Wer keine Fragen stellt, bekommt auch keine Lügen zu hören, sage ich immer.« Er betrachtete eine der Perlen durch eine kleine Lupe.
»Die hier werfen Sie am besten gleich ins Feuer. Sie ist gekennzeichnet und würde überall erkannt.« Gehorsam warf sie die Perle, die einen Wert von sechs-bis siebenhundert Pfund haben mochte, in die Flammen. Sie widersprach Raggit Lane nicht, da sie aus Erfahrung wußte, daß sie sich auf sein Urteil verlassen konnte. Er irrte sich nie. Er traf seine Auswahl, steckte die Schmuckstücke in die Tasche und gab »Mutter« den Rest zurück. »Das Gold ist nicht viel wert«, sagte er. »Es lohnt kaum, es einzuschmelzen. Ich würde das Zeug im Fluß versenken.«
Mutter Oaks seufzte. »Das ist die reinste Verschwendung«, jammerte sie, »aber Sie wissen es am besten ...«
Jemand klopfte laut an die Tür, und sie fuhr erschrocken hoch.
»Wer ist da?« fragte sie schrill.
»Ich würde gern ein paar Worte mit Ihnen reden, Mrs. Oaks.«
Es war die Stimme des Inspektors Wade. Mutter Oaks verzog keine Miene. »Wer ist ›ich‹?« fragte sie. »Inspektor Wade.« »Einen Augenblick.«
Schnell raffte sie die Päckchen zusammen, warf sie in den Safe, schloß ihn ab, legte Filz und Parkett wieder an Ort und Stelle und rollte den Teppich darüber. Lane hatte inzwischen den großen Schrank am anderen Ende des Raumes geöffnet, war hineingestiegen und hatte die Tür hinter sich zugezogen.
Mutter Oaks warf einen Blick in den Kamin, stocherte mit dem Schürhaken nach einem rotglühenden Kügelchen, das einmal eine Perle gewesen war, und öffnete dann die Tür. »Kommen Sie rein, Inspektor«, sagte sie kühl. Wade betrat das Zimmer und sah sich rasch um. »Tut mir leid, in Ihre Bibelstunde hineinzuplatzen«, sagte er. »Ich habe die Strümpfe gewechselt, wenn Sie's unbedingt wissen wollen«, antwortete Mutter Oaks bissig. »Aber, aber, etwas so Unanständiges will ich gar nicht hören!«
Er schnupperte. »Heimlich ein bißchen geraucht, wie? Wie unartig! Sie sind ziemlich unvernünftig für Ihr Alter.« Mutter Oaks unterdrückte ihren Zorn. »Was wollen Sie?« erkundigte sie sich.
Der Inspektor antwortete nicht und sah sich bewundernd um.
»Ein reizendes Zimmer«, sagte er. »Das Boudoir der gnädigen Frau. Und ägyptische Zigaretten rauchen Sie auch - das ist schlecht fürs Herz, Kind.«
»Was wollen Sie?« fragte sie mit größerem Nachdruck. Erschrocken sah sie, daß seine Blicke an dem großen Schrank in der Ecke haften blieben.
»Ich wollte Ihnen eine Frage stellen, offenbar bin ich aber in einem sehr ungünstigen Augenblick gekommen. Es war eine ganz unwichtige Frage, die nichts mit meinen beruflichen Pflichten zu tun hat. Doch ich will nicht länger stören.« Er ging zur Tür und sah sie mit dem ihm eigenen strahlenden Lächeln an.
»Ich fürchte, Ihr Freund wird ersticken, wenn Sie ihn nicht bald aus dem Schrank befreien«, fügte er hinzu und schloß die Tür mit übertriebener Sorgfalt. Sie riß sie wieder auf und ging bis zur Haustür hinter ihm her. Die Unverschämtheit, die er sich bis zuletzt aufgespart hatte, setzte allem die Krone auf. Er beugte sich zu ihr hinunter und flüsterte mit Verschwörermiene: »Ich halte dicht, von mir erfährt Golly nichts!« Bevor sie ihm auch nur eine der Beschimpfungen an den Kopf werfen konnte, die ihr auf der Zunge brannten, war er fort. Sie ging ins Wohnzimmer zurück und sperrte die Tür hinter sich ab.
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