Trotz ihres feinen weiblichen Spürsinns zog Félicité diesen Jungen vor. Sie merkte nicht, wieviel verwandter ihr Eugène war; sie entschuldigte die Torheit und Trägheit ihres Jüngsten mit der Begründung, daß er eines Tages der große Mann der Familie sein werde und daß ein großer Mann bis zu dem Tag, an dem sich sein Genie offenbart, das Recht auf ein lockeres Leben habe. Aristide stellte ihre Nachsicht hart auf die Probe. In Paris führte er ein schmutziges Müßiggängerdasein; er war einer jener Studenten, die sich in den Kneipen des Quartier Latin23 immatrikulieren. Übrigens blieb er nur zwei Jahre dort; sein Vater, entsetzt darüber, daß er noch kein einziges Examen hinter sich gebracht hatte, hielt ihn in Plassans zurück und sprach davon, ihm eine Frau suchen zu wollen, denn er hoffte, daß die Verantwortung für eine Familie einen ordentlichen Menschen aus dem Sohn machen würde. Aristide ließ sich verheiraten. Zu dieser Zeit sah er noch nicht ganz klar, was er eigentlich anstrebte. Das Leben in der Provinz mißfiel ihm nicht; er kam sich in seiner kleinen Vaterstadt vor wie die Made im Speck mit Essen, Schlafen und Herumbummeln. Félicité vertrat seine Sache mit so viel Wärme, daß Pierre einwilligte, das Ehepaar zu ernähren und bei sich wohnen zu lassen, unter der Bedingung, daß sich der junge Mann ernstlich den Geschäften der Firma widmete. Nun begann für diesen ein herrliches Faulenzerdasein. Er verbrachte seine Tage und den größten Teil der Nächte im Klub, schwänzte wie ein Schüler das väterliche Büro und verspielte die wenigen Goldstücke, die ihm seine Mutter heimlich zusteckte. Man muß tief in der Provinz gelebt haben, um sich eine richtige Vorstellung von den vier Jahren der Verblödung zu machen, die dieser Bursche auf solche Weise hinbrachte. So gibt es in jeder Kleinstadt eine Gruppe von Menschen, die auf Kosten ihrer Eltern leben, manchmal so tun, als arbeiteten sie, in Wirklichkeit aber ihre Trägheit geradezu mit einer Art frommen Kult pflegen. Aristide war der Typus dieser unverbesserlichen Bummler, die sich wohlig in der Leere der Provinz herumtreiben. Vier Jahre lang spielte er Ecarté24. Während er im Klub lebte, trug seine Frau, eine lässige und sanfte Blondine, dadurch zum Ruin des Hauses Rougon bei, daß sie eine ausgesprochene Vorliebe für auffallende Toiletten hatte und einen unheimlichen Appetit, der bei einem so zerbrechlichen Geschöpf höchst merkwürdig war. Angèle schwärmte für himmelblaue Bänder und gebratenes Rinderfilet. Sie war die Tochter eines verabschiedeten Hauptmanns, Kommandant Sicardot genannt, eines braven Mannes, der ihr zehntausend Francs, seine ganzen Ersparnisse, mit in die Ehe gegeben hatte. Deshalb hatte Pierre geglaubt, als er Angèle für seinen Sohn aussuchte, ein unerwartet gutes Geschäft zu machen – so billig schätzte er Aristide ein. Diese Mitgift von zehntausend Francs, die bei ihm den Ausschlag gegeben hatte, sollte später ein Mühlstein an seinem Halse werden. Sein Sohn war bereits ein durchtriebener Gauner; er händigte dem Vater die zehntausend Francs ein, wurde sein Teilhaber, wollte keinen Sou für sich behalten und trug die tiefste Ergebenheit zur Schau.

»Wir brauchen nichts«, meinte er, »du unterhältst uns, meine Frau und mich, und später werden wir einmal abrechnen.«

Pierre war in Geldverlegenheit, er nahm an, wenn auch etwas beunruhigt durch Aristides Uneigennützigkeit. Dieser sagte sich, daß der Vater wahrscheinlich geraume Zeit nicht imstande sein werde, zehntausend Francs flüssig zu machen und ihm zurückzuerstatten; so würden er und seine Frau auf Kosten des Vaters sorgenfrei leben, solange die Geschäftsverbindung nicht gelöst werden konnte. Die paar Banknoten waren bestens angelegt. Als der Ölhändler begriff, wie sehr er bei diesem Handel zu kurz kam, stand es ihm nicht mehr frei, sich Aristide vom Halse zu schaffen; Angèles Mitgift war bei Spekulationen mitverwendet worden, die fehlschlugen. Erbittert, ins Herz getroffen durch den unersättlichen Appetit seiner Schwiegertochter und die Faulheit seines Sohnes, mußte er das Ehepaar bei sich behalten. Hätte er sie auszahlen können, so würde er dieses Ungeziefer, das ihm das Blut aussaugte, wie er sich drastisch ausdrückte, schon zwanzigmal vor die Tür gesetzt haben. Félicité unterstützte die jungen Leute heimlich. Aristide, der ihre ehrgeizigen Träume durchschaute, setzte ihr Abend für Abend wunderbare Pläne auseinander, auf Grund derer er in nächster Zeit ein Vermögen erwerben würde. Infolge eines seltenen Zufalls stand sie sich mit ihrer Schwiegertochter ganz ausgezeichnet; allerdings muß gesagt werden, daß Angèle keinen eigenen Willen besaß und daß man über sie verfügen konnte wie über ein Möbelstück.