Was ein Wunder! Säuglinge schreien. Sie wissen nicht, ob sie Bastarde sind oder nicht. Sie haben ein Recht, zu wimmern und zu schreien. Übrigens übertönten in Eibenschütz’ Ohren die leise klingenden Ohrringe der Euphemia auch das laute Schreien des Säuglings. Eibenschütz dachte gar nicht mehr an seine Frau und an das Kind des Josef Nowak.
Als er sein Haus betrat, dachte der Eichmeister nur daran, daß er der Hebamme nicht begegnen dürfte. Dies allein war seine Sorge. Aber es gelang ihm keineswegs. Sie hatte gehört und gesehen, wie er ankam. Und sie ging ihm entgegen mit der beruflichen Fröhlichkeit, die ihr eigen war, und berichtete ihm alles, was er nicht zu wissen wünschte: daß der Junge prächtig sei und daß sich die Mutter wohl befinde.
Eibenschütz dankte ihr gehässig. Immer noch klingelten in seiner Erinnerung und in seinem Herzen die goldenen Münzen an den goldenen Ohrringen. Er fühlte sich sehr unsicher, sehr unsicher fühlte er sich. Zuweilen war es ihm, als sei er kein Mensch mehr, sondern ein Haus, und er wäre imstande, seinen nahen Einsturz vorauszuahnen, als wäre er ein Haus oder eine Mauer: Es barst und bröckelte in ihm, und er fühlte kaum noch den Boden unter seinen Füßen. Er selbst schwankte, das ganze Haus schwankte, es schwankte auch der Sessel, auf den er sich setzte, um sein Frühstück einzunehmen. Der Hebamme wegen ging er jetzt hinein, in das Schlafzimmer, in dem seine Frau Regina seit ihrer Niederkunft wieder untergebracht war. Skandale wollte er nicht. Der Hebamme wegen.
Er sagte zu seiner Frau flüchtig und gehässig: »Guten Morgen« und betrachtete den Säugling Josef Nowaks, den ihm die Hebamme mit beruflichem Diensteifer entgegenstreckte. Der Säugling wimmerte. Er roch zudringlich nach Muttermilch und Urin. Eibenschütz dankte Gott, daß es nicht sein eigener Sohn war. Er empfand ein wenig Schadenfreude darüber, daß es der Sohn des verhaßten Josef Nowak war. Aber lauter noch als die Schadenfreude tönten in seinem Herzen die klingelnden Ohrringe.
Am Nachmittag hatte er eine Dienstfahrt mit dem Wachtmeister Slama zu unternehmen, nach Slodky. Sie langweilte ihn, diese Dienstfahrt, warum ging es nicht nach Szwaby? Es klingelten sachte die Ohrringe der Euphemia.
Der Wachtmeister Slama kam, ihn abzuholen. Man spannte den Schimmel vor das Wägelchen. Es war April, kurz nach Ostern. Der Himmel mit seinen zartweißen Wölkchen und seinem hellen Blau war jugendlich. Das Windchen, das dem Eichmeister entgegenwehte, war geradezu neckisch und ausgelassen. Die Felder zu beiden Seiten der Landstraße begannen eben, fröhlich zu grünen, und die Schneereste in den Gräben waren grau wie Asche.
»Heute oder morgen kommen die Schwalben!« sagte der Wachtmeister der Gendarmerie Franz Slama. Es kam dem Eichmeister Eibenschütz seltsam, aber auch anmutig vor, daß der Wachtmeister, trotz der Pickelhaube auf dem Haupt, trotz dem Gewehr mit dem aufgepflanzten Bajonett zwischen den Knien, von den Schwalben sprach.
»So spät kommen sie hierher?«
»Ja«, sagte der Wachtmeister Slama, »es ist ein weiter Weg hierher.«
Und sie schwiegen. Und das Wägelchen rollte, und das Windchen wehte, und über der Welt wölbte sich der jugendliche Himmel mit seinen zartblauen Wölkchen.
Es war Freitag, ein Tag, den der Eichmeister nicht liebte: nicht aus Aberglauben, sondern weil es im ganzen Bezirk, in der Gegend überhaupt, ein Markttag war. Da gab es viel zu tun, nicht in den Läden, sondern auf den offenen Märkten.
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