken
Der kranken Gedanken
Muß in den Erntekranz hinein,
Hüte dich schöns Blümelein!
Ihr Bienlein ziehet aus dem Feld,
Man bricht euch ab das Honigzelt,
Die Bronnen der Wonnen,
Die Augen, die Sonnen,
Der Erdsterne Wunder,
Sie sinken jetzt unter,
All in den Erntekranz hinein,
Hüte dich schöns Blümelein!
O Stern und Blume, Geist und Kleid,
Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit!
Den Kranz helft mir winden,
Die Garbe helft binden,
Kein Blümlein darf fehlen,
Jed Körnlein wird zählen
Der Herr auf seiner Tenne rein,
Hüte dich schöns Blümelein!
Die Gespielen
Komm heraus, komm heraus, o du schöne, schöne Braut,
Deine guten Tage sind nun alle, alle aus,
Dein Schleierlein weht so feucht und tränenschwer,
O wie weinet die schöne Braut so sehr!
Mußt die Mägdlein lassen stehn,
Mußt nun zu den Frauen gehn.
Die Lilienfräulein
Ihr klugen Jungfraun zieht hinaus,
Die Lampen sind geschmücket,
Ans Herz den reinen Blumenstrauß
Der Bräutigam nun drücket,
Ihr Lilien gebt der Braut Geleit,
Ihr tragt ein schönres Ehrenkleid,
Ein hochzeitlicheres Geschmeid,
Als Salomo in Herrlichkeit.
Die Gespielen
Lege an, lege an heut auf kurze, kurze Zeit
Deine Seidenröslein, dein reiches Brustgeschmeid,
Dein Schleierlein weht so feucht und tränenschwer,
O wie weinet die schöne Braut so sehr!
Mußt die Zöpflein schließen ein
Unterm goldnen Häubelein.
Die Lilienfräulein
Heb an du liebe Nachtigall
Dein kunstreich Figurieren,
Hilf uns mit deinem süßen Schall
Das Brautlied musizieren,
Das Lerchlein soll sein – »dir, dir, dir,
Dir Gott sei Lob« auch für und für
Erschwingen in dem höchsten Ton
Bis auf zu Gott im Himmelsthron.
Die Gespielen
Lache nicht, lache nicht, deine Gold- und Perlenschuh,
Werden dich schon drücken, sind eng genug dazu,
Dein Schleierlein weht so feucht und tränenschwer,
O wie weinet die schöne Braut so sehr!
Wenn die andern tanzen gehn,
Mußt du bei der Wiege stehn.
Die Lilienfräulein
Du blauer Himmel spann' ein Zelt,
Den Bräutigam zu grüßen,
Ihr Blümlein webet übers Feld
Den Teppich ihm zu Füßen,
Ihr Lüftlein reget dann geschwind
Die Glöcklein, daß sie duftend lind
Tau-Perlen streuen auf der Au
Ums arme Kind von Hennegau.
Die Gespielen
Winke nur, winke nur, sind gar leichte, leichte Wink,
Bis den Finger drücket der goldne Treuering.
Dein Schleierlein weht so feucht und tränenschwer,
O wie weinet die schöne Braut so sehr!
Ringlein sehn heut lieblich aus,
Morgen werden Fesseln draus.
Die Lilienfräulein
Wir Lilien aus dem Liliental,
Wir kehren einstens wieder,
Dann in ein Bettchen eng und schmal
Sinkt müd dein Brautkleid nieder,
Dann naht der Seelenbräutigam
Das Lamm von königlichem Stamm,
Und wer ihm nicht entgegengeht,
Bleibt unerhört und unerhöht.
Die Gespielen
Springe heut, springe heut deinen letzten, letzten Tanz,
Welken erst die Rosen, stehn Dornen in dem Kranz,
Dein Schleierlein weht so feucht und tränenschwer,
O wie weinet die schöne Braut so sehr!
Mußt die Blümlein lassen stehn,
Mußt nun auf den Acker gehn.
Die Lilienfräulein
Führt sternenreine Engellein
Die Braut auf guter Weide,
Durch Lieb und Leid, bis klar und rein
Der Geist im Lilienkleide
Sich scheidet von dem Dornental
Und mit uns singt beim Hochzeitsmahl:
O Stern und Blume, Geist und Kleid
Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit!
Was reif in diesen Zeilen steht,
Was lächelnd winkt und sinnend fleht,
Das soll kein Kind betrüben,
Die Einfalt hat es ausgesäet,
Die Schwermut hat hindurchgeweht,
Die Sehnsucht hat's getrieben;
Und ist das Feld einst abgemäht,
Die Armut durch die Stoppeln geht,
Sucht Ähren, die geblieben,
Sucht Lieb', die für sie untergeht,
Sucht Lieb', die mit ihr aufersteht,
Sucht Lieb', die sie kann lieben,
Und hat sie einsam und verschmäht
Die Nacht durch dankend in Gebet
Die Körner ausgerieben,
Liest sie, als früh der Hahn gekräht,
Was Lieb' erhielt, was Leid verweht,
Ans Feldkreuz angeschrieben,
O Stern und Blume, Geist und Kleid,
Lieb', Leid und Zeit und Ewigkeit!
Lebe wohl vergiß mein nicht,
Schenke mir dein Angedenken,
Liebe kannst du mir nicht schenken,
Denn das Schicksal will es nicht!
Am Morgen an das Licht der Welt getreten
Mußt' ob dem Scheinen
Ich so bitter weinen,
Da alle um die nackte Wahrheit lachten,
Die sie zu nähren und zu weihen trachten.
Am Mittag lernt' ich zu dem Keltrer beten,
Dem wahren, reinen
Weinstock mich zu einen,
Weil so allein ein Reblein muß verschmachten!
Am Abend treue Engel mit mir flehten
Die unterm Weinen
Aller aus dem Scheinen
Zum Himmelslicht Liebseelchen lächelnd brachten,
Die Hülle mag der stille Mond betrachten,
Dort wird's nicht nachten!
