Aus der benachbarten Hafenstadt Palos werden Sachverständige berufen, darunter Alonso Pinzon, der nachmals, bei der ersten Ausfahrt des Columbus, eine der drei Karavellen befehligt und unter allen Seeleuten der Epoche die genialste Form des Mutes besitzt. Der Plan findet die Zustimmung der erfahrenen Männer, sie halten seine Ausführung durchaus für möglich, der Prior ermuntert Columbus, an den Hof nach Cordova zu reisen und gibt ihm ein dringliches Empfehlungsschreiben an den allmächtigen Hernando de Talavera mit, den jetzigen Beichtvater der Königin Isabella.
Columbus, unverbrüchlich sanguinisch wie alle fahrenden Ritter, sieht schon vollendet, was kaum erst keimt und macht sich frohgestimmt nach Cordova auf.
Wieder erweist sich die Zeit als ungünstig. Ferdinand und Isabella führen Krieg gegen die Mauren. Die Staatskassen sind leer, das königliche Paar ist in Bedrängnis und hat wenig Interesse für die phantastischen Vorschläge eines Unbekannten, Talavera verbirgt seine Skepsis nicht, der Erzbischof von Toledo, bei dem er sich Gehör verschafft, will sich durch keinen Bescheid binden, der reiche Herzog von Medina-Celi, der eine Schwäche für seefahrende Abenteurer hat, ist geizig, vorsichtig und launenhaft. Der armselige Aufzug, in dem Columbus bei Hof erscheint, trägt nicht dazu bei, sein Ansehen zu erhöhen. Man schickt ihn von einem großen Herrn zum andern, von Vorzimmer zu Vorzimmer, er folgt dem Hof nach Salamanca, sucht alle Welt für seine Ideen einzunehmen, wird von aller Welt vertröstet, belächelt, verspottet, und nach heißen Mühen gelingt es ihm endlich, daß er vor die Königin treten darf. Es geschieht auf Fürspruch des glaubensstrengen Erzbischofs von Toledo (er ist Großkardinal von Spanien), der nach ängstlichen Erkundigungen die Überzeugung gewonnen hat, daß in den Absichten des Genuesen nichts enthalten ist, was der Heiligen Schrift widerspricht, daß er sich vielmehr ausdrücklich und unverdächtig auf die Worte des Propheten beruft, nach denen »die Enden der Erde zusammengebracht und alle Völker, Zungen und Sprachen unter der Fahne des Heilands vereinigt werden sollen«.
Die Königin, in ihrer Meinung von den kirchlichen Würdenträgern abhängig, hört den Bittsteller an, zweifelt, begreift nicht recht, kann sich aber gleichwohl des seltsamen Eindrucks nicht erwehren, den der beunruhigend redebegabte, innerlich flammende Mensch auf sie macht. Wahrscheinlich erregt er nebstbei ihr weibliches Mitleid; sie ist eine gutherzige Frau trotz allen rabiaten Glaubenseifers. Das Verhältnis zwischen der Herrin und dem treuesten ihrer Diener enthält auch in der Folge geheimnisvolle Zartheiten. Fast in jedem der späteren Briefe des Columbus an sie schwingt im Verborgenen ein Ton, der weniger der Fürstin als dem Weib gilt und der sie bewegt haben muß, so daß sie ihn gegen seine geschäftigen Feinde in Schutz nimmt und seine Torheiten mit Nachsicht behandelt. Er gewinnt ihr Vertrauen durch seine expressive, sehr spanische Frömmigkeit, und da sie eine geborene Herrscherin ist, fühlt sie instinktiv die schicksalsvolle Willensgewalt in dem Manne und daß seine Versprechungen was ganz anderes sind als Windmacherei. Sie beschließt, eine Junta soll die Thesen und Behauptungen des Fremdlings prüfen und ein Gutachten darüber abgeben, und um seiner offensichtlichen Bedürftigkeit zu steuern, bewilligt sie ihm bis zur Erledigung seiner Angelegenheit ein kleines Wartegeld. So kann er sich wenigstens als Angestellter der Krone betrachten und seine Sache mit legitimem Hinweis betreiben.
Doch standen ihm noch Jahre qualvollen Harrens bevor, des vergeblichen Ansturms gegen höfische Umtriebe und kirchliche Vorurteile, und gewisse Andeutungen in seinen Briefen sowie die ganze Anlage seines Charakters lassen darauf schließen, daß in dieser Zeit die Verzweiflung sein seelisches Gleichgewicht aufs bedenklichste gefährdete.
