Er hatte fremdartige Gewohnheiten. Den Damen, die er begrüßte, drückte er mit solcher Lebhaftigkeit die Hand, daß sie einen Schrei unterdrückten. Wenn er eine Treppe herabkam, blieb er vor den letzten Stufen stehen, schwang sich wie ein Akrobat über das Geländer und ging dann weiter, als ob dies die natürlichste Sache von der Welt wäre. Der Gräfin hatte er ein kleines, löwengelbes Hündchen geschenkt, und sooft er diesem Hündchen begegnete, zwickte er es ins Ohr, bis es entsetzlich zu quietschen begann. Aber er tat es nicht mit Lustigkeit und Lachen, sondern trocken und geschäftsmäßig.
Von den zahlreichen Koffern, die er mitgebracht, war einer der größten als Reiseapotheke eingerichtet. Es befanden sich darin, festgeschraubt in Behältern, alle möglichen Mixturen, Pulver und Medikamente; Dosen, Tuben, Schachteln und Gläser, und wenn jemand über eine Unpäßlichkeit klagte, wußte er sogleich ein Mittel aus dem großen Koffer dagegen und empfahl es dringlich.
Felix Imhof hatte brennendes Interesse für ihn gefaßt. Wo er seiner habhaft werden konnte, zog er ihn beiseite und fragte ihn aus, nach seiner Heimat, nach seinen Plänen und Geschäften, nach seinem Außen-und seinem Innenleben.
Dies ertrug die eifersüchtige Judith nicht. Sie machte ihrem Verlobten Szenen und warf Lätizia vor, daß sie Stephan Gunderam nicht zu fesseln wisse.
Lätizia wunderte sich mit großen Augen. Sie fragte unschuldig-kokett: »Was kann man denn dazu tun?«
»Man muß wissen, was ihnen Vergnügen macht,« erwiderte Judith zynisch.
Sie haßte den Argentinier, doch wenn sie allein mit ihm war, suchte sie ihn zu umgarnen. Wäre es möglich gewesen, ihn Lätizia abspenstig zu machen, sie hätte es ohne Skrupel getan, aus bloßer Unersättlichkeit.
Ihre Augen glitzerten in beständiger, heimlicher Begierde. Sie ging mit Imhof, Lätizia und Stephan Gunderam ins Theater, als Edgar Lorm in der Jüdin von Toledo gastierte. Der Beifall, mit dem der Schauspieler überschüttet wurde, wühlte ihre ganze Seele auf, und sie begehrte. Was aber begehrte sie? Den Mann? den Künstler? seine Kunst? seinen Ruhm? Sie hätte es nicht zu sagen vermocht.
Sie wartete ungeduldig auf Crammon, von dem sie wußte, daß er mit Edgar Lorm befreundet war. Crammon sollte den Schauspieler ins Haus bringen. Sie war gewohnt, daß jeder kam, nach dem sie die Angel warf. Sie bissen an, sie wurden serviert, und man tat sich, je nach ihrem Wohlgeschmack, gütlich an ihnen. Der Verbrauch an Menschen war groß.
Aber Crammon und Christian kehrten erst zurück, als Lorms Gastspiel schon zu Ende war. Judith geriet in schlechte Laune und quälte ihre Umgebung grundlos. Wäre ihr Wunsch erfüllt worden, so hätte sich ihr flackerndes und immer neue Nahrung aufgreifendes Gemüt vielleicht beruhigt, doch nun verrannte sie sich eigensinnig in den Gedanken an das, was ihr entgangen war.
7
Christian und Crammon waren eine Woche lang bei Klementine und Franz Lothar von Westernach in der Steiermark. Klementine hatte Crammon des Bruders wegen gerufen, der vor einiger Zeit tief verstört von einem Aufenthalt in Ungarn zurückgekommen war.
Crammon und Franz Lothar waren alte Freunde. Der diplomatische Beruf hatte den offenen und schmiegsamen Menschen zurückhaltend und spröde gemacht; er nahm den Beruf ernst, obwohl er ihn nicht liebte. Eine hypochondrische Gemütsverfassung hatte sich schon frühzeitig in ihm entwickelt.
Christian faßte Sympathie für ihn. Wenn er ihn so trüb vor sich hinstarren sah, fühlte er sich versucht, ihn zu fragen. Klementine, in ihrer leer plaudernden Manier, gab Crammon Verhaltungsmaßregeln, zu denen dieser die Achseln zuckte.
Sie sagte, sie habe an ihren Vetter, den Baron Ebergeny, geschrieben, auf dessen Gut in Syrmien Franz Lothar als Gast geweilt hatte. Der Baron aber, ein halber Bauer, hatte ihr keine Aufklärung von Belang zu geben vermocht; er hatte nur angedeutet, daß er und Franz Lothar an einem der letzten Tage von dessen Anwesenheit bei einem Scheunenbrand in Orasje, einem Dorf in der Nähe des Guts, zugegen gewesen, und daß bei diesem Brand viele Menschen ums Leben gekommen seien.
Aus Franz Lothar selbst war nichts herauszubringen. Er schwieg beharrlich. Je mehr sich die Schwester um ihn bemühte, je finsterer schloß er sich zu. Mochte sein, daß Crammon eines Blickes, eines Tones fähig war, der sein erstarrtes Inneres traf und es löste; an einem Abend geschah das Unerwartete. Es erwies sich, daß eben jener Scheunenbrand die Ursache der krankhaften Melancholie geworden war.
Klementine hatte sich nach ihrer Gepflogenheit bald zur Ruhe begeben. Crammon, Christian und Franz Lothar saßen stumm beieinander.
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