Engel, die Gott zugesehn
Sonn' und Mond und Sterne bauen,
Sprachen: Herr, es ist auch schön,
Mit dem Kind ins Nest zu schauen.
Meister, ohne dein Erbarmen
Muß im Abgrund ich verzagen,
Willst du nicht mit starken Armen
Wieder mich zum Lichte tragen.
Jährlich greifet deine Güte
In die Erde, in die Herzen,
Jährlich weckest du die Blüte,
Weckst in mir die alten Schmerzen.
Einmal nur zum Licht geboren,
Aber tausendmal gestorben,
Bin ich ohne dich verloren,
Ohne dich in mir verdorben.
Wenn sich so die Erde reget
Wenn die Luft so sonnig wehet,
Dann wird auch die Flut beweget,
Die in Todesbanden stehet,
Und in meinem Herzen schauert
Ein betrübter, bittrer Bronnen,
Wenn der Frühling draußen lauert,
Kömmt die Angstflut angeronnen.
Weh durch gift'ge Erdenlagen,
Wie die Zeit sie angeschwemmet,
Habe ich den Schacht geschlagen
Und er ist nur schwach verdämmet.
Wenn nun rings die Quellen schwellen,
Wenn der Grund gebärend ringet
Brechen her die bittern Wellen,
Die kein Witz, kein Fluch mir zwinget.
Andern ruf' ich: schwimme, schwimme!
Mir kann solcher Ruf nicht taugen,
Denn in mir ja steigt die grimme,
Sündflut, bricht aus meinen Augen.
Und dann scheinen bös Gezüchte
Mir die bunten Lämmer alle,
Die ich grüßte, süße Früchte,
Die mir reiften, bittre Galle.
Herr, erbarme du dich meiner,
Daß mein Herz neu blühend werde,
Mein erbarmte sich noch keiner
Von den Frühlingen der Erde.
Meister, wenn dir alle Hände
Nahn mit süß erfüllten Schalen,
Kann ich mit der bittern Spende
Meine Schuld dir nimmer zahlen.
Ach! wie ich auch tiefer wühle,
Wie ich schöpfe, wie ich weine,
Nimmer ich den Schwall erspüle
Zum Kristallgrund fest und reine.
Immer stürzen mir die Wände,
Jede Schicht hat mich belogen,
Und die arbeitblut'gen Hände
Brennen in den bittern Wogen.
Weh der Raum wird immer enger,
Wilder, wüster stäts die Wogen,
Herr, o Herr! ich treib's nicht länger,
Schlage deinen Regenbogen!
Herr ich mahne dich, verschone!
Herr, ich hört' in jungen Tagen,
Wunderbarer Segen wohne
Ach! in deinem Blute – sagen.
Und so muß ich zu dir schreien,
Schreien aus der bittern Tiefe,
Könntest du auch nie verzeihen,
Daß dein Knecht so kühnlich riefe.
Daß des Lichtes Quelle wieder
Rein und heilig in mir flute,
Träufle einen Tropfen nieder
Jesus mir von deinem Blute.
So mein Lied vor zwanzig Jahren
Als du in den Schacht geschauet,
Und zu Freiberg eingefahren,
Bis die Katze hat gemauet.
So mein Lied nach zwanzig Jahren
Als mein Haupt schon war ergraut,
Du zum Freiberg kamst gefahren
Auf der immortellen Haut.
So mein Lied, weh! heut mit Bangen,
Als gleich einer Honigimme
Aus dem Rosenbusch der Wangen
Grüßte deine graue Stimme.
Stimme nachtigallenfarben,
Ätzend Liederpulver streuend,
Daß zu Wunden werden Narben
Leid und Lied und Schmerz erneuend.
Torenstimme einer Weisen
Weise Stimme einer Törin,
Stimme aus den Zaubergleisen
Der Frau Venus, Klang der Möhrin.
Weh, wie diese den Tannhäuser
Lockte mit der Zauberflöte,
Lockt den Pilger heiser, leiser
Jetzt von Linum die Tralöte!
Imme, die mich tief verwundet,
Wohl mit Recht summst du verbindlich
Stimme süß, wie keine mundet
Drum Freßlieb, das Weitre mündlich!
Als Herr Künzel neulich bat,
Schuldig ihm kein Blatt zu bleiben,
O da fand ich freilich Rat,
Braucht' mir nicht die Stirn zu reiben:
Für ein Blatt von Freiligrath
Konnt' ich ihm gleich sechse schreiben;
Gern um einen Pfeil ich bat
Nach so reiner Sonnenscheiben;
Tanzt' auch auf dem Seil ich grad,
Wollt' ich balancierend bleiben,
Schrieb auch keine Zeil' ich grad,
Ließ doch meinen Kiel ich treiben,
Kläng' es auch langweilig fad,
Wollt' ich doch sechs Blätter schreiben,
Für ein Blatt von Freiligrath.
Aber dabei soll's auch bleiben,
Denn, weil ich zu eilig tat,
Mich sechsfach einzuverleiben,
Sah ich, daß Herr Freiligrath
Sein Gedrucktes ab kann schreiben;
Ein gedrucktes Blatt ist seines,
Dies von meinen Sechsen eines,
Weiter kriegt Herr Künzel keines.
Der Du von dem Himmel bist,
Alles Leiden endlich stillest,
Den, der doppelt elend ist,
Doppelt mit Erquickung füllest:
Ach ich bin so müd, so müde;
Was soll aller Schmerz und Lust?
Gottesfriede –
Komm, o komm in meine Brust.
O Traum der Wüste, Liebe, endlos Sehnen,
Blau überspannt vom Zelte, Stern an Stern;
O Wüstenglut voll Tau, o Lieb' voll Tränen,
Weil sich unendlich Nahes ewig fern.
