Im Gesichte war,

Ob unrasirt, doch keine Spur von Haar,

Er mußte – dünkt mich – wohl ein Wallach sein.

 

Von Ware bis Berwick war gewißlich kein

Ablaßverkäufer, der ihm's Wasser reichte.

Als »Unsrer lieben Frauen Schleier« zeigte

Er einen Kissenüberzug. Im Koffer

Verwahrte von dem Segel etwas Stoff er,

Das Petri Fahrzeug – wie er sagte – führte,

Als mit dem Herrn er auf dem See spazierte;

Ein steinbesetztes Kreuz hatt' er von Zinn

Sowie ein Glas mit Schweineknochen drin.

Und traf er einen armen Bauersmann,

So schwatzt' er ihm von den Reliquien an,

Und erntete an einem einz'gen Tage

Die Früchte seiner wochenlangen Plage.

So hielt mit Possen und mit Schmeichelworten

Das Volk zu Narren er an allen Orten.

Doch, um nicht von der Wahrheit abzuweichen,

Als Kirchenredner war er ohnegleichen.

Schön las den Bibeltext er und Historien;

Jedoch am besten sang er Offertorien,

Da hinterdrein er gleich den Anfang machte

Mit seiner Predigt, die ihm Geld einbrachte.

Zu diesem Zwecke spitzt' er seine Zunge

Und sang vergnügt und laut aus voller Lunge.

 

So macht' ich kurz und nach der Reihe kund

Rang, Anzug, Zahl und minder nicht den Grund,

Weßhalb in Southwerk Jeder angekommen

Und in dem Gasthof sein Quartier genommen,

Der »Tabard bei der Glocke« ward genannt;

Und an der Zeit ist's, daß ich Euch bekannt

Auch weiter mache, wie wir unsre Nacht

In dem besagten Wirthshaus zugebracht;

Und hinterdrein gedenk' ich Euch zu sagen,

Was auf der Reise sonst sich zugetragen.

 

Doch bitt' ich Euch zunächst aus Höflichkeit

Legt es nicht aus als Herzensschlechtigkeit,

Wenn ich getreu im Laufe der Geschichte

Auch jedes Wort von Jedermann berichte;

Sonst ziehe man mit Recht der Lüge mich.

Denn das wißt sicher Ihr so gut wie ich:

Wer melden will, was ihm gesagt ein Mann,

Der wiederhole, so genau er kann,

Ein jedes Wort, sei's noch so schlecht gewählt

Und noch so gröblich, was ihm vorerzählt.

Sonst müßt' er ja die Unwahrheit berichten,

Den Sinn verfälschend, neue Worte dichten;

Den eignen Bruder darf er schonen nicht,

Ein jedes Wort zu sagen, ist ihm Pflicht.

Sehr kräftig sprach selbst Christus in der Bibel,

Und doch kein Wort – das wißt Ihr – ist von Uebel.

Wer Plato las, dem ist der Spruch bekannt:

Es sei das Wort der Sache nah' verwandt.

 

Und gleichfalls bitt' ich, daß Ihr mir verzeiht,

Wenn ich Euch nicht nach Rang und Würdigkeit

Die Leute vorgeführt, wie angemessen.

Mein Witz ist kurz, das dürft ihr nicht vergessen.

 

Für Jeden freundlich, ließ der Wirth vom Haus

Uns niedersitzen rasch zum Abendschmaus.

Die Tafel er mit bester Speise deckte.

Stark war der Wein, der uns vorzüglich schmeckte.

So wohlanständig war des Wirthes Wesen,

Als sei er zum Hofmarschall auserlesen.

Sein Wuchs war stark, tief lag sein Augenpaar;

In Chepe selbst kein bessrer Bürger war.

Gewandt und klug und grad' heraus er sprach,

In Nichts es ihm an Männlichkeit gebrach;

Dazu war er ein aufgeweckter Mann.

Gleich nach dem Abendessen hub er an

In heitrer Laune dies und das zu sprechen;

Und als berichtigt waren unsre Zechen,

Begann er also: »Wahrlich, meine Herr'n,

Willkommen heiß' ich Euch hier herzlich gern.

Denn, meiner Treu, wenn ich nicht lügen soll,

Sah meinen Gasthof ich noch nie so voll

In diesem Jahr, wie heut' am Tag' er ist.

Gern möcht' ich Euch erheitern. Darum wißt,

Daß ich mir eben einen Scherz erdacht,

Der vielen Spaß und keine Kosten macht.

Ihr geht nach Canterbury. – Eure Pfade

Beschirme Gott und seines Märtyr'rs Gnade! –

Und sicher weiß ich, daß Ihr Euren Weg

Zu kürzen denkt durch heiteres Gespräch.

Denn unbehaglich wahrlich ist's und dumm,

Einherzureiten, wie der Stein so stumm.

Drum würd' es mich, wie ich schon sagte, freun,

Euch angenehm und lustig zu zerstreun;

Und wenn Ihr insgesammt des Willens seid,

Mir zu gehorchen und mit Folgsamkeit

Dasjenige zu thun, was ich Euch weise,

– Bei meines Vaters Seel'! – seid auf der Reise

Ihr morgen dann nicht hochvergnügt und munter,

Schlagt mir den Kopf von meinem Rumpf herunter!

Macht keine Worte; hebt empor die Hände!«

Wir kamen rasch mit dem Entschluß zu Ende;

Uns schien nicht werth, es lange zu berathen.

Wir gingen schlichthin darauf ein, und baten

Ihn, kund zu machen, was im Sinn er trage.

 

»Nun, Herren!« – sprach er – »hört, was ich Euch sage.

Doch bitt' ich dringend, nehmt es mir nicht krumm!

Denn, kurz und gut, es handelt sich darum,

Es solle Jeder von Euch vier Geschichten,

Den Weg zu kürzen, auf der Fahrt berichten.

– Zwei, während wir nach Canterbury wandern,

Und auf dem Heimweg dann die beiden andern. –

Der aber, welcher schließlich unter Allen

Von Abenteuern, die einst vorgefallen,

Das beste vorgetragen hat – das heißt:

Was Euch erbaut sowie ergötzt zumeist –

Erhält zum Lohn dafür in diesem Haus

Auf Kosten Aller einen Abendschmaus,

Wenn wir von Canterbury heimwärts kehren.

