Cardenio.

Olympie. Lysander.

 

CARDENIO.

Mein Freund Viren' ich bleib' auff ewig dir verbunden /

Daß du auff diesen Tag Gelegenheit gefunden /

Mir diß geliebte Paar zu stellen vor Gesicht;

Lysander glaub es fest / daß er auff Erden nicht

Könt jemand werther Gunst als mir die Stund erzeigen!

Sie / Himmel-werthe Fraw / die Tugend gantz zu eigen /

Vnd Zucht zu Willen hat / die ich zum ersten mal

Mit reinem Aug' anschaw / nachdem die tolle Qual

Die mich so lange Zeit vnsinnig hat gerissen /

Wie! leider! vnd wohin! die Nacht sich enden müssen.

Sie decke nicht vor mir jhr herrlichs Angesicht!

Diß ist mein letzter Wuntsch. Lysander eifre nicht.

Ich bin Cardenio! nicht der ich bin gewesen

Mehr toll als tolle sind! nein! nein! ich bin genesen!

Von Hoffen / Wahn vnd Pein / vnd was man Liebe nennt

Der Höllen heisse Glut die in dem Hertzen brennt /

Vnd vns ans Rasen bringt. Was hab ich nicht begangen?

Als diese Seelen-Gifft den blinden Geist gefangen!

Welch' Vnthat hab ich nicht biß auff die letzte Nacht

So manches schönes Jahr (ich Thörichter!) verbracht.

Ich war! ich wil numehr nur meine Schuld bekennen!

Lysander mit dem Stahl sein Hertze zu durchrennen

Gewaffnet vnd bereit! die Faust schwur (höchster Gott

Verzeih dem frechen Trotz!) Lysander seinen Tod.

Olympe dieses Licht ziehlt auff Lysanders Leichen![75]

Vnd siht mich selbst vor jhr voll heisser Rew' erbleichen!

Was schafft ich nicht vorhin Olympen Angst vnd Müh'

Jetzt fall' ich vor sie beyd auff mein gebeugtes Knie /

Lysander zage nicht! hier liegt mein mordlich Eisen!

Er stoß es durch mich selbst / ich wil jhm Gänge weisen

Durch mein betrübtes Hertz': Ist mein Gewehr zu schlecht;

Er zucke seinen Stahl vnd schaff jhm selber Recht.

Ich wil den Tod von jhm / mein ein vnd hoch Verlangen /

Vor meine Missethat als ein Geschenck empfangen.

OLYMPIA.

O Himmel! was ist diß! was Schwermut greifft jhn an!

LYSANDER.

Cardenio mein Herr! wofern ich bitten kan

Er knie nicht vor vns / ich werd' vnd kan nicht rächen

Was niemal mich verletzt!

CARDENIO.

Lysander mein Verbrechen

Heischt diß befleckte Blut.

LYSANDER.

Mein Herr / auff von der Erd

Wofern man rechnen soll so bin ich straffens werth

Der jhm vor diesem wol mehr als den Geist verletzet.

Zog er die Kling auff mich; so hab ich sie gewetzet!

Ich bitt jhm meine Faust vnd liefer jhm mein Hertz.

OLYMPIA.

Cardenio wofern diß ein benebelt Schertz /

So spielt er nur zu viel mit Leuten von Gewissen!

Ists denn ein rechter Ernst; warumb vor vnsern Füssen /

So Wahnmuts voll gekniet! ich bitte kan es seyn /

Er stelle gegen vns sein langes schwermen ein.

Vnd poche nicht vmbsonst auff sein verwähntes Eisen!

Wird seine Seel' jhm nicht manch schrecklich Beyspiel weisen /

Daß Vbermut gestürtzt: So denck' er / daß es früh /

Vnd man nicht wissen mag wie auch die Nacht auffzieh.

CARDENIO.

Ach über-reine Seel! ach sind denn meine Zehren /

Nicht Zeugen ernster Rew; vnd muß ich sie beschweren /

Indem mein zagend Geist von jhr Vergebung sucht.[76]

OLYMPIA.

Mein Herr er suche nichts / als vnbefleckte Zucht!

