Als sie an seinem Arm zur Tafel schritt und das entzückte Raunen der Menschen vernahm, das ihnen beiden galt, schien sie sich wie das Opfer einer Verschwörung, und in jeder Gebärde war Zögern. Als Crammon, sich selbst verleugnend, überschwenglich von ihm sprach, Susanne sogar bei den nächtlichen Unterhaltungen von seiner hohen Abkunft phantasierte, als Cardillac unruhig wurde und Cornelius Ermelang, der junge deutsche Poet, der sie anbetete wie ein überirdisches Wesen, mit scheuen Augen fragte, da zerriß sie das unbequeme Gewebe, gab sich kalt und wurde unnahbar.
Sie wies Susanne zurecht, sie verspottete Crammon, sie lachte über Jean Cardillac, sie beugte scherzend das Knie vor dem Dichter, sie verwirrte ihren ganzen aufgeregten Hofstaat von Malern, Politikern, Journalisten und Dandies mit ihrer unfaßbaren Mimik und Beweglichkeit und sagte, Eidolon sei nur ein Trugbild, Eidolon sei ein Symbol.
Christian verstand dies nicht. Auch ihr Entfliehen nicht, und dann das Umkehren und Locken. Es war etwas andres als Koketterie, etwas Tieferes als bloßes Spiel. Eine leidenschaftliche Gebärde, die er entstehen sah, wurde plötzlich verweisend, eine freudige fremd. Sie an ein gesagtes Wort zu binden, war vergeblich; da legte sie die Fingerspitzen gegeneinander, drehte den Kopf und schaute aus den Augenwinkeln kühl und listig zur Erde.
Einmal hatte er sie in die Enge getrieben, aber sie rief nach Susanne, lehnte sich auf deren Schulter und flüsterte ihr etwas ins Ohr.
Ein andermal sprach er, um zu erproben, wie sie es aufnähme, von seiner Abreise nach England; sie raffte mit anmutig gebogenen Händen das Kleid und sah ihre Füße an.
Ein andermal wieder warf er ihr vor, in dem heiteren und leichten Ton allerdings, der zwischen ihnen herrschte, daß sie ihn narre. Sie kreuzte die Arme und lächelte rätselhaft, fromm und wild zugleich; da sah sie aus wie aus einer byzantinischen Mosaik hervorgetreten.
Er wußte, mit welcher Freiheit sie lebte. Warum, so fragte er sich, bleibt mir versagt, was sie andern gewährt, die geringer sind?
Er suchte den Beweggrund zu erforschen, der sie leitete; aber ihm fehlten die Hilfsmittel dazu.
Er wußte nichts von dem geistigen Feuer der Tänzerin. Er hielt die Tänzerin für ein Weib gleich allen andern Weibern. Er sah nicht, daß bei ihr nur Neigen und Vorübergleiten sein durfte, was bei allen andern höchste Daseinsform und höchster Einsatz war. Ihm entging noch die Gestalt, verwischte sich der Kontur in seinem flimmernden Wechsel. Aus der sinnlichen Region einer Besessenen wie Adda Castillo kommend, atmete er hier eine geläuterte, unschwüle Luft, die ihn berauschte, aber auch ängstigte, die den Herzschlag beschleunigte, aber den Blick schärfte.
Es war alles voll Schicksal: wenn sie neben ihm ging; wenn sie im Bois Seite an Seite ritten; wenn sie in der Dämmerung beisammen saßen und er ihre helle Kinderstimme vernahm; wenn sie im Palmengarten ihre kleinen Affen neckte; wenn sie dem Klavierspiel Susannes lauschte und dabei die bunten Edelsteine von einer Hand in die andre rinnen ließ.
Als er sie eines Abends verlassen hatte, begegnete ihm Jean Cardillac im Torweg. Sie grüßten einander, dann blieb Christian unwillkürlich stehen und sah dem Manne nach, dessen Riesengestalt einen Riesenschatten auf die Stufen warf. Lauter unsichtbare kleine Sklaven folgten im Schutz dieses Schattens, und sie trugen die Schätze, die er Eva zu Füßen legte.