Und gerne will ich, Eure Lust zu mehren,

Auf eigne Kosten selber mit Euch reiten,

Und Euch als Führer auf der Fahrt begleiten.

Wer meinem Urtheil wagt zu widersprechen,

Zahlt auf der Tagesfahrt dafür die Zechen.

Wenn Ihr gewillt seid, daß dem also sei,

So stimmt mir ohne viele Worte bei,

Damit ich mich bei Zeiten rüsten kann.«

 

Dies ward bewilligt und wir schwuren dann

Froh unsern Eid und baten ihn daneben,

Das auszuführen, was er angegeben.

Er möge sich als Leiter uns verpflichten,

Sowie als Richter über die Geschichten,

Den Preis des Abendessens nur fixiren,

Und nach Gefallen über uns regieren

Im Kleinen wie im Großen. – Jedermann

Nahm gern und willig seinen Vorschlag an.

 

Und hinterher bestellten wir uns Wein

Und tranken ihn, und dann ward allgemein

Und ohne Zögern gleich zur Ruh gegangen.

 

Sobald der Tag zu grauen angefangen,

Erhob sich unser guter Wirth und war

Der Hahn für Alle. – Bald war seine Schaar

Beisammen und dann ging, halb Trab, halb Schritt,

Zur Schwemme von Sanct Thomas unser Ritt.

Dort gab der Wirth den Pferden etwas Ruh'

Und sprach: »Ihr Herrn, hört mir gefälligst zu!

Ihr wißt, was Ihr verspracht und ich bedang.

Ist Euer Abendlied noch Morgensang,

So laßt uns sehn, wer soll der Erste sein,

Der jetzt erzählt? Ich schwör's bei Bier und Wein!

Für Alle zahlt die Zeche, wer sich jetzt

Rebellisch meinem Urtheil widersetzt!

Nun frisch geloost! Dann reiten wir von hinnen,

Und wer das kürz'ste Loos zieht, muß beginnen.

Herr Ritter,« – sprach er – »Oberherr und Lord!

Zieht Euer Hälmchen! – so ist der Accord. –

Kommt näher« – sprach er – »Lady Priorin!

Ihr, Herr Scholar, ermuntert Euren Sinn;

Laßt das Studiren! – Fasse Jeder an.«

 

Und folgsam zog sein Loos auch Jedermann.

Ganz in der Kürze sei es nun berichtet:

– Ob es Geschick, ob Zufall angerichtet,

Die bei der Ziehung ihre Fäden schürzten –

Die Wahrheit ist: der Ritter zog den Kürz'sten.

Nun war bei Allen Lust und Freude groß.

Er hatte zu beginnen; denn sein Loos

Verfügte so. – Was braucht's der Worte mehr?

Was abgemacht, wißt Ihr und wußt' auch er.

Und da er klug, gehorsam war und willig,

So hielt er sein Versprechen auch, wie billig.

 

»In Gottes Namen! wie das Hälmchen fiel,

Will ich beginnen« – sprach er – »unser Spiel!

Nun reitet weiter und lauscht meinem Wort.«

 

So zogen wir des Weges weiter fort,

Und dann begann mit freundlichem Gesichte

Er die Erzählung, die ich jetzt berichte.

 

Die Erzählung des Ritters.

 

Vers 861–3110.

 

Wie aus Historienbüchern zu ersehn,

War einst ein Herr und Herzog in Athen,

Der Theseus hieß. Ihm glich zu seiner Zeit

Kein Sieger und Eroberer, so weit

Die Sonne scheint, an Größe und an Ruhm.

Er unterwarf manch reiches Fürstenthum.

Durch Tapferkeit und Klugheit überwand

Er Scythia, das Amazonenland

Und er erkor zur Gattin sich zugleich

Hippolyta, die Königin vom Reich

Und zog mit ihr und ihrem Schwesterlein

Emilia in seine Heimath ein.

In feierlichem Zug voll Glanz und Pracht,

Umgeben von der ganzen Heeresmacht,

Mit Siegesliedern, Jubelmelodien

Mag nach Athen der würd'ge Herzog ziehn.

Doch, wahrlich, wär' es kürzer einzurichten,

Möcht' ich den ganzen Hergang Euch berichten,

Wie Herzog Theseus' ritterliche Hand

Das Reich der Weiber siegreich überwand,

Wie die Athener in den Kämpfen siegten,

Als sie die Amazonenschaar bekriegten,

Und wie die Königin von Scythia,

Die schöne, kräftige Hippolyta

Belagert ward, wie ihrer Hochzeit Weise,

Ihr Tempelgang und ihre Heimwärtsreise.

Doch muß ich leider wohl darauf verzichten.

Groß ist – weiß Gott – mein Feld, doch stark mit Nichten

Sind meine Stiere, die ich vor dem Pflug;

Und der Geschichte Rest ist lang genug.

Ich möchte Keinem gern im Wege stehn;

Laßt Jedermann erzählen und uns sehn,

Wer sich den Abendschmaus gewinnen kann?

 

Drum, wo ich abbrach, heb' ich wieder an.

 

Als der erwähnte Herzog nun nicht weit

Mehr von der Stadt, zu der in Herrlichkeit

Und großer Pracht er auf der Reise rückte,

Sah er die Straße, als er um sich blickte,

Mit einer Schaar von Weibern angefüllt,

Die niederknieten, ganz in Schwarz gehüllt,

In einer langen Reihe, zwei bei zwei;

Und so erbärmlich klang ihr Wehgeschrei,

Daß wohl im Leben auf der Erde Flur

Solch Jammern hörte keine Creatur;

Nicht früher ließen sie ihr Schreien enden,

Bis seines Rosses Zügel sie in Händen.

 

»Was Volk seid Ihr, hier vor mir zu erscheinen,

Daß meiner Heimkehr Fest mit Eurem Weinen

Ihr stört?« – sprach Theseus – »seid Ihr so voll Neid

Ob meiner Ehre, daß ihr klagt und schreit?

Doch seid gekränkt Ihr, hat man Euch mißhandelt,

Daß Ihr in schwarzer Trauerkleidung wandelt,

So sagt mir an, wie ich Euch helfen kann?«

 

Die älteste der Frauen sprach sodann,

Der Ohnmacht nah', mit blassem Angesicht

– Ein trüber Schauspiel gab es wahrlich nicht –

Und sagte: »Herr! begünstigt durch das Glück,

Kehrt siegreich als Erobrer Ihr zurück!

