Wir gingen auf dem Fußpfade durch die Wiese, wir gingen auf einem Wege zwischen Feldern empor, und kamen zu einem Grunde, der mit dichtem, kurzem, fast grauem Rasen bedeckt war, und auf dem nach allen Richtungen hin in gewissen Entfernungen von einander Föhren standen.
»Das, worauf wir jetzt gehen,« sagte der Großvater, »sind die Dürrschnäbel, es ist ein seltsamer Name, entweder kömmt er von dem trockenen, dürren Boden, oder von dem mageren Kräutlein, das tausendfältig auf dem Boden sitzt, und dessen Blüte ein weißes Schnäblein hat mit einem gelben Zünglein darin. Siehe, die mächtigen Föhren gehören den Bürgern zu Oberplan je nach der Steuerbarkeit, sie haben die Nadeln nicht in zwei Zeilen, sondern in Scheiden wie grüne Borstbüschel, sie haben das geschmeidige, fette Holz, sie haben das gelbe Pech, sie streuen sparsamen Schatten, und wenn ein schwaches Lüftchen geht, so hört man die Nadeln ruhig und langsam sausen.«
Ich hatte Gelegenheit, als wir weiter gingen, die Wahrheit dessen zu beobachten, was der Großvater gesagt hatte. Ich sah eine Menge der weißgelben Blümlein auf dem Boden, ich sah den grauen Rasen, ich sah auf manchem Stamme das Pech wie goldene Tropfen stehen, ich sah die unzähligen Nadelbüschel auf den unzähligen Zweigen gleichsam aus winzigen dunkeln Stiefelchen heraus ragen, und ich hörte, obgleich kaum ein Lüftchen zu verspüren war, das ruhige Sausen in den Nadeln.
Wir gingen immer weiter, und der Weg wurde ziemlich steil.
Auf einer etwas höheren und freieren Stelle blieb der Großvater stehen und sagte: »So, da warten wir ein wenig.«
Er wendete sich um, und nachdem wir uns von der Bewegung des Aufwärtsgehens ein wenig ausgeatmet hatten, hob er seinen Stock empor und zeigte auf einen entfernten mächtigen Waldrücken in der Richtung, aus der wir gekommen waren, und fragte: »Kannst du mir sagen, was das dort ist?«
»Ja, Großvater,« antwortete ich, »das ist die Alpe, auf welcher sich im Sommer eine Viehherde befindet, die im Herbste wieder herabgetrieben wird.«
»Und was ist das, das sich weiter vorwärts von der Alpe befindet?« fragte er wieder.
»Das ist der Hüttenwald«, antwortete ich.
»Und rechts von der Alpe und dem Hüttenwalde?« »Das ist der Philippgeorgsberg.«
»Und rechts von dem Philippgeorgsberge?«
»Das ist der Seewald, in welchem sich das dunkle und tiefe Seewasser befindet.«
»Und wieder rechts von dem Seewalde?«
»Das ist der Blockenstein und der Sesselwald.« »Und wieder rechts?«
»Das ist der Tussetwald.«
»Und weiter kannst du sie nicht kennen; aber da ist noch mancher Waldrücken mit manchem Namen, sie gehen viele Meilen weit in die Länder fort. Einst waren die Wälder noch viel größer als jetzt. Da ich ein Knabe war, reichten sie bis Spitzenberg und die vordern Stiftshäuser, es gab noch Wolfe darin, und die Hirsche konnten wir in der Nacht, wenn eben die Zeit war, bis in unser Bette hinein brüllen hören. Siehst du die Rauchsäule dort, die aus dem Hüttenwalde aufsteigt?«
»Ja, Großvater, ich sehe sie.«
»Und weiter zurück wieder eine aus dem Walde der Alpe?«
»Ja, Großvater.«
»Und aus den Niederungen des Philippgeorgsberges wieder eine?«
»Ich sehe sie, Großvater.«
»Und weit hinten im Kessel des Seewaldes, den man kaum erblicken kann, noch eine, die so schwach ist, als wäre sie nur ein blaues Wölklein?«
»Ich sehe sie auch, Großvater.«
»Siehst du, diese Rauchsäulen kommen alle von den Menschen, die in dem Walde ihre Geschäfte treiben. Da sind zuerst die Holzknechte, die an Stellen die Bäume des Waldes umsägen, daß nichts übrig ist als Strünke und Strauchwerk. Sie zünden ein Feuer an, um ihre Speisen daran zu kochen, und um auch das unnötige Reisig und die Äste zu verbrennen. Dann sind die Kohlenbrenner, die einen großen Meiler türmen, ihn mit Erde und Reisern bedecken und in ihm aus Scheitern die Kohlen brennen, die du oft In großen Säcken an unserem Hause vorbei in die ferneren Gegenden hinaus führen siehst, die nichts zu brennen haben. Dann sind die Heusucher, die in den kleinen Wiesen und in den von Wald entblößten Stellen das Heu machen, oder es auch mit Sicheln zwischen dem Gesteine schneiden. Sie machen ein Feuer, um ebenfalls daran zu kochen, oder daß sich ihr Zugvieh in den Rauch lege und dort weniger von den Fliegen geplagt werde. Dann sind die Sammler, welche Holzschwämme, Arzneidinge, Beeren und andere Sachen suchen, und