Ich saß, da er dieses tat, auf dem Steine und sah ihm zu. Aus Zufall hatte ich bloße Füße, wie es öfter geschah, und hatte Höschen an, die mit der Zeit zu kurz geworden waren. Plötzlich sah er von seiner Arbeit zu mir herzu und sagte: »Willst du die Füße eingeschmiert haben?«
Ich hatte den Mann stets für eine große Merkwürdigkeit gehalten, fühlte mich durch seine Vertraulichkeit geehrt, und hielt beide Füße hin. Er fuhr mit seinem Löffel in das Spundloch, langte damit herzu und tat einen langsamen Strich auf jeden der beiden Füße. Die Flüssigkeit breitete sich schön auf der Haut aus, hatte eine außerordentlich klare, goldbraune Farbe und sandte die angenehmen Harzdüfte zu mir empor. Sie zog sich ihrer Natur nach allmählich um die Rundung meiner Füße herum und an ihnen hinab. Der Mann fuhr indessen in seinem Geschäfte fort, er hatte ein paar Male lächelnd auf mich herzu geblickt, dann steckte er seinen Löffel in eine Scheide neben das Faß, schlug oben das Spundloch zu, nahm die Tragbänder des Schubkarrens auf sich, hob letzteren empor, und fuhr damit davon. Da ich nun allein war, und ein zwar halb angenehmes, aber deßungeachtet auch nicht ganz beruhigtes Gefühl hatte, wollte ich mich doch auch der Mutter zeigen. Mit vorsichtig in die Höhe gehaltenen Höschen ging ich in die Stube hinein. Es war eben Samstag, und an jedem Samstage mußte die Stube sehr schön gewaschen und gescheuert werden, was auch heute am Morgen geschehen war, so wie der Wagenschmiermann gerne an Samstagen kam, um am Sonntage dazubleiben und in die Kirche zu gehen. Die gut ausgelaugte und wieder getrocknete Holzfaser des Fußbodens nahm die Wagenschmiere meiner Füße sehr begierig auf, so daß hinter jedem meiner Tritte eine starke Tappe auf dem Boden blieb. Die Mutter saß eben, da ich herein kam, an dem Fenstertische vorne und nähte. Da sie mich so kommen und vorwärts schreiten sah, sprang sie auf. Sie blieb einen Augenblick in der Schwebe, entweder weil sie mich so bewunderte, oder weil sie sich nach einem Werkzeuge umsah, mich zu empfangen. Endlich aber rief sie: »Was hat denn dieser heillose, eingefleischte Sohn heute für Dinge an sich?«
Und damit ich nicht noch weiter vorwärts ginge, eilte sie mir entgegen, hob mich empor und trug mich, meines Schreckes und ihrer Schürze nicht achtend, in das Vorhaus hinaus. Dort ließ sie mich nieder, nahm unter der Bodenstiege, wohin wir, weil es an einem andern Orte nicht erlaubt war, alle nach Hause gebrachten Ruten und Zweige legen mußten, und wo ich selber in den letzten Tagen eine große Menge dieser Dinge angesammelt hatte, heraus, was sie nur immer erwischen konnte, und schlug damit so lange und so heftig gegen meine Füße, bis das ganze Laubwerk der Ruten, meine Höschen, ihre Schürze, die Steine des Fußbodens und die Umgebung voll Pech waren. Dann ließ sie mich los, und ging wieder in die Stube hinein.
Ich war, obwohl es mir schon von Anfange bei der Sache immer nicht so ganz vollkommen geheuer gewesen war, doch über diese fürchterliche Wendung der Dinge, und weil ich mit meiner teuersten Verwandten dieser Erde in dieses Zerwürfnis geraten war, gleichsam vernichtet. In dem Vorhause befindet sich in einer Ecke ein großer Steinwürfel, der den Zweck hat, daß auf ihm das Garn zu den Hausweben mit einem hölzernen Schlägel geklopft wird. Auf diesen Stein wankte ich zu und ließ mich auf ihn nieder. Ich konnte nicht einmal weinen, das Herz war mir gepreßt, und die Kehle wie mit Schnüren zugeschnürt. Drinnen hörte ich die Mutter und die Magd beratschlagen, was zu tun sei, und fürchtete, daß, wenn die Pechspuren nicht weg gingen, sie wieder herauskommen und mich weiter züchtigen würden.
In diesem Augenblicke ging der Großvater bei der hintern Tür, die zu dem Brunnen und auf die Gartenwiese führt, herein, und ging gegen mich hervor. Er war immer der Gütige gewesen, und hatte, wenn was immer für ein Unglück gegen uns Kinder herein gebrochen war, nie nach dem Schuldigen gefragt, sondern nur stets geholfen. Da er nun zu dem Platze, auf dem ich saß, hervor gekommen war, blieb er stehen, und sah mich an. Als er den Zustand, in welchem ich mich befand, begriffen hatte, fragte er, was es denn gegeben habe, und wie es mit mir so geworden sei. Ich wollte mich nun erleichtern, allein ich konnte auch jetzt wieder nichts erzählen, denn nun brachen bei dem Anblicke seiner gütigen und wohlmeinenden Augen alle Tränen, die früher nicht hervor zu kommen vermocht hatten, mit Gewalt heraus und rannen in Strömen herab, so daß ich vor Weinen und Schluchzen nur gebrochene und verstümmelte Laute hervorbringen, und nichts tun konnte, als die Füßchen empor heben, auf denen jetzt auch aus dem Peche noch das häßliche Rot der Züchtigung hervor sah.
Er aber lächelte und sagte: »So komme nur her zu mir, komme mit mir.«
Bei diesen Worten nahm er mich bei der Hand, zog mich sanft von dem Steine herab, und führte mich, der ich ihm vor Ergriffenheit kaum folgen konnte, durch die Länge des Vorhauses zurück und in den Hof hinaus. In dem Hofe ist ein breiter, mit Steinen gepflasterter Gang, der rings an den Bauwerken herum läuft. Auf diesem Gange stehen unter dem Überdache des Hauses gewöhnlich einige Schemel oder derlei Dinge, die dazu dienen, daß sich die Mägde beim Hecheln des Flachses oder andern ähnlichen Arbeiten darauf nieder setzen können, um vor dem Unwetter geschützt zu sein. Zu einem solchen Schemel führte er mich hinzu und sagte: »Setze dich da nieder und warte ein wenig, ich werde gleich wieder kommen.«
Mit diesen Worten ging er in das Haus, und nachdem ich ein Weilchen gewartet hatte, kam er wieder heraus, indem er eine große, grünglasierte Schüssel, einen Topf mit Wasser und Seife und Tücher in den Händen trug. Diese Dinge stellte er neben mir auf das Steinpflaster nieder, zog mir, der ich auf dem Schemel saß, meine Höschen aus, warf sie seitwärts, goß warmes Wasser in die Schüssel, stellte meine Füße hinein, und wusch sie so lange mit Seife und Wasser, bis ein großer weiß und braun gefleckter Schaumberg auf der Schüssel stand, die Wagenschmiere, weil sie noch frisch war, ganz weggegangen, und keine Spur mehr von Pech auf der Haut zu erblicken war. Dann trocknete er mit den Tüchern die Füße ab und fragte: »Ist es nun gut?«
Ich lachte fast unter den Tränen, ein Stein nach dem andern war mir während des Waschens von dem Herzen gellen, und waren die Tränen schon linder geflossen, so rangen sie jetzt nur mehr einzeln aus den Augen hervor.
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