Statt Eures Ruhmes Glorie zu beneiden,

Flehn hülfesuchend wir in unsern Leiden.

Laßt gnadenvoll aus Eurem edlen Herzen

Nur einen Tropfen Mitleid auf die Schmerzen

Der jammervollen Weiber niederfallen;

Denn sicher, Herr, ist keine von uns allen,

Die nicht von Königen und Fürsten stammt,

Doch, wie Ihr seht, sind elend allesammt.

Denn hoher Stand oft kurze Dauer hat,

So lenkt's Fortuna und ihr falsches Rad!

Wir haben, Herr, auf Eure Gegenwart

In der Clementia Tempel schon geharrt

Seit vierzehn Tagen, unser Flehn zu senden

Empor zu Euch. – Ihr habt die Macht in Händen!

Ich selbst, ein elend, klagend Weib, war sonst

Des Kapaneus, des Königs, Eh'gesponst,

Der seinen Tod vor Theben fand. – Dem Tage

Sei ewig Fluch! – Und alle, deren Klage

Aus Trauerhüllen dringt zu Euren Ohren,

Haben die Gatten vor der Stadt verloren,

Als unser Heer vor ihren Wällen lag.

Der alte Kreon aber – Weh' und Ach! –

Der dort regiert, beschloß aus Haß und Wuth

Den schändlichen Tyrannenübermuth

An den entseelten Körpern selbst zu kühlen

Von unsern Männern, die im Kampfe fielen.

Auf einen Haufen schleppt' er ihre Leichen

Und ist auf keine Weise zu erweichen,

Sie zu verbrennen oder zu bestatten,

Und die Gebeine der erschlag'nen Gatten

Dienen zum Futter jetzt für seine Hunde!«

 

Bei diesem Worte scholl aus Aller Munde

Ein kläglich Schrei'n: »O, öffnet in Erbarmen

Das Herz der Noth und Sorge von uns Armen!«

So schrieen sie und warfen sich zur Erde.

 

Der edle Herzog sprang sogleich vom Pferde,

Denn durch die Worte, die zu ihm gesprochen,

War schier sein mitleidsvolles Herz gebrochen.

Im Innersten bewegt durch die Beschwerden

Von denen, die einst hochgestellt auf Erden,

Hob er mit eigner Hand sie auf sofort,

Und freundlich sprach er manches Trosteswort.

Als treuer Ritter band durch einen Schwur

Er sich, zu thun, was irgend möglich nur,

Um des Tyrannen Kreons Macht zu brechen.

Das ganze Volk der Griechen solle sprechen

Davon noch lange, wie durch Theseus Hand

Kreon den Tod, den er verdiente, fand.

Und ohne länger sich dann aufzuhalten,

Ließ fördersamst die Banner er entfalten

Zum Vorwärtsmarsche für das ganze Heer.

– Nicht nach Athen zog es ihn länger mehr. –

Kaum einen halben Tag genoß er Ruh',

Dann ritt zur Nachtzeit er auf Theben zu.

Sein Weib, die Königin der Amazonen,

Hippolyta ließ er inzwischen wohnen

Mit ihrer jungen Schwester in Athen,

Um – wie gesagt – gleich in den Kampf zu gehn.

Im weißen Banner schien mit Speer und Schild

Vom Kriegsgott Mars das blutigrothe Bild

Und leuchtete mit hellem Glanz ins Weite.

Aus reinem Gold gefertigt, ihm zur Seite

Ragte die Fahne, die das Bildniß trug,

Wie Theseus Kretas Minotaur erschlug.

 

So ritt der Herzog, so der kühne Sieger,

Umgeben von der Blüthe seiner Krieger,

Auf Theben zu, bis endlich Halt er machte

Auf einem Feld, wo er zu kämpfen dachte.

 

Um nun ganz kurz den Thatbericht zu geben:

Mit Kreon, welcher König war in Theben,

Focht er, und ritterlich in offner Schlacht

Erschlug er ihn und trieb die Heeresmacht

Zu Paaren, nahm die Stadt darauf mit Sturm,

Und gleich der Erde macht' er Wall und Thurm,

Und an die Frau'n ließ er zurückerstatten

Die todten Körper der erschlagnen Gatten,

Sie beizusetzen nach des Landes Brauch.

 

Doch allzulange währt' es, spräch' ich auch

Von allem Jammer und von allem Flennen

Der armen Weiber während dem Verbrennen,

Und wie, mit Ehren und mit vielen Gnaden

Vom edlen Herzog Theseus überladen,

Sie endlich schieden und von dannen gingen;

– Denn kurz zu sein, ziemt mir vor allen Dingen. –

 

Der edle Herzog, der mit starker Hand

Kreon erschlug und Theben überwand

Und alles Land zu eigen sich gemacht,

Nahm auf dem Schlachtfeld Ruhe für die Nacht.

Nun machten sich die Plündrer viel zu schaffen,

Um reiche Beute, Rüstungen und Waffen

Erschlagner Feindesleichen heimzutragen

Vom Kampfplatz, wo sie haufenweise lagen.

Und so geschah's, daß hierbei aufgefunden

Zwei junge Ritter wurden, die, durch Wunden

Arg zugerichtet, scheinbar als erschlagen,

Im reichen Waffenschmuck beisammen lagen,

Von denen Palamon der eine hieß,

Arcit der andre; wie sich bald erwies,

Obwohl sie todt mehr als lebendig schienen,

Aus ihren Rüstungen; sowie von ihnen

Und ihrer Herkunft Herolden nicht minder

Bekannt war, daß sie als Geschwisterkinder

Entsprungen Thebens königlichem Haus.

 

Als aus dem Leichenhaufen sie heraus

Die Plünderer gezogen, brachte man

Sie in das Zelt des Theseus, der sodann

Sie nach Athen zu ew'ger Haft verwies

Und für kein Lösegeld daraus entließ.

 

Und heimwärts zog, nachdem er dies vollbracht,

Der würd'ge Herzog mit der Heeresmacht,

Bekränzt als Sieger mit dem Lorbeerzweige.