auch gerne ein Feuer machen, sich daran zu laben. Endlich sind die Pechbrenner, die sich aus Walderde Öfen bauen, oder Löcher mit Lehm überwölben, und daneben sich Hütten aus Waldbäumen aufrichten, um in den Hütten zu wohnen, und in den Öfen und Löchern die Wagenschmiere zu brennen, aber auch den Teer, den Terpentin und andere Geister. Wo ein ganz dünnes Rauchfädlein aufsteigt, mag es auch ein Jäger sein, der sich sein Stocklein Fleisch bratet oder der Ruhe pflegt. Alle diese Leute haben keine bleibende Stätte in dem Walde; denn sie gehen bald hierhin, bald dorthin, je nachdem sie ihre Arbeit getan haben oder ihre Gegenstände nicht mehr finden. Darum haben auch die Rauchsäulen keine bleibende Stelle, und heute siehest du sie hier und ein anderes Mal an einem anderen Platze.«
»Ja, Großvater.«
»Das ist das Leben der Wälder. Aber laß uns nun auch das außerhalb betrachten. Kannst du mir sagen, was das für weiße Gebäude sind, die wir da durch die Doppelföhre hin sehen?«
»Ja, Großvater, das sind die Pranghöfe.«
»Und weiter von den Pranghöfen links?«
»Das sind die Häuser von Vorder- und Hinterstift.«
»Und wieder weiter links?«
»Das ist Glöckelberg.«
»Und weiter gegen uns her am Wasser?«
»Das ist die Hammermühle und der Bauer David.«
»Und die vielen Häuser ganz in unserer Nähe, aus denen die Kirche emporragt, und hinter denen ein Berg ist, auf welchem wieder ein Kirchlein steht?«
»Aber, Großvater, das ist ja unser Marktflecken Oberplan, und das Kirchlein auf dem Berge ist das Kirchlein zum guten Wasser.«
»Und wenn die Berge nicht wären und die Anhöhen, die uns umgeben, so würdest du noch viel mehr Häuser und Ortschaften sehen: die Karlshöfe, Stuben, Schwarzbach, Langenbruck, Melm, Honnetschlag, und auf der entgegengesetzten Seite Pichlern, Pernek, Salnau und mehrere andere. Das wirst du einsehen, daß in diesen Ortschaften viel Leben ist, daß dort viele Menschen Tag und Nacht um ihren Lebensunterhalt sich abmühen und die Freude genießen, die uns hienieden gegeben ist. Ich habe dir darum die Wälder gezeigt und die Ortschaften, weil sich in ihnen die Geschichte zugetragen hat, welche ich dir im Heraufgehen zu erzählen versprochen habe. Aber laß uns weiter gehen, daß wir bald unser Ziel erreichen, ich werde dir die Geschichte im Gehen erzählen.«
Der Großvater wendete sich um, ich auch, er setzte die Spitze seines Stockes in die magere Rasenerde, wir gingen weiter, und er erzählte: »In allen diesen Wäldern und in allen diesen Ortschaften hat sich einst eine merkwürdige Tatsache ereignet, und es ist ein großes Ungemach über sie gekommen. Mein Großvater, dein Ururgroßvater, der zu damaliger Zeit gelebt hat, hat es uns oft erzählt. Es war einmal in einem Frühlinge, da die Bäume kaum ausgeschlagen hatten, da die Blütenblätter kaum abgefallen waren, daß eine schwere Krankheit über diese Gegend kam und in allen Ortschaften, die du gesehen hast, und auch in jenen, die du wegen vorstehender Berge nicht hast sehen können, ja sogar in den Wäldern, die du mir gezeigt hast, ausgebrochen ist. Sie ist lange vorher in entfernten Ländern gewesen und hat dort unglaublich viele Menschen dahin gerafft. Plötzlich ist sie zu uns herein gekommen. Man weiß nicht, wie sie gekommen ist: haben sie die Menschen gebracht, ist sie in der milden Frühlingsluft gekommen, oder haben sie Winde und Regenwolken daher getragen: genug, sie ist gekommen und hat sich über alle Orte ausgebreitet, die um uns herum liegen. Über die weißen Blütenblätter, die noch auf dem Wege lagen, trug man die Toten dahin, und in dem Kämmerlein, in das die Frühlingsblätter hinein schauten, lag ein Kranker, und es pflegte ihn einer, der selbst schon krankte. Die Seuche wurde die Pest geheißen, und in fünf bis sechs Stunden war der Mensch gesund und tot, und selbst die, welche von dem Übel genasen, waren nicht mehr recht gesund und recht krank, und konnten ihren Geschäften nicht nachgehen. Man hatte vorher in Winterabenden erzählt, wie in andern Ländern eine Krankheit sei, und die Leute an ihr wie an einem Strafgerichte dahin sterben; aber niemand hatte geglaubt, daß sie in unsere Wälder herein kommen werde, weil nie etwas Fremdes zu uns herein kömmt, bis sie kam. In den Ratschlägerhäusern ist sie zuerst ausgebrochen, und es starben gleich alle, die an ihr erkrankten.
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