Viertes Kapitel
Rechenschaft, Bittgänge, Vagabondage und wahnwitzige Forderungen
Befohlenermaßen versammelte sich die Junta, und zwar im Dominikanerkloster zu San Estéban in Salamanca, in welchem Columbus auch eine Wohnung angewiesen wurde. Es war die Jahreswende 1486 zu 87. Colón wird gerufen, er soll seine Entwürfe vortragen und erläutern. Was das Ergebnis betrifft, sind die Urkunden nicht mißzuverstehen: die gelehrten Würdenträger, mit Ausnahme des Fray Diego de Deza, Professors der Theologie, verhielten sich durchaus ungläubig und ablehnend.
Religion und Wissenschaft waren zu jener Zeit in Spanien identische Disziplinen. Die Inquisition hatte ihre größte Machtentfaltung erlangt, jede der Ketzerei verdächtige Meinung setzte ihren Bekenner blutiger Verfolgung aus. Daß das fromme Tribunal auch in diesem Fall voreingenommen war, erhellt aus seiner Verfassung und seinem Geist; Columbus erschien nicht so sehr als Beauftragter in königlicher Sache denn als Delinquent, dessen Irrtümer und Verfehlungen gerichtet werden sollten. Jedenfalls galt er für einen Glücksritter, am mildesten betrachtet für einen Volksverführer und mußte sich von Anfang an in eine feindliche Position verschanzen.
Der wesentlichste Einwurf war: Nachdem tiefe Philosophen die Gestalt der Welt zum Gegenstand ihrer Untersuchungen gemacht und tüchtige Seefahrer seit Tausenden von Jahren vertrauenswerte Zeugnisse beigebracht, sei es eine starke Anmaßung für einen gemeinen Mann, zu behaupten, eine so große Entdeckung, wie er sie verheiße, sei ihm vorbehalten. Es widersprächen dem die Psalmen Davids, die Aussprüche des heiligen Chrysostemus, des heiligen Hieronymus, des heiligen Gregorius, heiligen Basilius und heiligen Ambrosius. Vor allem war eine Stelle aus dem heiligen Lactantius im Wege, die lautet: »Ist wohl irgend jemand so von Sinnen, daß er glaubte, es gäbe Antipoden, die mit ihren Füßen gegen die unseren stehen, Menschen, die mit in die Höhe gekehrten Beinen und herunterhängenden Köpfen gehen? Daß eine Gegend der Erde existiere, wo die Dinge unterst zu oberst sind, die Bäume abwärts wachsen und es in die Höhe regnet, hagelt und schneit? Der Wahn, daß die Erde rund sei, ist die Ursache der törichten Fabel von den Antipoden mit den Füßen in der Luft, und solche Personen gehen in ihren Ungereimtheiten von dem anfänglichen Irrtum immer zu neuen Irrtümern und leiten einen aus dem andern ab.«
Auch der heilige Augustinus erklärt die Lehre von den Antipoden als unverträglich mit dem reinen Glauben; wer bewohnte Länder auf der andern Seite der Erdkugel annehme, der verneine die Abkunft ihrer Völker von Adam, da es für diese unmöglich gewesen sei, über das Weltmeer zu gelangen; er entziehe also der Bibel die fundamentale Wahrheit, daß alle Menschen von einem einzigen Elternpaar abstammten. Und heiße es nicht in den Psalmen, der Himmel sei ausgespannt gleich einem Fell? Was so viel bedeute, daß er die Decke eines Zeltes sei, die bei den alten Hirtenvölkern aus Tierfellen gemacht gewesen; daher habe der heilige Paulus im Brief an die Hebräer den Himmel ein Tabernakel genannt, das über die Erde gebreitet sei, womit deutlich gesagt sei, daß er in seiner ganzen Ausdehnung flach sein müsse.
Einige liberalere Mitglieder des Konziliums leugneten die Kugelgestalt der Erde nicht, gaben sogar die Existenz von Gegenfüßlern zu, doch hielten sie es für unmöglich, zu ihnen zu reisen, da in den Tropen das Meer in kochenden Wellen siede. Übrigens sei nach der Autorität Epikurs die Erde, wenn sie eine Kugel sei, nur auf der nördlichen Hälfte bewohnbar und von Himmel umgeben, auf der andern sei das Chaos, der Abgrund, die unendliche Wasserwüste. Angenommen, Indien könne zur See erreicht werden, auf welche Art solle man die Rückkehr bewerkstelligen, da man auf der Kugeloberfläche wohl hinab, nimmermehr aber bergauf fahren könne? Und hatte nicht schon Seneca, der Rhetor, in seiner Schrift Suasoriae die Frage aufgeworfen: Wird sich Alexander auf dem Ozean einschiffen, in Anbetracht, daß Indien das äußerste Land der Welt ist und jenseits dessen die ewige Nacht beginnt? Nein, antwortet er selbst, Alexander wird sich nicht einschiffen, um eine neue Welt zu suchen; wie darf also ein Heutiger so Ungeheures wagen, der weder Alexanders göttliche Kräfte noch seine königlichen Hilfsmittel besitzt?