Geehrt und fröhlich bis zur Lebensneige

Verblieb er dort. – Was braucht's der Worte mehr?

 

In einem Thurme lagen sorgenschwer

Stets noch Arcit und Palamon gefangen,

Da für kein Gold die Freiheit zu erlangen.

 

Tag rollt auf Tag und Jahr auf Jahr vorbei,

Bis es geschah, daß einst im Monat Mai

In früher Morgenstunde schon Emilie,

Weit schöner als am grünen Schaft die Lilie

Und frischer als des Maies Blüthenprangen

– Denn ob die Rose oder ihre Wangen

Von zarterm Roth, war schwerlich zu entscheiden –

Vom Lager aufstand, um sich anzukleiden,

Wie früh am Morgen sie gewohnt zu thun.

Die Schläfer läßt der Mai nicht lange ruhn,

Der so die Herzen prickelt und belebt,

Daß rasch vom Lager jeder sich erhebt.

»Steh' auf« – ruft Mai – »und huld'ge meiner Macht!«

Drum war Emilie zeitig aufgewacht,

Damit auch sie den Mai in Ehren halte.

Frisch war ihr Kleid; in reichen Flechten wallte

Ihr um die Schultern das goldgelbe Haar,

Das ellenlang – nach meiner Schätzung – war.

Als ihren Lauf die Sonne dann begann,

Trat sie im Garten ihre Wandrung an,

Wo sie sich weiß' und bunte Blumen pflückte,

Zum Kranz sie wand, mit ihm die Stirne schmückte,

Und dabei himmlisch wie ein Engel sang.

 

Der dicke, große Thurm, in dem schon lang

Gefangen die besagten Ritter lagen

– Von denen auch noch ferner viel zu sagen –

Die stärkste von des Schlosses Kerkerwarten,

Lag an dem Wall von eben jenem Garten,

In dem ihr Spiel Emilie fröhlich trieb.

 

Bei Sonnenschein und Morgenfrische blieb

Auch der gefangne Palamon nicht lang

Im Bett, und den gewohnten Morgengang,

Zu dem sein Wärter ihm Erlaubniß gab,

Nahm er im höchsten Stock, von dem herab

Zur Stadt er und zum Grün des Gartens sah,

In dem das schöne Kind Emilia,

Lustwandeln ging, sich tummelnd hin und her.

 

Und Palamon, gefangen, sorgenschwer,

Ging seufzend auf und ab in seiner Kammer,

Sich oft beklagend, daß zu solchem Jammer

Geboren ihn das neidische Geschick.

Und so geschah's – sei's Zufall oder Glück –

Daß seine Augen durch die dicken Sparren

Von seines Fensters mächt'gen Eisenbarren

Grad' auf Emilie fielen. – Zitternd, bleich,

Zusammenzuckend, schreit empor er gleich,

Als ob er durch das Herz gestochen sei. –

 

Auf sprang Arcit sofort bei diesem Schrei

Und sprach: »Was, theurer Vetter, ist geschehn,

Daß todtenblaß Du plötzlich anzusehn,

Was hat man Dir gethan, was soll die Klage?

Um Gottes Willen mit Geduld ertrage,

Was abzuändern unsrer Macht entgeht.

Fortuna hat den Rücken uns gedreht!

Wenn unheilvoll durch die Constellation

Saturns uns die Aspecten einmal drohn,

So bleibt vergebens das Geschick beschworen;

Denn, wie der Himmel stand, als wir geboren,

So müssen wir's ertragen – das ist klar!«

 

Des Palamons Erwiedrung aber war:

»Bei Deiner Ansicht, die Du mitgetheilt,

Hat Deine Phantasie sich übereilt.

Nicht schrie ich, Vetter, weil wir hier gefangen;

Ich ward verwundet, und die Schmerzen drangen

Durchs Auge mir ins Herz. Auf immerfort

Bannt mich die Schönheit einer Frau, die dort

Lustwandelnd sich ergeht im Gartengrün.

Das war der Grund, weßhalb ich aufgeschrien.

War Weib sie, war vom Himmel sie geschickt?

Mich dünkt, die Venus selbst hab' ich erblickt!«

Und dabei sank er auf die Kniee hin

Und sprach: »Venus, wenn ich gewürdigt bin,

Daß Du mir Armen, welchen Kummer beugt,

Dich hier in irdischer Gestalt gezeigt,

So hilf uns zu entrinnen unsrer Haft!

Doch ist's bestimmt, daß in Gefangenschaft

Wir durchaus sterben sollen, dann gewähre

Dein Mitleid unserm Stamme, dessen Ehre

Durch Tyrannei zu tiefem Fall gebracht!«

 

Nach dieser Rede war Arcit bedacht,

Auch seinerseits die Dame zu erspähen;

Doch augenblicklich, als er sie gesehen,

War – wenn schon Palamon verwundet schwer –

Arcit es ebenmäßig oder mehr.

Und jämmerlich fing er zu seufzen an:

»Die holde Schönheit hat mir's angethan,

Die ich erblickt auf jenem Gartenpfade.

Erring' ich mir nicht ihre Gunst und Gnade

Bleibt mir versagt, sie mindestens zu sehn,

Ist es um mich – das fühl' ich – auch geschehn.«

 

Als kaum die Worte Palamon gehört,

Frug er verächtlich blickend und verstört:

Ob's Ernst, ob's Scherz ihm mit der Rede wäre?

»Nein« – sprach Arcit – »vollkommen Ernst – auf Ehre!

Zu Scherzen bin – weiß Gott – ich nicht gestimmt.«

 

Und Palamon versetzte drauf, ergrimmt

Die Brauen faltend: »Nicht von Ehre sprich,

Wenn falsch Du und Verräther gegen mich,

Den Vetter und den Bruder Deiner Wahl!

Wir schwuren uns bei der Verdammung Qual,

Es solle gegenseitig von uns beiden

Einer dem andern bis zum Todesscheiden

In keiner Art und – lieber Bruder mein –

Auch in der Liebe nicht im Wege sein.

Daß Du zu meiner Hülfe stets bereit,

Wie ich zu Deiner – dieses war Dein Eid,

So sicherlich wie es der meine war.

