Dann eilten sie schräg über die SainteClaireWiesen, immer Hand in Hand, immer laufend, ohne ein Wort zu wechseln. Die Kolonne bildete auf der Landstraße eine dunkle Linie, der sie längs der Hecken folgten. Es gab Lücken im Weißdorn. Durch eine dieser Lücken sprangen Silvère und Miette auf die Straße.
Trotz des Umwegs, den sie gemacht hatten, kamen sie gleichzeitig mit den Leuten aus Plassans an. Silvère schüttelte einigen von ihnen die Hand. Man mochte annehmen, daß er von der veränderten Marschroute der Aufständischen erfahren habe und ihnen entgegengekommen sei. Miette, deren Gesicht durch die Mantelkapuze halb verborgen war, wurde neugierig betrachtet.
»Ach, das ist ja die Chantegreil«, sagte ein Mann aus der Vorstadt, »die Nichte von Rébufat, dem Halbpächter vom JasMeiffren.«
»Wo kommst du denn her, du Landstreicherin?« rief eine andere Stimme.
Silvère, ganz benebelt von Begeisterung, hatte nicht daran gedacht, welch seltsame Rolle seine Liebste bei den unausbleiblichen Späßen der Arbeiter spielen mußte. Miette war völlig verwirrt und sah ihn wie um Schutz und Hilfe flehend an. Aber noch bevor er den Mund auftun konnte, ertönte eine neue Stimme aus der Gruppe und sagte roh: »Ihr Vater ist im Zuchthaus, die Tochter eines Diebes und Mörders wollen wir nicht dabeihaben!«
Miette wurde totenblaß.
»Ihr lügt«, murmelte sie, »mein Vater hat wohl jemanden getötet, aber er hat nichts gestohlen.« Und als Silvère, blasser noch und zitternder als Miette, die Fäuste ballte, flüsterte sie: »Laß! Das hier geht mich an …« Dann wandte sie sich wieder der Gruppe zu und wiederholte laut: »Ihr lügt! Ihr lügt! Niemals hat er irgend jemandem auch nur einen Sou genommen. Das wißt ihr sehr gut. Warum beschimpft ihr ihn, wenn er sich nicht verteidigen kann?« Sie hatte sich hoch aufgerichtet, großartig in ihrem Zorn. Ihre heißblütige, halbwilde Natur schien die Beschuldigung wegen Mordes ziemlich gleichgültig hinzunehmen. Aber die Beschuldigung wegen Diebstahls brachte sie zum Äußersten. Das war bekannt, und gerade deshalb schleuderte die Menge ihr aus dummer Bosheit diese Anschuldigung oft ins Gesicht.
Der Mann, der soeben ihren Vater einen Dieb genannt hatte, wiederholte übrigens lediglich etwas, was er seit Jahren hörte. Angesichts der Heftigkeit des Mädchens grinsten die Arbeiter. Silvère stand immer noch mit geballten Fäusten da. Die Sache hätte schlimm ausgehen können, wäre nicht einer der SeilleJäger, der sich auf einen Steinhaufen am Wegrand gesetzt hatte, um den Weitermarsch abzuwarten, dem jungen Mädchen zu Hilfe gekommen.
»Die Kleine hat recht«, sagte er. »Chantegreil war einer der Unsrigen. Ich habe ihn gekannt. Seine Angelegenheit ist niemals ganz aufgeklärt worden. Was mich betrifft, so habe ich immer an die Wahrheit seiner Aussagen vor den Richtern geglaubt. Der Gendarm, den er auf der Jagd mit einem Flintenschuß niederstreckte, hatte ihn wahrscheinlich schon selber aufs Korn genommen. Man wehrt sich eben, das ist selbstverständlich. Aber Chantegreil war ein ehrlicher Mann.
1 comment