Der Wirkung seiner Worte froh, entfernte sich Crammon erhobenen Hauptes.

Am Abend, Lätizia lag schon zu Bett, ging die Gräfin mit unter der Brust gekreuzten Armen im Zimmer des jungen Mädchens auf und ab. Ihr Gewissen war beschwert, sie wußte aber nicht recht, wie sie das Gespräch beginnen sollte. Sie hatte den ganzen Nachmittag Briefe und Verlobungsanzeigen geschrieben und war jetzt müde. Puck, das Löwenhündchen, saß im Nebenzimmer auf einem seidenen Kissen und kläffte bisweilen grundlos.

Lätizia schaute mit feuchtglänzenden, schwelgerischen Augen in den dämmernden Raum über sich. Man hätte ihre Haut mit einer Nadel ritzen können, sie hätte es nicht gespürt.

Endlich überwand sich die Gräfin. Sie nahm einen Stuhl, setzte sich an das Bett und ergriff die Hand Lätizias. »Ist es wahr, Liebchen,« fing sie an, »ist es wahr, was Herr von Crammon berichtet, hat dir Stephan auch davon gesprochen, von den giftigen Schlangen, den Menschenfressern, den Orkanen, den wilden Ameisen und der schauerlichen Hitze und Kälte, wovon das Land heimgesucht sein soll, in das du gehst? Wenn es sich so verhält, möchte ich dich bitten, den Schritt, den du unternimmst, noch einmal gründlich in Erwägung zu ziehen.«

Lätizia lachte, tieftönig und herzlich. »Wie, Tante, jetzt kriegen Sie es mit der Angst?« rief sie aus; »jetzt, wo ich mir schon die ganze Zukunft ausgemalt habe? Crammon hat sich einen unpassenden Scherz mit Ihnen erlaubt, das ist alles. Stephan sagt niemals eine Lüge, und seiner Schilderung nach ist Argentinien das Paradies auf Erden. Hören Sie nur, Tantchen,« sagte sie geheimnisvoll, rückte an den Rand ihres Lagers und sah die Gräfin zutraulich und entzückt an, »Pfirsiche gibt es dort, so groß wie Kinderköpfe, schmackhafter als man sichs träumt, und in solcher Menge, daß man die, die man nicht essen und verkaufen kann, zu Hügeln aufschichtet und verbrennt. Wildbret jeder Art, Tantchen, köstlich und in Zubereitungen, die hier ganz unbekannt sind; Fische, Geflügel, Honig, die seltensten Gemüse, alles, was man nur will und was das Herz begehrt.«

Die Miene der Gräfin hellte sich auf. Sie streichelte Lätizia über den Arm und sagte: »Dann freilich; wenn dem so ist, dann freilich ...«

Lätizia aber fuhr fort: »Hab ich mich einmal eingelebt und die Verhältnisse kennengelernt, so schreib ich Ihnen, Tante, und Sie müssen zu uns kommen. Da werden Sie dann ein Haus für sich bewohnen, eine reizende Villa, die von Blumen überwachsen ist. Die Vorratskammern sollen jeden Tag frisch gefüllt werden, und neben Ihrem Schlafzimmer wird ein marmornes Badebecken sein; sooft Sie Lust haben, können Sie sich darin ausstrecken, und schwarze Sklavinnen werden zu Ihrer Bedienung bereit stehen.«

»Gewiß, Liebchen,« antwortete die Gräfin mit verklärtem Gesicht, »denn Paradies oder nicht Paradies, das eine wird wohl unter allen Umständen zutreffen: schmutzig wird es sein, und Schmutz, du weißt es ja, Schmutz ist für mich fast so arg wie Giftschlangen und Menschenfresser.«

»Haben Sie keine Sorge, Tantchen,« sagte Lätizia, »wir werden dort ein herrliches Leben führen.«

Die Gräfin war beruhigt und umarmte Lätizia mit überströmendem Dank.

 

15

 

Um dem Trubel auf Wahnschaffeburg, wie das neue Haus genannt wurde, zu entfliehen, gingen Christian und Crammon für einige Tage nach Christiansruh. Kaum aber hatten sie sich dort eingerichtet, so kamen auch Judith und deren Gesellschafterin, Lätizia und das Fräulein von Einsiedel.

Die Gräfin und Stephan Gunderam waren nach Heidelberg gefahren, wo sie Frau von Febronius erwarteten; Lätizia sollte ihnen erst eine Woche später folgen. Felix Imhof war nach Leipzig gerufen worden, wo er an der Gründung einer großen Verlagsgesellschaft beteiligt war. Nach seiner Rückkehr sollte auf Wahnschaffeburg die Hochzeit stattfinden.