Du kannst nicht widersprechen. Offenbar

Mußt Du, wie ich, in dieser Sache denken;

Drum Falschheit ist's, Dein Lieben hinzulenken

Zur Dame, die ich liebe, die ich auch

Stets lieben werde bis zum letzten Hauch!

Doch nie, Arcit, soll es Dein falsches Herz!

Ich liebte sie zuerst, und meinen Schmerz

Hab' ich als Bruder Dir und Freund geklagt,

Mir hülfreich beizustehn; denn – wie gesagt –

Dich bindet Eid, Dich bindet Ritterpflicht,

Daß Du mir Hülfe leihst; und thust Du's nicht,

Bist Du – frei sag' ich's – deines Eids vergessen.«

 

Ihm stolz erwiedernd, sprach Arcit indessen:

»Wenn Du mich falsch nennst, ist es leider schade,

Daß falsch Du selbst bist in weit höherm Grade,

Denn – par amour! – wer liebte sie zuerst,

Ich oder Du, daß Du Dich so beschwerst?

Du wußtest nicht, ob Weib, ob Göttin sie;

Dein Herz bewegte heil'ge Sympathie,

Doch irdischer ist meiner Liebe Feuer;

Und so geschah's, daß ich mein Abenteuer

Als Vetter und als Bruder Dir enthüllte.

Gesetzt, daß Liebe Dich zuerst erfüllte,

So weißt Du's doch, daß Weise längst verkündet,

Daß in der Liebe kein Gebot uns bindet;

Und ob der klügste Mann Gesetze schriebe,

Bei meinem Kopf! das höchste bleibt die Liebe,

Und giebt uns positives Recht, Versprechen

Um ihretwillen jederzeit zu brechen!

Verstand verstummt, sobald die Liebe spricht!

Ob uns der Tod droht, wir entfliehn ihr nicht

– Mag sie nun Weib sein, Wittwe oder Maid. –

 

Für mich wie Dich gibt's keine Möglichkeit,

Uns ihre Gunst im Leben zu erringen,

Denn unsres – weißt Du – müssen wir verbringen

In Kerkerhaft, aus der in Ewigkeit

Nicht mich noch Dich ein Lösegeld befreit.

Wir streiten, gleich zwei Hunden, um das Bein.

Sie fochten, jeder wollte Sieger sein;

Da kam ein Habicht, der sie ausgewittert,

Und stahl den Knochen, der sie so erbittert.

Und, Bruder, sieh' den Hof des Königs an!

Da steht auch Jeder seinen eignen Mann.

Lieb', wen Du willst; ich will das Gleiche thun,

Und damit, Bruder, laß die Sache ruhn.

So lang in Kerkermauern wir begraben,

Mag jeder auch sein Abenteuer haben.«

 

Wie lang und scharf gewährt der Beiden Streit,

Würd' ich berichten, hätt' ich nur die Zeit.

Jedoch zur Sache! – Kurz, wie ich's vermag,

Sei es erzählt. Es kam an einem Tag

Ein würd'ger Fürst, Pirithous genannt,

Zu Theseus nach Athen, wo er das Band

Der alten Freundschaft mit dem Spielgenossen,

Das sie in frühster Kinderzeit geschlossen,

Erneuerte, und froh mit ihm verkehrte,

Den auf der Welt er über Alles ehrte,

Von dem geehrt er über Alles war.

Der Beiden Liebe macht die Sage klar,

Daß nach dem Tod des Einen in der Hölle

Den Freund besucht der lebende Geselle.

– Was ich Euch hier nicht lang berichten mag. –

 

Pirithous, der schon seit Jahr und Tag

In Theben Neigung für Arcit empfand,

Hatte bei Theseus sich für ihn verwandt

Und durch sein Bitten ihm Pardon verschafft,

Daß ohne Lösegeld aus seiner Haft

Er unbeschränkt, wohin er wolle, ginge,

Jedoch nur unter folgendem Bedinge:

Mit dem Arcit kam Theseus überein,

Es solle künftig so gehalten sein,

Daß, wenn in seinem Leben je Arcit

Betroffen würde wieder im Gebiet

Des Herzog Theseus und zur Haft gebracht,

Sei es am Tage, sei es in der Nacht,

Sein Kopf sofort verfallen sei dem Schwerte.

 

Dagegen half kein Rath. – Entlassen, kehrte

Darum Arcit zurück zum Heimathlande.

– Er wahre sich! es steht sein Kopf zum Pfande! –

Wie wird Arcit nunmehr gequält von Schmerzen

Und welche Todesqual trägt er im Herzen?!

Er weint und klagt und sinnt, mit eignen Händen

Die Leiden seines Lebens zu beenden.

»Unsel'ger Tag« – sprach er – »der mich gebar!

Wenn Fegefeuer schon mein Kerker war,

Ist gegenwärtig mein Geschick noch schlimmer,

Denn in die Hölle bannt es mich für immer!

Hätt' ich Pirithous doch nie gekannt;

Dann hielte mich noch Herzog Theseus' Hand

In ewiger Gefangenschaft zurück!

Hier bin ich elend, dort war ich im Glück!

Wenn ich nur sie, die hoch mein Herz verehrt

– Wird ihre Gunst auch niemals mir bescheert –

Erblicken könnte, wär' ich hoch zufrieden!

Ach!« – rief er aus – »Dir ist der Sieg beschieden,

Mein Vetter Palamon, in diesem Streit!

Du bliebst im Kerker voller Seligkeit;

Im Kerker? Nein! Fürwahr, ein Paradies

Fortunas Würfel Dich gewinnen ließ!

Du bist ihr nah', ich bin auf ewig weit,

Dir bleibt ihr Anblick und die Möglichkeit,

Daß – weil Du so gewandt wie tapfer bist,

Und wandelbar Fortunas Wesen ist –

Du mit der Zeit noch deinen Wunsch erlangst.

Ich bin verbannt! In hoffnungsloser Angst

Bleibt mir beständige Verzweiflung nur.

Hienieden gibt es keine Creatur

Im Feuer, Wasser, in der Luft, auf Erden,

Ein Tröster und ein Helfer mir zu werden!

O, wär' ich todt! Mir bleibt kein Hoffnungsschimmer,

Lust, Leben, Freude lebet wohl für immer!

