Er holte mir nun auch andere Höschen und zog sie mir an. Dann nahm er das trocken gebliebene Ende der Tücher, wischte mir damit das verweinte Angesicht ab und sagte: »Nun gehe da über den Hof bei dem großen Einfahrtstore auf die Gasse hinaus, daß dich niemand sehe, und daß du niemanden in die Hände fallest. Auf der Gasse warte auf mich, ich werde dir andere Kleider bringen und mich auch ein wenig umkleiden. Ich gehe heute in das Dorf Melm, da darfst du mitgehen, und da wirst du mir erzählen, wie sich dein Unglück ereignet hat, und wie du in diese Wagenschmiere geraten bist. Die Sachen lassen wir da liegen, es wird sie schon jemand hinweg räumen.«
Mit diesen Worten schob er mich gegen den Hof, und ging in das Haus zurück. Ich schritt leise über den Hof, und eilte bei dem Einfahrtstore hinaus. Auf der Gasse ging ich sehr weit von dem großen Steine und von der Haustür weg, damit ich sicher wäre, und stellte mich auf eine Stelle, von welcher ich von ferne in die Haustür hinein sehen konnte. Ich sah, daß auf dem Platze, auf welchem ich gezüchtigt worden war, zwei Mägde beschäftigt waren, welche auf dem Boden knieten und mit den Händen auf ihm hin und her fuhren. Wahrscheinlich waren sie bemüht, die Pechspuren, die von meiner Züchtigung entstanden waren, weg zu bringen. Die Hausschwalbe flog kreischend bei der Tür aus und ein, weil heute unter ihrem Neste immer Störung war, erst durch meine Züchtigung und nun durch die arbeitenden Mägde. An der äußersten Grenze unserer Gasse, sehr weit von der Haustür entfernt, wo der kleine Hügel, auf dem unser Haus steht, schon gegen die vorbeigehende Straße abzufallen beginnt, lagen einige ausgehauene Stämme, die zu einem Baue oder zu einem anderen ähnlichen Werke bestimmt waren. Auf diese setzte ich mich nieder, und wartete.
Endlich kam der Großvater heraus. Er hatte seinen breiten Hut auf dem Haupte, hatte seinen langen Rock an, den er gerne an Sonntagen nahm, und trug seinen Stock in der Hand. In der andern hatte er aber auch mein blaugestreiftes Jäckchen, weiße Strümpfe, schwarze Schnürstiefelchen und mein graues Filzhütchen. Das alles half er mir anziehen, und sagte: »So, jetzt gehen wir.«
Wir gingen auf dem schmalen Fußwege durch das Grün unsers Hügels auf die Straße hinab, und gingen auf der Straße fort, erst durch die Häuser der Nachbarn, auf denen die Frühlingssonne lag, und von denen die Leute uns grüßten, und dann in das Freie hinaus. Dort streckte sich ein weites Feld und schöner grüner Rasen vor uns hin, und heller, freundlicher Sonnenschein breitete sich über alle Dinge der Welt. Wir gingen auf einem weißen Wege zwischen dem grünen Rasen dahin. Mein Schmerz und mein Kummer war schon beinahe verschwunden, ich wußte, daß ein guter Ausgang nicht fehlen konnte, da der Großvater sich der Sache annahm und mich beschützte; die freie Luft und die scheinende Sonne übten einen beruhigenden Einfluß, und ich empfand das Jäckchen sehr angenehm auf meinen Schultern und die Stiefelchen an den Füßen, und die Luft floß sanft durch meine Haare.
Als wir eine Weile auf der Wiese gegangen waren, wie wir gewöhnlich gingen, wenn er mich mit nahm, nämlich daß er seine großen Schritte milderte, aber noch immer große Schritte machte, und ich teilweise neben ihm trippeln mußte, sagte der Großvater: »Nun, sage mir doch auch einmal, wie es denn geschehen ist, daß du mit so vieler Wagenschmiere zusammen geraten bist, daß nicht nur deine ganzen Höschen voll Pech sind, daß deine Füße voll waren, daß ein Pechfleck in dem Vorhause ist, mit Pech besudelte Ruten herum liegen, sondern daß auch im ganzen Hause, wo man nur immer hin kömmt, Flecken von Wagenschmiere anzutreffen sind. Ich habe deiner Mutter schon gesagt, daß du mit mir gehest, du darfst nicht mehr besorgt sein, es wird dich keine Strafe mehr treffen.«
Ich erzählte ihm nun, wie ich auf dem Steine gesessen sei, wie der Wagenschmiermann gekommen sei, wie er mich gefragt habe, ob ich meine Füße eingeschmiert haben wolle, wie ich sie ihm hingehalten, und wie er auf jeden einen Strich getan habe, wie ich in die Stube gegangen sei, um mich der Mutter zu zeigen, wie sie aufgesprungen sei, wie sie mich genommen, in das Vorhaus getragen, mich mit meinen eigenen Ruten gezüchtiget habe, und wie ich darnach auf dem Steine sitzen geblieben sei.
