Bei Hermann Hettner, dem er persönlich befreundet wurde, hörte er dessen jugendlich lebendige Vorträge über deutsche Literaturgeschichte, Ästhetik und ein Publikum über Spinoza, bei Henle Anthropologie, bei Ludwig Häußer deutsche Geschichte und als Unikum in seiner Art die Vorträge Ludwig Feuerbachs über das Wesen des Christentums, welche dieser, von einem Teil der Studentenschaft herberufen, auf dem Rathaussaale vor einem Publikum von Arbeitern, Studenten und Bürgern hielt. Durch all das geriet Keller so in den Fluß der Gegenwart hinein, daß er vor Ablauf des Winterhalbjahres schon nach Hause schrieb, ob er das zweite Reisejahr statt in Ägypten, Palästina und der Enden in Deutschland, z.B. in Berlin zubringen dürfte, was ihm sofort bewilligt wurde. Wegen der politischen Ereignisse des Jahres 1849, vorzüglich des badischen Aufstandes, war in diesem Jahre aber in Ortsveränderungen nicht viel zu tun, als bei aller Teilnahme das Mitleid zu empfinden, das der Anblick abgefallener, in ihrem Bewußtsein irre gewordener Truppen unter allen Umständen erweckt, wenn sie von fremder Hand hin und her geworfen werden. So wurde es Ostern 1850, bis Gottfried Keller den Rhein hinunterfuhr und in Berlin anlangte mit der Befugnis, dort noch ein Jahr nach Gutfinden der Pflege seiner literarischen Instinkte zu leben, zu sehen und zu hören, was denselben entgegenzukommen schien. Es geschah aber nicht viel mehr, als daß er sich in dramaturgische Studien zu vertiefen suchte, indem er so oft als möglich in die Theater ging und nachher an Hand des mitgenommenen Zettels, den er aufbewahrte, eine Reihe von Betrachtungen und Folgerungen schrieb, die er für sich aufbehielt. Zugleich aber begann er den Roman »Grüner Heinrich« zu schreiben, zu welchem einige Anfänge vorlagen. Die vier Bände dieses Buches erschienen 1854; denn es wurde Herbst 1855, bis er von Berlin wieder heimreiste. Im Jahre 1851 erschienen die »Neueren Gedichte«, außerdem schrieb er in Berlin noch den ersten Band der »Leute von Seldwyla«, der 1856 ans Licht trat. Manches wurde zwischenhinein getrieben und entworfen, so auch die ersten Kapitel des »Sinngedichts«, das aber erst in den siebziger Jahren vollendet, das heißt im ganzen verfaßt wurde. Weil nun mit dem Jahr 1850 auch die Stipendiengelder zu fließen aufgehört hatten und damals die Honorareinnahmen für junge Leute noch spärlich waren, so geriet Gottfried Keller in allerlei Nöte von jener Art, die man nicht sieht, bis sie da sind. Im Jahr 1855 kehrte er endlich nach Zürich zurück, ein erweitertes Bewußtsein mit sich nehmend und in Deutschland gewonnene Freundeskreise zurücklassend.
In Berlin hatte er noch die »Sieben Legenden« begonnen und schrieb sie nun zu Hause fertig. Gedruckt wurden sie erst 1872. Sodann schrieb er einen Teil der neueren Seldwyler Erzählungen, sowie für Berthold Auerbachs Volkskalender »Das Fähnlein der sieben Aufrechten«, welches Opus als Ausdruck der Zufriedenheit mit den vaterländischen Zuständen gelten konnte, als Freude über den Besitz der neuen Bundesverfassung! Es war der schöne Augenblick, wo man der unerbittlichen Konsequenzen, welche alle Dinge hinter sich herschleppen, nicht bewußt ist und die Welt für gut und fertig ansieht.
Im Jahr 1861 war die Stelle des ersten Staatsschreibers neu zu besetzen. In Folge einer an ihn ergangenen Aufforderung bewarb sich Gottfried Keller, der nicht daran gedacht, um die Stelle und wurde von der Regierung mit fünf gegen drei Stimmen gewählt, was im gleichen Verhältnisse gebilligt und getadelt wurde. Er bekleidete das Amt während fünfzehn Jahren und legte es anno 1876 in dem Augenblicke nieder, in welchem er sich überzeugt hatte, daß er die schwindenden Jahre mit besserem Erfolg als früher den literarischen Arbeiten widmen könne.
Diese wieder aufnehmend gab er die Zürchernovellen heraus (1878), dann den umgearbeiteten Roman »Der grüne Heinrich« in einheitlicher autobiographischer Form und bedeutend gelichtet (1879), im Jahr 1881 den Novellenzyklus »Das Sinngedicht«, 1883 die »Gesammelten Gedichte« und 1886 den Roman »Martin Salander«, der durch Ungunst der Verhältnisse seines ausführlichen Schlusses ermangelte und statt desselben einem selbständigen Buche rufen dürfte.
Im Sommer 1889 begann die Ausgabe der gesammelten Werke Gottfried Kellers zu herabgesetztem Preise in zehn Bänden. Ferner dürften einige jener dramatischen Projekte aus den jüngern Jahren in Gestalt von Erzählungen erscheinen, um die so lange Jahre vorgeschwebten Stoffe oder Erfindungen wenigstens als Schatten der Erinnerung zu erhalten und zu gewahren, ob die Welt vielleicht doch ein ausgelöschtes Lampenlicht darin erkennen wolle. Sollte es der Fall sein, wäre der Schaden, wo die Bühne wie ein Dornröschen von dem abschreckenden Verfallsgeschrei umschanzt ist, nicht groß.
.
1 comment