O Wüstentraum, wo Lieb' auf Herzschlag lauschet,
Wenn flücht'gen Wildes Huf die Wüste drischt,
O Traum, wo der Geliebten Schleier rauschet,
Wenn Geierflug im Sandmeer Schlangen fischt.
O Wüstentraum, wo Liebe träumt zu fassen
Jetzt Josephs Mantelsaum mit durst'ger Hand,
Da geißelt wach, verhöhnt halb, ganz verlassen
Ihr Herz, der Wüste Geißel, glüher Sand.
O Liebe, Wüstentraum der Sehnsuchtspalme,
Die blütenlos Gezweig zum Himmel streckt,
Bis segnend in des höchsten Liedes Psalme
Der Engel sie mit heil'gem Fruchtstaub weckt.
O Wüste, Traum der Liebe, die verachtet
Vom Haus verstoßen mit der Hagar irrt,
Wo schläft der Quell? da Ismael verschmachtet,
Bis deine Brust ihm eine Amme wird.
O Wüstentraum der Liebe, die sich sehnet,
Steigt nie ein Weiherauch aus dir empor?
Geht duftend, auf den Bräutigam gelehnet,
Nie meine Seele heil aus dir hervor?
O Wüste, wo das Wort der ew'gen Liebe
Im unversehrten Dorn vor Moses flammt,
Ein Zeugnis, daß die Mutter Jungfrau bliebe,
Aus deren Schoß der Sohn der Gottheit stammt.
Lieb', Wüstentraum, so laut des Rufers Stimme,
»Bereit' den Weg des Herrn!« dir mahnend schallt,
Summt in des Löwen Schlund dir doch die Imme,
Die Süßes baut im Rachen der Gewalt.
O Durst der Liebe, Wüstentraum, wann spaltet
Der Herr den Fels, daß Wasser gibt der Stein,
Wann deckt in dir den Tisch, der gütig waltet,
Wann sammle ich das Himmelbrot mir ein?
Durst, Liebe, Wüstentraum, dort scheint am Hügel
Der Morgenstrahl, ein Hirtenfeuer weiß,
Wo Durst gewähnt des Wasserfalles Spiegel
Fand Liebe ein Geschiebe Fraueneis.
O Liebe, Wüstentraum des Heimatkranken,
Ihr Paradiese, schimmernd in der Luft,
Ihr Sehnsuchtsströme, die durch Wiesen ranken,
Ihr Palmenhaine, lockend in dem Duft.
O Liebe, Wüstentraumquell, beim Erwachen
Rauscht dir kein Quell, es wirbelt glüher Sand,
Es saust das Haus der Schlangen und der Drachen
Und prasselt nieder an der Felsenwand.
O Wüstentraum, wo Sehnsucht Feuer trinket,
Und Liebe angehaucht vom gift'gen Smum,
Ohn' Trost und Hoffnung tot zur Erde sinket; –
O Tod ohn' Liebe, Hoffnung, Ehr' und Ruhm!
O Wüstentraum der Lieb'! in der Oase
Labt dich am Quell, der zwischen Palmen glänzt,
Ein schlankes Kind – die Schlange ist's im Grase,
Der Räuber Kundschaftrin, ein Truggespenst.
O Liebe, Wüstentraum, nach kurzem Gasten
Sprengt dich der Räuber gastfrei an mit Hohn:
»Mein Brüderchen! entlaste dich zum Fasten,
Wo denkest du hinaus, mein lieber Sohn?«
O Liebe, Wüstentraum, du mußt verbluten,
Beraubt, verwundet, trifft der Sonne Stich,
Der Wüste Speer dich, und in Sandesgluten
Begräbt der Wind dich, und Gott findet dich!
Legende von der heiligen Marina
Veranlaßt durch eine Zeichnung des Historienmalers Eduard Steinle aus Wien und auf Begehren abgedruckt zum Besten der durch den Donau-Eisgang 1841 Beschädigten in der Diözese Regensburg
Zueignung
An den Historienmaler Eduard Steinle aus Wien
Wie Sankt Marinas heilige Legende
So klar und rein, so ernst jungfräulich schön
Gebildet deiner Kunst unschuld'ge Hände,
Sah manches Aug' gerührt ich eingestehn.
Und als auch mir dein Werk das Herz bezwungen,
Das stumm und hart nur selten Kunst gerührt,
Hab' ich Marinas Lob für dich gesungen,
Der Heil'gen selbst ein höhres Lied gebührt:
Ein neues Lied, das unter Harfenchören
Dem Lamme Gottes, das auf Sion steht,
Die Jungfraun singen und allein nur hören,
Die rein dem Lamm gefolgt, wohin es geht.
Nimm du fürlieb; was Liebe mußte dichten,
Dies Lied von deiner zücht'gen Kunst bewegt,
Sei schüchtern dir – die Liebe kann nicht richten,
Nur dulden, schonen, – an das Herz gelegt.
Doch Ernsteres tut not, – Horch! – Weheklagen!
Die Donau, die das Wiegenlied dir sang,
Droht wild des Eises Fesseln zu zerschlagen;
Ihr Kind, die Not, wehklagt dem Strand entlang.
Wir geben ihr das Lied ums Brot zu singen;
Vergelt's Gott! – Horch, zu beten lehrt die Not.
Und wird das Mitleid ihr dein Bild auch bringen,
Geht Bild und Lied vereint wie Kunst nach Brot.
O in der Liebe, welch ein heilend Fügen!
Der glühe Orient gibt dir ein Bild,
Das haucht der Not aus warmen Atemzügen
Ein Schlummerlied ins Donaueisgefild.
Marina! hilf der Donau singen, wiegen,
Sieht sie die Not, ihr ausgesetztes Kind,
Im Schlummer lächelnd dir am Herzen liegen,
Dann bricht das Eis und taut dem Armen lind.
Legende von der heiligen Marina
»Eugenius«, sprach der Abt, »warum so trauern?
