Kam sie aber Abends einmal von einem Besuche der in der nämlichen Straße wohnenden Tante zurück, und mußte sie an der geheimnißvollen Thür vorüber, dann schlug ihr das kleine Herz doch laut und ängstlich in der Brust, und sie drückte sich scheu und mit zurückgehaltenem Athem an der andern Seite der Treppe vorüber. Sie hätte auch darauf schwören wollen, schon selber zu verschiedenen Malen ein leises Seufzen und Klopfen hinter der Thür gehört zu haben, und einmal – sie vergaß den Schrecken in ihrem Leben nicht – war ein Stück Kalk, gerade als sie vorüber glitt, vom Anwurf über der Thür losgebröckelt und dicht neben ihr niedergefallen, als ob Jemand von innen dagegen gepreßt und dadurch den Kalk von der Wand abgedrückt hätte.

Marie war auch dieselbe Nacht noch wieder krank geworden, und das alte Haus spielte in der Zeit eine Rolle in allen ihren Träumen. Wenn sie aber aufwachte, wußte sie immer daß es eben nur ein Traum gewesen – da drüben sah es doch gewiß ganz anders aus, als sie es in ihren Phantasien gesehen und sich ausgemalt.

Wunderbarer Weise scheute sie sich dabei aus irgend einem, ihr selber nicht klaren Grunde, der Mutter, der sie sonst nichts verheimlichte, von dem sonderbaren Einflusse zu sagen, den die alte Thür auf sie ausübe. Vielleicht war es die Furcht vor dem Vater, der so bös über den Aberglauben der Dienstmädchen wurde. Aber unwillkürlich kam ihr dabei auch das Gefühl, als ob sie es irgend Jemanden recht heilig versprochen hätte, mit Niemanden, wer es auch sei, darüber zu reden, und doch wußte sie, daß ihr noch keine Seele auf der weiten Welt ein solches Versprechen abgenommen haben konnte. Hing das auch etwa mit ihren Träumen zusammen?

So wagte sie auch nicht ihre Mutter nach dem Hause und der Bewandtniß zu fragen, die es mit der Thür haben könnte, obgleich es gerade oft zwischen Vater und Mutter verhandelt worden, bis das Gespräch einmal zufällig in ihrer Gegenwart wieder darauf kam.

Wieder hatte ihnen nämlich ein Mädchen, der alten Thür wegen, gekündigt. Die Köchin, ein braves, arbeitsames und sonst auch resolutes Frauenzimmer, war vor einigen Abenden ziemlich spät mit Geschirr-Scheuern beschäftigt gewesen, und hatte noch vor Schlafengehen, um nicht gleich am frühen Morgen danach laufen zu müssen, eine Tracht Wasser aus dem im Hofe befindlichen Brunnen heraufholen wollen.

Mit ihren beiden gefüllten Kannen – so wörtlich erzählte sie es am nächsten Morgen ihrer Herrschaft – kam sie denn auch langsam die Treppe herauf und blieb auf dem ersten Absatz gerade der Thür gegenüber, an die sie in diesem Augenblicke nicht einmal dachte, zum Ausruhen stehen. Da plötzlich – das heilige Abendmahl wollte sie darauf nehmen, daß sie die Wahrheit rede – hörte sie Jemanden dicht neben sich, so recht aus tiefster Brust aufseufzen oder stöhnen. Sie sah sich rasch und erschreckt um; obgleich aber die Laterne, die gerade über ihr auf der Treppe hing, ein ziemlich helles Licht verbreitete, konnte sie weder nach oben noch nach unten etwas erkennen. Da fiel ihr die Thür ein. Während ihr ein kalter Schauder den Rücken herunter lief, griff sie ihre Wasserkannen auf, um so rasch als möglich die sichere Küche wieder zu erreichen. Da klopfte es auf einmal stark und wie ärgerlich inwendig gegen die Thür an, und eine leise Stimme rief ihren Namen, noch dazu ihren richtigen Namen, Susanna, denn mit dem Dienst im Hause hatte sie auch den, für Köchinnen dort erblichen »Rieke« überkommen.

Mehr wußte sie aber nicht zu sagen; denn die Kannen fallen lassen, daß sich das freigegebene Wasser in rascher Fluth treppab ergoß, die Stufen hinausstürzen und die Küchenthür hinter sich in's Schloß drücken und verriegeln, war das Werk eines Augenblicks gewesen. Selbst die oben an der Treppe vergessene Lampe wagte sie nicht wieder zu holen – sie mußte ausbrennen wo sie stand, und erst im Bette, unter der bis über den Kopf heraufgezogenen Decke, hatte sie es sich überlegt, ob sie um Hülfe schreien und die Hausbewohner wecken oder es riskiren solle, da auszuharren, wo sie sich gerade befand. Unter dem Ueberlegen war sie eingeschlafen.

