Man brachte nicht einmal die Leiche des Schmugglers nach Plassans zurück; er wurde irgendwo auf einem kleinen Dorffriedhof in den Bergen begraben. Der Schmerz Adélaïdes äußerte sich in völliger Stumpfheit. Ihr Sohn, der sie neugierig beobachtete, sah sie nicht eine einzige Träne vergießen. Macquart hatte sie zu seiner Erbin gemacht. Sie erbte das Häuschen in der SaintMittre Sackgasse und die Flinte des Verstorbenen, die ein andrer Schmuggler, der den Kugeln der Zollwächter entkommen war, ihr ehrlicherweise zurückbrachte. Schon am nächsten Tage zog sie sich in das Häuschen zurück; sie hängte die Flinte über den Kamin und lebte nun hier, abgeschlossen von der Außenwelt, einsam und stumm.
Endlich war Pierre Rougon allein Herr im Hause. Das Anwesen der Fouques war, wenn auch nicht rechtlich, so doch tatsächlich in seinem Besitz. Nie hatte er die Absicht gehabt, sich hier niederzulassen. Es war ein für seinen Ehrgeiz zu enges Feld. Den Boden zu bebauen, Gemüse zu ziehen, erschien ihm als grobe Arbeit und seiner Fähigkeiten unwürdig. Es drängte ihn, aus dem Bauernstande herauszukommen. Seine Natur, durch die nervöse Veranlagung der Mutter verfeinert, empfand ein unwiderstehliches Verlangen nach bürgerlichen Genüssen. Darum hatte er in all seinen Plänen den Verkauf des Fouqueschen Anwesens als Lösung betrachtet. Dieser Verkauf mußte ihm ein hübsches Stück Geld einbringen und ihn dadurch in den Stand setzen, die Tochter irgendeines Kaufmanns zu heiraten, der ihn daraufhin zum Teilhaber machen würde. Gerade zu dieser Zeit lichteten die Feldzüge des Ersten Kaiserreiches empfindlich die Reihen der heiratsfähigen Männer. Die Eltern zeigten sich weniger schwierig bei der Wahl eines Schwiegersohns. Pierre meinte, das Geld werde alles ausgleichen und über die Vorstadtklatschereien werde man leicht hinweggehen; er wollte sich als Opfer hinstellen, als Ehrenmann, der unter der Schande seiner Familie leidet und sie beklagt, der aber selber davon unberührt geblieben ist und sie nicht entschuldigt. Seit mehreren Monaten hatte er ein Auge auf Félicité Puech, die Tochter eines Ölhändlers, geworfen. Die Firma Puech & Lacamp, deren Lagerräume in einem der dunkelsten Gäßchen der Altstadt lagen, war keineswegs ein blühendes Geschäft. Sie genoß am Ort einen recht zweifelhaften Kredit; man munkelte von einem bevorstehenden Bankrott. Gerade im Hinblick auf diese Gerüchte fuhr Rougon hier sein Geschütz auf. Niemals würde ein wohlhabender Kaufmann ihm seine Tochter gegeben haben. Er beabsichtigte, gerade dann in Erscheinung zu treten, wenn der alte Puech nicht mehr aus noch ein wüßte, ihm Félicité abzukaufen und in der Folge die Firma durch seinen Verstand und seine Tatkraft wieder in die Höhe zu bringen. Das war eine schlaue Art, eine höhere Sprosse zu erklettern, sich um eine Stufe über den eigenen Stand zu erheben. Vor allem wollte er aus dieser schrecklichen Vorstadt herauskommen, wo man über seine Familie tratschte, wollte das schmutzige Gerede in Vergessenheit bringen, indem er sogar den Namen des Fouqueschen Anwesens auslöschte. Darum erschienen ihm die übelriechenden Gassen der Altstadt wie ein Paradies. Nur dort konnte er ein neues Leben beginnen.
Bald kam der Augenblick, auf den er gelauert hatte. Die Firma Puech & Lacamp lag in den letzten Zügen.
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