Solange die Kinder das Abiturium noch nicht hinter sich hatten, lebten die Eheleute, die ihre Söhne unter schweren Opfern das Gymnasium besuchen ließen, in der Hoffnung auf ihren Erfolg. Und als sie ihre Reifezeugnisse besaßen, wollte Félicité ihr Werk vollenden; sie überredete ihren Mann dazu, alle drei nach Paris zu schicken. Zwei studierten die Rechte, der dritte Medizin. Dann, als sie erwachsene Männer waren, als sie das Haus Rougon völlig ausgesogen hatten und sich nun notgedrungen in der Provinz niederlassen mußten, begann für die armen Eltern die Enttäuschung. Die Provinz schien ihre Beute zurückzufordern. Die drei jungen Leute wurden träge und schwerfällig. Die ganze Bitterkeit über ihren Unstern stieg wieder in Félicité auf. Ihre Söhne trieben sie in den Bankrott. Sie hatten sie zugrunde gerichtet, sie trugen ihr nicht die Zinsen des Kapitals ein, das sie darstellten. Dieser letzte Schicksalsschlag schmerzte sie um so mehr, als er sie zugleich in ihrem weiblichen Ehrgeiz und in ihrer mütterlichen Eitelkeit traf. Rougon wiederholte ihr von früh bis spät: »Habe ich dir das nicht gesagt?«, was sie noch mehr zur Verzweiflung brachte.

Als sie eines Tages ihrem Ältesten voller Gram die Summen vorwarf, die seine Ausbildung sie gekostet hatte, antwortete er ihr mit nicht geringerer Bitterkeit: »Ich werde sie dir später zurückerstatten, wenn ich kann! Aber da ihr kein Vermögen hattet, hättet ihr Arbeiter aus uns machen sollen. Wir sind deklassiert und leiden mehr als ihr!«

Félicité begriff den tiefen Sinn dieser Worte. Von nun an hörte sie auf, ihre Kinder anzuklagen; sie kehrte ihren Groll gegen das Schicksal, das nicht müde wurde, sie zu verfolgen. Sie begann von neuem zu klagen; sie jammerte in allen Tonarten über den Mangel an Geld, der sie noch im Hafen Schiffbruch erleiden ließ. Sagte Rougon: »Deine Söhne sind Faulpelze, sie werden uns bis ans Ende aussaugen«, so antwortete sie scharf: »Wollte Gott, ich könnte ihnen noch Geld geben. Wenn die armen Jungen ein elendes Leben führen, geschieht es, weil sie mittellos sind!«

Zu Beginn des Jahres 1848, am Vorabend der Februarrevolution, hatten die drei Söhne Rougon in Plassans sehr unsichere Stellungen. Sie verkörperten damals merkwürdige, grundverschiedene Typen, obwohl sie einer wie der andere dem gleichen Stamm entsprossen waren. Im großen ganzen waren sie wertvoller als ihre Eltern. Das Geschlecht der Rougons sollte durch die Frauen veredelt werden. Adélaïde hatte aus Pierre einen mittelmäßigen, zu niedrigem Ehrgeiz fähigen Geist gemacht; Félicité gab ihren Söhnen höhere Verstandeskräfte mit, die sie zu großen Lastern und großen Tugenden befähigten.

Damals zählte der Älteste, Eugène, beinahe vierzig Jahre. Er war ein Mann von mittlerer Größe, mit beginnender Glatze und neigte bereits zu Wohlbeleibtheit. Er hatte das Gesicht seines Vaters, ein langes Gesicht mit groben Zügen; man ahnte das Fett unter der Haut, das die Rundungen weich und das Gesicht gelblichweiß wie Wachs machte. Doch wenn man auch in dem massigen, eckigen Schädel noch den Bauern spürte, so wurde der Gesichtsausdruck verwandelt und von innen erhellt, wenn die schweren Lider sich hoben und der Blick wach wurde. Beim Sohn war die Schwerfälligkeit des Vaters zum Ernst geworden. Dieser ungeschlachte Mensch sah für gewöhnlich so aus, als läge er in tiefem Schlaf; bei gewissen ausholenden, müden Bewegungen glaubte man einen Riesen vor sich zu haben, der die Glieder reckt, um zur Tat bereit zu sein. Vermöge einer jener angeblichen Launen der Natur, in denen die Wissenschaft Gesetze zu erkennen beginnt, schien Félicité das geistige Element beigesteuert zu haben, während die körperliche Ähnlichkeit zwischen Eugène und dem Vater vollkommen war. Eugène stellte den merkwürdigen Fall dar, daß gewisse moralische und intellektuelle Eigenschaften der Mutter unter dem massigen Fleisch des Vaters verborgen waren. Er hatte einen hochfliegenden Ehrgeiz, Machtinstinkte, eine merkwürdige Mißachtung für kleinliche Mittel und kleine Vermögen.