Kans aber möglich seyn / daß er sich selbst gefunden!

Er / der vorhin vor jhm vnd allem Ruhm verschwunden!

Wie gehts doch jmmer zu?

CARDENIO.

Fürwahr ich weiß nicht wie!

Diß fühl ich; daß die Nacht / auß der verfluchten Müh /

Deß Allerhöchsten Faust mich kräfftig hat gerissen

Durch Mittel / darvor ich vnd alle zittern müssen!

Doch mich alleine nicht! Celinde neben mir

Entbrant in keuscher Glut voll heiliger Begier /

Denckt auff ein höher Werck!

LYSANDER.

Wie / ist er mit Celinden

Durch festen Schluß der Eh' gesonnen sich zu binden?

CARDENIO.

Ach nein! der Wahn ist falsch! Celinden Lieb' ist tod.

Celinde liebt mit mir nichts als den höchsten Gott.

OLYMPIA.

Ich hör auß seinem Mund jetzt lauter Wunder-Wercke;

Ich bitt' / er zeig' vns doch welch eine frembde Stärcke /

So mächtig über jhm?

CARDENIO.

Wolan / ich bin bereit /

Ob zwar der frembde Fall / nicht sonder Bitterkeit /

Nicht sonder Grauen kan von der gehöret werden /

Der ich / so lang ich leb' auff diesem Kreiß der Erden

Hierdurch verpflichtet bin! die dunckel-braune Nacht

Hatt' in den Mittel-Punct deß Himmels sich gemacht /

Diane stieg hervor mit halb-verwandten Wangen /

Als ich entbrand von Haß / gantz einsam / außgegangen

Lysander, seinen Tod zu fördern durch diß Schwerdt/

Ich wust' es wo er schon vor Abends eingekehrt /

Ich wust' es daß er noch würd' (ob wol spät) ankommen.

Indem ich mir den Schluß zu fördern fürgenommen /

Vnd halt vmb seinen Hof; seh' ich die Thür auffgehn!

Ich schaw ein Frauen-Bild vmbschleiret vor mir stehn!

OLYMPIA.

Cardenio so ists / schwermütige Gedancken /

Benebeln die Vernunfft / die ausser allen Schrancken

Auff solche Träume fällt!

CARDENIO.

Man höre mich recht an![77]

Ich ward Olympie, mehr als sie glauben kan /

Verwirret vnd bestürtzt; als der sie gantz nicht kennte

Biß auff mein Wort sie sich mit eignem Nahmen nennte.

Zwar wand sie erstlich ein; daß sie die halbe Nacht

Bey jhr Olympie am Tische zugebracht!

OLYMPIA.

Bey mir! die gestern / Herr! kein frembdes Weib geschauet!

CARDENIO.

Geduld! ich der hierauff ohn Argwohn fest gebauet;

Bot mein Geleit jhr an! daß / nun ichs recht betracht;

Nicht hoch! (doch nur zum Schein) noch noth von jhr geacht!

Drauff küst ich jhre Faust / vnd ging an jhre Seiten;

Sie / ob / sie zwar sich ließ die gantze Gaß ableiten;

Gab auff mein Reden doch kein einig' Antwort mehr /

Wie hefftig ich auch bat: Biß Eifer / Rach / vnd Ehr /

Vor jhr / zu Hertzen ging / was? Solt ich diese führen

Die mir den Mund nicht gönn't / vnd dort die Zeit verlieren /

Die nicht mehr wieder kömmt: Die Stunde rennt zu sehr /

Die Nacht so jetzt vergeht / gewinn' ich nimmermehr.

So schloß ich; vnd entschloß sie plötzlich zu gesegnen

Die aber / mehr bereit als vor mir zu begegnen

Fuhr recht entrüstet auß; klagt über meine Trew;

Schalt meinen Wanckelmut; vnd sprach ohn eine Schew /

Daß sie Olympe selbst / die mich so hertzlich liebte /

Die nun von mir veracht / auß Eifer sich betrübte.

Warff mir Celinden vor / bestund auff diesem Wort /

Daß sie bey stiller Nacht in einem wüsten Ort

Gewohnet über mir viel Threnen zu vergissen /

OLYMPIA.

