Eigentlich meint er immer sich selbst, wenn er Dinge und Menschen rühmt. Den Indios werden mit der Zeit manche Zweifel an der Göttlichkeit der Fremdlinge aufgestiegen sein. Was den Spaniern Zutraulichkeit schien, war meist Neugier, jene unbezwingliche Eidechsenneugier naturhafter Wesen, die unter Umständen die Todesgefahr mißachtet. Wird doch berichtet, daß die Männer und Weiber eines Stammes die Abgesandten des Admirals in ihre Zelte trugen und sie vom Kopf bis zu den Füßen abtasteten, um sich zu überzeugen, ob es wirkliche Menschen aus Fleisch und Bein seien. Wenn sich Columbus zu der Behauptung versteigt, sie könnten es nicht erwarten, Christen zu werden, und er habe gesehen, wie sie das Kreuz schlugen und das Salve und das Ave beteten, so erfindet er ein frommes Märchen, um seiner frommen Herrin zu gefallen und den spanischen Glaubenseiferern einen schmackhaften Köder zu bereiten.
Doch an seinem geringen Verständnis für das westindische Volk trägt nicht allein seine Unbildung die Schuld, nicht seine enthusiastische Befangenheit, nicht seine Schwäche in der Menschenbeurteilung überhaupt, auch nicht jener Verstellungszwang, von dem schon die Rede war und der das ganze Sein und Denken dermaßen durchsetzte, daß sich von vornherein ein feindlich lauernder Gegensatz zum andern Menschen ergab, sondern es ist die Epoche. Zu »verstehen« war nicht der Ehrgeiz und nicht die Richtung der Zeit. Darauf kam gar nichts an.
Weder den einzelnen als Nebenmenschen konnte oder wollte man »verstehen«, noch die andere Natur oder das andre Gesetz oder die andere Welt. Zu sagen, es ging um Besitz, Eroberung und Raub, wäre eine zu billige Schlußfolgerung, es ging in Wahrheit um Sprengung der engen Grenzen des Ichs, wobei es wenig oder nichts verschlug, wenn das andere Ich dadurch zerstört wurde. Eine elementare Expansionsbewegung, die Königreiche sowohl wie Individuen erfaßt hatte, ohne Rücksicht auf Liebe, Humanität und Gerechtigkeit.
Kein Europäer vom Ende des fünfzehnten Jahrhunderts wäre mit den Indios einsichtiger verfahren als Columbus; wohl aber hätten viele, nicht so traumversponnen und so verliebt in ihre Tat, mit rauherer Faust zugegriffen; keiner wäre imstande gewesen, die menschheitsgeschichtlichen und kultischen Hintergründe zu ahnen oder zu spüren, das Geheimnis der Rasse, die Furcht, die Erwartung, die Erschütterung der Vorstellungswelt, Gefühlsabläufe, die in ihrem Verein jene fast undurchschaubare allerfeinste Verschlagenheit hervorbrachten, das Wort in seiner psychopathischen Bedeutung genommen, die ihr eigentliches Wesen wie hinter einer Maske verbarg.
Der Kazik Guacamari, nach der oberflächlichen Beschreibung des Columbus ein schöner, kluger, anmutiger junger Mensch, hatte den Fremdlingen viel Freundlichkeit bezeigt, hatte sie mit Geschenken überhäuft und trat bald in nähere Beziehung zu ihrem Führer. Als er von dem Unglück hörte, das den Admiral betroffen, schickte er seine Leute mit geräumigen Kanoes an das Wrack, um die Ladung zu bergen. »Dies geschah außerordentlich schnell wegen des Eifers, den Guacamari selbst an den Tag legte«, erzählt Columbus; »er selbst in Person mit seinen Brüdern und Verwandten bemühte sich sowohl an Bord des gestrandeten Schiffes als auch am Lande um die Bewachung der dorthin gebrachten Gegenstände, damit für alles aufs beste gesorgt würde. Er hörte nicht auf zu weinen und den Admiral zu trösten und ihm zu sagen, er möge sich nicht kränken, er wolle ihm alles geben, was er habe.« Auch die Verwandten des Kaziken trauerten über das Mißgeschick der Schiffbrüchigen und stellten ihnen ihre Häuser zur Verfügung. Der Admiral lud Guacamari zu Tisch und bewunderte den Anstand, mit dem sich dieser benahm, der Kazik hinwiederum bewirtete den Admiral mit Fischen, Wildpret und Gebäck von Kassave und verehrte ihm einen mit Gold reich verzierten Gürtel. Er war auch damit einverstanden, daß die Spanier auf seinem Gebiet eine befestigte Niederlassung gründeten. An freiwilligen Kolonisten fehlte es nicht, alle, die sich meldeten, hofften bis zur Rückkehr des Admirals so viel Gold gesammelt und eingetauscht zu haben, daß sie bis an ihr Lebensende der Sorgen enthoben sein würden. Columbus selbst rechnete mit vierzig Tonnen Goldes für die Majestäten, die dann unverzüglich mit der Eroberung des Heiligen Grabes beginnen könnten.