Es scheint, als sei dein Herz noch in der Welt,
Und ich in diesen heil'gen Klostermauern
Zum Hüter nur für deinen Leib bestellt?«
Da seufzt der Mönch: »Zu Haus bei den Verwandten
Ließ ich ein Kind; hat gleich des Weibes Tod
Mich frei gemacht von vielen ird'schen Banden,
Sorg' um des Kindes Heil ich doch mit Not.«
Der Abt sprach: »Folge Sohn dem treuen Hirten,
Führ' her dein Schäflein in den sichern Stall,
Die Lämmer, die aus unsrer Hut verirrten,
Von uns einst fordert sie der Richter all.«
Heim eilt der Vater, löst die goldnen Locken
Von seines Mägdleins Haupt; mönchisch verhüllt
Den zarten Leib er, und des Klosters Glocken
Begrüßen fromm getäuscht des Jünglings Bild.
Und gleich der Primel, die gebeugt zur Erde
Den Tau des Himmels trinkt am Felsenrand,
Empfängt nun kniend mit kindlicher Geberde
Marina Segen von des Abtes Hand.
Marina, die nun jenseits heil'ger Schwelle
Marinus heißt, vom Vater treu belehrt,
Wird bald zum Meister in der stillen Zelle
In Schrift und Lesung und was Mönche ehrt.
Wie süß sang sie, das Jesukind zu grüßen:
»Lobsingt, uns ist geschenkt ein Kindelein,
Mein armes Herz liegt dienend ihm zu Füßen
Denn alle Macht ruht auf den Schultern sein!«
Wie sinnreich schmücket sie zur Kirchenfeier,
Die Krippe kinderfroh, wie ernst das Grab,
Wie freudigbunt malt sie die Ostereier,
Und windet Blumen um des Abtes Stab.
Zur Wallfahrt zog zu ihr der Herbst, der Winter;
Der Lenz, der Sommer brachten Jahr für Jahr,
All ihre Schätze, schmückten wie die Kinder
Fromm mit Marina Kirche und Altar.
Doch als sie selbst in reicher Jugendblüte,
Verhüllet zwar, doch voll von Duft und Glanz;
Mehr Schutz bedurfte, als daß man sie hüte,
Flocht ihrem Vater sie den letzten Kranz.
Und schwur dem Sterbenden in seine Hände
Den Schwur, den seine ernste Lippe sprach:
»Ich schwöre, mein Geheimnis bis zum Ende
Treu zu bewahren ohne alle Schmach.
Daß nicht die Schlange zum Verrat mich führe
Gleich unsrer Mutter einst im Paradies,
Die, weil sie öffnete dem Tod die Türe,
Der Engel vor des Gartens Pforte stieß.
Ja mein Geheimnis, meinen Kranz, ich schwöre,
Ihn bring' ich unverletzt dem Bräutigam,
Daß rein mein Lied man in den Chören höre
Der Jungfräulein, lobsingend vor dem Lamm.«
Der Vater segnet sie, sein Geist entfliehet,
Den Leib legt man zur Auferstehung hin,
Und bei des Hügels Trauerblumen knieet
Marina wie ein ernster Rosmarin.
Fortan die Brüder ehrten den Gesellen
Als eines edlen Baumes gute Frucht;
Auswärtige Geschäfte zu bestellen,
Wählt gern der Abt ihn wegen seiner Zucht.
»Marinus! nimm die Geißel, leit' die Rinder
Am Wagen zu dem nahen Meeresport
Und führ' Getreid uns ein für diesen Winter,
Kehr' beim vertrauten Wirte ein am Ort.
Weil kühn und frei die Tochter dort im Hause,
Hab acht! mein Sohn, bleib treu des Vaters Zucht,
Verbotne Frucht, umblüht von duft'gem Strauße,
Versuchet leicht, wird leichter noch versucht.«
Marina fährt, kehrt mit den Säcken wieder,
Und wiederholt die Fahrt vielfach zum Port,
Gern sitzt sie bei des Wirtes Tochter nieder,
Die höret gern des feinen Mönches Wort.
Marina liebte mehr, zu ihr zu reden,
Als zu den Männern, und mit Engels Huld
Lehrt sie das kühne Mägdlein singen, beten,
»Herr! wie den Schuldnern wir, vergib uns Schuld.«
Doch eh' sie bat: »Nicht in Versuchung führe
O Herr uns,« führt ein Kriegesmann zum Tanz
Die Schülerin, und vor des Wirtes Türe
Hängt bald ein Strohkranz bei des Weines Kranz.
Die Dirnen streuten Häckerling, es wütet
Der Vater: »mache mir den Mann bekannt.«
Die Tochter lügt: »wie schlecht war ich gehütet!
Mich hat der Mönch Marinus übermannt.«
Dann folgt die Elende mit ihrer Bürde
Dem Vater zu dem Abte hin und schwor,
Daß sie den Kranz, das Kloster seine Würde,
Durch des Marinus Büberei verlor.
Da wird die Schuld der Unschuld laut verkündigt;
Marina denkt an ihrer Jugend Schwur,
Und spricht: »O Abt! wie schwer ich hab' gesündigt,
So schwer verhänge mir die Buße nur.«
Der Abt nun sprach die strengen Richterworte:
»Ihr Brüder reiniget des Herren Haus
Und treibet vor des Paradieses Pforte
Den Sünder in die Wüste jetzt hinaus.
In Schmerzen soll das Weib sein Kind gebären
Und er das Elend bau'nd in Gottes Zorn
Im Schweiße seines Angesichts es nähren,
Sein Garten trage Disteln ihm und Dorn.«
Der Mönche Schar auf diese strengen Worte
Läßt an Marina ihren Grimm nun aus,
Mit Brot und Wasser treiben sie zur Pforte
Die Arme in die öde Nacht hinaus. –
– Doch ihr nicht öd; denn zu des Vaters Grabe
Eilt mit dem Krug und Brot das treue Kind;
Daß ihr Geheimnis sie bewahret habe,
Erzählt sie betend ihm in Nacht und Wind.