Gott / aller Götter Gott! wofern mein rein Gewissen

Mich nicht vnschuldig macht / so sey mein gantzes Hauß

Mir Zeuge! was noch mehr: Lysander sag es auß /

Wenn / wo vnd wie er mich noch diese Nacht gefunden!

CARDENIO.

Olympe sie verzeih / wo sie / wie meine Wunden

Von Grund auß sind verheilt / vmbständlich wissen wil

So muß sie in was Noth mein sicher Geist verfiel[78]

Erkennen von mir selbst! ich aber mein verhoffen /

Starrt eine lange Zeit / von diesem Blitz getroffen /

Biß ich mich vnterwand zu lindern jhren Grimm

Doch / wie es schien / vmbsonst. Sie schloß die süsse Stimm /

Vnd eilte neben mir durch nicht bekante Stege

In ein sehr fest vmbzäunt vnd lustiges Gehege /

Voll Blumen / voll Cypreß / vnd was das Aug ergetzt /

Da hat die Schönste sich auff einen Fels gesetzt /

Vnd ich mich neben sie / doch schwieg sie was ich klagte /

Gleich einem Marmel-Bild / mein brennend Hertz verzagte

Weil sie die Lippen schloß. Lieb / Einsamkeit vnd Nacht

Bestritten mich so fern / biß ich schier sonder Macht

Vnd zitternd mich erkühnt jhr Antlitz zu entdecken /

Da sah' ich! vnd erstarrt in vngeheurem Schrecken /

Da sah' ich! vnd erblast! da sah' ich keine Zier!

Da sah' ich! vnd verging / Olympen nicht vor mir!

Ich sah' ein Todten-Bild! ohn Aug / ohn Lipp vnd Wangen /

Ohn Adern / Haut vnd Fleisch / gehärt mit grünen Schlangen /

Daß / eh' ich mich versan die Kleidung von sich riß

Vnd Sehn vnd Pfeil ergrieff / als mich der Geist verließ /

Vnd grimmig auff mich zielt / als ich in Schwindel stürtzte

Vnd Ohnmacht mir zugleich so Furcht als Athem kürtzte /

So fällt ein Rittersmann / der vor dem Feinde steht /

Wenn jhm das heisse Bley durch Brust vnd Rücken geht /

LYSANDER.

Ich wartet als entzuckt / wie sich das Spiel wolt enden /

Nun spür' ich daß Gott selbst den Vnfall wollen wenden /

Der mich doch oder jhn durch / wo nicht beyder Tod /

Doch eines Vntergang / hätt' in gewisse Noth /

Geführt eh' ichs gefürcht.

OLYMPIA.

Was soll mein Hertz vermutten?

Ziehlt diß auff meine Schmach / geschicht es mir zum gutten!

Soll ich zu eigner Schand' vnd eines andern Pein /

Hör an gerechter Gott! der Geister masque sein.[79]

CARDENIO.

Nachdem sich mein Geblüt anfangen zu bewegen;

Vnd ich gleich als erweckt die Glieder konte regen /

Befand ich mich allein auff einem rauen Feld /

Das durch gehäufften Grauß vnd Hecken gantz verstellt.

Ich eilte zitternd weg / als einer / der der Drachen

Vergifftet Nest entdeckt / vnd der dem heissen Rachen

Der Löwen kaum entkömmt / doch find ich für vnd für /

Vnd spür / ob ichs nicht seh' das Traur-Gespenst vor mir /

Diß zwingt mich; kommt mir ein wie rasend es sich wittert /

Wie es den Bogen spannt / wie es den Pfeil erschittert /

Zu dencken wer ich sey! auff welcher Bahn ich steh /

Wie alle Pracht der Welt in Eitelkeit vergeh!

Wie schnell ich dieses Fleisch der Erden soll vertrauen /

Vnd den gerechten Thron deß höchsten Richters schauen /

Der schon mein Lebens-Buch durchsiht vnd überschlägt /

Vnd das geringste Wort auff schnelle Wage legt.

