Der Prozeß lief noch immer, er hatte Unsummen verschlungen, und die Aussicht, daß ihn die Gräfin gewann, war gering. Trotzdem fühlte sie sich als künftige Eigentümerin des Waldes und hielt ihren Besitztitel im voraus für so sicher, daß sie sich entschloß, den Wald als Mitgift und Morgengabe Lätizia zu schenken und die Schenkung urkundlich festzulegen.

Eines Abends trat sie mit einem beschriebenen Bogen Papier in der Hand in Lätizias Schlafzimmer. Über einem Spitzennachtkleid trug sie einen schweren Zobelpelz und auf dem Kopf eine helmähnliche Gummihaube, welche sie vor den Bazillen schützen sollte, die nach ihrer Ansicht, nicht anders als Fledermäuse, in der Dunkelheit herumschwirrten.

»Nimm dies, mein Kind, und lies es,« sagte sie bewegt und reichte Lätizia das Schriftstück, kraft dessen der Wald von Heiligenkreuz nach Beendigung des schwebenden Rechtsstreites dem Fräulein von Febronius gehören sollte.

Lätizia kannte die Umstände; sie wußte, was von dem Stück Papier zu halten sei; sie wußte aber auch, daß die Gräfin sie nicht zu täuschen beabsichtigte, sondern daß sie überzeugt war, etwas Wichtiges für sie zu tun, und so besaß sie Geist und Takt genug, eine herzliche Freude zu zeigen. Die Wange an den mächtigen Busen der Gräfin lehnend, flüsterte sie mit ihrer rührenden Stimme: »Sie sind unaussprechlich gütig, Tante. Überhaupt muß ich Ihnen ein Geständnis machen.«

»Was denn, Liebchen?«

»Ich finde das Leben wunderbar schön.«

»Siehst du, das ist recht, Liebchen,« sagte die Gräfin, »wenn man jung ist, muß jeder Tag wie ein frischer Veilchenstrauß sein. Bei mir wenigstens war es so.«

Lätizia antwortete: »Ich glaube, bei mir wird es immer so bleiben.«

 

11

 

In der Nähe von Königstein im Taunus besaßen Wahnschaffes ein kleines Schloß, das Frau Richberta Christiansruh genannt hatte und das eigentlich Christians Besitz war. Christian hatte sich gegen die Bezeichnung gewehrt; er war damals noch ein Knabe gewesen. »Für mich ist keine Ruhe not,« hatte er gesagt. Seine Mutter hatte erwidert: »Einmal vielleicht wird dir Ruhe not sein.«

Frau Richberta lud die Gräfin ein, den Mai auf Christiansruh zu verbringen. Es war eine liebliche Gegend; das Entzücken der Gräfin äußerte sich lärmend.

Crammon kam natürlich auch. Mit Argusaugen beobachtete er die Gräfin, und daß er Christian und Lätizia häufig im Gespräch sah, erregte sein Mißbehagen.

Er saß am Fischteich, die kurze englische Pfeife im Mund, und sagte: »Wir müssen nach Paris; du weißt, so war die Abrede. Ich habe dir Eva Sorel versprochen. Wenn du nicht schnellere Beine hast als ihr Ruhm, wirst du das Nachsehen haben.«

»Es hat Zeit,« entgegnete Christian lachend, indem er eine Reuse aus dem Wasser hob.

»Nur die Faulenzer haben Zeit,« fuhr Crammon brummig fort; »und Faulenzerei ist es, einem achtzehnjährigen Gänschen den Kopf zu verdrehen und sich am Ende noch von ihr hereinlegen zu lassen. Diese jungen Mädchen von Stande sind zu nichts nutz auf der Welt, außer, wenn sie Geld haben, für arme Schlucker, die nach dem Kirchgang ihren Gläubigern das Maul stopfen wollen; ihre Manipulationen sind nicht so harmlos, wie es den Anschein hat, besonders wenn sie in Begleitung von Patronessen auftreten, die mit Kupplerinnen eine so verdammte Ähnlichkeit haben wie meine Westenknöpfe mit meinen Hosenknöpfen.«

»Gib dich zufrieden, Bernhard,« beschwichtigte Christian den Erzürnten, »es ist nichts zu fürchten.«

Er ließ sich im Moos nieder und dachte an Adda Castillo, die schöne Löwenbändigerin, die er in Frankfurt kennengelernt. Sie hatte ihm gesagt, sie werde im Juni in Paris sein, und bis dahin wollte er warten. Sie gefiel ihm, sie war so wild und kalt.