»Du bist ein kleines Närrlein,« sagte der Großvater, »und der alte Andreas ist ein arger Schalk, er hat immer solche Streiche ausgeführt, und wird jetzt heimlich und wiederholt bei sich lachen, daß er den Einfall gehabt hat. Dieser Hergang bessert deine Sache sehr. Aber siehst du, auch der alte Andreas, so übel wir seine Sache ansehen mögen, ist nicht so schuldig, als wir andern uns denken; denn woher soll denn der alte Andreas wissen, daß die Wagenschmiere für die Leute eine so schreckende Sache ist, und daß sie in einem Flause eine solche Unordnung anrichten kann; denn für ihn ist sie eine Ware, mit der er immer umgeht, die ihm seine Nahrung gibt, die er liebt, und die er sich immer frisch holt, wenn sie ihm ausgeht. Und wie soll er von gewaschenen Fußböden etwas wissen, da er Jahr aus, Jahr ein bei Regen und Sonnenschein mir seinem Fasse auf der Straße ist, bei der Nacht oder an Feiertagen in einer Scheune schläft, und an seinen Kleidern Heu oder Halme kleben hat. Aber auch deine Mutter hat recht; sie mußte glauben, daß du dir leichtsinniger Weise die Füße selber mit so vieler Wagenschmiere beschmiert habest, und daß du in die Stube gegangen seiest, den schönen Boden zu besudeln. Aber lasse nur Zeit, sie wird schon zur Einsicht kommen, sie wird alles verstehen, und alles wird gut werden. Wenn wir dort auf jene Höhe hinauf gelangen, von der wir weit herum sehen, werde ich dir eine Geschichte von solchen Pechmännern erzählen, wie der alte Andreas ist, die sich lange vorher zugetragen hat, ehe du geboren wurdest, und ehe ich geboren wurde, und aus der du ersehen wirst, welche wunderbare Schicksale die Menschen auf der Welt des lieben Gottes haben können. Und wenn du stark genug bist und gehen kannst, so lasse ich dich in der nächsten Woche nach Spitzenberg und in die Hirschberge mitgehen, und da wirst du am Wege im Fichtengrunde eine solche Brennerei sehen, wo sie die Wagenschmiere machen, wo sich der alte Andreas seinen Vorrat immer holt, und wo also das Pech her ist, womit dir heute die Füße eingeschmiert worden sind.«
»Ja, Großvater,« sagte ich, »ich werde recht stark sein.«
»Nun, das wird gut sein,« antwortete er, »und du darfst mitgehen.«
Bei diesen Worten waren wir zu einer Mauer aus losen Steinen gelangt, jenseits welcher eine grüne Wiese mit dem weißen Fußpfade war. Der Großvater stieg über den Steigstein, indem er seinen Stock und seinen Rock nach sich zog, und mir, der ich zu klein war, hinüber half; und wir gingen dann auf dem reinen Pfade weiter. Ungefähr in der Mitte der Wiese blieb er stehen und zeigte auf die Erde, wo unter einem flachen Steine ein klares Wässerlein hervor quoll und durch die Wiese fortrann.
»Das ist das Behringer Brünnlein,« sagte er, »welches das beste Wasser in der Gegend hat, ausgenommen das wundertätige Wasser, welches auf dem Brunnberge in dem überbauten Brünnlein ist, in dessen Nähe die Gnadenkapelle zum guten Wasser steht. Manche Menschen holen sich aus diesem Brünnlein da ihr Trinkwasser, mancher Feldarbeiter geht weit herzu, um da zu trinken, und mancher Kranke hat schon aus entfernten Gegenden mit einem Kruge hieher geschickt, damit man ihm Wasser bringe. Merke dir den Brunnen recht gut.«
»Ja, Großvater«, sagte ich.
Nach diesen Worten gingen wir wieder weiter.
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