Wie werd ich vor jhm stehn / ich der voll toller Lüste /

Nach keuscher Ehre steh' / der mich erhitzt entrüste /

Auff ein nicht schuldig Blut / mit so viel Blut befleckt

Mit Lastern Scheitel ab / biß auff den Fuß bedeckt.

VIRENO.

Ach ja! der Donner schreckt vnd weckt ein kranck Gewissen.

CARDENIO.

Noch hab ich auff den Schlag was mehr empfinden müssen;

Ich jrr'te sonder Rath / mir war kein Weg bekand /

Biß ich mich vnverhofft vor einer Kirchen fand /

Da sanck ich auff die Knie / vnd schwur dem wüsten Leben

Auff ewig gute Nacht / von diesem nun / zu geben /

Es floß auff jeder Wort der Threnen milde Bach

Biß ein Gepolter mir die Red' vnd Andacht brach.

Erschreckte fürchten leicht. Was kont ich anders dencken

Als daß ein new Gespenst erschienen mich zu kräncken /[80]

Vnd gab mich auff die Flucht / doch fiel mir endlich ein /

Es könten Rauber wol daselbst in Arbeit seyn.

Ich glaubte was ich wähnt / vnd schloß mit steiffer Klingen

Den Frev'lern auff der That / die Beuten abzudringen!

Was mich noch mehr verstärckt war das deß Tempels Thür

Gantz Schloß- vnd Riegel-frey / die redliche Begier

Zwang mich ins Heiligthum / in welchem keine Zeichen

Von einem Kirchen-Raub. Doch fand ich eine Leichen /

Am Pfeiler angelehnt halb von der Grufft verzehrt /

Mit diesem läufft ein Mensch den ich mit Kertz vnd Schwerdt

Wiewol vmbsonst verfolgt / auß den geweihten Schrancken!

Diß eben brachte mich auff vorige Gedancken /

Daß eine freche Schaar sich dar vmb Raub versteckt /

Biß mir ein stralend Licht ein offen Grab entdeckt

Als ich nach diesem gieng / in Meinung / sie zu finden!

Traff ich in dieser Höl (O frembder Fall!) Celinden,

Die mich (den neue Furcht vnd grösser Angst betrat)

Mit schier erstarrter Stimm vmb Lebens Rettung bat.

Ich starrt vnd zweiffelt / ob der Himmel mein Verbrechen

Durch solche Traur-Gespenst entschlossen sey zu rächen /

Ja glaubte wenn ich sie mit einer Hand berührt /

Das gleich Olympens Bild / das mich zuvor verführt;

Sie in ein schrecklich Aaß sich werde stracks verkehren

Doch must ich endlich jhr / was sie begehrt gewehren.

Ich halff jhr auß der Grufft / in die der Leichnam eilt

Der an dem Pfeiler sich / wie schon erwehnt / verweilt.

Wir rennten auß der Kirch vnd wie durch gleiche Wunden

Vor beyder Hertz verletzt / so sind wir gleich verbunden!

Sie lescht mit Threnen auß der tollen Liebe Glut

Ich flieh was flüchtig ist / vnd such ein höher Gut.

OLYMPIA.

Hat jemand weil der Baw der rundten Welt gegründet /[81]

Weil Gott das grosse Licht der Sonnen angezündet

Dergleichen Stück erhört! welch vngeheure Macht /

Hat in ein Todten-Grab Celinden lebend bracht!

CELINDE.

Das euch / Cardenio, sein Vnrecht zu bekennen

Gantz kein Bedencken trägt; möcht jemand Wahnwitz nennen

Ich fühl in mir / daß der noch wol zu retten sey /

Der seine Seuch entdeckt. Man wird von Sünden frey

Wenn man die Sünden nicht entschuldigt / schmückt vnd färbet /

Ich bins Olympie die auff den Tod verterbet /

Die / wie sie selber weiß / nie nach dem Schmuck getracht /

Der keuscher Frauen Geist vor allen herrlich macht.

Zwar hat die erste Zucht gar viel bey mir versehen /

Doch meine Jugend ließ selbst jhre Blum abwehen /

Als mich der Westen Wind der Geilheit überfiel

Bald riß ich weiter auß vnd überschrit das Ziel

Der vorhin schweren Schuld / vnd ward durch den gefangen /

Der jhr Olympie so hefftig nachgegangen.