 

Warum beklagt der Mensch sich des Geschicks,

Das Gottes Allmacht, oder Spiel des Glücks

In weiserm Walten über ihn verhängte,

Als wenn er selbst des Lebens Steuer lenkte?

Der Eine strebt nach Reichthum, und verdorrt

In langem Siechthum, oder stirbt durch Mord;

Ein Anderer durchbricht des Kerkers Wände,

Den Tod zu finden durch der Seinen Hände.

Wir wissen nicht, wie oft in diesen Dingen

Endlosen Harm die eignen Wünsche bringen.

Wir taumeln, wie ein schwer betrunkner Mann,

Der zwar sein Haus kennt, doch nicht finden kann

Den Weg, der ihn zu seiner Wohnung leitet,

Und auf dem Pfade sinnlos schwankt und gleitet.

So fahren wir umher in unserm Leben!

Die Seligkeit, nach der wir eifrig streben,

Sich oftmals als das Gegentheil erweist;

Das wissen Alle – und ich selbst zumeist,

Der ich in hoffnungsvollem Wahn gestanden,

Es werde, frei von meinen Kerkerbanden,

Nur Lust und Wohlsein fürder mir zu Theil.

Und jetzt bin ich verbannt von meinem Heil,

Da, wenn ich Dich, Emilie, nicht mehr sehe,

Allein der Tod nur enden kann mein Wehe!«

 

Ganz anders war des Palamons Gebahren,

Als des Arcit Befreiung er erfahren.

Sein Wehgeschrei und seine Klagen schallten,

Daß laut des Thurmes Mauern widerhallten;

Und auf die Fesseln, welche seine Glieder

Umschlossen, fielen bittre Thränen nieder.

»Arcit, mein Vetter!« – hub er an zu sprechen –

»Nun kannst – weiß Gott – des Kampfes Frucht Du brechen!

Du wanderst jetzt in Theben frei umher,

Und kaum gedenkst Du meiner Leiden mehr;

Du bist voll Weisheit und voll Männlichkeit,

Und kannst des Hauses Mannen leicht zum Streit

Jetzt um Dich schaaren, in dies Land zu dringen;

Es kann durch Glück Dir, durch Vertrag gelingen,

Zum Weibe die Geliebte zu erwerben;

Ich aber muß vor Jammer um sie sterben.

 

Da Du aus der Gefangenschaft entlassen,

Vermagst Du jeden Vortheil zu erfassen.

Du bist Dein eigner Herr und darum stärker

Als ich, der hier verschmachten muß im Kerker,

Um lebenslänglich unter Jammerklagen

Die Leiden der Gefangenschaft zu tragen;

Und doppelt macht die Liebespein mein Herz

Empfinden alle Qualen, jeden Schmerz.«

 

Empor flammt Eifersucht, wie Feuersgluth,

In seiner Brust. Wie rasend schoß das Blut

Ihm nach dem Herzen und ließ die Gestalt

Wie Buchsbaum blaß, wie Asche todt und kalt.

»Grausame Göttin, deren Wort die Welt«

– So rief er aus – »in ew'gen Banden hält,

Die Du auf Demanttafeln Dein Belieben

Als ew'ge Richtschnur für die Welt geschrieben,

In Deinen Augen gelten Menschen kaum

Soviel wie Schafe in der Hürde Raum;

Und wie ein Vieh auch wird der Mensch erschlagen,

Muß Kerkerhaft und Sclavenfesseln tragen,

Krankheit und Wiederwärtigkeit erdulden,

Und oft – bei Gott! – ganz ohne sein Verschulden!

Heißt das Regierung, wenn, vorauserwählt,

Die fleckenlose Unschuld wird gequält?!

Und nicht genug damit! zu größrer Qual

Sind wir verpflichtet gar aus freier Wahl

Den Sinn zu beugen unter Gottes Willen,

Wenn frei die Lust ein jedes Thier mag stillen.

Ein Vieh, das stirbt, ist ledig seiner Plagen,

Ein todter Mensch muß heulen noch und klagen,

Als ob nicht jammervoll genug die Welt!

Doch ohne Zweifel, so ist es bestellt!

Wer kann uns Antwort auf die Frage geben?

Eins ist gewiß: das größte Leid ist Leben!

Ach! Räuber und Reptile sehen wir,

Die guten Menschen stets geschadet, hier

Ganz frei und ungestört ihr Wesen treiben;

Mich aber ließ in Kerkerbanden bleiben

Saturnus, und mit eifersücht'ger Wuth

Zerstörte Juno Thebens bestes Blut

Und stürzte seine weiten Wälle nieder,

Indeß mich Venus vor Arcit hinwieder

Mit eifersüchtiger Befürchtung schlug!«

 

Nun sprachen wir von Palamon genug,

Und wollen ihn in seinem Kerker lassen,

Um mit Arcit uns wieder zu befassen.

 

Der Sommer floh. – In langer Winternacht

Ward doppelmächtig beider Schmerz entfacht.

Ich weiß es nicht, wer litt vom Unglück stärker,

Der Mann der Liebe oder der im Kerker?

Denn – kurz – war's ewig Palamons Verhängniß,

Daß, festgekettet, er in dem Gefängniß

Verbleiben müßte bis zum Lebensziel,

So war Arcit für immer im Exil,

Beraubt, da Tod ihm jede Rückkehr war,

Auch ihres Anblicks nun und immerdar.

Ihr Liebenden, Euch stell' ich nun die Frage,

Ob Palamon das schlimmere Loos ertrage,

Der, zwar gefangen, dennoch Tag für Tag

Die Dame seines Herzens sehen mag,

Ob es Arcit, der, zwar ein freier Mann,

Doch die Geliebte nie erblicken kann.

Wie's Euch am besten zusagt, mögt Ihr wählen,

Mich aber drängt es, weiter zu erzählen.

 

In Theben angelangt, wird krank und schwach

Arcit und klagt tagtäglich Weh' und Ach!

An der Geliebten sollte sich sein Blick

Nie mehr erfreun. Zu solchem Mißgeschick

War – um es kurz zu enden – nie ein Wesen

Und wird auf Weltendauer nie erlesen.

Es war ihm Hunger, Durst und Schlaf vergangen;

Mit hohlen Augen und mit fahlen Wangen,

Dürr wie ein Stock, von Ansehn aschenbleich,

Erregte Schreck und Mitleid er zugleich.