Streng tat Marina göttlichem Gebote
Und ihres Ordens Regel dort genug,
Sie teilte täglich mit der Not die Brode
Und mit den Durstigen den Wasserkrug.
Sie betete und sang die heil'gen Stunden,
Wie sie der sel'ge Vater einst gelehrt;
Die Matutin, da Jesus ward gebunden,
Sie täglich mit dem Morgenstern verehrt.
Die Prim, da er verhöhnt ward und verspieen,
Begrüßt ihr Dankgebet für eigne Schmach,
Zur Terz, da sie »ans Kreuz mit ihm« geschrieen,
Pries sie das Urteil, das der Abt ihr sprach.
Zur Sext, der Kreuz'gung grimmer Marterstunde,
Trug dankend Jesu sie ihr Kreuz auch nach;
Zur Non, da er empfing die Seitenwunde,
Pries sie das Schwert, das ihr das Herz durchstach.
Zur Vesper, da er ward vom Kreuz genommen,
Sank ihre Sonne in ein Tränenmeer;
Und zur Complet, da er ins Grab gekommen,
Rief sie ins Chor das ganze Sternenheer.
Und in ihm zählend Jesu Geißelwunden,
Trifft Dorn und Geißel sie mit hartem Schlag.
So zieht Marina büßend alle Stunden
Den Kreuzweg mit dem Jahr durch Nacht und Tag.
Doch als zum Port der Storch kam heimgeflogen,
Bracht' er ein Knäblein in des Wirtes Haus,
Drei Jahre hat's die Dirne großgezogen,
Und setzt es dann gleich einer Hagar aus.
Der bösen Dirne Mutter trägt den Knaben
Hin zu Marina, spricht zu ihr mit Hohn:
»Es füttern ihre Brut ja alle Raben,
So füttre schwarzer Mönch auch deinen Sohn.«
Marina dankt und singt, ihr Leid zu süßen:
»Gott Lob, uns ist geschenkt ein Kindelein,
Mein sündig Herz ruht dienend ihm zu Füßen,
Denn alle Macht ruht auf den Schultern sein.«
Sie wiegt den Knaben ein an ihrem Herzen,
Er schläft gewärmt von reiner Liebe Glut,
Genähret von dem Brode ihrer Schmerzen,
Getränkt von ihrer Tränen heil'ger Flut.
Zwei Jahre so mit diesem armen Kinde
Stand büßend noch Marina vor dem Tor,
Und weicht in Tränen ihm die harte Rinde,
Die man ihr täglich mit der Schuld wirft vor.
Und lehrt es treu mit süßen Mutterreden,
Wie einst der liebe Vater sie gelehrt,
Für seine Eltern und für Sünder beten;
Die Mönche hörten's, Gott hat es erhört.
Und als in des Adventes heil'gen Tagen
Die Sehnsucht allem Trost entgegen wallt,
Lehrt fromm Marina ihren Knaben fragen,
Ob wohl das Jesukindlein komme bald.
Und als er fragt, wo nur es schlafen solle,
Trägt wie ein Vöglein sie vom Dornbusch ein
Vorbei gestreifter Schäflein zarte Wolle,
Und baut dem Kind ein feines Krippelein.
Dann formet aus dem Wachs der wilden Bienen
Marina auch ein Kindlein weiß und fein
Und legt es, als die heil'ge Nacht erschienen,
Andächtig zwischen Ochs und Eselein.
Als jubelnd nun des Klosters Glocken klingen,
Und Weihenacht mit freud'ger Lichter Schein
Die Kirche füllt, fällt in der Mönche Singen
Marinas und des Knaben Stimme ein.
»Kommt lasset uns das Heil der Welt begrüßen,
Denn uns ist ja geschenkt das Kindelein,
Mein armes Herz ruht dienend ihm zu Füßen,
Denn alle Macht ruht auf den Schultern sein.
Den Schultern huldiget, die, unsre Schulden
Zu büßen, trugen schwere Kreuzeslast;
Kommt, huldiget der Unschuld, die voll Hulden,
Dem Kinde, das bei Sündern kömmt zu Gast.
Es nimmt fürlieb: bringt, was ihr habt, dem Kinde,
Bringt bittre Myrrhenbüschlein eurer Schuld,
Bringt eures bösen Herzens harte Rinde,
Bringt einen blühnden Dornkranz der Geduld.
O kommt mit mir und betet an ihr Sünder,
Für uns ja kömmt dies Kind, für uns allein.
Erbarmet euch gleich ihm der armen Kinder,
Erbarmt euch aller seiner Brüderlein!«
So hörten, die zur Weihnachtmette gingen,
Die Mönche einsam draus in Sturm und Wind
Marina mit dem armen Kinde singen,
Und sieh, es ward ihr Herz ganz mild und lind.
Sie dringen in den Abt mit ihren Bitten:
»Tu auf das Tor und laß Marinus ein,
Fünf Jahre hat geduldig er gelitten
In strenger Buße Hohn und Hungers Pein.
In Sonnenglut, im Sturmgeheul der Winde
Hat niemals noch Marinus wehgeklagt,
Hat mit dem Knaben seine harte Rinde,
Mit Tränen dankend, täglich fort genagt.
Die er erschütterte, die heil'gen Mauern
Der klösterlichen Zucht durch seine Schuld,
Hat er in uns erbaut zu langem Dauern
Durch seiner Buße sühnende Geduld.
Der selbst ohn' Obdach draußen in der Wüste
Ein festlich Dach erbaut dem Gotteskind,
Das aller Büßer Schuld am Kreuze büßte,
Verschmachte länger nicht in Sturm und Wind.«
Der Abt, gerührt in väterlicher Strenge,
Vernimmt erfreut der Brüder Mildigkeit,
Er lauschet auf des Büßers Christgesänge,
Sein Herz geht auf im Gnadentau der Zeit.
