Nur war der Vater des virginischen Opfers ein furchtbar ernster Historienmaler mit republikanischer Gesinnung und Witwer, so daß er ganz allein über die Tochter wachen mußte. Indem mein Marinelli dem Fürsten den furchtbar ernsten Charakter des Alten beschrieb, hielt er ihm einen ziemlichen Vortrag über den Unterschied zwischen der Historien- und der Landschaftsmalerei, wie diese ein sorgloses lustiges Völklein hervorbrächte, während jene nur von düsteren, wo nicht blutgierigen Graubärten betrieben würde, mit denen sich nicht spaßen ließe. Wenn das traurige Manuskript mir später in die Hände fiel, so war dies die einzige Stelle, welche mir einige Fröhlichkeit erregte. Noch eine Verbesserung habe ich anzuführen, die ich erfand. Statt Lessings einer Orsina schuf ich zwei Maitressen, welche fortwährend miteinander zankten und sich Fußtritte versetzten.
Ebensowenig original waren einige religionsphilosophische Aufsätze und idyllische Naturschilderungen, die ich in Gestalt Jean Paulscher Traumbilder in ein dickes Schreibbuch eintrug. Ich könnte mich nun mit dem besten Willen nicht entsinnen, daß ich bei all diesen von niemand beachteten Schreibereien irgend einen Zukunftszweck oder eine geheime Hoffnung gehegt hätte. Es war vielmehr eine aus sich selbst geborne Übung, die nur um ihrer selbst willen existierte. Als einst das Namensfest eines jungen Mädchens gefeiert wurde und ich meiner kleinen Gabe ein Gedicht beizulegen wünschte, war mir die Angelegenheit so wichtig und feierlich, daß ich gar nicht daran dachte, dergleichen etwa selbst zustande zu bringen, sondern ein kleines Liedchen in einer Anthologie aussuchte und sorgfältig abschrieb.
Zehn Jahre später, als ein Bändchen lyrischer Gedichte von mir herausgegeben wurde, sah man in demselben Dutzende von Phantasie-Liebesliedern, denen es an jedem erlebten Gefühl gebrach, so daß ich sozusagen aus einem Nichts Hunderte von Strophen gebaut hatte. Da war ich nicht mehr so bescheiden und wunderte mich nicht einmal, daß einige davon nun ihrerseits in Anthologien übergingen. Jene erste Schreibepoche aber verlief endlich im stillen, da das reifere Jugendalter nahte und die erwählte Berufsarbeit doch ihre Anforderungen geltend machen, namentlich der Gang in die Fremde angetreten werden mußte. Ohne etwas geworden zu sein, mußte ich nach fast drei Jahren zurückkehren und gedachte mich in der Heimat neu zu kräftigen und durch kühne Erfindungen emporzubringen. Die Kartons zu ein paar poetischen Landschaften waren so umfangreich, daß ich dieselben in meinem alten Malkämmerchen nicht aufstellen konnte, sondern genötigt war, außer dem Hause einen eigenen Raum dafür zu mieten. Es war gerade Winter und jener Raum so unheizbar, mein inneres Feuer für die spröde Kunst auch so gering, daß ich mich meistens an den Ofen zurückzog und in trüber Stimmung über meine fremdartige Lage, hinter jenen Kartonwänden versteckt, die Zeit wieder mit Lesen und Schreiben zuzubringen begann.
Allerlei erlebte Not und die Sorge, welche ich der Mutter bereitete, ohne daß ein gutes Ziel in Aussicht stand, beschäftigten meine Gedanken und mein Gewissen, bis sich die Grübelei in den Vorsatz verwandelte, einen traurigen kleinen Roman zu schreiben über den tragischen Abbruch einer jungen Künstlerlaufbahn, an welcher Mutter und Sohn zugrunde gingen. Dies war meines Wissens der erste schriftstellerische Vorsatz, den ich mit Bewußtsein gefaßt habe, und ich war ungefähr dreiundzwanzig Jahre alt. Es schwebte mir das Bild eines elegisch-lyrischen Buches vor mit heiteren Episoden und einem zypressendunkeln Schlusse, wo alles begraben wurde. Die Mutter kochte unterdessen unverdrossen an ihrem Herde die Suppe, damit ich essen konnte, wenn ich aus meiner seltsamen Werkstatt nach Hause kam.
