Aber er wägt keine Stimme, prüft keine Zeugenaussage auf ihre Vertrauenswürdigkeit, was ihm zu dienen, seinen Drang zu bestätigen scheint, nimmt er wahllos an und auf und verkündet es wieder, als wäre es von ihm selbst erforscht und gesagt; alle haben vor seinen Augen denselben Anspruch auf Autorität, der von seinen Einbildungen berauschte Schwärmer und der auf die Leichtgläubigkeit unwissender Zuhörer spekulierende Betrüger; wenn sie seine flammenden Halluzinationen nähren, verweist er auf die skrupellosen Phantasten und Märchenerzähler mit derselben gläubigen Gebärde wie auf einen Martin Behaim oder Pablo Toscanelli.

Herrschte in einem solchen Kopf nicht das Chaos, jene düster lohende Verwirrung, die keine Rangordnung der Gedanken und Werte mehr zuläßt, der Schrecken vor der Tat wäre zu groß, als daß die Tat vollbracht werden könnte. Erkenntnis macht feig, der Wille kann nur in einem gewissen Zwielicht unaufhaltsam vorwärts treiben.

Das Interesse der seefahrenden Nationen war um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts ausschließlich auf die Umschiffung Afrikas gerichtet. Dieser Kontinent war der mächtige Damm, der ihrem Entdeckertrieb Halt gebot. Weit in den Ozean hinaus wagte sich kein Fahrzeug. Von 1431 bis 53 setzten sich die Portugiesen unter Führung des wunderbaren Infanten Don Enrico an der Gold- und Pfefferküste fest und machten die Inseln Santa Maria, San Miguel, Terçeira, San Jorge, Fayal und Graciosa zu ihren Kolonien. Unbestritten war noch immer Wort und Meinung des Ptolemäus: nach seiner Annahme dehnte sich das Festland von Afrika bis zum Südpol aus, ohne eine Durchfahrt zu gestatten. Doch gab es Überlieferungen, denen zufolge Eudoxus von Cyzicus schon in frühester Zeit vom Roten Meer nach Gibraltar und der Karthager Hanno mit einer Flotte von sechzig Schiffen von Gibraltar nach Arabien gefahren sei. Don Enrico beschloß, der Ungewißheit ein Ende zu machen. Er errichtete zu Sagres ein Kollegium des Seewesens und eine Sternwarte, ließ alle Karten revidieren und führte auf allen Schiffen den Kompaß in verbesserter Form ein, so daß sich die Schiffer auch in dunkelster Gewitternacht, in Sturm und Nebel zurechtfinden konnten. Da wagten sich denn die Kapitäne in die bisher für unzugänglich gehaltene heiße Zone, wo das Meer in siedenden Wellen aufkochen sollte, und siehe, sie kehrten unversehrt und unverbrannt aus den äquatorialen Regionen zurück. Die Kunde ihrer Fahrten verbreitete sich über die Mittelmeerländer, die ahnungsvolle Menschheit lauschte und wartete. Gerüchte wurden eifrig umhergetragen, alte Fabeln mischten sich mit neuen, und jener Christoph Columbus, der mit dem Gefühl der Bestimmung in der Brust, von Ehrgeiz verzehrt, in irgendeiner Hafenstadt als Kartenzeichner oder auf einer Galeazze als Steuermann unbeachtet lebte, nahm das vielfache Hörensagen gierig in sich auf.