Er läßt von seinem Mund das Sprachrohr tönen:
»Gott in den Himmelshöhn sei Ehr und Preis,
Fried' und Versöhnung allen Menschensöhnen,
Die guten Willens, auf dem Erdenkreis.
Ihr Schäflein in der Wüste draus verloren,
Verbannt, verwiesen, kehret heim zum Stall,
Es ist das Lamm, der gute Hirt geboren,
Marinus hör' des Hirtenhornes Schall!«
Marina gleich auf diese Friedensworte
Die Krippe auf des Knaben Hände legt,
Und folgt lobsingend zu der Klosterpforte
Dem Kleinen, der das Jesuskindlein trägt.
Er setzt das Kripplein auf der Schwelle nieder,
Und knieet betend bei der Büßerin.
Der Abt steht schweigend dort im Kreis der Brüder,
Und blicket ernst dann auf Marina hin.
»Hier führte einst Eugen, dein Vater«, spricht er,
»Marinus den unschuld'gen Sohn herein,
Hier ward dein Vater ich, und dann dein Richter,
Das ist die Frucht von deiner Schuld allein.
Hier fordert auch Eugen einst deine Seele,
Die du verderbet hast, o Sohn, von mir;
Drum trieb' ich, nicht damit dein Herz ich quäle,
Nein, daß ich's reinige, dich weg von hier.
Tritt wieder mit dem Zeugen deiner Sünde
Und mit dem Weihnachtskindlein bei uns ein,
Doch, willst du folgen streng dem Jesuskinde,
Mußt du ein Knecht auch seiner Knechte sein.
Dies Haus durch deines Lasters Schmach erschüttert,
Bau' deiner Buße Beispiel wieder auf.
Das Ärgernis, zu dem du uns erbittert,
Versüße deiner Reue Tränenlauf.
Konnt' deine Schuld dies Haus so arg beflecken,
So halt' fortan es deine Buße rein,
Den Wust und Unrat feg' aus allen Ecken
Von heut an täglich deine Hand allein.
Besudelt und zerrissen hast du leider
Mit böser Lust dein geistliches Gewand,
Drum reinige fortan der Brüder Kleider
Und dieses Hauses Linnen deine Hand.
Dein Wandel hat mit schreienden Skandalen
Den Ruf des Klosterwandels arg beschmutzt,
Drum werden künftig alle die Sandalen
Des Klosters nur von dir geflickt, geputzt.
Und weil das Wasser Gott in Zornes Tagen
Und Gnadentagen reinigend bestellt,
Sollst du ins Haus auch alles Wasser tragen;
Denn deine Schuld ist gleich der Schuld der Welt.
Draus vor der Türe büßtest du als Laie,
Bis du dich frei gedient und ausgesühnt;
Im Hause werd' dein Büßen dir zur Weihe,
Bis deine Buße dir Verdienst erdient.«
Marina dankt und küßt des Abtes Füße
Und rings den Mönchen des Gewandes Saum;
Daß sie im engen Kloster schwerer büße,
Schien nun die Wüste draus ein schöner Traum.
Tief sehnt Marina sich und übt mit Treue
Ihr müheselig Amt von Tag zu Tag,
Ein rührend Gnadenbild zerknirschter Reue
Wankt sie umher, bis sie der Last erlag.
Da naht ihr Ziel, es brechen ihr die Glieder,
Und auf des teuern Vaters Hügelgrab
Zieht sie die Last des Wasserschlauches nieder,
Und leget sie des Lebens Bürde ab.
Und zu den Mönchen eilt und spricht der Knabe:
»Kommt, holt den Schlauch, ich weiß nicht, was geschehn,
Mein Vater saß bei seines Vaters Grabe
Und betete und schlummert jetzt ganz schön.«
Die Mönche nahn, Marina reicht die Hände
Aufblickend hin den Brüdern rings geschart,
»Vergebt,« fleht sie, »und zeugt, daß bis zum Ende
Dem Vater das Geheimnis ich bewahrt.«
Sie starb. – Der Abt von ihrem Tod berichtet,
Sprach: »Also große Sünde hat getan
Marinus, daß Gott selbst ihn hat gerichtet,
Seht, seine Buße nahm der Herr nicht an.
Darum kein Trunk aus seinem Schlauch euch labe,
Wascht aus dem Schlauch, dem er erlag, ihn rein,
Und senket weit von jedes Frommen Grabe
Des Sünders Leib fern in der Wüste ein.«
Bald ruht der heil'ge Leib draus in der Halle,
Sein Antlitz waschen sie mit banger Scheu,
Und nun den Hals – da eilten plötzlich alle,
Zum strengen Abte hin mit Wehgeschrei.
Er fraget ernst: »Welch Unheil ist geschehen?«
Sie aber schrien: »Komm, schau das Wunder an,
Zur Halle komm, Marinus anzusehen,
Die Unschuld sieh, der wir so weh getan!«
Es folgt der Abt von ihrer Angst erschrecket,
Ein Ecce Homo scheint des Büßers Leib,
Doch als den Mantel von der Brust er decket,
Spricht ihrer Unschuld Zeugin: »Sieh ein Weib.«
»Weh!« schreit der Abt, »mein Ruhm ist all verloren!
Deckt Hügel mich, und über mich euch beugt
Ihr Berge! Weh dem Leib! der mich geboren!
Den Brüsten weh! die mich als Kind gesäugt.
Konnt' solch Gericht am grünen Holz geschehen,
Ließ Gott es zu durch mich grausamen Mann,
Wie wird es mir, dem dürren Stamm, ergehen,
Den mit dem Feigenbaum trifft gleicher Bann.«
Da wirft er sich laut jammernd an die Erde,
Schlägt an die Steine hin sein greises Haupt,
Und klaget mit des tiefsten Leids Geberde:
»Marina, weh! uns hat dein Kranz entlaubt.«
Und mit den Fäusten sich die Brust zerschlagend,
Kniet rings um ihn der Brüder Trauerchor,
Und nie noch drang ob schwerer Schuld wehklagend,
Ein Miserere reuiger empor.
