Unfähige Lehrer können allerdings manche täuschende Störung und Umdrehung dieses Verhältnisses bewirken, indem sie im einen Falle unverdient einschüchtern, im andern aufmuntern; der schließliche Erfolg wird immer der gleiche sein. Daß das eigentliche Lernen erst dort beginnt, wo die Schulbank ihr Ende hat und die Stilfrage auftritt, ist eine Sache für sich.
In sehr früher Zeit, schon mit dem fünfzehnten Jahre, wendete ich mich der Kunst zu, soviel ich beurteilen kann, weil es dem halben Kinde als das Buntere und Lustigere erschien, abgesehen davon, daß es sich um eine beruflich bestimmte Tätigkeit handelte. Denn ein »Kunstmaler« zu werden, war, wenn auch schlecht empfohlen, doch immerhin bürgerlich zulässig. Der Zufall, daß nur angebliche Landschafter am Orte zugänglich für mich waren, entschied für die Landschaftsmalerei, bei welcher ich denn auch bis ungefähr ins dreiundzwanzigste Jahr verblieb, ohne jenes Selbstkönnen und Leichtlernen in den Anfängen und dazu noch stets übel beraten. Vor ein paar Jahrzehnten durfte man noch nicht eine glänzende Kleckserei für eine Landschaft oder überhaupt für ein Bild ausgeben. Dasselbe mußte mit Verständnis gezeichnet und technisch wohl vorbereitet und fertig gemacht sein. Auf der andern Seite gerieten just um jene Zeit die gelehrten Landschaften, welche ohne Farbe mehr einen literarischen Gedanken als ein gutes Stück Natur darstellten, welcher Richtung ich mich eben wegen des Nichtkönnens mit Energie zuwendete, außer Kurs, und es war nicht mehr möglich, mit dergleichen zu Anerkennung oder gar zu einer akademischen Professur zu gelangen.
Während dieser ganzen Zeit und vielleicht schon vom zwölften Jahre an war ich ein fleißiger Leser und Schreiber; ersteres in der Weise, daß ich ganz früh von einem Buche zum andern literarhistorische Stichworte der damals schon verwichenen Periode ablauschte und die entsprechenden Schriften aufsuchte. Zu jener Zeit entleerten sich noch eine Reihe von alten Familienbibliotheken in die Auktionslokale der Antiquare, so daß aus dem reichen Erbe der Vergangenheit junge Adepten leicht zu Büchern gelangen konnten. Es war dies jedoch keine spezifisch zürcherische Erscheinung. Noch jetzt kommen z.B. aus den alten Bergschlössern Graubündens zahlreiche Werke der französischen und spanischen Literatur des 17. und 18. Jahrhunderts auf den antiquarischen Markt. Bern und Basel werden kaum nachstehen, und im ganzen wird man sagen können, daß das schweizerische Patriziat der alten Zeit mit Büchern gut versehen gewesen ist. Dagegen habe ich während meiner amtlichen Tätigkeit bei Steuer- oder Vormundschaftssachen, die vor die Regierung kamen, manche Nachlaßinventare reicher Leute der Gegenwart gesehen, in welchen für einige tausend Franken Silbergeschirr und für dreißig Franken Bücher figurierten.
Was die Schreiberei betrifft, so trat ich, wo sie nötig oder ich durch irgend einen Umstand gereizt wurde, ohne Besinnen jeden Augenblick ein, als ob sich das von selbst verstünde, und lieferte bei jedem Anlaß den verlangten Stiefel. Als ich im dreizehnten Jahr mit Nachbarssöhnchen die üblichen Puppenspiele betrieb und die Stücke zu fehlen begannen, erfand und schrieb ich ohne Anstoß sofort eine Anzahl kleiner Dramen, zu denen ich gleich die Szenerien herstellte. Das größte Vergnügen gewährte der Schmelzofen für einen »Fridolin oder der Gang nach dem Eisenhammer«; hinter dem schwarzen Ofenloch glühte ein rotes Feuermeer, hervorgebracht durch bemaltes Strohpapier und ein dahinter stehendes Lichtchen. Dort wurde der Bösewicht unnachsichtlich hineingeschoben. Dieser Effekt gefiel mir so gut, daß noch jetzt ein Manuskriptchen da ist, welches eine eigentliche Teufels- und Höllenkomödie enthält, deren Dekoration ganz aus feurigen Wänden mit einem dunklen Höhleneingange bestehen sollte, bekleidet mit Totengerippen etc. Das Titelblatt lautet: »Kleine Dramen. I. Der Hexenbund. Nebenspiel für kleine Theater.« Die drohende Fruchtbarkeit hielt jedoch nicht lange vor; denn in demselben Büchlein finde ich nur noch den Anfang eines Schauspiels »Fernando und Bertha oder Geschwistertreue«, in welchem ein Schildknappe Hugo gleich ins Zeug geht, indem er auftritt und zu einem andern sagt: »Nun willkommen also noch einmal, alter Waffenbruder!« und eine längere Rede verständig also endet: »Und nun laß uns fröhlich zusammen den vollen Becher leeren, wie wir vor sechs Jahren es taten!«, und schließlich erscheint noch ein »Plan zu einer Tragödie. Elinzene«. Der Plan besteht aber nur aus einem Personenverzeichnis, worunter ein »Osmann, Oberhaupt der Geistlichkeit, Mufti« und eine »Elinzene, seine einzige Tochter«. Etwa ein Jahr später wurde ich durch ein dramatisches Projekt »Herzog Bernhard von Weimar« in ernstere Aufregung gebracht. Ich war von einer vorzüglich geschriebenen Novelle, die in irgend einem Almanach stand, so erschüttert worden, daß ich dem Helden mit einem recht schönen Trauerspiele glaubte beispringen zu müssen, und die Anfertigung eines ausführlichen Szenariums nach Vorbild der Schillerschen Nachlaßwerke verursachte mir, wie ich mich deutlich erinnere, eine tragisch mitfühlende und gehobene Stimmung. Freilich ließ ich zur Abwechslung mir beikommen, unter meinen vierzehnjährigen Schulgenossen mit allerlei possenhaften Reimereien aufzutreten, was mir leider Beifall und Aufmunterung einiger bösen Nachbaren am Schwanzende der Klasse eintrug.
Mit allen diesen Kindereien war ich jedoch in einer gewissen Selbständigkeit und Ursprünglichkeit geblieben; es war daher keineswegs ein Fortschritt, als ich mit sechzehn Jahren als Kunstschüler einen schriftstellerischen Rückfall verspürte und, nachdem ich die »Emilia Galotti« gelesen hatte, plötzlich wochenlang ein dickes Manuskript mit der krassesten Nachahmung anfüllte. Alle Gestalten, der Fürst, der Höfling, die Maitresse usw. fanden sich vor.
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