Am nächsten Morgen erklärte die Köchin aber ihrer Herrschaft auf das Bestimmteste, Nachts oder überhaupt nach Dunkelwerden die Spuktreppe nicht wieder betreten zu wollen, und da sich das mit ihrer Arbeit natürlich nicht vereinigen ließ, kündigte ihr der überdies gereitzte Regierungs-Rath ohne Weiteres den Dienst. Solche stockdumme Dienstleute wollte er, wie er sich ausdrückte, überhaupt nicht in seinem Hause dulden.

Rieke – oder jetzt vielmehr wieder Susanna – war denn auch noch an demselben Nachmittage, vor Dunkelwerden, abgezogen, und der Regierungs-Rath schien selber in einer Sache um Rath verlegen zu sein, die ihm schon zu viel Aerger und Verdruß gemacht hatte und noch zu machen drohte. Er konnte sie nicht gleichgültig vorübergehen lassen.

»Ich weiß bei Gott nicht was ich am Ende thun soll,« sagte er, indem er, die Hände auf dem Rücken zusammengefaßt, mit schnellen, ungeduldigen Schritten im Zimmer auf- und abging und endlich vor seiner, an ihrem Nähtische stickenden Frau stehen blieb, – Marie lehnte, noch etwas leidend, in der einen Ecke des Sopha's und blätterte in einem Bilderbuche. – »Wenn ich nicht noch immer die Hoffnung hätte, das alte Gebäude käuflich an mich zu bringen und dadurch meinen Platz hier um das Doppelte zu verwehrten, verkaufte ich wahrhaftig mein eigenes Haus und zöge in eine andere Straße, um nur nicht mehr den Wahnsinn mit anhören zu müssen.«

»Wenn man die Thür nur könnte fest und dick vermauern lassen,« erwiderte die Frau, »dann wäre dem ganzen Aberglauben gleich der Boden unter den Füßen fortgezogen.«

»Ich kann ja den Rath nicht dazu bringen,« rief der Regierungs-Rath in bittrem Unmuthe, und hab' ich nicht einmal selbst schon einen halben Verweis bekommen, als ich es nur auf eigene Hand versuchen wollte, die alte, verwünschte Thür aufzubrechen? Weil man in früherer Zeit übersehen hatte, diesen unglückseligen Aus- oder Eingang ebenfalls zu versiegeln, mögen sie jetzt nicht daran rühren, um unangenehme Erörterungen zu vermeiden, und wünschen das Eisenblech als identisch mit der Mauer zu betrachten.«

»Dann bleibt uns doch am Ende nichts Anderes übrig, als auswendig eine Wand dagegen zu setzen,« sagte die Frau.

»Und was wird dann mit der Treppe?« brummte ihr Gatte. »Du weißt, daß wir unser Instrument kaum jetzt heraufgebracht haben, und stellen wir noch eine einzige Ziegeldicke dazwischen, so sind wir ganz fertig. Das einzig Mögliche wäre, diesen Theil der Treppe vollkommen zu verbauen und von der andern Seite des Vorsaales bis zu dem zweiten Absatze andere Stufen hinaufzuführen. Baulich ließe sich das machen, aber ich muß ja nachher wahrhaftig fürchten, daß ich der ganzen Stadt zum Gespötte werde und mein Haus den Namen eines Spukhauses bekommt. – Es fehlt jetzt schon nicht viel daran. Wenn der alte Major oben in der zweiten Etage nicht lauter männliche Bedienung hätte, wär' er auch schon lange ausgezogen. – Hast Du Dich schon nach einer anderen Köchin umgesehen?«

»Die Schwester will mir noch heute ein gutes, gerade freies Mädchen herüberschicken,« sagte seine Frau seufzend. »Lieber Gott! wenn es Einem nicht wirklich so schwer ankäme, die alten liebgewonnenen Räume zu verlassen, ich wollte gleich sagen: laß uns das Haus lieber heute als morgen verkaufen. Diese kleinlichen Unannehmlichkeiten reiben zuletzt den stärksten Menschen auf. Und dabei immer wieder dieselben Albernheiten; es ist ordentlich, als ob es Eine der Anderen sagte. Ein Glück nur, daß Rieke abgezogen ist, ehe das neue Mädchen eintrifft; wenn es die auch nachher erfährt, bekommt sie die unsinnige Geschichte doch nicht von dem albernen Geschöpfe selbst erzählt. – Es wäre doch am Ende besser, Hechner, Du ließest die andere Treppe einrichten. Die Leute reden allerdings kurze Zeit darüber, das ist wahr, aber bekommen es auch zuletzt satt, und wenn das mit dem Weglaufen der Dienstboten so fortgeht, macht es noch weit mehr Aufsehen, als eine bloße Veränderung der Baulichkeit.«

»Nein,« sagte der Regierungsrath, plötzlich stehen bleibend und seinen auf dem Instrumente liegenden Hut aufgreifend, »nein, ich weiß, was ich thue: der Rath darf mir meine Bitte, die Thür vermauern zu lassen, nicht länger abschlagen. Wenn er es aber doch thut, wenn er mich rücksichtslos dieser Unbequemlichkeit aussetzen will, nur um den einmal früher gemachten Fehler nicht einzugestehen, dann bin ich ihm auch keine weiteren Rücksichten schuldig.