Der Knabe auch, der stets der Mönche Lieder
Und Stellung nachahmt, bracht' sein Krippelein,
Und kniet mit ihm sich zwischen ihnen nieder,
Und sang der Einfalt Lied vom Kindelein.
»Kommt, lasset uns das Heil der Welt begrüßen,
Geboren ist uns ja ein Kindelein,
Mein armes Herz ruht dienend ihm zu Füßen,
Denn alle Macht ruht auf den Schultern sein.
Den Schultern huldiget, die, unsre Schulden
Zu büßen, trugen schwere Kreuzeslast;
Kommt, huldiget der Unschuld, die voll Hulden
Ein heilig Kind bei Sündern kommt zu Gast.
Es nimmt fürlieb; o huldiget dem Kinde,
Bringt bittre Myrrhenbüschlein eurer Schuld,
Bringt eures bösen Herzens harte Rinde,
Bringt einen blühnden Dornkranz der Geduld!
O kommt mit mir und betet an ihr Sünder!
Für uns ja kam dies Kind, für uns allein,
Erbarmet euch gleich ihm der armen Kinder,
Erbarmet euch doch seiner Brüderlein!«
Mit diesem Lied kam Friede auf die Brüder
Und auf den Abt, die guten Willens sind;
Sie knieten um die heil'ge Leiche nieder,
Da ward ihr grimmer Schmerz ganz süß und lind.
Und flehend spricht der Abt: »zu deinen Füßen
Gelobe ich, du heil'ges Wüstenkind,
Dein schuldlos Büßen doppelt selbst zu büßen
In Wüstenglut und Durst und Sturm und Wind.
Doch jetzt beschwör' ich dich, an jenem Tage,
Des Zornes Tage, vor dem Angesicht
Des Gottes, der dich liebt, mich nicht verklage,
Denn, was ich dir getan, ich wußt' es nicht.
Beschwör' ich dich beim jungfräulichen Leibe,
Der Jesum trug und bei der sel'gen Brust,
Die ihn genährt, nicht in mein Schuldbuch schreibe,
Daß deine Unschuld dir nur war bewußt.
Bei geistlichem Gehorsam ich befehle«
Spricht dann der Abt, aufrichtend sich am Stab,
»Daß allen du vergebest, teure Seele,
Wie Jesus seinen Kreuzigern vergab.
Unwissenden nicht nur erfleh' vom Lamme
Dem treu du folgtest, seiner Gnade Huld;
Nein jener auch, daß Gott sie nicht verdamme,
Die lügend auf dich warf die eigne Schuld.«
Ein süßer Duft erfüllte gleich die Halle
Auf des Gehorsams heilig mächt'ges Wort;
»Sie hat vergeben!« flüsterten da alle,
»Von ihrer Milde duftet dieser Ort.«
Den heil'gen Leib zur Kirche nun zu bringen,
Befiehlt der Abt der frommen Brüder Schar.
»Herr Gott dich loben wir« die Träger singen,
»Dich Gott in deinen Heil'gen wunderbar.«
Und mit dem Jesukindlein vor dem Zuge
Zieht her der Knabe, der sein Liedlein singt;
Und über ihm in weiterstrecktem Fluge
Der Vögel Schar der Wüste Rauchfaß schwingt.
Sie streuen Weihrauch auf Marinas Glieder,
Und schmücken mit Gewürzen ihr Gewand;
Ein goldner Bienenschwarm summt zu ihr nieder
Und füllt mit Wachs und Honig ihre Hand.
Sehnsüchtig Palm und Palme sich durchschlingen
Zu Ehrenpforten auf des Zuges Pfad,
Und weiße Tauben wehn mit reinen Schwingen
Kühlung und Blüten, wo die Heil'ge naht.
Die Lämmer blöckend sich zum Zuge drängen,
Jed Blümchen streuet einen Tau-Juwel,
Es wölbt ein Baldachin sich von Gesängen,
Stumm huldigend am Weg kniet das Kamel.
Schon überschritt der Zug die heil'ge Schwelle,
Schon ruht Marinas Leib vor dem Altar,
Da bringt ein rasend Weib man zur Kapelle,
Mit Wutgeberde und zerrauftem Haar.
Des Knaben Mutter ist's, die frech vermessen
Des Kriegers Schandtat auf Marina log,
Vom Geist der Lüge raset sie besessen,
Seit rein der Büßrin Geist zum Himmel flog.
Sie sträubt sich bäumend in der Knechte Armen,
Die mit Gewalt sie nahn dem heil'gen Leib,
»Marina bitt' für sie!« ruft voll Erbarmen
Das ganze Volk und betet für das Weib.
Sie rast und tobt, bis um der Mutter Hände
Der Knabe Sankt Marinas Gürtel wand;
Da ging an ihr des Satans Macht zu Ende,
Da ward der Gnade Macht an ihr erkannt.
In Strömen weinend auf des Knaben Wangen
Fleht sie: »Unschuld'ger Zeuge meiner Schuld,
Hilf betend mir von Jesu Gnad' erlangen
Durch sein Verdienst in seiner Braut Geduld.«
Da spricht das Kind, wie es Marina lehrte,
Des Herrn Gebet fromm seiner Mutter vor,
Und schluchzend betet die von Reu' Verzehrte
Die Bitten nach, einstimmt der Mönche Chor.
Doch als sie sprach: »Herr in Versuchung führe
Uns nicht! o Herr vom Bösen uns erlös',«
Erbebt sie und aus ihres Mundes Türe
Fährt aus der Lügengeist mit Wutgetös'.
Da hörten alle, daß ein süßes Amen
Marina leis mit reiner Lippe sprach,
Und priesen hoch der Jungfrau heil'gen Namen,
Die so getreu dem Lamme folgte nach.