Eigentümlicher Konflikt: Wie sollte Columbus den Sturm der scholastischen Diskussion und Verhörung abwehren, er, der mit allen Anschauungen und Begriffen auf dem nämlichen Boden stand wie seine Inquisitoren und ihnen nichts entgegenzusetzen hatte als ein unmitteilbares inneres Bild und seine felsenfeste Überzeugung? Er mußte versuchen, was ihm freilich bei seinem Rednertalent nicht schwerfiel, sie mit ihren eigenen Waffen zu schlagen; jeder wissenschaftliche Stützgrund, auch wenn er sich eines solchen wirksam hätte bedienen können, wäre ihm verhängnisvoll geworden.
In den Jahren des Glücks schrieb er einmal an König Ferdinand: »Ich kam als Abgesandter der heiligen Dreieinigkeit zu Eurer Hoheit, um den heiligen Glauben zu verbreiten, denn klar genug spricht Gott von diesen Ländern durch den Mund des Propheten Jesaias, der da versichert, daß von Spanien aus sein Name solle verkündet werden.« So beharrte er schon vor der frommen Körperschaft in San Esteban darauf, daß er als ein Erleuchteter anzusehen sei. Die gewaltsam ausgedeuteten Stellen im Jesaias befinden sich im vierundzwanzigsten und fünfundsechzigsten Kapitel: »Von den Enden der Erde hören wir Gesänge«, und: »Ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde bauen.« Daß diese Mission dem König von Spanien vorbehalten sei, ist eine großartige Freiheit dieses Monomanen und Wortsklaven, und nicht minder willkürlich und das Wunder seiner Erwählung preisend verfährt er, wenn er die geheimnisvollen Worte aus dem Buch Hiob zitiert: »Woher kommt denn die Weisheit und wo ist die Stätte des Verstandes? Sie ist verhohlen vor den Augen der Lebendigen, auch vor den Vögeln unter dem Himmel, der Abgrund und der Tod sprechen: Wir haben mit den Ohren ihr Gerücht gehört, Gott weiß den Weg und kennt ihre Stätte, da er dem Wind sein Gewicht machte und setzte dem Wasser sein gewisses Maß.«
Mit solchen Tönen, ehrwürdig aus dem Urbrunnen der Menschheit emporschallend, bringt er die ihn hart bedrängende Versammlung zur Ruhe. Man sieht, auch er hat Autoritäten auf seiner Seite, er rollt seine Pergamente auf, liest mit majestätischer Stimme vor. Für ihn haben die Stammväter der Menschheit gesprochen, für ihn die Patriarchen. Da sind seine Karten, eingezeichnet ist bereits die Fahrt; doch um die möglichen und von ihm erkannten Wege nicht vorzeitig aufzudecken und so um die Früchte seiner Lebensarbeit betrogen zu werden (er ist nach König Joans Betrugsversuch klüger geworden), beschränkt er sich auf unbestimmte Andeutungen, die die Mönche, Prälaten, Äbte, Bischöfe und Erzbischöfe vielleicht mehr zum Aufhorchen zwingen als es eine klare Darlegung, als es etwa die Berufung auf einen Forscher wie Toscanelli vermocht hätte, die er hier wieder, ich erwähnte es bereits, durchaus unterließ. Man konnte nicht umhin, ihn zu hören und mit ihm zu rechten, aber die stärkste Wirkung ging von seiner Ergriffenheit aus, der Haltung eines unbeugsamen Fanatikers, und von dem visionären Auge, das die Länder und Reiche schon erblickte, deren Existenz erst zur Debatte stand.
Dennoch lautete das Urteil der Junta abweisend. Colón ging zur Königin und sagte: »Das Tribunal bringt Euch um Ruhm, Ehre und Reichtum.« Die Königin wollte ganz sichergehen und überwies das Projekt zur abermaligen Prüfung an den Staatsrat.
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