Da erzählt ein Schiffer, er habe auf hoher See ein Stück Holz aus dem Wasser gefischt, das mit kunstvollen Schnitzereien, wie man sie nie gesehen, geziert war. Ein anderer hat Bambusrohre im Meer gefunden, die von einem Knoten zum nächsten acht Karaffen Wein fassen. Die Bewohner der Azoren berichten, daß der Sturm an der Insel Fayal gewaltige Fichtenstämme von fremder Art an den Strand geworfen habe, und eines Tages werden bei der Insel Graciosa zwei männliche Leichname angeschwemmt, deren Gesichts- und Körperbildung durchaus keine Ähnlichkeit mit Christen (will heißen Europäern) aufweist. Ein Seemann aus Madeira hat auf hohem Meer gebirgiges Land weit im Westen erblickt, Leute von der Insel Gomara, die es ebenfalls gesehen haben, bestätigen ihre Wahrnehmung mit einem Eidschwur. Da er Kartograph war, kannte Columbus die Namen der sagenhaften Inseln, die zu seiner Zeit, ohne daß ihr Vorhandensein wissenschaftlich wäre festgestellt worden, auf allen Weltkarten, auch noch auf Martin Behaims Erdapfel eingezeichnet waren: die Inseln der Seligen, die Insel Brandan, die Insel Antilia, die Insel Brazil, die Insel der Satanshand, die Insel der sieben Städte. Niemand hat eine von ihnen betreten, sie erhalten ihre Stofflichkeit von Legende und Schiffermärchen. Der schottische Abt Brandan zieht mit seinem Schüler Sankt Malo ins Meer hinaus, um die paradiesischen Inseln zu suchen und die Heiden dort zu bekehren. Nach langen Irrfahrten landet er auf der einsamen Insel Ima, deren Bewohner das geheimnisvolle Grab eines Riesen anbeten. Sankt Malo weckt den Riesen aus hundertjährigen Todesschlaf, und der Unhold ist geneigt, von dem heiligen Mann Unterweisung in der christlichen Lehre zu empfangen. Er wird getauft und erhält den Namen Mildum. Er erzählt von einer andern Insel, deren Ufer von hohen Mauern aus purem Gold umgeben sind, und um die frommen Männer hinzuführen, wirft er sich ins Meer und zieht das Schiff an einem Tau durch die stürmischen Fluten. Die Insel steigt vor ihnen aus der Tiefe, doch kaum haben sie an der Küste ihr Gebet verrichtet, so wankt das Eiland in seinen Festen, sie müssen fliehen und können von der See aus noch gewahren, wie es in einer Art versinkt, als werde es von einem Ungeheuern Fisch hinabgerissen. Der Riese, auf seine heimatliche Insel zurückgebracht, ist so müde von all dem Fasten und Beten, daß er die Missionare inständig bittet, sich wieder ins Grab legen zu dürfen. Hier spuken Erinnerungen an Vorwelt und prähistorisches Ungetier in der verängsteten Phantasie des mittelalterlichen Menschen, für den der Einsamkeitsgedanke nichts Erhabenes, sondern Grauen und Schrecken enthält, die nur durch die zauberische Verwandlung einer Realität ins Grandiose oder Komisch-Abstruse gemildert werden können. Manchmal spinnen sich von geschichtlichen Ereignissen her erkennbare Fäden zu dem transozeanischen Traumbild wie in der Legende von den Inseln der sieben Städte. Nach der Eroberung Spaniens durch die Mauren fuhren sieben Bischöfe mit zahlreichen Mitgliedern ihrer Gemeinden, um den Schwertern der Sarazenen zu entfliehen, auf sieben Schiffen über den Ozean nach Westen und kamen nach schweren Stürmen zu einer Insel, wo sie die Schiffe verbrannten, um die Reisegenossen zum Bleiben zu zwingen, und mitten in der Öde des Weltmeers sieben wunderbare Städte gründeten, die freilich von keinem sterblichen Auge aus dem alten Land je erblickt wurden. Was aber ihre Existenz durchaus nicht anzweifelbar machte, denn wie kein Forscher jener Tage es gewagt hätte, die Wirklichkeit dieser Märchengebilde zu leugnen, waren sie auch der Inhalt der Sehnsucht und der Gegenstand der verwegenen Pläne aller Nomaden und Konquistadoren der See.

Drittes Kapitel

Verzweifelte Bemühungen

Erst nach seiner Ankunft in Portugal tritt das Leben des Columbus aus dem Bezirk der Mutmaßung und Heroendichtung allmählich in den einer annähernden historischen Gewißheit. Wo er vorher gewesen ist und was er gewesen ist, läßt sich nicht mehr feststellen. Die Panegyriker des merkwürdigen Mannes haben für ihren Teil ebensogut dafür gesorgt wie seine Feinde, daß die Spuren nicht aufzufinden sind, und er selbst hat von einem bestimmten Zeitpunkt ab nach seinem eigenen Beschluß kein Vorleben gehabt, so wie Don Quichote kein Vorleben gehabt hat.

Die Art, wie er nach Portugal gekommen sein soll, ist noch ganz Roman.