Cardenio als er an der verzweiffeln must

Der Ihre Treu zu werth / ergetzte meine Lust.

Doch leider kurtze Zeit: So wenn die Rosen liegen

Auff die die Sonne fällt / siht man die Bienen fliegen

Die vor der Honig-Thaw' auff jedem Blat erquickt!

Ich / die weit mehr durch jhn / als er durch mich verstrickt /

Verging durch seine Kält / vnd als er mich verlassen /

Begont ich Sonn' vnd Tag vnd Leben selbst zu hassen /

Ich sucht / vnd nur vmbsonst / durch alles seine Gunst

Biß mir Verschmachtenden / die tolle Zauber-Kunst /

Versprach ein Feur in jhm / das ewig / zu entzünden /

Wofern ich könt ein Hertz auß einer Leichen finden /

Daß ich / weil sie der Zeit auff dieser Welt genaß /

Durch vnverfälschte Gunst biß auff den Tod besaß /

Was solt ich arme thun? Die Noth hat mich gezwungen /

Vnd in Marcellens Grufft bey stiller Nacht gedrungen /[82]

Die Cleon den mehr Geitz als mich die Liebe quält

Mir mit der Kirch entschloß / als er mein Gold gezehlt.

Er halff Marcellens Sarg mir in geheim entdecken

Da ich die Leich erblickt: Erzittert ich vor Schrecken.

Wo war der Stirnen Glantz / wohin der Augen Paar?

Wohin Marcellus selbst? Was läst vns doch die Baar

Als ein verstelltes Aaß / das blauer Schimmel decket

Das eine braune Fäul ansteckt vnd gantz beflecket /

Vnd ob ich zwar bestürtzt; erkühnt ich doch die Händ /

Zu öffnen seine Brust / als ich die Leinwand trennt /

In die sein Leib verhüllt (O grause grimme Sachen!)

Begönt er auß dem Schlaf deß Todes zu erwachen /

Er zuckt vnd richte sich von seinem Lager auff /

Vnd sprach: (weil Cleon mir entsprang in vollem Lauff)

Ha! grausamste / was führt dich her zu mir?

Ists nicht genung daß vmb dich vnd vor dir /

Ich diese Stich in meine Brust empfangen /

Durch die mir Blut vnd Seel ist außgegangen?

Erbrichst du noch die stille Todten-Klufft

Vnd wilst diß Hertz? Kan denn die heilge Grufft

Nicht sicher seyn / vnd ich in der nicht rasten

Must du mich hier / auch nun ich hin / antasten.

So sprach er: Vnd erhub sich auß dem Staub der Erden;

Ich sanck auff seinen Sarg. Was noch erzehlt kan werden

Hat schon Cardenio vor mir euch dar gethan.

Der seiner Faust entging durch vnbekante Bahn /

Ist Cleon Zweiffels ohn / vnd die erblaste Leichen /

Die an dem Pfeiler stund war meines Lasters Zeichen /

Es war deß Ritters Leib / an den ich mich gewagt /

Den meine freche That auß seiner Grufft verjagt.

Hab ich nun / was vorhin ich suchte / nicht gefunden;

So bin ich doch der Angst vnd aller Band' entbunden.

Veracht Cardenio mein vor geliebt Gesicht:

Ich / die das Grab erkühlt / fühl auch sein Feuer nicht /[83]

Kont ich jhn nicht vorhin zu meiner Liebe zwingen /

Jetzt kan die Liebe nicht Celinden mehr bespringen.

Zeigt jhre Fackel mir hoch angenehmen Schein;

Deß Todes Fackel zeigt das Ende meiner Pein.

Marcell dein blasser Mund / dein rauh' vnd heischer Stimme

Läst nun vnd ewig nicht / daß hier ein Funck entglimme /

Von dem verfluchten Brand / den du in mir ersteckt

Als dein entseelter Mund mich Thörichte geschreckt /

Ade verfälschte Lust! Ade nicht reine Flammen!

Ihr Vorbild höllscher Glut! Celinde wil verdammen /

Was jhr Verdammen würckt! Celinde wil allein

Von dieser Stund an Gott ein reines Opffer seyn!

