Wie herrlich, dachte sie, daß man fühlt, was man fühlt, und daß das, was ist, auch wirklich ist. Kein Gedicht eines Dichters, kein Bild eines Malers konnte mit den Eingebungen ihrer Phantasie wetteifern, die jedes Geschehen vergoldete und keiner Enttäuschung zugänglich war. Alles war Reichtum, alles Geschenk.
Sie machte keinen Unterschied zwischen Traum und wirklichem Erlebnis. Sie bereitete sich vor, zu träumen, wie andre Menschen sich zu einem Spaziergang anschicken, und das Unbestimmte und Gesetzlose in den Traumbegebenheiten erschien ihr durchaus natürlich.
Eines Tages erzählte sie von einem Buch, das sie gelesen. »Es ist überirdisch schön,« sagte sie. Sie schilderte die Menschen, den Schauplatz, die ergreifenden Vorgänge mit solcher Eindringlichkeit und Begeisterung, daß alle, die es hörten, begierig wurden, das Buch kennenzulernen. Aber sie wußte weder den Titel noch den Verfasser anzugeben. Sie besann sich und grübelte; man fragte: »Wo ist das Buch? Woher hast du es? Wann hast du es gelesen?« »Gestern,« antwortete sie; »es muß da sein,« sagte sie stockend. »So bring es doch,« wurde sie aufgefordert. Und als sie nun wieder sich besann und ratlos vor sich hinschaute, sagte Judith zu ihr: »Vielleicht hast dus nur geträumt.« Da schlug sie langsam die Augen nieder, kreuzte mit einer unnachahmlichen Gebärde die Arme über der Brust und antwortete wie eine Schuldige: »Ja, mir scheint, ich habs nur geträumt.«
Christian fragte Crammon: »Glaubst du, daß es Komödie ist?«
»Keine Komödie, aber doch ein Weibertrick,« antwortete Crammon; »der liebe Gott hat dieses Geschlecht mit mancherlei Blendwerk ausgerüstet, womit sie uns aus dem Gleichgewicht bringen.«
Lätizia bekam zum Fest ein Kleid aus weißer Seide, ein Tanzkleidchen mit vielen feinen Fältchen im Rock und einer dunkelblauen Schärpe um die Hüften. Sie sah aus darin, als ginge sie in Milchschaum. Wenn sie in den Spiegel schaute, lächelte sie erregt, als könne sie dem Bild nicht trauen. Die Gräfin lief hinter ihr her und sagte: »Liebchen, gib nur acht auf dich;« aber Lätizia wußte nicht, was sie meinte.
Ein wenig trunken sprach sie mit Männern, Frauen und Mädchen. Sie hatte die Menschen immer geliebt, doch heute erschienen ihr alle unwiderstehlich. Als sie Judith vor dem lichtübergossenen Pavillon traf, drückte sie ihr die Hände und flüsterte: »Kann es schöner sein? Ich fürchte mich, daß die Nacht zu Ende geht.«
14
Auf der Wiese vor dem künstlichen Wasserfall spielte Christian mit einigen jungen Mädchen ein Fangspiel nach Art der Kinder. Sie lachten unaufhörlich, Jünglinge standen im Kreis herum und sahen halb spöttisch, halb belustigt zu.
Im Laub der Bäume hingen elektrische Birnen aus grünem Glas; sie waren so gut versteckt, daß der Rasen durch seine eigne Farbe beleuchtet schien.
Christian gab sich dem Spiel mit einer Lässigkeit hin, die seine Partnerinnen reizte. Sie wollten es wichtiger genommen haben und ärgerten sich, daß er sie trotzdem so mühelos erhaschte. Die junge Meerholz war dabei, Sidonie von Gröben, das schöne Fräulein von Einsiedel.
Da kam auch Lätizia hinzu. Sie stellte sich in die Mitte des Platzes, ließ Christian ganz nahe kommen und entwischte flinker, als er berechnet hatte. Er wandte sich zu den andern, doch immer wieder flatterte Lätizia vor ihm her. Glaubte er sie zu fassen, so war sie schon wieder sprungweit weg. Einmal hatte er sie an die Taxushecke getrieben, da schlüpfte sie ins Laub und war verschwunden. Ihre Bewegungen, ihr Laufen, ihr Umkehren, ihre fröhliche Leidenschaft hatten etwas Fesselndes; sie lockte mit kleinen, lachenden Rufen aus dem Busch wie ein Vogel. Nun lauerte er ihr auf, und die Zuschauer wurden neugierig.
Als sie wieder zum Vorschein kam, tat er, wie wenn er ihrer nicht achte, aber plötzlich lief er mit wunderbarer Schnelligkeit zum Rand des Wasserbeckens, wo sie stand. Sie aber war noch schneller, und da die andern Fluchtwege versperrt waren, sprang sie auf den Felsen, sprang jauchzend von Stein zu Stein, ohne sich umzusehen und ohne mit den Händen nachzuhelfen. Ihr Kleid mit den feinen Falten und offenen Ärmeln flog, und als Christian sie verfolgte, klatschten sie unten Beifall.
Es war dunkel hier oben, Lätizias Schuhe wurden vom Wasser benetzt, ihr Fuß stockte, aber bevor Christian sie erreicht hatte, schwang sie sich noch auf einen mächtigen Block zwischen zwei Tannen, wie um sich dort zu verteidigen oder noch weiter zu klettern. Doch auf dem schlüpfrigen Moos glitt sie aus; sie schrie leise, denn sie wußte, jetzt hatte er sie gefangen.
Er hatte sie gefangen, aufgefangen und hielt sie in seinen Armen. Sie blieb ganz still, bemüht, den erregten Atem zur Ruhe zu bringen. Auch Christians Atem ging heftig, und es wunderte ihn nur, daß das Mädchen so still blieb. Er fühlte ihre schöne Gestalt und zog sie ein wenig näher zu sich, mit jenem unterdrückten Lachen, das kalt und übermütig klang.
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