Aber auch Lätizia gefiel ihm; sie war so feucht und zart. Feucht nannte er das Tauige an ihr, den Glanz ihrer Augen, das Entschlüpfende ihres Wesens. Täglich in der Frühe hörte er sie von seinem Turmzimmer aus trillern wie eine Lerche.

Er sagte: »Morgen fahren wir mit dem Auto hinüber, Bernhard, um Adda Castillo mit ihren Löwen zu sehen.«

»Ausgezeichnet,« antwortete Crammon, »Löwen, das ist eine Sache für meines Vaters Sohn.« Und er schlug Christian kameradschaftlich derb auf den Schenkel.

 

12

 

Judith fuhr mit Lätizia nach Homburg, und sie gingen in die Modeläden. Die Reiche kaufte, was ihr nur irgend Lust erregte, und von Zeit zu Zeit wandte sie sich an die Freundin mit den Worten: »Willst du das? Würde dich das freuen? Probier's doch mal an! Steht dir reizend!« Auf einmal sah sich Lätizia mit Geschenken überhäuft, und wenn sie sich nur mit einer Miene sträubte, war Judith gekränkt.

Dann gingen sie über den Markt; Lätizia war nach Kirschen genäschig; als sie zu der Öbstlerin trat, kam ihr Judith zuvor, begann mit dem Weibe zu feilschen, weil ihr die Kirschen zu teuer erschienen, und da das Weib auf dem Preis beharrte, zog Judith die Freundin herrschsüchtig mit sich fort.

Sie fragte Lätizia: »Wie findest du meinen Bruder Christian? Ist er nett mit dir?« Sie ermunterte die Offenherzige, gab ihr Ratschläge und wußte von den vielen Abenteuern zu erzählen, die Christian mit Frauen gehabt. Die Freunde Christians hatten sie oft mit Berichten darüber unterhalten.

Als aber Lätizia, durch so unverstellten Anteil in Sicherheit gewiegt, ihr Gefühl für Christian errötend bekannte, stumm und dankbar, mit niedergeschlagenen Augen, mit süßen halben Worten, verzog Judith spöttisch den Mund, warf den Kopf in den Nacken, und ihre Miene zeigte den ganzen Hochmut einer Familie, die sich ein Geschlecht von Königen dünkte.

Lätizia spürte, daß sie sich hatte fangen lassen. Sie nahm sich nun besser in acht, und es hätte der Warnungen Crammons nicht bedurft.

Crammon gab ihr weise Lehren. Er suchte ihr einen heilsamen Schrecken vor den Frischlingen einzuflößen, um sie für die älteren Jahrgänge empfänglich zu stimmen, die allein einem Weibe Schirm und Verlaß böten. Er war durchaus nicht so fein und so listig, wie er es zu sein glaubte.

Bei all seiner jesuitischen Zwecksucht fühlte er, daß ihm an diesem Geschöpf ein Etwas naheging, wogegen keine Verstellung half. Unbequemes Spiel der Gedanken! Sollten Ammenmärchen von der Blutmahnung wahr werden? Dann fort aus dem verhexten Kreis!

Lätizia lachte ihn aus. Sie sagte: »Ich lache bloß, weil ich lachen will, Crammon, und weil heute der Himmel so blau ist, verstehen Sie?«

»O Nymphe,« seufzte Crammon; »ich bin ein armer Sünder.« Und er schlich von dannen.

 

13

 

Frau Richberta hatte beschlossen, ein Frühlingsfest zu veranstalten. Es sollte aller Prunk dabei aufgeboten werden, der bei solchen Gelegenheiten im Hause Wahnschaffe herkömmlich war, und Beratungen fanden statt, an denen der Majordom, die Wirtschaftsdame, die Gesellschafterin und die Gräfin teilnahmen. Frau Richberta leitete die Sitzungen mit der Miene eines Femrichters; die Gräfin interessierte sich hauptsächlich für das, was es zu essen und zu trinken geben würde.

»Ach, Herzensengel,« sagte sie zu Lätizia, »es sind fünfundsiebzig Hummern bestellt worden, und aus den Kellern haben sie zweihundert Flaschen Sekt heraufgebracht. Ich bin ganz bouleversiert, Liebchen, ich glaube, seit meiner Hochzeit war ich nicht so bouleversiert.«

Lätizia stand schlank da und lächelte. Für sie waren sogar diese Worte der Gräfin Musik. Sie hätte die Tage beflügeln mögen, die sie noch vom Fest trennten; sie zitterte, wenn eine Wolke über das Firmament zog.

Oft wußte sie nicht, wie sie den Jubel in ihrem Innern dämpfen sollte.