Schließlich gewannen zwingende, mit meinem Beruf verknüpfte Erfordernisse die Oberhand über alle anderen Erwägungen. So schonend ich konnte, teilte ich Bartleby mit, daß er unter allen Umständen in sechs Tagen die Kanzlei verlassen müsse. Ich ermahnte ihn, in der Zwischenzeit Maßnahmen zu ergreifen, um sich eine andere Unterkunft zu beschaffen. Ich erbot mich, ihn bei seinen Bemühungen zu unterstützen, falls er nur selbst den ersten Schritt zum Umzug täte. »Und wenn Sie mich endgültig verlassen, Bartleby«, fügte ich hinzu, »dann werde ich dafür sorgen, daß Sie nicht ganz mittellos fortgehen. Von jetzt an in sechs Tagen, denken Sie daran!«

Nach Ablauf dieser Frist blickte ich hinter den Wandschirm, und siehe! Bartleby war da.

Ich knöpfte meinen Rock zu, gab mir Festigkeit; trat langsam auf ihn zu, berührte seine Schulter und sagte: »Es ist soweit; Sie müssen die Kanzlei verlassen; es tut mir leid um Sie; hier ist Geld; aber Sie müssen gehen.«

»Ich möchte lieber nicht«, erwiderte er und hatte mir noch immer den Rücken zugekehrt.

»Sie müssen.«

Er blieb stumm.

Nun setzte ich aber ein unbegrenztes Vertrauen in die natürliche Rechtschaffenheit dieses Mannes. Er hatte mir häufig Sechspence- und Schillingstücke zurückgegeben, die aus Unachtsamkeit auf den Fußboden gefallen waren, denn in solchen Hemdenknopf-Angelegenheiten neige ich sehr zu Sorglosigkeit. Das folgende Vorgehen wird man also nicht als ungewöhnlich erachten.

»Bartleby«, sagte ich, »ich schulde Ihnen laut Abrechnung zwölf Dollar; hier sind zweiunddreißig; die restlichen zwanzig gehören Ihnen ebenfalls. – Nehmen Sie sie bitte!«, und ich reichte ihm die Scheine hin.

Doch er rührte sich nicht.

»Ich lasse sie also hier«, und ich legte sie unter einen Briefbeschwerer auf dem Tisch. Dann nahm ich meinen Hut und Stock und ging zur Tür, wandte mich ruhig um und fügte hinzu: »Wenn Sie Ihre Sachen aus den Kanzleiräumen entfernt haben, Bartleby, schließen Sie natürlich die Tür ab – da für heute außer Ihnen jetzt alle fort sind –, und, bitte, schieben Sie Ihren Schlüssel unter die Fußmatte, damit ich ihn am Morgen habe. Ich werde Sie nicht wiedersehen; also leben Sie wohl. Falls ich Ihnen später an Ihrem neuen Aufenthaltsort irgendwie von Nutzen sein kann, so versäumen Sie nicht, mir brieflich Nachricht zu geben. Leben Sie wohl, Bartleby, leben Sie wohl!«

Doch er erwiderte kein Wort; er blieb, wie die letzte Säule eines zerstörten Tempels, stumm und einsam in der Mitte des sonst verlaßnen Raumes stehen.

Als ich in nachdenklicher Stimmung nach Hause ging, gewann meine Eitelkeit die Oberhand über mein Mitleid. Ich konnte nicht umhin, mich groß zu brüsten mit dem meisterhaften Kunstgriff, den ich angewandt hatte, um mich Bartlebys zu entledigen. Meisterhaft nenne ich ihn, und so muß er auch jedem unparteiischen Betrachter erscheinen. Die Eleganz meines Vorgehens schien mir darin zu bestehen, daß es sich in vollkommener Ruhe abgespielt hatte. Es hatte kein vulgäres Einschüchtern gegeben, kein Prahlen irgendwelcher Art, kein wütendes Drohen und kein Auf- und Abrennen quer durch das Zimmer mit heftig hervorgestoßnen Befehlen an Bartleby, sich mit seinen lumpigen Habseligkeiten davonzuscheren. Nichts dergleichen. Anstatt Bartleby mit lauter Stimme zum Gehen aufzufordern – wie ein kleiner Geist vielleicht gehandelt hätte –, setzte ich den Grund, daß er zu gehen verpflichtet war, bei ihm voraus; und auf dieser Voraussetzung baute ich alles auf, was ich zu sagen hatte. Je mehr ich über mein Vorgehen nachdachte, desto mehr war ich entzückt davon. Trotzdem hatte ich am nächsten Morgen beim Erwachen Zweifel – irgendwie hatte ich die Dünste der Eitelkeit ausgeschlafen. Die Stunde gleich nach dem Erwachen am Morgen gehört zu den nüchternsten und weisesten eines Mannes. Mein Vorgehen erschien mir so klug wie zuvor – doch nur in der Theorie. Wie es sich in der Praxis bewähren würde – da steckte der Haken! Es war wirklich ein ausgezeichneter Gedanke, Bartlebys Fortgang vorauszusetzen; doch schließlich war die Voraussetzung nur meine eigene und nicht die Bartlebys. Der entscheidende Punkt war nicht, ob ich es vorausgesetzt hatte, daß er mich verlassen würde, sondern ob er es lieber mögen würde, mich zu verlassen. Er war mehr ein Mann des Liebermögens denn der Voraussetzungen.

Nach dem Frühstück ging ich in die Stadt und erwog die Wahrscheinlichkeit des Für und des Wider. Bald dachte ich, es würde sich ein kläglicher Fehlschlag ergeben und ich würde Bartleby wie gewöhnlich leibhaftig in meiner Kanzlei antreffen; bald erschien es mir sicher, daß ich seinen Stuhl leer vorfinden würde. Und so schwankte ich hin und her. An der Ecke des Broadway und der Canal-Street sah ich eine ziemlich erregte, in ernstem Gespräch begriffene Gruppe von Menschen stehen.

»Ich wette – nicht!« sagte eine Stimme, als ich vorbeiging.

»Er geht nicht? – abgemacht!« sagte ich, »setzen Sie Ihr Geld!«

Unwillkürlich steckte ich die Hand in die Tasche, um mein eigenes hervorzuholen, als mir einfiel, daß ja Wahltag war. Die Worte, die ich mitgehört hatte, bezogen sich nicht auf Bartleby, sondern auf den Erfolg oder Nichterfolg eines Kandidaten für das Bürgermeisteramt.