Und einsam war er, immerfort allein;

Und nächtelang schrie er in seiner Pein,

Aus seinen Augen Thränenströme drangen

Wenn Lieder tönten, Instrumente klangen.

Aus seiner Brust war aller Muth entflohn,

Und so verändert klang der Stimme Ton,

Daß sie kaum wieder zu erkennen war.

Sein ganzes Wesen wies es offenbar,

Daß er den Zustand nicht allein verdanke

Den Pfeilen Eros' – nein – an Wahnsinn kranke,

Und daß die Säfte der Melancholie

Im Hirn getrübt den Sitz der Phantasie.

Kurz – ganz verdreht war er durch Liebesleid

An Wesen und Gemüthsbeschaffenheit.

 

Doch soll ich von den Schmerzen, die ihn quälen,

Den lieben, langen Tag hindurch erzählen?

Als er ein bis zwei Jahre so geplagt

Von Leid und Kummer – wie ich schon gesagt –

In seiner Heimath Theben zugebracht,

Sah vor sich stehn im Schlaf er in der Nacht

– Wie es ihm schien – den Flügelgott Merkur,

Der ihm Geheiß gab, Muth zu fassen nur!

In seiner Hand die goldne Schlummerruthe,

Sein strahlend Haar bedeckt mit einem Hute,

Erschien in selber Bildung er und Tracht,

Als er dem Argus Schlaf und Tod gebracht;

Und sprach zu ihm: »Hin nach Athen Dich wende,

Dort geht für Dich Dein Liebesschmerz zu Ende!«

 

Bei diesen Worten fuhr Arcit empor.

»Fürwahr, steht auch das Schlimmste mir bevor,

So geh' ich« – rief er – »dennoch nach Athen,

Dem Tode trotz' ich, gilt es die zu sehn,

Der ich in treuem Liebesdienst ergeben.

Bin ich ihr nah', was gilt mir dann mein Leben!«

 

Zum großen Spiegel griff er bei dem Wort,

Und da die Blüthe seiner Wangen fort

Und er sein Antlitz ganz verändert sah,

Lag auch sofort ihm der Gedanke nah',

Daß, da entstellt bis zur Unkenntlichkeit

Ihn seine Krankheit und sein Herzeleid,

Er in Athen in unscheinbarem Stand,

Für immer könne wohnen unerkannt

Und die Geliebte sehn zu jeder Zeit.

Und so vertauscht' er ungesäumt sein Kleid

Und ging vermummt als armer Bauersmann

Auch graden Weges nach Athen sodann.

Ein einz'ger Junker nur war sein Begleiter,

Den als Vertrauten seiner Heimlichkeit er

In ärmlicher Verkleidung mit sich nahm.

 

Als er zur Hofburg eines Tages kam,

Bot er am Thorweg als ein Arbeitsmann

Zu jedem Dienst, den man verlangt, sich an.

Und – kurz zu melden Euch den Sachverlauf –

Es nahm in Dienst ein Kammerherr ihn auf,

Der an dem Hof Emiliens sich befand:

Ein kluger Mann, der es gar wohl verstand,

Die Dienerschaft in guter Zucht zu halten.

Zum Wassertragen und das Holz zu spalten,

Schien ihm Arcit geschickt, denn jung und stark,

Von kräft'gem Bau und gutem Knochenmark,

War er geeignet, jeden Dienst zu thun.

 

Ein bis zwei Jahre blieb als Page nun

Er in dem Dienste dieser schönen Dame,

Und Philostrat sei – gab er an – sein Name.

Doch Keiner seines Rangs ward halb so sehr

Vom ganzen Hofe rings geliebt, wie er.

Von seinem vornehm-adeligen Wesen

War vieles Rühmen stets am Hof gewesen,

Und Jeder wünschte, daß ihn Theseus' Gnade

Baldigst zu einem angemessnen Grade

Und einem ehrenvollern Dienst erhebe,

Der seiner Tugend weitern Spielraum gäbe.

 

So war durch sein Betragen und sein Reden

Sein Name bald im Mund von einem Jeden,

Bis ihn zum Junker Theseus dann ernannte

Und ihn bei sich als Kämmerling verwandte.

Auch gab er ihm, um ranggemäß zu leben,

Das nöth'ge Gold. Doch heimlich ward daneben

Ihm seine Rente jedes Jahr gesandt,

Indeß von ihm mit Maß und mit Verstand

Verthan, daß er kein Aufsehn dadurch machte.

Und in drei Jahren, die er so verbrachte,

Gewann er sich im Frieden wie im Streit

Des Theseus innigste Gewogenheit.

 

Und so verlassen wir Arcit im Glück,

Und wenden uns zu Palamon zurück.

 

In seines festen Kerkers Schreckensnacht

Hat sieben Jahre Palamon verbracht,

Von Lieb' und von Verzweiflung fast zerrissen.

Wer hat je sorgenvoller dulden müssen

Als Palamon? Ihn hatte Leid und Lieben

Zur Schwermuth, ja, zum Wahnsinn fast getrieben,

Und dazu sitzt er nicht auf Jahr und Zeit

In dem Gefängniß, nein, auf Ewigkeit!

Wer könnte reimen nach Gebühr und Pflicht

Sein Marterleiden? Ich vermag es nicht!

– Rasch übergangen drum die Sache sei. –

 

Im siebten Jahr, zur dritten Nacht im Mai,

Geschah es, wie uns Bücher und Geschichten

Aus alten Zeiten umständlich berichten

– Sei es nun Zufall oder Schicksalsschluß,

Durch den ein Ding, das sein soll, kommen muß –

Daß Palamon zu mitternächt'ger Zeit

Durch Freundes Hülfe, die ihm dienstbereit

Zu Theil geworden, seiner Haft entkam

Und aus der Stadt die Flucht in Eile nahm.

– Ein Schlaftrunk aus Narkotikum von Theben

Und Opium, die in süßem Wein gegeben,

Betäubte so den Wärter, daß kein Schütteln

Im Stande war, ihn aus dem Schlaf zu rütteln;

Und so entkam er und entrann er schnell. –

 

Die Nacht war kurz. Bald schien der Tag schon hell.

Sich zu verbergen, war es hohe Zeit;

Weßhalb zu einem Haine sich abseit

Auch Palamon mit bangen Schritten schlug.