Judith sagte, sie wolle die letzten Stunden der Freiheit genießen; Lätizia zum Mittun zu bewegen, hatte es nicht vieler Überredung bedurft; das Fräulein von Einsiedel und die Gesellschafterin wurden als Garden betrachtet, und so hatten die vier Christian und Crammon mit Lärm und Lachen überrascht.

Das Wetter war schön, wenngleich schon kalt; sie verbrachten die meiste Zeit im Freien, gingen in den Wäldern spazieren, spielten Golf, veranstalteten Picknicks, und die Abende verflogen mit heiterem Plaudern. Einmal las Crammon aus dem Torquato Tasso vor, und er ahmte dabei den Tonfall und Rhythmus Edgar Lorms so täuschend nach, daß Judith erregt wurde und nicht genug hören konnte. Ihn reizte nichts andres als eben diese Nachahmung; Lätizia genoß die Verse wie trunken machenden Wein; das Fräulein von Einsiedel, das seit Jahren um eine verlorene Liebe trauerte, kämpfte bei manchen Stellen mit den Tränen; Judith hingegen erblickte in einem Zauberspiegel ein vergöttertes Bild, und als der Vortrag zu Ende war, brachte sie das Gespräch auf Edgar Lorm und bat Crammon, er möge ihr von ihm erzählen.

Crammon willfahrte ihr. Er erzählte von der romantischen Freundschaft des Schauspielers mit einem König; von seiner ersten Ehe mit einer rothaarigen Jüdin, die er sehr geliebt und die ihn eines Tages verlassen hatte und nach Amerika geflohen sei; wie er ihr gefolgt sei, erst hinüber, dann drüben von Ort zu Ort und alle seine Versuche, sie wiederzugewinnen, fehlgeschlagen seien; wie er, zurückgekehrt, in Gefahr gewesen, sich zu verlieren, sein Talent zu zersplittern; wie er, einsam und unstet, bald da, bald dort festen Fuß zu fassen bestrebt war; wie er Verträge gebrochen habe, von den Bühnenleitern in Acht und Bann getan, vom Publikum als gefährlicher Irrwisch nur gerade geduldet worden sei; wie aber endlich sein Genie alle Widrigkeiten und die Mängel seiner Natur selbst besiegt habe und er nun als strahlendstes Gestirn am Himmel der Kunst glänze.

Als Crammon schwieg, trat Judith auf ihn zu, streichelte ihm Kinn und Wangen und sagte: »Das war hübsch, Crammon, dafür dürfen Sie sich etwas ausbitten.«

Da lachte Crammon sein lautestes Lachen im tiefsten Baß und antwortete: »Dann bitt ich mir aus, daß die vier Damen morgen in der Frühe nach Wahnschaffeburg zurückkehren und uns beide, meinen Freund Christian und mich, noch ein wenig in Frieden gegeneinander schweigen lassen. Nicht wahr, Christian, mein Engel, wir schweigen gern? Wir beschweigen die Geheimnisse der Welt.«

»O ungalanter Bär!« wurde da gerufen; »o Verräter, o herzloser Intrigant!« Aber es war bloß eine Scheinempörung, denn die Rückfahrt war für den nächsten Tag ohnehin beschlossen.

Christian erhob sich und sagte: »Bernhard hat nicht unrecht, wenn er behauptet, daß wir schweigen wollen. So schön es mit euch ist, ihr schönen Mädchen, aber ihr seid so unruhig, ihr seid gar zu munter.« Er hatte scherzend gesprochen, jetzt strich er mit der Hand über die Stirn, weil sich seine Empfindung in Ernst verwandelt hatte.

Alle schauten ihn an. Er sah eigentümlich stolz aus. Lätizia schlug das Herz. Als sein Blick auf sie fiel, senkte sie den ihren, und sie errötete tief. Sie liebte alles, was er war, alles, was hinter ihm war, alles, was er erlebt hatte, alle Frauen, die er geliebt hatte, alle Menschen, von denen er kam und zu denen er ging.

Plötzlich fiel ihr die goldene Kröte ein; sie hatte das kleine Schmuckstück mitgenommen, und sie faßte den Vorsatz, es ihm heute noch zu bringen. Aber hiezu mußte sie ihn allein treffen.

 

16

 

Es sollte in der Nacht sein, das war ihr Wunsch, und sie gab ihm ein Zeichen. Es gelang ihr, ihm von den andern unbemerkt zuzuflüstern, daß sie in der Nacht zu ihm kommen und ihm etwas bringen wolle; er möge sie erwarten.

Er sah sie wortlos an. Viele waren schon zu ihm gekommen, in der Nacht; das Versprechen keiner hatte ihn so entflammt. Als sie von ihm weghuschte, bebten seine Lippen.

Nach Mitternacht, alle schliefen im Hause, verließ sie ihr Zimmer und stieg in das obere Stockwerk hinauf, in welchem Christian mehrere Gemächer bewohnte.