Sie glaubt, er sei ein Freund, der sich für sie interessiert. Er bezahlt ihren Unterhalt, und wenn er in England ist, schickt er mir Geld, damit ich sie herausputze und er sie zum Dinner ausführen kann.« »Ist er Engländer?«

»Amerikaner.« Die Antwort kam ein bißchen zu schnell. »Er wohnt auf Long Island oder in New York oder so. Ein reicher, vornehmer Amerikaner. Chinesen habe ich in dem Haus nie gesehen, Inspektor Wade, das schwöre ich. Wenn heute abend welche dort waren, wußte ich nichts davon. Vor Chinesen fürchte ich mich nämlich. Sie werden doch das arme Kind keinem Kreuzverhör unterziehen und ihm Angst einjagen? Sie ist eben zu Bett gegangen.«

»Wie viele Schlüssel gibt es für das Haus in der Langras Road?« Sie überlegte. »Ich habe nur einen gesehen.« »Haben Sie ihn immer bei sich?« Sie nickte. »Wissen Sie, ob noch jemand einen hat?« Sie verneinte mit großem Nachdruck.

Wade war überzeugt, daß sie die Wahrheit sagte. Auf jeden Fall hatte sie nicht versucht zu leugnen, wo sie am Abend gewesen war. Ein ganz unprofessionelles Gefühl ergriff ihn, Lila tat ihm auf einmal sehr leid. Mutter Oaks' Erklärung für das, was das Mädchen »das Erlebnis« nannte, klang schrecklich plausibel. Es hatte auch keinen Sinn, jetzt mit Lila zu sprechen. Mutter Oaks gab ihm geradezu mit Feuereifer jede gewünschte Information. »Hat ›Mr. Brown‹ einen Schlüssel zum Haus?« Sie erschrak offensichtlich, als er den Namen nannte, unter dem sie den alten Mann kannte. »Soviel ich weiß, hat er keinen. Und wozu auch? Ich habe ihm nie etwas von dem Haus in der Langras Road erzählt.« Wade überlegte einen Augenblick. »Geben Sie mir Ihren Schlüssel«, sagte er dann.

Sie kramte in einer großen Handtasche, die auf dem Tisch lag, und holte einen Ring heraus, an dem ein einzelner Schlüssel baumelte. Wade sah ihr fest in die Augen. »Und der Schlüssel zum Schrank?«

Ihre Augen flackerten vor Schreck. »Den Schlüssel zum Schrank? Zu welchem Schrank?« »In dem Zimmer, in dem Lila sich umgezogen hat, steht ein Einbauschrank.«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe nur diesen einen Schlüssel.« Der Inspektor lächelte. »Dann werden wir den Schrank wohl aufbrechen müssen«, sagte er liebenswürdig. Mutter Oaks hatte sich gut unter Kontrolle. »Tun Sie, was Sie nicht lassen können«, meinte sie kühl. Dann fauchte sie plötzlich: »Was willst du?« Wade wandte den Kopf. In einen schmutzigen, alten Kimono gewickelt, stand Lila auf der Schwelle. Ihre elegante Frisur und die manikürten weißen Hände, die das schäbige Kleidungsstück zusammenhielten, fielen in dieser Umgebung besonders auf.