Aber wußte er denn nicht, was für Strauchdiebe er da zurückließ? Und hatten die Tränen, die Guacamari und seine Verwandten bei dem Verlust der »Santa Maria« vergossen, den trügerischen Eindruck in ihm erweckt, daß er Menschen vor sich habe, die mit Engelsgeduld jede Roheit und Gewalttat ertragen würden? Er täuschte sich schwer. Freilich ließ er die Kanonen abfeuern, um den Eingeborenen die Überlegenheit seiner Waffen vor Augen zu führen, ein naheliegender und später immer wieder gebrauchter Trick, und die erschraken denn auch zu Tode und fielen allesamt aus purem Schreck platt auf die Erde. Aber es war nur eine Demonstration, die er seiner Stellung schuldig zu sein glaubte. Triumphierend versichert er, fünf Spanier würden genügen, zwanzigtausend dieser taubensanften Wilden wehrlos vor sich her zu treiben, und er war so durchdrungen von europäischer Anmaßung und dem Gefühl seiner vizeköniglichen Würde, daß er das äußerliche Zeremoniell der Gastlichkeit und die geprägten Formen eines Umgangskodexes, von dessen gefährlichen Hintergründen er nicht den leisesten Begriff hatte, schon für die Gewähr bedingungsloser Unterwerfung nahm.
Am vierten Januar verabschiedete er sich von den zurückbleibenden Gefährten, empfahl ihnen dringend die Sorge für seine Stadt Navidad (er nannte schon eine Stadt, was vorerst nur ein primitives Blockhaus war) und trat auf der »Niña« die Heimreise an. Schon zwei Tage darauf stieß Alonzo Pinzon mit der »Pinta« zu ihm, aber das stürmische Wetter, das um die Mitte des Monats einsetzte, trennte die beiden Schiffe wieder voneinander. Was der Kapitän der »Pinta« auf seiner eigenwilligen Kreuzfahrt erlebte, darüber wissen wir nichts, es hat den Anschein, als habe der Admiral kein Verlangen geäußert, es zu erfahren und habe mit dem Ausreißer gegrollt wie ein Ehemann mit seiner Frau, wenn sie sich eine Zeitlang anderweitig amüsiert hat. Die Rache behielt er sich im stillen vor.
Da die »Niña« zu wenig Ballast hatte, wurde sie von den Wellen wie ein Stück Kork umhergeschleudert, zudem war der Kiel leck, und die Mannschaft mußte Tag und Nacht an den Pumpen stehen. Es heißt, Columbus sei auf dieser Fahrt sehr kleinmütig geworden; ermüdet von den vielen Nachtwachen und Anstrengungen, wurde er häufig von Todesfurcht geplagt, und in manchen Stunden zweifelte er, daß er die Heimat erreichen werde. »Eine Fliege hatte die Macht, mich in zitternde Unruhe zu versetzen«, klagt er hysterisch. Mitten im Aufruhr der Elemente schlug er vor, einer solle durch das Los bestimmt werden, nach glücklicher Landung eine Pilgerfahrt nach Santa Maria de Guadalupe zu machen. Er ließ so viel Erbsen, als sich Personen auf dem Schiff befanden, in einen Sack schütten, und in eine schnitt er ein Kreuz. Er griff zuerst hinein und zog die mit dem Kreuz bezeichnete Erbse. Da atmete er auf und begann wieder zu glauben, daß ihn Gott erhalten wolle, damit er sein Werk vollenden könne. Für alle Fälle aber schrieb er einen besonderen Bericht seiner Reise auf ein Stück Pergament, das er mit Wachs bestrich, und verschloß die Rolle in ein leeres Faß, das er den Wellen übergab. Hierauf ließ er die Mannschaft zusammentreten und forderte sie zu dem Gelübde auf, daß sie allesamt an dem Orte, wo sie den heimatlichen Boden betreten würden, im härenen Hemd und unter Anrufung der heiligen Jungfrau zur nächstgelegenen Kapelle wallfahrten würden.
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