Weg Perlen! weg Rubin / vnd Indiansche Steine!

Die Threnen darmit ich mein Vbelthat beweine;

Siht der vor Perlen an / dem ich befleckte Fraw

Zu einer Magd mich selbst auff ewig anvertraw.

Ade Cardenio, den ich von Gott gezogen!

Cardenio, den ich vmb Ehr vnd Ruhm betrogen!

Cardenio, den ich vmb alles / was geacht /

Vmb Redligkeit vnd Trew vnd rein Gewissen bracht /

Ade Cardenio! durch den ich bin entgangen

Als meiner Straffen Heer mich diese Nacht vmbfangen!

Ade Cardenio! mein Hertze bricht entzwey

Vor Wehmut / noch ein Wort; Cardenio verzeih!

CARDENIO.

Celind' ich bin durch mich / vnd nicht durch sie verführet!

Dafern sie meinen Gang als auff der Jagt verspüret;

Rieth mir doch mein Verstand den Netzen zu entgehn /

In die ich willig lieff; gläntzt jhr Gesichte schön /

Das mich bezaubert hat; so hieß doch mein Gewissen

Vor diesen Sonnen mich die blöden Augen schlissen /

Strit lieblichste Syren jhr artiger Gesang

Mit jhrem Harffen-Spiel / mit jhrer Lauten Klang;[84]

Mir stund mit jenem frey die Ohren zu verstopffen /

Geliebt jhr an mein Hertz so lieblich anzuklopffen?

Ich ließ sie selber ein! der Mensch fällt nur durch sich.

Sucht sie Verzeihung hier! ich selbst verklage mich.

Ich / der in Lust entbrand jhr' Uppigkeit gepriesen

Ich / der sie mehr vnd mehr zu Lastern angewiesen;

Ich / der jhr selbst vertrat der keuschen Tugend Bahn!

Ach was ich nicht gewehrt / das hab ich selbst gethan!

Hat mir Olympie, die ich vmbsonst bekrieget /

Nach starcker Gegen-wehr so herrlich obgesieget;

Kont ich Celinden denn nicht vnter Augen gehn

Vnd vnverletzt dem Pfeil der Liebe widerstehn?

O Wunder dieser Zeit / die ich allein erhebe

Vnd vorhin stets verfolgt / Olympe sie vergebe /

Dem der vor ausser sich / sie / vnd sich selbst verkennt

Der als ein toller Löw / jhr keusches Lamb / nachrennt.

Ich war jhr grimmster Feind; als mich bedaucht ich liebte /

Sie Schönste liebte mich / mich dunckte sie betrübte:

Jetzt lob ich jhre Zucht vnd vnvergleichlich Ehr!

Vor diesem war ich blind vnd raast je mehr vnd mehr

Nach eignem Vntergang. Ich bin durch sie gestiegen /

Vnd schaw Cupido dich vor meinen Füssen liegen /

Der Köcher ist entleert / der Bogen Sehnen-frey /

Deß Todes strenge Faust bricht seine Pfeil entzwey /

Die Fackeln leschen auß von meinen steten Zehren /

Vor hast du mich verletzt / jetzt kan ich dich entwehren /

Vnd mangelt mir noch was zu dämpffen deine Pein;

So soll Olympens Sieg deß meinen Richtschnur seyn.

OLYMPIA.

An mir Cardenio wird man nichts preisen können /

Ich preise mehr / was jhm der Höchste wollen gönnen!

Was bißher je von jhm / zu wider mir geschehn /

kührt daher / daß er mich nicht selbst hat angesehn /

Ihn hat mein nichtig Fleisch / der falsche Schnee der Wangen[85]

Vnd deß Gesichtes Larv / vnd dieser Schmuck gefangen

Den mir die Zeit abnimmt / nun hat die wahre Nacht

Mein Antlitz recht entdeckt. Herr! dieser Liljen Pracht /

Deß Halses Elffenbein sind nur geborgte Sachen

Wenn das gesteckte Ziel mit mir wird ende machen;

Vnd mein beklagter Leib / den er so werth geschätzt

Nun zu der langen Ruh' in seine Grufft versetzt /

Vnd Cynthie dreymal mit vollem Angesichte

Vnd wieder noch dreymal mit new entsterktem Lichte

(Nicht länger Bitt ich Frist /) der Hörner Flamm erhöht;

(Wie nichts ist! was an vns so kurtze Zeit besteht)

Denn such' er meinen Rest! was jhm der Sarg wird zeigen

In den man mich verschloß / das schätz er vor mein eigen /

Das ander war entlehnt!

