Jahrhunderts auf den antiquarischen Markt. Bern und Basel werden kaum nachstehen, und im ganzen wird man sagen können, daß das schweizerische Patriziat der alten Zeit mit Büchern gut versehen gewesen ist. Dagegen habe ich während meiner amtlichen Tätigkeit bei Steuer- oder Vormundschaftssachen, die vor die Regierung kamen, manche Nachlaßinventare reicher Leute der Gegenwart gesehen, in welchen für einige tausend Franken Silbergeschirr und für dreißig Franken Bücher figurierten.
Was die Schreiberei betrifft, so trat ich, wo sie nötig oder ich durch irgend einen Umstand gereizt wurde, ohne Besinnen jeden Augenblick ein, als ob sich das von selbst verstünde, und lieferte bei jedem Anlaß den verlangten Stiefel. Als ich im dreizehnten Jahr mit Nachbarssöhnchen die üblichen Puppenspiele betrieb und die Stücke zu fehlen begannen, erfand und schrieb ich ohne Anstoß sofort eine Anzahl kleiner Dramen, zu denen ich gleich die Szenerien herstellte. Das größte Vergnügen gewährte der Schmelzofen für einen »Fridolin oder der Gang nach dem Eisenhammer«; hinter dem schwarzen Ofenloch glühte ein rotes Feuermeer, hervorgebracht durch bemaltes Strohpapier und ein dahinter stehendes Lichtchen. Dort wurde der Bösewicht unnachsichtlich hineingeschoben. Dieser Effekt gefiel mir so gut, daß noch jetzt ein Manuskriptchen da ist, welches eine eigentliche Teufels- und Höllenkomödie enthält, deren Dekoration ganz aus feurigen Wänden mit einem dunklen Höhleneingange bestehen sollte, bekleidet mit Totengerippen etc. Das Titelblatt lautet: »Kleine Dramen. I. Der Hexenbund. Nebenspiel für kleine Theater.« Die drohende Fruchtbarkeit hielt jedoch nicht lange vor; denn in demselben Büchlein finde ich nur noch den Anfang eines Schauspiels »Fernando und Bertha oder Geschwistertreue«, in welchem ein Schildknappe Hugo gleich ins Zeug geht, indem er auftritt und zu einem andern sagt: »Nun willkommen also noch einmal, alter Waffenbruder!« und eine längere Rede verständig also endet: »Und nun laß uns fröhlich zusammen den vollen Becher leeren, wie wir vor sechs Jahren es taten!«, und schließlich erscheint noch ein »Plan zu einer Tragödie. Elinzene«. Der Plan besteht aber nur aus einem Personenverzeichnis, worunter ein »Osmann, Oberhaupt der Geistlichkeit, Mufti« und eine »Elinzene, seine einzige Tochter«. Etwa ein Jahr später wurde ich durch ein dramatisches Projekt »Herzog Bernhard von Weimar« in ernstere Aufregung gebracht. Ich war von einer vorzüglich geschriebenen Novelle, die in irgend einem Almanach stand, so erschüttert worden, daß ich dem Helden mit einem recht schönen Trauerspiele glaubte beispringen zu müssen, und die Anfertigung eines ausführlichen Szenariums nach Vorbild der Schillerschen Nachlaßwerke verursachte mir, wie ich mich deutlich erinnere, eine tragisch mitfühlende und gehobene Stimmung. Freilich ließ ich zur Abwechslung mir beikommen, unter meinen vierzehnjährigen Schulgenossen mit allerlei possenhaften Reimereien aufzutreten, was mir leider Beifall und Aufmunterung einiger bösen Nachbaren am Schwanzende der Klasse eintrug.
Mit allen diesen Kindereien war ich jedoch in einer gewissen Selbständigkeit und Ursprünglichkeit geblieben; es war daher keineswegs ein Fortschritt, als ich mit sechzehn Jahren als Kunstschüler einen schriftstellerischen Rückfall verspürte und, nachdem ich die »Emilia Galotti« gelesen hatte, plötzlich wochenlang ein dickes Manuskript mit der krassesten Nachahmung anfüllte. Alle Gestalten, der Fürst, der Höfling, die Maitresse usw. fanden sich vor. Nur war der Vater des virginischen Opfers ein furchtbar ernster Historienmaler mit republikanischer Gesinnung und Witwer, so daß er ganz allein über die Tochter wachen mußte. Indem mein Marinelli dem Fürsten den furchtbar ernsten Charakter des Alten beschrieb, hielt er ihm einen ziemlichen Vortrag über den Unterschied zwischen der Historien- und der Landschaftsmalerei, wie diese ein sorgloses lustiges Völklein hervorbrächte, während jene nur von düsteren, wo nicht blutgierigen Graubärten betrieben würde, mit denen sich nicht spaßen ließe. Wenn das traurige Manuskript mir später in die Hände fiel, so war dies die einzige Stelle, welche mir einige Fröhlichkeit erregte. Noch eine Verbesserung habe ich anzuführen, die ich erfand. Statt Lessings einer Orsina schuf ich zwei Maitressen, welche fortwährend miteinander zankten und sich Fußtritte versetzten.
Ebensowenig original waren einige religionsphilosophische Aufsätze und idyllische Naturschilderungen, die ich in Gestalt Jean Paulscher Traumbilder in ein dickes Schreibbuch eintrug. Ich könnte mich nun mit dem besten Willen nicht entsinnen, daß ich bei all diesen von niemand beachteten Schreibereien irgend einen Zukunftszweck oder eine geheime Hoffnung gehegt hätte. Es war vielmehr eine aus sich selbst geborne Übung, die nur um ihrer selbst willen existierte. Als einst das Namensfest eines jungen Mädchens gefeiert wurde und ich meiner kleinen Gabe ein Gedicht beizulegen wünschte, war mir die Angelegenheit so wichtig und feierlich, daß ich gar nicht daran dachte, dergleichen etwa selbst zustande zu bringen, sondern ein kleines Liedchen in einer Anthologie aussuchte und sorgfältig abschrieb.
Zehn Jahre später, als ein Bändchen lyrischer Gedichte von mir herausgegeben wurde, sah man in demselben Dutzende von Phantasie-Liebesliedern, denen es an jedem erlebten Gefühl gebrach, so daß ich sozusagen aus einem Nichts Hunderte von Strophen gebaut hatte. Da war ich nicht mehr so bescheiden und wunderte mich nicht einmal, daß einige davon nun ihrerseits in Anthologien übergingen. Jene erste Schreibepoche aber verlief endlich im stillen, da das reifere Jugendalter nahte und die erwählte Berufsarbeit doch ihre Anforderungen geltend machen, namentlich der Gang in die Fremde angetreten werden mußte. Ohne etwas geworden zu sein, mußte ich nach fast drei Jahren zurückkehren und gedachte mich in der Heimat neu zu kräftigen und durch kühne Erfindungen emporzubringen. Die Kartons zu ein paar poetischen Landschaften waren so umfangreich, daß ich dieselben in meinem alten Malkämmerchen nicht aufstellen konnte, sondern genötigt war, außer dem Hause einen eigenen Raum dafür zu mieten.
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