Alle die moralischen Anfechtbarkeiten gehören wie die geschichtlichen Unsicherheiten in das Kapitel ›Nebulosa de Colón‹, das ein moderner spanischer Schriftsteller mit einer Fülle von Stoff ausgestattet hat. Wären die Bemühungen der Kirche, diese Nebel zu zerstreuen, um einen neuen Heiligen zu inthronisieren, nur im entferntesten geglückt, so hätte die Figur damit ihren tragischen Glanz und ihre ergreifende Problematik eingebüßt.

Mit dem Tag, wo ihm König Joan Audienz gewährt, tritt Columbus in das volle Licht der Geschichte.

Er verheißt goldene Berge, im wahrsten Sinn. Er verspricht das Paradies, ebenfalls ohne Metapher, denn es zu finden, will er ausziehen. Er zeigt sich als ein Mann von erstaunlicher Beredsamkeit, und obschon ihm diese Gabe angeboren ist, kann man sich doch vorstellen, bis zu welchem Fieber, zu welch hinreißender Gewalt sie sich steigert, da er zum erstenmal Gelegenheit hat, an so hohem Ort von seiner Idee, von seiner Mission zu sprechen und alles vom Nein oder Ja des Fürsten abhängt.

Der König schwankt. Er läßt den Vorschlag von seinen Räten prüfen. Die Räte erklären Columbus für einen hirnlosen Schwätzer, der mit seinen Phantastereien von der Insel Zipangu keinen Glauben verdiene. Hätte der Monarch noch irgend Neigung gehabt, sich weiter in Verhandlungen einzulassen, so mußte er durch die geradezu unsinnigen Forderungen des Mannes abgeschreckt werden. (An eben diesen Forderungen hielt er auch später den spanischen Hoheiten gegenüber mit eisenstirniger Hartnäckigkeit fest, ohne zu begreifen, daß sie ihn in den Augen jedes vernünftig und billig Denkenden zum Verrückten stempelten.)

Eine zweifelhafte Überlieferung berichtet, daß König Joan heimlicherweise ein Schiff ausgerüstet, es mit den Plänen und Karten des Genuesen versehen und unter dem Vorwand, es solle Proviant nach den Kapverdischen Inseln bringen, auf eine Entdeckungsreise ausgeschickt habe. Der Schiffer sei jedoch unverrichteterdinge zurückgekehrt und habe beteuert, Orkane und stürmische See hätten der Fahrt unüberwindliche Hindernisse bereitet. Diese treulose Handlung habe Columbus veranlaßt, den portugiesischen Hof zu verlassen und nach Spanien zu fliehen.

So einfach war die Sache nicht. Die Flucht des schwer enttäuschten Mannes steht allerdings fest, die Motive sind aber dunkel. Es scheint, daß er mit den Gerichten in Konflikt kam. Einige Andeutungen (in einem späteren Brief des Königs) lassen darauf schließen, daß ihm Schuldhaft, wenn nicht Schlimmeres, drohte. Man darf nicht vergessen, daß er ein gedrückter kleiner Beamter war, vielleicht nicht einmal das, Herumlungerer, Petitionist, Antichambrist, Pläneschmied. Solchen Personen mißtraut man instinktiv, und sie sind beständig in Gefahr, geringe Verfehlungen wie große Verbrechen büßen zu müssen, wozu noch der Ruf der Lächerlichkeit kommt, in dem sie stehen.

Er nimmt sein Söhnchen Diego auf die Reise mit, die Frau und die kleineren Kinder bleiben in Portugal, vermutlich in Not und Elend. Besorgt, diese Herzlosigkeit könne ein allzu übles Licht auf ihren Heros werfen, behaupten moralisierende Biographen, Donna Filippa sei schon vorher gestorben, und er habe das älteste Kind zu einer Verwandten nach Huelva in Spanien bringen wollen. Ich vermag aber nicht zu glauben, daß ihn in diesem finstern Lebensmoment Rücksichten des Gefühls sollten verhindert haben, ein Land zu verlassen, wo er keine Hilfe mehr zu erwarten hatte. Der Kern seines Wesens ist Unrast. Er ist ewig auf der Flucht, bis zu seinem Tode. Unablässig wandert er durch die Länder, zieht er durch die Meere, eine der friedlosesten Gestalten, von denen die Geschichte weiß.

Es ist ungemein fesselnd, von der weiten Entfernung aus, die der historisch abgeschlossene Verlauf erzeugt, zu beobachten, wie ein großer Mensch von seinem Stern wie durch eine nie aussetzende magnetische Kraft zu dem ihm bestimmten Ziel hingezogen wird; was er auch tut oder unterläßt, jeder Fehler, jedes Versäumnis, das verkehrt Scheinende sogar bringt ihn in Wirklichkeit um den jeweilig notwendigen Schritt der Erfüllung näher.

Der Bettler, der an der Pforte des Franziskanerklosters La Rabida erschöpft um Brot und Wasser flehte, sah sich am Ende seiner Hoffnungen. Er ist kein junger Mann mehr, Ende der Vierzig vermutlich, seine Haare sind völlig grau, seine Züge gefurcht, er hat so viel Erniedrigung und Bitternis kennengelernt, so viel vergebliche Arbeit getan, so viel Seelenglut verschwendet, so viel Hohn und Abweisung erfahren, daß es ihm genug dünkt, um sich hinzulegen und zu sterben.

Dieser tiefste Punkt der Lebenskurve ist der Beginn des Aufstiegs. Um ihn zu ermöglichen, hat die Vorsehung zwei ungewöhnliche Männer in das entlegene Kloster versetzt, den ehrwürdigen Prior Juan Perez, der einst im Schatzamt gedient hat, Beichtvater der Königin war und, des weltlichen Glanzes müd, in der Zurückgezogenheit der Zelle frommen Übungen und gelehrten Arbeiten obliegt, und den Mönch Antonio de Marchena, einen stillen Träumer, der sich ebenfalls mit kosmographischen und liebevoller noch mit astrologischen Studien beschäftigt.

Das geistig leidende Gesicht, die hohe hagere Gestalt, das pathetische Wesen, der fremdartige Dialekt des Hilfeheischenden fallen auf. Man fragt ihn, wer er sei. Er antwortet: »Ich nenne mich Cristobal Colón, bin ein Seefahrer aus Genua und muß betteln, weil die Könige die Reiche, die ich ihnen anbiete, nicht annehmen wollen.«

Wundervoll donquichotisch gesprochen, unvergleichlich erfundene Worte, falls sie erfunden sind. Die Nachwelt dichtet ihre Unsterblichen in der reinen Idee weiter, die sie während ihrer irdischen Laufbahn vielleicht nicht völlig zum Ausdruck gebracht haben.

Eines solchen Sonderlings muß man sich versichern. Man gewährt ihm Gastfreundschaft. Er überrascht durch seine Kenntnisse, seine tiefen Spekulationen, die Erzählung ungewöhnlicher Erlebnisse, seine überlegene Haltung, den unerschütterlichen Glauben an sich selbst. Die Gespräche dehnen sich Nacht für Nacht bis in den Morgen. Auf seinen Karten zeigt Columbus den Weg, den er einschlagen will, seine Beweisführung ist schlagend, seine Eloquenz unwiderstehlich. Er macht keinen Hehl daraus, daß er, wie schon früher, auch nach seiner Flucht aus Portugal durch Vermittlung seines Bruders Bartolomé abermals England und Frankreich seine Dienste angeboten habe; der Prior, Feuer und Flamme, erklärt, ein Projekt von solcher Tragweite dürfe der spanischen Regierung nicht vorenthalten bleiben.