CELINDE.

O wol vnd mehr denn wol!

Dem / der so fern sich kennt; weil er noch leben soll /

Nicht / wenn der Tod schon rufft.

PAMPHILIUS.

Wol dem der stets geflissen

Auff ein nicht flüchtig Gut / vnd vnverletzt Gewissen!

LYSANDER.

Wol dem der seiner Zeit / nimmt (Weil noch Zeit) in acht!

VIRENO.

Wol diesem der die Welt mit jhrer Pracht verlacht.

PAMPHILIUS.

Wol dem / dem GOttes Hand wil selbst das Hertze rühren!

OLYMPIA.

Wol dem der sich die Hand deß Höchsten lässet führen!

CELINDE.

Wol dem der jeden Tag zu seiner Grufft bereit!

PAMPHILIUS.

Wol dem / den ewig krönt die ewig' Ewigkeit.

CARDENIO.

Wer hier recht leben wil vnd jene Kron ererben /

Die vns das Leben gibt; denck jede Stund ans Sterben.

 

Ende.[86]

 

Biographie

1616

2. Oktober: Andreas Gryphius (eigentlich Greif) wird im protestantischen Glogau als Sohn eines evangelischen Archidiakons geboren.

1621

Der Vater Paul stirbt.

Gryphius besucht das Glogauer Gymnasium.

1631

Wechsel auf das Gymnasium in Görlitz.

1632

3. Juni: Gryphius wechselt erneut die Schule und besucht das Gymnasium von Fraustadt. Durch Schulreden und als Schauspieler auf der Schulbühne macht er auf sich aufmerksam.

1633

Seine erste lateinische Dichtung entsteht.

1634

Er schreibt sich am Akademischen Gymnasium in Danzig ein.

Gryphius' Mäzen Georg von Schönborn verleiht ihm Adelstitel und Magisterwürde und krönt ihn zum Poeten.

1636

Gryphius wird Hauslehrer beim Hofpfalzgrafen Georg Schönborner in Schönborn bei Freistadt.

1638–1644

Gryphius hält an der Universität Leiden Vorlesungen und lernt im Hochschulbetrieb herausragende Gelehrte wie etwa den Philologen und Juristen Salmasius kennen.

1649

Januar: Er heiratet Rosina Deutschländer.

Berufungen als Professor nach Frankfurt/Oder, Uppsala und Heidelberg lehnt er ab.

1650

Gryphius wird Jurist bei den Glogauer Ständen. In Glogau entstehen auch die meisten seiner Trauer- und »Freuden«-Spiele. Zudem überarbeitet er seine dichterischen Texte für Sammelausgaben.

1662

Gryphius wird mit dem Beinamen »Der Unsterbliche« in die Fruchtbringende Gesellschaft aufgenommen.

1664

16. Juli: Gryphius stirbt in Glogau.

 

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Bibliographische Angaben

Andreas Gryphius: Cardenio und Celinde

Vollständiger, durchgesehener Neusatz mit einer Biographie des Autors bearbeitet und eingerichtet von Michael Holzinger.

ISBN 978-3-8430-2268-2

 

Historische Angaben

Entstanden wahrscheinlich um 1650. Erstdruck in: »Deutscher Gedichte Erster Theil«, fünfter Band, Breslau (Lischke), 1657. Früheste nachweisbare Aufführung 1661, Elisabethanum, Breslau.

 

Textgrundlage

Andreas Gryphius: Cardenio und Celinde Oder Unglücklich Verliebete. Herausgegeben von Ralf Tarot, Stuttgart: Philipp Reclam jun., 1968 [Universal- Bibliothek Nr. 8532].

 

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