in den sprachlichen, fleißig und eifrig gewesen war, so war ich doch während der Zeit außer der Schule immer vollauf beschäftigt; ich trieb eine heimliche unbewußte Schriftstellerei, welche in Dramatisierung der in der Schule vorkommenden geschichtlichen Aufsätze und den herkömmlichen Robinsonaden bestand. Mehr noch nahm mich eine wunderliche Malerei in Anspruch: was ich nur von Nürnberger Kinderfarben auftreiben konnte, wurde zur Nachbildung von Morgen- und Abendrot und anderer Himmelseffekte angewendet, welche dazumal meine Phantasie aufs dringendste beschäftigten. Eine Art von autodidaktischer Gewandtheit, die ich darin erlangte, erregte den sehnlichsten Wunsch in mir, Maler zu werden, und so kam es, daß ich nach meiner Ausweisung aus der Schule es durchsetzte. Da meine Mutter aber gerade so wenig Einsicht als ich selbst in den Gang einer künstlerischen Ausbildung hatte und überdies von allem guten Rat entblößt war, so kam ich in die Hände unfähiger Leute, welche keinen Begriff von dem wahren Wesen der Kunst hatten. Ehe ich einen vernünftigen Strich zeichnen konnte, begann ich, meinem angeborenen Produktionstrieb folgend, allerlei Landschaften zu komponieren und derlei dummes Zeug zu treiben; man ließ mich aus Mangel an eigener Kenntnis und daher auch aus Mangel an Autorität gewähren, und ehe ich mich besann, war ich zwanzig Jahre alt geworden, ohne eigentlich etwas Rechtes zu können. Von Verdienen war keine Rede, denn bei aller Ungeschicklichkeit hatte ich immer einen unbändigen Künstlerstolz und wollte nichts beginnen, was nicht meinen inneren Wünschen und Begriffen entsprach.

Im Jahre 1840, als ich doch das Mißliche meiner Stellung bedenklich zu finden anfing, entschloß ich mich zu einem neuen Anfange. Ich ging mit einigen hundert Gulden, welche ich von väterlicher Seite her ererbt hatte, nach München. Die deutsche Kunst, welche hier einen Hauptsitz hat, machte gleich zu Anfang einen gewaltigen Eindruck auf mich, und mein Geschmack bildete sich ziemlich schnell aus. Ich war aber ohne Empfehlungen gekommen, lebte ohne nähere Bekanntschaft mit ausgezeichneten Künstlern, auf der Akademie war für die Landschaftsmalerei gar kein Lehrer, noch Raum: so war ich mir wieder selbst überlassen. Obgleich ich zwar mit mehr Überlegung und Wahl arbeitete, so blieb ich doch in technischer Ausführung zurück. Ich unternahm große Kartons und Bilder, welche ihres Gedankenreichtums wegen den Künstlern gefielen; fertigmachen aber konnte ich sie nicht, hatte auch keinen besondern Trieb dazu; wenn ein Bild gezeichnet, angelegt und in einige Beleuchtung und Haltung gebracht, somit der Hauptgedanke ausgesprochen war, so drängte sich mir schon wieder ein anderes auf, und das erste blieb liegen. Dazu kam, daß ich durch die Stoffe der vielen Kunstwerke, die ich in München sah, auf die poetische Literatur geführt wurde. Das Nibelungenlied war mir neu und imponierte mir, Romantisches und Klassisches drang in verworrenen Massen auf mich ein, das persönliche Leben und der Umgang mit deutschen Künstlern, Künstlerfeste und dergleichen weckten und unterhielten Stimmungen und Anschauungen in mir, die ich vorher oft geahnt und nun in schönster Genüge hatte, aus denen ich aber zu klarem Bewußtsein herauszukommen strebte; und, unwillkürlich auf eine geordnetere und anhaltende Lektüre geraten, trieb ich meiner Kunst und meinen Verhältnissen ziemlich fremde Studien zu einer Zeit, wo ich mich doppelt hätte zusammennehmen müssen, um die Not, welche vor der Türe stand, abzuhalten. Diese brach wirklich herein und machte mein Leben auch in dieser Beziehung ziemlich pikant und poetisch. Zuletzt schlug die Sache aber allzusehr in Prosa über, und ich war genötigt, die Zuflucht wieder ins mütterliche Haus zu nehmen, mit dem Vorsatze, sobald als möglich zurückzukehren und die Sache gescheiter als bisher zu treiben.