Als jedoch ein Dutzend Seiten geschrieben waren, gab es unversehens eine klangvolle Störung. Wie früher die Erzeugnisse der letztvergangenen Literatur, las ich jetzt diejenigen der zeitgenössischen. Eines Morgens, als ich im Bette lag, schlug ich den ersten Band der Gedichte Herweghs auf und las. Der neue Klang ergriff mich wie ein Trompetenstoß, der plötzlich ein weites Lager von Heervölkern aufweckt. In den gleichen Tagen fiel mir das Buch »Schutt« von Anastasius Grün in die Hände, und nun begann es in allen Fibern rhythmisch zu leben, so daß ich genug zu tun hatte, die Masse ungebildeter Verse, welche sich täglich und stündlich hervorwälzte, mit rascher Aneignung einiger Poetik zu bewältigen und in Ordnung zu bringen. Es war gerade die Zeit der ersten Sonderbundskämpfe in der Schweiz; das Pathos der Parteileidenschaft war eine Hauptader meiner Dichterei, und das Herz klopfte mir wirklich, wenn ich die zornigen Verse skandierte. Das erste Produkt, welches in einer Zeitung gedruckt wurde, war ein Jesuitenlied, dem es aber schlecht erging; denn eine konservative Nachbarin, die in unserer Stube saß, als das Blatt zum Erstaunen der Frauen gebracht wurde, spuckte beim Vorlesen der greulichen Verse aus und lief davon. Andere Dinge dieser Art folgten, Siegesgesänge über gewonnene Wahlschlachten, Klagen über ungünstige Ereignisse, Aufrufe zu Volksversammlungen, Invektiven wider gegnerische Parteiführer usw., und es kann leider nicht geleugnet werden, daß lediglich diese grobe Seite meiner Produktionen mir schnell Freunde, Gönner und ein gewisses kleines Ansehen erwarb.
Dennoch beklage ich heute noch nicht, daß der Ruf der lebendigen Zeit es war, der mich weckte und meine Lebensrichtung entschied.
Ein Band Gedichte, zu früh gesammelt, erschien im Jahr 1846; er enthielt nichts als etwas Naturstimmung, etwas Freiheits- und etwas Liebeslyrik, entsprechend dem beschränkten Bildungsfelde, auf dem er gewachsen. Ein freundlicher Kreis, in welchem ich aufgetaucht war, schlug, wie es zu gehen pflegt, weitere Wellen und Wellchen und fütterte mich mit den schönsten Hoffnungen. Kurz, ich lebte in gedrängtester Zeitfrist alle Phasen eines erhitzten und gehätschelten jungen Lyrikers durch und blieb wohl nur wenige von den Torheiten und Ungezogenheiten schuldig, die einem solchen anhaften.
Da kam das Jahr 1848, und mit ihm zerstoben Freunde, Hoffnungen und Teilnahme nach allen Winden, und meine junge Lyrik saß frierend auf der Heide. Nur einige ernstere Gelehrte und Magistrate, aus Deutschen und Schweizern gemischt, die still zugesehen hatten, zeigten sich und veranlaßten nun, daß ich mit einem Staatsstipendium auf Reisen gesandt wurde, um nachträglich auch noch etwas zu lernen. Mein Malkasten war längst zugeschlossen und jenes unheizbare Atelier verlassen, und so zog ich zum zweiten Male aus, um an deutschen Schulen, wo es gut schien, meinen Aufenthalt zu nehmen.
Auf diesen Fahrten nahm ich den einst angefangenen Roman wieder zur Hand, dessen Titel »Der grüne Heinrich« schon existierte. Ich gedachte immer noch, nur einen mäßigen Band zu schreiben; wie ich aber etwas vorrückte, fiel mir ein, die Jugendgeschichte des Helden oder vielmehr Nichthelden als Autobiographie einzuschalten mit Anlehnung an Selbsterfahrenes und -empfundenes. Ich kam darüber in ein solches Fabulieren hinein, daß das Buch vier Bände stark und ganz unförmlich wurde. Ursache hievon war, daß ich eine unbezwingliche Lust daran fand, in der vorgerückten Tageszeit einen Lebensmorgen zu erfinden, den ich nicht gelebt hatte, oder, richtiger gesagt, die dürftigen Keime und Ansätze zu meinem Vergnügen poetisch auswachsen zu lassen.
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