Kleins Musik ist ganz original. Sie ist ganz verschieden von der Musik der oben besprochenen zwei Meister, so wie neben den Gesichtern derselben das heitere, angenehme, lebenslustige Gesicht des gemütlichen Rheinländers einen auffallenden Kontrast bildet. Klein ist ein Kölner und kann als der Stolz seiner Vaterstadt betrachtet werden.

G. A. Schneider darf ich hier nicht übergehn. Nicht als ob ich ihn für einen so großen Komponisten hielte, sondern weil er als Komponist von Koreffs »Aucassin und Nicolette« vom 26. Febr. bis auf diese Stunde ein Gegenstand des öffentlichen Gesprächs war. Wenigstens acht Tage lang hörte man von nichts sprechen als von Koreff und Schneider und Schneider und Koreff. Hier standen geniale Dilettanten und rissen die Musik herunter; dort stand ein Haufen schlechter Poeten und schulmeisterte den Text. Was mich betrifft, so amüsierte mich diese Oper ganz außerordentlich. Mich erheiterte das bunte Märchen, das der kunstbegabte Dichter so lieblich und kindlich schlicht entfaltete, mich ergötzte der anmutige Kontrast vom ernsten Abendlande und dem heitern Orient, und wie die verwunderlichsten Bilder, in loser Verknüpfung, abenteuerlich dahingaukelten, regte sich in mir der Geist der blühenden Romantik. – Es ist immer ein ungeheurer Spektakel in Berlin, wenn eine neue Oper gegeben wird, und hier kam noch der Umstand hinzu, daß der Musikdirektor Schneider und der Geheimrat Ritter Koreff so allgemein bekannt sind. Letztern verlieren wir bald, da er sich schon längst zu einer großen Reise ins Ausland vorbereitet. Das ist ein Verlust für unsere Stadt, da dieser Mann sich auszeichnet durch gesellige Tugenden, angenehme Persönlichkeit und Großartigkeit der Gesinnung.

Was man in Berlin singt, das wissen Sie jetzt, und ich komme zur Frage: Was spricht man in Berlin? – Ich habe vorsätzlich erst vom Singen gesprochen, da ich überzeugt bin, daß die Menschen erst gesungen haben, ehe sie sprechen lernten, so wie die metrische Sprache der Prosa voranging. Wirklich, ich glaube, daß Adam und Eva sich in schmelzenden Adagios Liebeserklärungen machten und in Rezitativen ausschimpften. Ob Adam auch zu letztern den Takt schlug? Wahrscheinlich. Dieses Taktschlagen ist bei unserm Berliner Pöbel durch Tradition noch geblieben, obschon das Singen dabei außer Gebrauch kam. Wie die Kanarienvögel zwitscherten unsere Ureltern in den Tälen Kaschimirs. Wie haben wir uns ausgebildet! Ob die Vögel einst ebenfalls zum Sprechen gelangen werden? Die Hunde und die Schweine sind auf gutem Wege; ihr Bellen und Grunzen ist ein Übergang vom Singen zum ordentlichen Sprechen. Erstere werden reden die Sprache von Oc, die andern die Sprache von Oui. Die Bären sind gegen uns übrigen Deutsche in der Kultur noch sehr zurückgeblieben, und obschon sie in der Tanzkunst mit uns wetteifern, so ist ihr Brummen, wenn wir es mit andern deutschen Mundarten vergleichen, durchaus noch keine Sprache zu nennen. Die Esel und die Schafe hatten es einst schon bis zum Sprechen gebracht, hatten ihre klassische Literatur, hielten vortreffliche Reden über die reine Eselhaftigkeit im geschlossenen Hammeltume, über die Idee eines Schafskopfs und über die Herrlichkeit des Altböckischen. Aber wie es nach dem Kreislauf der Dinge zu geschehen pflegt, sie sind in der Kultur wieder so tief gesunken, daß sie ihre Sprache verloren und bloß das gemütliche »I-A« und das kindlich-fromme »Bäh« behielten.

Wie komme ich aber vom »I-A« der Langohrigen und vom »Bäh« der Dickwolligen zu den Werken von Sir Walter Scott? Denn von diesen muß ich jetzt sprechen, weil ganz Berlin davon spricht, weil sie der »Jungfernkranz« der Lesewelt sind, weil man sie überall liest, bewundert, bekrittelt, herunterreißt und wieder liest. Von der Gräfin bis zum Nähmädchen, vom Grafen bis zum Laufjungen liest alles die Romane des großen Schotten; besonders unsre gefühlvollen Damen. Diese legen sich nieder mit »Waverley«, stehen auf mit »Robin dem Roten« und haben den ganzen Tag den »Zwerg« in den Fingern. Der Roman »Kenilworth« hat gar besonders Furore gemacht. Da hier sehr wenige mit vollkommner Kenntnis des Englischen gesegnet sind, so muß sich der größte Teil unserer Lesewelt mit französischen und deutschen Übersetzungen behelfen. Daran fehlt es auch nicht. Von dem letzten Scottischen Roman »Der Pirat« sind vier Übersetzungen auf einmal angekündigt.