Ich befand mich in großer Niedergeschlagenheit, als ich im Herbst 1842 nach Zürich zurückkehrte, und mein einziges Trachten war München. Es wollte sich aber nichts zeigen, welches mir die Rückkehr möglich machte.

Da machte ich von ungefähr im Frühling 1843 einige Verse, die ersten fast in meinem Leben, und war sehr verwundert über die Leichtigkeit, womit sie mir gelangen. Sogleich fiel ich auf den wunderlichen Einfall, einen Band Gedichte herauszugeben und mit dem Gelde, welches ich dafür erhalten würde, nach München zurückzukehren. Ich dichtete den ganzen Sommer und Herbst über tüchtig darauf los. Die Zeitereignisse führten noch die Politik in den Kreis meines Bewußtseins. Als ich einen ziemlichen Pack Reimereien beieinander hatte, überschickte ich sie Professor Follen und bat ihn mit angstvoller Erwartung um Entscheidung über Sein oder Nichtsein dieser Versuche, wie schon viele meiner Landsleute vor mir; denn er ist zu seiner großen Unbequemlichkeit das Orakel der poetischen Anfänger in der Schweiz geworden. Er fand das meiste meiner Sachen unbrauchbar, das übrige aber gut genug, mich zur entschieden poetischen Laufbahn aufzumuntern. Es wurde gleich einiges in einem Taschenbuche gedruckt, fand günstige Aufnahme und erwarb mir wohlwollende und belehrende Freunde. Ich fing an, mich gründlicher in der Geschichte der deutschen Literatur zu orientieren, und trieb mein eigenes Dichten besonnener als bisher. Insofern schien ich keinen üblen Tausch gemacht zu haben, als ich in der schreibenden Poesie weniger Zeit und Ausdauer zur Bekleidung eines Gedankens brauchte als in der malenden, was meinem Produktionstrieb sehr zusagte. Ob ich wirklich zum Dichter geboren bin und dabei bleiben werde, ob ich wieder zur bildenden Kunst zurückkehren oder gar beides miteinander vereinigen werde, wird die nähere Zukunft lehren. Wenn ich auch keine gelehrte Erziehung genossen habe, so ersetzt mir die Schule eines bewegten Lebens dasjenige, was sich nicht nachholen läßt.

 

 

Gottfried Keller

Autobiographie von 1876

 

(1876)

1

Die autobiographischen Belustigungen der »Gegenwart« fanden bisher, soviel ich wahrgenommen, fast nur unter Herren statt, welche über ihr Leben schrieben, insofern sie es überhaupt mit Schreiben zugebracht. Es handelt sich mithin um ein Bekenntnis, mit wieviel Lust oder Leiden man sich in diese schreibende Welt gestellt sehe und wie man in dieselbe hinein geraten.

Forschen wir nach Stimmen über den Stand des Schreibers im allgemeinen, so tönen dieselben verschieden.

In einem alten Liede heißt es:

 

Ein feder hintern oren,

zu schreiben zugespitzt,

tut manchem heimlich zoren,

da vorn der schreiber sitzt

für andern knaben allen;

ob man in schreiber heißt,

so tuts den frewlein gfallen

und liebt in allermeist.

 

Das scheint nicht ungünstig zu lauten; allein in einem andern Liede heißt es:

 

Mein mueterlein das fraget aber mich:

ob ich wolt ein schreiber? »awe nein!« sprach ich,

»näm ich denn ein schreiber zu einem manne,

so hieß man mich frau schreiberin

und ein dintenzetterin,

wär mir ein schande,

kein er im lande!«

 

Dies klingt schon weniger vorteilhaft. Freilich scheint es sich in beiden Zeugnissen mehr um Amts-, Rats-oder Gerichtsschreiber zu handeln, um eine Art kleinen Kanzlertumes. Und auch in dieser Richtung haben sich die Dinge geändert. Die Zeit ist lange dahin, da der Schreiber, das Tintenfaß am Gürtel, bei schönem Wetter Hexen und Ketzer verbrannte, einen Ratsschmaus einrichtete, mit Herold und Trompeter durch die Stadt ritt, die Frühlingsmesse auszurufen, oder gar mit dem Banner ausrückte, um als Feldschreiber die glorreiche Züchtigung der Widersächer an den Rat zu berichten.