Er lieferte den Beweis dafür, daß sich Plassans in der Annahme, Félicité habe einige Tropfen blauen Blutes in den Adern, nicht irrte. Die Gier nach Genuß, die sich bei den Rougons so heftig entfaltete und geradezu das charakteristische Merkmal der Familie war, nahm bei ihm eine ihrer höchsten Formen an; er wollte genießen, aber durch geistige Wollust, indem er seine Herrschergelüste befriedigte. Solch ein Mann war nicht dazu geschaffen, in der Provinz sein Glück zu machen. Fünfzehn Jahre lang vegetierte er hier, die Augen stets auf Paris gerichtet, auf eine günstige Gelegenheit lauernd. Um seinen Eltern nicht auf der Tasche zu liegen, hatte er sich sofort nach seiner Rückkehr in die kleine Stadt in die Liste der Rechtsanwälte eintragen lassen. Von Zeit zu Zeit hatte er eine Sache vor Gericht zu vertreten, verdiente damit kümmerlich seinen Lebensunterhalt und schien sich nicht über ein biederes Mittelmaß zu erheben. In Plassans fand man, er habe eine teigige Stimme und plumpe Bewegungen. Selten gewann er den Prozeß eines Klienten; meist kam er vom Thema ab, er »faselte«, wie sich die klugen Köpfe der Stadt ausdrückten. Besonders einmal, als er eine Klage auf Schadenersatz mit Zinsen zu vertreten hatte, vergaß er sich, verlor sich so sehr in politischen Betrachtungen, daß ihm der Präsident das Wort abschnitt. Er setzte sich sofort, mit einem eigentümlichen Lächeln. Sein Klient wurde zur Zahlung einer beträchtlichen Summe verurteilt, was Eugène offenbar nicht dazu veranlaßte, seine Abschweifungen auch nur im geringsten zu bedauern. Er schien seine Plädoyers einfach als Übungen aufzufassen, die ihm späterhin nützlich sein würden. Félicité begriff das nicht, sie war untröstlich darüber, sie hätte gewünscht, daß ihr Sohn dem Zivilgericht von Plassans die Gesetze vorschrieb. Schließlich bildete sie sich eine höchst ungünstige Meinung über ihren ältesten Sohn; nach ihrer Ansicht konnte dieser verschlafene Mensch niemals der Familie zum Ruhm gereichen. Pierre hingegen setzte unbegrenztes Vertrauen in Eugène, nicht, weil er etwa einen besseren Blick gehabt hätte als seine Frau, sondern weil er sich an das Äußere hielt und sich selber schmeichelte, wenn er an das Genie eines Sohnes glaubte, der sein lebendiges Ebenbild war. Einen Monat vor der Februarrevolution wurde Eugène unruhig; ein eigentümliches Witterungsvermögen ließ ihn die Krise vorausahnen. Von nun an brannte ihm das Pflaster von Plassans unter den Sohlen. Man sah ihn wie eine verlorene Seele auf den Spazierwegen umherstreifen. Dann faßte er einen plötzlichen Entschluß und reiste nach Paris. Er hatte keine fünfhundert Francs in der Tasche.

Aristide, der jüngste der Rougonsöhne, war sozusagen mit mathematischer Genauigkeit das Gegenteil von Eugène. Er hatte das Gesicht der Mutter und eine Habsucht, einen hinterhältigen, zu gemeinen Ränken fähigen Charakter, in dem die väterliche Veranlagung vorherrschte. Die Natur hat oft ein Bedürfnis nach Symmetrie. Klein, mit einem winzigen, verschlagenen Gesicht, das an einen wunderlich als Kasperlekopf geschnitzten Stockknauf erinnerte, schnüffelte, wühlte Aristide, auf Genuß erpicht, überall ziemlich skrupellos herum. Er liebte das Geld, wie sein älterer Bruder die Macht liebte. Während Eugène davon träumte, ein ganzes Volk unter seinen Willen zu beugen, und sich an seiner künftigen Allmacht berauschte, sah sich Aristide als zehnfachen Millionär in einer fürstlichen Wohnung hausen, gut essen und trinken und mit allen Sinnen und allen Fasern seines Leibes das Leben genießen. Vor allem lag ihm daran, schnell reich zu werden. Wenn er Luftschlösser baute, erschien in seinem Geiste zauberhaft das eine Traumbild: er gelangte von heute auf morgen in den Besitz von Tonnen voller Gold; das behagte seiner Trägheit um so mehr, als er sich niemals Gedanken über die Mittel machte und ihm die am raschesten wirkenden immer die besten zu sein schienen. Das Geschlecht der Rougons, dieser schwerfälligen und habsüchtigen Bauern mit den rohen Begierden, war vorzeitig herangereift. Alle Bedürfnisse nach materiellem Genuß entwickelten sich, durch eine übereilte Erziehung verdreifacht, bei Aristide noch unersättlicher und gefährlicher, seit sie mit Überlegung verbunden waren.