Sicherlich war sein Geist von Anfang an auf den einen einzigen Zweck gerichtet und hat alles hierzu Dienliche mit manischer Gier aufgesogen.
Das Jahr seiner Geburt ist unbestimmt. Er selbst nennt es nicht, die Angaben anderer schwanken zwischen 1436 und 46. Schon im Alter von vierzehn Jahren soll er zur See gegangen sein, doch über den Erlebnissen seiner Jugend liegt unaufhellbares Dunkel. Er schweigt so beharrlich darüber, daß man auf den Gedanken kommen muß, er habe triftigen Grund, zu schweigen. Er muß sich viel herumgetrieben, viel Mißgeschick erlitten, hart ums Brot gerungen haben, denn es wird berichtet, daß er in verhältnismäßig jungen Jahren schon grauhaarig gewesen sei.
Einmal erzählt er eine sonst nirgends verbürgte Geschichte aus dem Dämmer seines Aufstiegs, wonach er im Dienste des Königs René von Neapel eine Fahrt nach Tunis unternommen habe, um eine feindliche Galeere abzufangen. Da die Besatzung mutlos geworden sei und die Rückkehr gefordert habe, sei er zum Schein darauf eingegangen, habe jedoch heimlich die Richtung des Kompasses verändert und so die Mannschaft getäuscht. Bei Sonnenaufgang habe sich das Schiff am Kap von Cartagena befunden, während alle glaubten, es segle nach Marseille.
Davon abgesehen, daß ein historischer Anhalt für diese Begebenheit fehlt, verrät sie durch die Analogie mit einem ähnlichen Betrug während der ersten Fahrt nach Westindien, daß ihr die charakteristischen Züge erst durch eine spätere Erfahrung verliehen worden sind. Wann immer er sich über seine eigene Vergangenheit äußert, geschieht es in der Absicht, Heldenmythos zu erzeugen. Er wußte nie, wer er war, er wußte nur, wer er sein wollte.
Ebenso unerwiesen ist die Seereise nach Island und ins Polargebiet, die er unternommen zu haben behauptet, und zwar im Monat Februar des betreffenden Jahres. Seine Berichte darüber sind sehr wenig glaubwürdig, die geographischen und klimatischen Angaben falsch, auch wo sie nicht schlechthin absurd sind wie die, daß die Flut in jenen Breiten täglich sechsundzwanzig Klafter hoch steige. Nicht als ob er löge, er lügt nicht, er sieht es so oder er will es so gesehen haben, jedes Gewesene und ihm Geschehene wird ihm Roman, kein Ereignis bleibt in seinen natürlichen Maßen und Grenzen, alles drängt zum Ungeheuern hin, alles ist Katastrophe und Äußerstes. Man spürt einen Menschen, der im Gefühl einer Sendung geradezu verbrennt, aber er weiß noch nicht die Richtung und sieht noch keinen Weg.
Darum hat er auch keinen bestimmten Plan, noch ist er bestrebt oder imstande, sich wissenschaftliches Material zu beschaffen. Wie aus den zeitgenössischen Zeugnissen hervorgeht, ist er ein Dilettant in den nautischen Künsten, seine Unwissenheit in der Erdkunde erregt den Spott der Fachleute. Es wäre nicht ohne Reiz, zu untersuchen, wann und bei welchem Anlaß der Gedanke zum erstenmal in ihm auftauchte, die Ostküste Asiens auf geradem Weg vom Westen her zu erreichen (denn nur dieses und nichts anderes wollte er), aber darüber findet sich nicht einmal eine Andeutung, und seinem mystischen Hang gemäß mußte ihm alles daran liegen, solche Spuren zu verwischen.
