Unknown

Kapitel 1

In einer der Hauptstraßen von Hellburg stand noch vor gar nicht so langen Jahren ein steinernes, uraltes Gebäude aus früherer Zeit – wie Viele sogar behaupteten, das älteste Gebäude der Stadt – mit wunderlich geschnitzten Giebeln und Gewänden, künstlich gespannten Fenster- und Thürbogen und großen eisernen drachen- und lindwurmköpfigen Dachrinnen, die der Zeit, wie allen die Straßen auf- oder abwehenden Stürmen die langen, grimmig ausgeschnittenen Zähne gezeigt hatten, und bei heftigen Regengüssen, zum Aerger der Vorübergehenden, ganze Ströme Wassers in die Mitte der Straße sprudelten. Ueber der Thür waren zwei sonderbare Gestalten in Stein ausgehauen, die einen Türken und einen Christen vorstellten, und auch zwischen den Fenstern hatte der Baumeister, dessen Urenkel mit zu den Ahnen der jetzigen Generation gehörten, manche behelmte und bewehrte Gestalt angebracht. Nirgends aber fand sich ein Heiligenbild, nirgends ein Engelsköpfchen, das sonst mit seinen dicken Bäckchen trostbringend aus manchen Verzierungen anderer, fast eben so alter Gebäude herausbläst. Kein frommer Märtyrer mit zerrissenen Gliedern und rundem Heiligenscheine war in der ganzen Masse von Schnitzwerk zu finden; kein frommes Sprüchlein, kein Vers, kein Kreuz angebracht, selbst nicht aus dem Schilde des Ritters über der Thür.

Wie die Dachrinnen Unthiere darstellten, die nur hinten an den Schwänzen von irgend einer wohlthätigen Macht zurückgehalten und verhindert wurden, sich auf die ruhig Vorübergehenden niederzustürzen, und all ihren zähnefletschenden Grimm an ihnen auszulassen, so trugen kleine boshafte Faun- und Teufelslarven die Fenstersimse und hier und da angebrachte Nischen-Console, und ungeschlachte, halb Thier-, halb Menschenbilder stützten, die Krallenfinger in die dürren Seiten stemmend, Erker und Balcon. Jedenfalls hatte ein wunderlicher Geschmack das Haus erbaut.

Seit langen, langen Jahren nicht bewohnt, war es nach dem Tode des letzten, schon lange verstorbenen Besitzers und in Folge des darob entstandenen Rechtsstreites zwischen den außer Landes wohnenden Erben verschlossen und versiegelt worden. Darüber verging die Zeit, und wie das so mit Processen geht, erinnerten sich jetzt ganz alte Leute aus ihrer Jugendzeit noch der großen, der Thür angedrückten Siegel, zu denen sie damals mit stummer Ehrfurcht aufgeschaut. Nichtsnutzige Menschen hatten diese später einmal beschädigt – vielleicht um einen hochweisen Rath zu kränken oder den Nachtwächter zu ärgern – und jetzt waren Streifen Blech über die neu aufgedrückten genagelt worden, sie zu schützen – denn der Proceß dauerte ruhig fort.

Andere Nachtschwärmer klopften auch früher einmal in frechem Muthwillen mit dem alten eisernen Thürhammer an die versiegelte Pforte, daß der Ton hohl und markerschütternd durch die öden Räume schallte. Als aber bald darauf dumpfe Gerüchte die Stadt durchliefen, daß in der nächsten Nacht bleiche, entsetzliche Gestalten an das Lager jener Ruhestörer getreten wären, sie zu fragen, was sie an dem alten Hause gewollt, gingen von der Zeit an Kinder wie Erwachsene in stiller, unheimlicher Scheu an der verschlossenen Thür vorüber. Niemand belästigte das alte Gebäude weiter, und die Volkssage füllte gar bald jene düsteren, durch gelbe, schwerseidene Gardinen dicht verhängten Räume mit unheimlichen, spukhaften Gestalten und Wesen an. Jahre vergingen indeß; von dem alten Hause wurde fast nicht weiter gesprochen, bis es der Nachtwächter wieder einmal in's Gerede bringen wollte. Er behauptete nämlich, und beschwur es hoch und heilig, mehrere Male Nachts zu unbestimmten Stunden Licht in einem der Fenster hinter den düstern Gardinen gesehen zu haben; aber trotz allem Wachen und Aufpassen konnte Niemand weiter etwas Aehnliches entdecken. Der Schimmer, den der Nachtwächter bemerkt haben wollte, war jedenfalls der Mond oder vielleicht auch der Wiederschein eines Lichtes aus der gegenüberliegenden Häuserreihe gewesen, und wer wußte überhaupt, was der außerdem halb blinde Mann da gesehen zu haben glaubte! Das Gerücht verlor sich, wie es gekommen.

Auf der rechten Seite des »alten Hauses«, das dort hinaus gar keine Fenster zeigte, lag ein dazugehörendes kleines Grundstück, von dem Rathe der Stadt benutzt Bauholz abzulagern. Große Haufen aufgeschichteter Bieter und Balken thürmten sich hier empor und waren von der Straße selbst nur durch eine hohe, weiß angestrichene Planke geschieden. Nach links zu schlossen sich dagegen die andern Gebäude der Straße dicht daran an, und das nur durch die starke Brandmauer davon geschiedene Nachbarhaus gehörte dem Regierungs- und Stadt-Rathe Hechner. Dieser hatte allerdings schon seit mehreren Jahren versucht, die an sein Grundstück stoßenden, unbenutzt liegenden Räumlichkeiten vergleichsweise und käuflich an sich zu bringen, aber ohne Erfolg. Beide Parteien schienen den geerbten Proceß, den sie wohl verlieren, aber nicht verkaufen dürften, als eine Art Ehrensache zu betrachten.