Und ihres Ruhmes gute Engel flogen
Zum Meer hinab, zum Libanon hinan,
Mit Kreuz und Fahne kamen hergezogen
Die Klöster rings; die Wüste ward zur Bahn.
Und wo bei ihres Vaters Hügelgrabe
Marina Wasser tragend niedersank,
Erquickt die Kranken aus dem Schlauch der Knabe,
Und mancher ward gesund, der glaubend trank.
Am Pilgerpfade aber, um zu büßen,
Am Hals den Strick, die Kerze in der Hand,
Geschornen Hauptes, bleich, mit nackten Füßen
Des Knaben Mutter in dem Bußhemd stand.
Sie sang das Klagelied von ihrer Schande.
Das Jubellied von Sankt Marinas Ehr';
Da hörten es die Pilger aller Lande
Und sangen's weiter über Land und Meer.
Conscientia
Und weil der Büßrin Namen man nicht wußte,
Ward Weib und Lied Conscientia genannt;
Und wer es sang und singen hört', der mußte
Ans eigne Herz auch legen seine Hand.
Auch dem Verführer sang es seine Schande,
Doch nie die Hand am Herzen es ihn fand;
Es sucht und fand das Lied ihn rings im Lande,
Hier handgemein und dorten Hand in Hand.
Er flieht des Liedes Kreis zu weiterm Kreise,
Doch so an ihn gebannt ist der Gesang,
Daß in der stummen Wüste diese Weise
Aus seinem eignen Munde endlich klang.
Verschmachtend trieb es ihn von Wüst' zu Wüste
Wie den gehetzten Hirsch des Jägers Hund,
Bis schmerzlicher als je das Lied ihn grüßte
Mit heiserm Klang aus seines Weibes Mund.
So heiser klang es, wie die Wüstenquelle;
Vom Durst gepeinigt dringt er durch den Strauch,
Da steht ein Jüngling an des Grabes Schwelle,
Da tränkt sein Sohn ihn aus Marinas Schlauch.
Und weil mit Labung Gnade er getrunken,
Hat weinend er ans Herz gelegt die Hand,
Ist betend vor dem Kreuz er hingesunken,
Am offnen Grab, worin Conscientia stand.
Der Jüngling eilte weiter in die Wüste,
Und führt den Abt, der dort schon manches Jahr,
Wie er Marina es gelobet, büßte,
Hin an das Kreuz zu seiner Eltern Paar.
Die beiden nun bekennen ihre Sünden,
Er spricht sie los, reicht ihnen Jesu Leib,
Um ihren Bund nun sühnend zu verbinden,
Und segnet dann des Grabes Bett dem Weib.
Von ihrem Mund zum letzten Mal erklungen
Ist nun Marinas Ehr' und ihre Schmach;
Ihr Mann in tiefer Reu' hat mitgesungen,
Wehklagend hallten rings die Felsen nach.
Da ließ der Abt sein Hirtenhorn ertönen,
Die Mönche nahn und küssen seinen Stab,
Umgeben von der Wüste frommen Söhnen
Senkt sich Marinas Schülerin ins Grab.
Aufblickend nochmals reichet sie die Hände
Dem Mann, dem Sohn, den Mönchen kniend am Rand
»Vergebt«, fleht sie, »und zeugt, daß bis zum Ende
Vor aller Welt ich meine Schuld bekannt.
Mein Sohn! wie deine Mutter fortan ehre
Den Vater, daß du lebst auf Erden lang.
Wie mich, so ihn Marinas Buße lehre,
Das laß ich dir – und ihm den Bußgesang.
Mein Gatte! o verwalte treu dies Erbe,
Marinas Unschuld, unsrer Schuld Gesang,
Auf unsern Gräbern nie das Bußlied sterbe,
Zu unsern Gräbern sei der Büßer Gang.
Und wer hier tief verwundet betend rastet,
Ergieße seiner stummen Wunden Schmerz,
Er sing' und klage hier, was ihn belastet,
Sein Mund bekenne laut sein krankes Herz.
Hier, wo die Unschuld schweigend hat getragen,
Hier, wo die Schuld bekennend ward gesund,
Werd' aller Lieb' es leicht, zu weheklagen,
Und lächle allem Leid ein Gnadenmund.«
Da lächelte ihr Mund dem Sohn, dem Manne,
Der Mönche Schar, die betend sie umgab,
Dann schied die Seele aus des Leibes Banne,
Der mit gekreuzten Händen ruht im Grab.
Und de profundis rings die Mönche singen;
Und Vögel, denen sie ihr Brot geteilt,
Sind, ihres Dankes Huldigung zu bringen,
Mit Blumen sie bedeckend hergeeilt.
Und Zedernreiser häufen sie zusammen
Und streuen edles Harz an Grabes Rand;
Es läßt der Sohn des Dankes Opfer flammen,
Und Weihrauchwolken ziehen weit durchs Land.
Dann sang der Sohn das Bußlied durch die Lüfte,
Der mit dem Lied vom Kindlein es durchschlang,
Bis seine Seele im Geleit der Düfte
Empor beim Gloria in Excelsis drang.
So mehrten sich von Zeit zu Zeit die Hügel,
Manch leidenmüdes Haupt ging hier zur Ruh';
Mit Blüten deckte hier das Waldgeflügel
Manch wundes Herz im Tode heilend zu.
Als längst von hohem Steindom übermauert
Der Leib Marinas in Venedig ruht,
Ward unterm Himmelsdom hier noch getrauert,
Trank Tränenflut hier noch der Wüste Glut.
Als Sang und Weihrauch lang schon dort das Wunder
Des unverwesten Bußleibs feiernd preist,
Glimmt' in der Wüste noch der Reue Zunder,
Schwebt' um das Grab hier noch der Buße Geist;
Klang noch das Bußlied hier von Mund zu Munde,
Gab noch von mancher Seele ausgesöhnt
Die Weihrauchwolke hier der Wüste Kunde:
»Dort wallt sie auf den Bräutigam gelehnt!«
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