Kurz vor seinem Tode schrieb er an die spanischen Hoheiten: »Zur Ausführung meiner Fahrt nach Indien haben mir weder Vernunft, noch Mathematik, noch Weltkarten geholfen, es ist ganz einfach in Erfüllung gegangen, was der Prophet Jesaias vorhergesagt hatte. Vor dem Ende der Welt müssen alle Prophezeiungen in Erfüllung gehen, das Evangelium muß auf der ganzen Erde gepredigt werden, und die heilige Stadt muß der Kirche Christi zurückgegeben sein. Gott hat durch meine Entdeckung ein großes Wunder bewirken wollen.«
Kennen wir diese Töne nicht? Klingt es nicht ähnlich, wenn Don Quichote von seiner Bestimmung spricht, Vorbild der Ritterschaft und Heilsbringer der Menschheit zu sein? Es ist nicht ohne Großartigkeit, wie er die Vorbereitungen aufzählt, die er, als Auserkorener, dennoch habe treffen müssen und welche Schwierigkeiten er dabei zu überwinden gehabt: »Von meiner frühesten Jugend an war ich ein Seefahrer und habe dies fortgesetzt bis auf heut. Der Seefahrer will die Geheimnisse der Welt ergründen. Wo man auf Erden zu Schiff war, bin ich zu Schiff gewesen. Verhandlung und Gespräch habe ich gepflogen mit gelehrten Leuten, mit Geistlichen und Weltlichen, Lateinern und Griechen, Juden und Mauren und mit vielen andern von anderm Glauben. Meinem Wunsche war der Herr geneigt, er verlieh mir Geist und Einsicht. In der Wissenschaft vom Segeln gab er mir zum Überfluß, in der Astrologie so viel als nötig war, und so auch in der Geometrie und Astronomie. Ferner gab er mir Lust und Geschicklichkeit, um Karten zu zeichnen und darauf Städte, Gebirge, Flüsse, Inseln, Häfen, jedes an seiner Stelle. Ich habe gesehen und in Wahrheit auch studiert alle Bücher, Weltbeschreibung, Historie, Chroniken und Philosophie, dann noch andre Künste, für die mir unser Herr mit sichtbarer Hand den Sinn aufschloß und mich aufs Meer schickte und mir das Feuer gab zur Tat. Die von meinem Unternehmen hörten, nannten es ungereimt und verhöhnten mich und lachten. Wer aber möchte zweifeln, daß es nicht Erleuchtung vom heiligen Geist gewesen ist?« (Er meint: da es ihm schließlich gelang, konnte man unmöglich daran noch zweifeln, vorher hielten ihn die Menschen für wahnsinnig.)
Hier steckt ein beachtenswertes Stück Autobiographie. Welch eine Stimme, was für eine Starrheit des Geistes, wieviel Bitterkeit im Zurückschauen, und das Aufatmen im Erfolg, das glühende Gefühl der eigenen Leistung Als ob einer ganz eingehüllt wäre vom Bewußtsein der Übermenschlichkeit. Er macht sich klein, weil er sich so gewaltig groß erscheint; wenn er sich als das Werkzeug der Gottheit betrachten darf, steht er Gott näher als jede andere Kreatur. Er hat jene Demut mit den harten Fäusten, die auf dem Weg zur Selbstentäußerung alles zerbricht, was ihr verwehrt, sich in ein höheres Selbst zu verwandeln.
Er kennt die Kosmographie des Papstes Pius; die astronomischen Ephemeriden des Regiomontan; die Schriften des Abtes Walfried von Reichenau; die imago mundi des Kardinals d'Ailly; nicht erst im Umgang mit dem Prior von La Rabida und in der Vorbereitung zur Prüfung vor der spanischen Junta hat er sie kennengelernt, sondern sicherlich schon viel früher, auf ausgedehnten Fahrten, in allen Mittelmeerhäfen, im Gespräch mit Kartographen, gelehrten Mönchen, Schiffskapitänen, Händlern, Sterndeutern und Manuskriptverkäufern. Aus einer dem Aristoteles zugeschriebenen, in Wirklichkeit von Posidonios verfaßten Abhandlung hat er erfahren, daß man schon im Altertum der Ansicht war, man könne von der Westküste Afrikas aus in wenigen Tagen nach Indien gelangen; in dem mystischen Buch, das er am Ende seines Lebens schrieb, zitiert er feierlich eine Stelle aus der ›Medea‹ des Seneca, deren Sinn ist: in späten Jahren wird eine Zeit kommen, wo Ozeanus die Bande der Dinge zerreißen, der ungeheure Erdkreis erschlossen sein, die Meergöttin neue Welten enthüllen wird. Das bedeutet ihm mehr als poetische Vision, es ist eine Prophetenstimme, die seine Annahme zur Gewißheit erhebt.
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