Zwangvolle Entschlossenheit kam über ihn. Sich mit dem Schatten zu messen, schien wichtig. Er kehrte um, die Diener ließen ihn passieren. Cardillac und Eva waren im Gemäldesaal, Eva auf einer Ottomane zusammengekauert, zusammengerollt, fast wie eine Schlange; unweit von beiden saß, glutäugig und regungslos, Susanne in einem niedrigen Sessel.
»Sie haben versprochen, Eva, mit mir zum Rennen nach Longchamps zu fahren,« sagte Christian, unter der Tür verharrend, um anzuzeigen, daß er sonst nichts begehre.
»Ja, Eidolon. Wozu die Mahnung?« antwortete Eva, ohne sich zu rühren, doch mit errötenden Wangen.
»Mit mir ganz allein –?«
»Ja, Eidolon, mit Ihnen allein.«
»Ich mußte plötzlich an meinen Traum denken, wie der Zug nicht hielt, in den ich einsteigen wollte.«
Sie lachte über den naiv-liebenswürdigen Ausdruck in seinen Worten; ihr Blick wurde sanft, und sie legte den Kopf auf das Kissen. Dann sah sie Cardillac an, der sich schweigend erhob.
»Gute Nacht,« sagte Christian und ging.
Nun war in diesen Tagen Sir Denis Lay eingetroffen, von Crammon erwartet und mit Enthusiasmus begrüßt. »Er ist der einzige lebende Mann, der dir ebenbürtig ist und dir in meinem Herzen den Rang streitig macht,« sagte Crammon zu Christian.
Sir Denis war der zweite Sohn von Lord Stainwood, berühmter Schüler von Oxford, wo er Neuerungen geschaffen hatte, die den Gesprächsstoff der vereinigten Königreiche ausmachten, Parteien gebildet hatte, in deren Kampf es um geheiligte Institutionen ging; Schütze, Jäger, Fischer, Seemann, Boxer, Ringkämpfer und gelehrter Philolog, zweiundzwanzig Jahre alt, schön, reich, lebensprühend, mit einer Legende von tollen Streichen und einer Glorie von Vornehmheit und Eleganz umgeben, die letzte, üppigste, edelste Blüte Englands.
Christian erkannte seine Vorzüge ohne Neid und wurde rasch sein Freund. An einem Abend hatte er Cardillac, Crammon, Wiguniewski, Sir Denis Lay, die Herzogin von Marivaux und Eva Sorel als Gäste bei sich. Da geschah es, daß Eva die Zusage brach, die sie ihm gegeben, vor der ganzen Tischgesellschaft, und mit leichtem Wort.
Sir Denis hatte den Wunsch geäußert, sie in seinem Wagen nach Longchamps bringen zu dürfen. Eva bemerkte Christians wartenden Blick, in dem noch Sicherheit war. Sie hielt eine Traube in der Hand, und als sie sie auf den Kristallteller legte, hatte sie den Verrat begangen. Christian erblaßte. Er fühlte, daß es keiner Erinnerung bedurfte; sie hatte gewählt, er trat schweigend zurück.
Eva langte wieder nach der Traube; sie zwischen flachen Händen emporhebend, sagte sie mit ihrem traumhaft begeisterten Lächeln, das Christian nun herzlos erschien: »Du schöne Frucht, ich will dich lassen, bis mich nach dir hungert.«
Crammon ergriff sein Glas und rief: »Wer für die Herrin ist, erweist ihr die Reverenz.«
Alle tranken Eva zu, Christian mit gesenkten Blicken.
6
Am andern Abend, nach ihrer Vorstellung, hatte Eva einige Freunde zu sich beschieden. Sie hatte in einer neuen Pantomime, den »Dryaden«, die tragende Rolle getanzt und einen großen Triumph gefeiert. In einer Wolke von Blumen kam sie nach Hause. Später brachte ein Diener einen Korb, der gehäuft voll von Briefen und Karten war.
Sie sank Susanne in die Arme und seufzte, freudig und erschöpft. Alle Poren glühten an ihr.
Crammon sagte: »Vielleicht gibt es Schurken, die so etwas nicht empfinden, aber für mich ist es herrlich, ein Menschenwesen auf dem Gipfel des Daseins zu sehen.«
Für dieses Wort überreichte ihm Eva mit graziöser Ehrerbietung eine rote Rose.
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