Denn es war seine Absicht, daß er klug

Den Tag hindurch, im Busch versteckt, verbringe

Und erst zur Nachtzeit wieder weiter ginge

Auf Theben zu, um dort zum Kriege gegen

Den Theseus seine Freunde zu bewegen.

Denn – kurz gesagt – es galt entweder Sterben

Oder zum Weib Emilie zu erwerben.

Das war sein Zweck, nur das lag ihm im Sinn!

 

Wir wenden zu Arcit uns wieder hin,

Der wenig ahnte, welche Sorgen nahten,

Bis in Fortunas Fallstrick er gerathen.

 

Die fleiß'ge Lerche, Tages Botenfrau,

Begrüßt mit ihrem Sang das Morgengrau,

Und Phöbus naht mit Feuerflammenpracht,

Bei dessen Blick der ganze Osten lacht,

Und trocknet rasch durch seiner Strahlen Schein

Der Blätter Silbertropfen in dem Hain.

 

Arcit, zum ersten Junker jetzt gemacht,

Am Hof des Theseus, war schon früh erwacht,

Und da der Tag so heiter schien und klar,

Beschloß er, wie schon längst sein Vorsatz war,

Dem Mai sein Opfer heute darzubringen.

Bald trug sein Renner ihn auf Feuerschwingen,

Damit im Freien fröhlich er verweile,

Vom Hof aufs Feld bis über eine Meile

Zum Haine hin, von welchem ich erzählte,

Und den durch Zufall er zum Ziel erwählte,

Um sich aus Weißdornblüthen, Geißblattwinden

Und grünen Blättern einen Kranz zu binden;

Und laut sang er dem Sonnenschein entgegen:

»O grüner Mai, so reich an Blüthensegen,

Du frischer, schöner Mai willkommen mir!

Zu finden hoff' ich etwas Grünes hier!«

 

Und hoch vergnügt er rasch vom Pferde sprang

Und lenkte zu dem Haine seinen Gang

Und wandelt' dort umher auf einem Pfade,

Wo hinter einem Busch durch Zufall grade

Sich Palamon, den stete Todessorgen

In Angst versetzten, ungesehn verborgen;

Indessen – Gott mag's wissen – daß Arcit

Zugegen sei, er nimmermehr errieth.

 

Der alte Spruch sein stetes Recht behält:

Der Wald hat Ohren, Augen hat das Feld;

Woran der Mensch sich wohl erinnern mag,

Denn widerfahren kann's ihm jeden Tag.

Es wußte drum, im Selbstgespräch verloren,

Arcit auch nicht, wie nah' des Lauschers Ohren,

Der still und lautlos saß im Busch versteckt.

 

Nachdem Arcit, vergnügt und aufgeweckt,

Manch lustig Lied gesungen, gab sein Sinn

Sich plötzlich grillenhaften Träumen hin,

Wie solche bei verliebten Leuten eben

Gleich Brunneneimern auf und nieder schweben,

Und bald im Grün, bald unter Dornen sind.

Recht wie ein Freitagswetter, das geschwind

Verkehrt den hellen Sonnenschein in Regen,

Weiß launenhaft auch Venus zu bewegen

Des Volkes Herzen, die wie ihren Tag,

Sie gern verändern und verkehren mag.

– Selten gleicht Freitag andern Wochentagen. –

Sein Lied war aus, Arcit begann zu klagen,

Und seufzend warf er rasch zu Boden sich,

»Weh!« – sprach er – »sei dem Tage, welcher mich

Gebar! Wie lange, Juno, soll mit Streit

Theben verfolgen Deine Grausamkeit?

Ach wie erniedrigt ist durch Deine Wuth

Des Kadmus und Amphion Königsblut!

Des Kadmus, welcher als der erste Mann

Von Thebens Stadt den stolzen Bau begann

Und dessen Königskrone sich errang.

Aus seinem fürstlichen Geblüt entsprang

Auch ich in grader Linie, ob geächtet

Ich leider jetzt, im Elend und geknechtet

Muß in dem Dienste meines Todfeinds leben,

Dem ich als armer Junker untergeben.

Noch größre Schande that mir Juno an,

Daß ich Arcit mich nicht mehr nennen kann

Und, statt den wahren Namen zu entdecken,

Mich elend muß als Philostrat verstecken.

Ach, grimmer Mars! ach, Juno! Eure Wuth

Hat bis auf mich des ganzen Stammes Blut

Und bis auf Palamon dahin gerafft,

Den Theseus quält in ew'ger Kerkerhaft!

Und überdies zu mehren meinen Schmerz,

Hat Liebe durch dies treuergebne Herz

So brennend ihren Feuerpfeil getrieben,

Als sei mein Todesurtheil schon geschrieben,

Bevor man noch an meinen Windeln spann.

Emilie! Deine Augen sind daran

Allein nur schuld; denn was mich sonst beschwert,

Acht' ich, fürwahr, nicht einen Strohhalm werth,

Wenn Dir zu dienen ich im Stande bin!«

 

Nach diesen Worten lag er ohne Sinn

Für lange Zeit, – und später regte sich

Auch Palamon, den ein Gefühl beschlich,

Als ob ein kaltes Schwert sein Herz durchdrungen.

Dem Dickicht war er wuthentbrannt entsprungen

Mit stierem, todtenbleichem Angesichte,

Als er vernommen des Arcit Geschichte.

In dem Verstecke ließ es ihm nicht Ruh.

»Falscher Arcit!« – rief er – »Verräther, Du!

Jetzt hab' ich Dich! – Du hast Dir ausgewählt

Dasselbe Weib, um das mein Herz sich quält!

Du bist mein Blut! Du bist verpflichtet mir

Durch Deinen Schwur! wie oft schon sagt' ich's Dir?!

Und nun hast Herzog Theseus Du betrogen,

Ihm einen falschen Namen vorgelogen!

So darf's nicht sein! Ich oder Du mußt sterben!

Du sollst nicht um Emiliens Liebe werben,

Nur mir und keinem Andern steht das zu,

Denn ich bin Palamon – mein Todfeind Du!

Und fehlen mir auch Waffen hier zum Streit,

Da ich mich eben aus der Haft befreit,

Ich fürchte Nichts.