Das Haus des Regierungs-Raths Hechner mußte übrigens mit dem sogenannten »alten Hause« in früherer Zeit, wenn nicht gerade dazu gehörig, doch in unmittelbare Verbindung gestanden haben. Auf der halben Treppe, unter der ersten Etage, befand sich nämlich noch eine alte eiserne, niedrig gewölbte und von innen verrigelte Thür. Dieser frühere Communications-Weg zeigte jedoch nach außen weder Schloß noch Drücker, nicht einmal ein Schlüsselloch, sondern nur eine glatte, mit starken Barren verwahrte Fläche, die, wenn überhaupt, nur hätte von der inneren Seite geöffnet werden können.

Aus Nachlässigkeit oder Unachtsamkeit war aber diese Thür damals nicht mit versiegelt worden; oder man hatte sie auch als mit der Wand identisch angesehen und eine gerichtliche Verwahrung derselben nicht für nöthig befunden. Beim Malen der Treppe ließ dann später der Regierungs-Rath die Haspen und Querbarren so viel als möglich mit Kalk bewerfen, um deren Erhabenheiten weniger auffallend zu machen, und die Thür mit der anderen Wand gleichmäßig anstreichen. Wer nicht wußte daß sich dort eine Thür befand, konnte es nicht leicht erkennen.

Für Fremde wäre das nun auch vollkommen ausreichend gewesen. Für die Leute im Hause dagegen schien dieses Verheimlichen der Thür eher etwas Unbehagliches zu haben, dem sie allerdings keinen bestimmten Namen geben konnten, das sie aber nichtsdestoweniger störte und beunruhigte. Ein paar der Dienstboten kündigten auch ihrer wirklich vortrefflichen Herrschaft aus dem einzigen Grunde, weil sie sich fürchteten, Abends spät an dem versteckten Eingange vorüber zu gehen. Hinter der Thür sei es, wie sie sich nicht ausreden ließen, unter keiner Bedingung geheuer, und wenn sie Abends spät mit Wasser oder Holz da vorbei müßten, könnte die alte eiserne Pforte auch recht gut einmal von selber auffliegen und ihnen den Tod vor Schrecken bringen.

Die Eine behauptete dabei, sie hätte es einmal Abends dahinter klopfen die Andere sogar, Jemanden schwer athmen hören, bis der Regierungs-Rath, des Geschwätzes müde, sie fortjagte und andere Leute in's Haus nahm. Er ärgerte sich aber doch über das dumme, abergläubische Volk, wie er es nannte, das sich nur immer die größte Mühe gab, einen Haken zu finden, um seine albernen Ideen daran zu hängen.

Regierungs-Rath Hechner war verheirathet, hatte aber nur eine einzige Tochter, ein elfjähriges Mädchen von überdies zarter, schwächlicher Gesundheit, und lebte in seiner kleinen Familie still und zurückgezogen.

Kinder sind übrigens für das Uebernatürliche oder Außergewöhnliche empfänglich und geben sich demselben leichter und unbefangener hin, als Erwachsene. Ihr Geist ist noch nicht im Stande, die Grenzlinie zwischen dem Wahrscheinlichen und Unwahrscheinlichen – wir dürfen kaum sagen: dem Möglichen und Unmöglichen – für sich selber abzustecken und zu befestigen. So hatte sich auch Marie, durch ihren erregten und kränklichen Zustand noch empfänglicher dafür gemacht, viel und lebhaft mit dem alten Nachbarhause beschäftigt und, wenn die Eltern abwesend waren, das besonders mit Begierde aufgefangen, was die Mädchen im Hause darüber zu sagen wußten.

Daß in dem alten unbewohnten Gebäude dann und wann ein »Licht« umging, stellte sich ihr gegen über auch bald als feste Thatsache heraus. Eben so bezweifelte sie zuletzt, mit den Zeugnissen dreier hinter einander abgehenden Dienstleute, keinen Augenblick mehr die Existenz irgend eines unglücklichen, verbannten Wesens, das hinter der übermalten Thür an ihrer eignen Treppe sitze und mit Ungeduld schon viele Jahre lang seiner Befreiung entgegen harre. Mit kindisch schauerlichem Behagen malte sie sich dabei die stillen Stuben selber aus, wie hinter den dichten und verblichenen seidenen Gardinen die alten prächtigen Möbel standen und schwere Teppiche lagen, die dicker Staub wohl lange schon bedeckte. Und an den Wänden hingen gewiß alte, düstre, lebensgroße Bilder der frühern, jetzt still in ihren Gräbern schlummernden Bewohner des alten Hauses – Männer mit unbequem steifen Halskrausen und langen Degen, und Frauen mit großblumigen herrlichen Kleidern und hohem wunderlichem Kopfputz, die erstaunt und finster auf die zu ihnen Eintretenden niederblickten und den Fremden, wohin sie gingen, mißtrauisch und unheimlich mit den Augen folgten.

Marie hätte Gott weiß was darum gegeben, das alte Haus einmal allein betreten zu dürfen. Das war wenigstens, wenn sie sich oben in ihrem sicheren Stübchen befand, oft und oft ihr Wunsch gewesen.